Wilfried Stroh
De gustibus est disputandum:
Der gute Geschmack in Küche und Gastmahl der Römer
Festvortrag zur feierlichen Eröffnung des 17. Oberpfälzer
Zahnärztetages "Der gute Geschmack"
Historischer Reichsaal des Alten Rathauses der Stadt Regensburg
3. Juli 2003
Iuppiter optime maxime, qui cum mundum gubernas tum haec Castra
Regina semper auxisti tuque Iuno regina coniunx sororque Iovis, vos ego
voco
vosque praecipue, quos deos scimus epulis fauere culinisque,
te, Vulcane, voco, cui ignium artes curae sunt,
te, Ceres optima, quae frumenta mortalibus dedisti,
te, Diana, quae e silvis delicias ferinas nobis ministras,
te, Bacche, qui vinis tuis convivia exhilaras curasque diluis,
vos omnes ceterosque deos immortales invoco et obsecro, bonas preces
precor,
uti vos huic cenae laeti libentes adsitis,
omne bonum arcessatis, omne malum arceatis.
Meine sehr verehrten Damen und Herrn,
was Sie gehört haben, war
ein improvisiertes lateinisches Tischgebet, wie es einmal in Rom oder
auch
hier in Castra Regina, unserem heutigen Regensburg, geklungen
haben
dürfte, zu Beginn einer cena, eines Gastmahls bzw.
Abendessens,
das natürlich mit Anrufung der Götter eröffnet werden
musste.
Die Römer waren nach ihrem eigenen Selbstverständnis die
„frömmsten
unter den Menschen“, religiosissimi mortalium , und nichts von
dem,
was sie taten, sollte ohne den Segen der unsterblichen Götter (di
immortales) geschehen. Vor Tische also werden, wie gerne auch am Beginn
einer Rede, die Götter angerufen, nach dem Hauptgang erhalten die
Laren,
die speziellen Schutzgötter des Hauses, ein Opfer, d.h. ihren
Anteil
an der von den Menschen verzehrten Speise. So habe ich soeben nach dem
Göttervater
Jupiter und seiner Gemahlin Juno vor allem diejenigen Götter
angerufen,
die speziell zu Küche und Gastmahl Beziehungen haben: Vulcanus,
den
Gott des Feuers (ohne das in der Küche nichts zu machen ist),
Ceres,
die den Menschen das Getreide geschenkt und durch den Ackerbau die
sesshafte
menschliche Zivilisation begründet hat, die Jagdgöttin Diana,
die
der Tafel das köstliche Wildpret liefert, und schließlich
Bacchus,
den Gott des Weines, der für Küche und Gastmahl so
unentbehrlich
ist. Einen eigenen Gott der Gastronomie gibt es nicht; erst
Brillat-Savarin,
der berühmteste Feinschmecker der Neuzeit, hat am Ende des 18.
Jahrhunderts
dem antiken Götterhimmel die Muse Gasterea dazu erfunden und ihr
einen
Tempel errichtet.
Stellen wir uns also vor: Kaiser
Mark Aurel, der Gründer des Legionslagers Castra Regina,
Vater
somit von Regensburg, wäre in dem Jahr vor seinem Tode, also i.J.
179 n. Chr. mit seinem Sohn Commodus (den die meisten von Ihnen aus dem
Gladiator-Film kennen werden) zur Truppeninspektion hier gewesen und
hätte
für die Prominenten vor Ort, also vor allem die obersten Offiziere
und die Leute aus seinem Stab, ein Gastmahl veranstaltet, dann
hätte
er, ein frommer Mann, dieses mit einem solchen Tischgebet
eröffnet.
Vor dem großen Gastmahl allerdings hätte noch ein anderes
bescheideneres Mahl stattgefunden, nicht im Kreise der Prominenz,
sondern unter den gewöhnlichen Soldaten. Der Kaiser, so wollte es
der Brauch, hätte sich unter seine Legionäre gesetzt, er
hätte eigenhändig mit Hilfe einer
Handmühle Getreide geschrotet und sich daraus, immer noch
eigenhändig,
ein Soldatenbrot gebacken und verzehrt, zum Zeichen, dass er einer von
ihnen sei, vor allem auch ein gedienter Soldat, der es in allem Ganz
seines
kaiserlichen Hofes noch nicht verlernt hatte, sich in der Weise des
römischen
Legionärs selber sein tägliches Brot zu beschaffen. Und die
Herzen
seiner Leute müssen ihm zugeflogen sein, i h r e m
Kaiser!
Bei Mark Aurel wäre das ja auch kein populäres Getue gewesen.
Er war doch vor allem auch stoischer Philosoph und wusste, dass alle
Menschen,
vom Kaiser bis zum Sklaven, fundamental gleich seien,
gleichermaßen
begnadet mit dem göttlichen Funken, der Vernunft, ratio,
die
auch die Welt regierte und unter dem Namen Jupiters verehrt wurde,
Jupiters,
den er dann ja auch in seinem (voher gehörten) Tischgebet als
ersten
ansprach.
Doch anschließend an dieses
frugale Vorspiel primitivster Speisung gab es natürlich für
die meliores , die happy few das eigentliche gehobene
Essen, die
cena, im Speisesaal der Castra Regina, kunstvoll
zubereitet von mitgebrachten Köchen und geschickt serviert von
kundigen Sklaven. Nach dem Gebet, das wir gehört haben, wurde als
Aperitif mulsum , der römische Honigwein gereicht; dazu
gab es als Vorspeise, lateinisch gustatio , verschiedene
appetitanregende Salate und Delikatessen, ganz
besonders Eier – daher das noch heute übliche Sprichwort ab ovo
, „vom Ei beginnend“, also: vom Anfang an -, dann folgten die
verschiedenen Gänge (fercula ) von Fleisch und Fisch; und
den Abschluss des Essens im engeren Sinn, der cena, bildete wie
bei uns das Dessert, mensa secunda, bestehend vor allem aus dulcia,
Süßspeisen. Worauf als zweiter Teil des Gastmahls in der
Regel noch ein Umtrunk folgte, mit edleren Weinen (bei dem sich Kaiser
Mark Aurel schon aus Gesundheitsgründen zurückgehalten haben
wird), bis man dann nach Einbruch der Dunkelheit – denn das Gastmahl
hatte schon im Laufe des Nachmittags begonnen – selig angeheitert
wieder auseinander ging.
Die Römer liebten es, wie
wir aus vielen Zeugnissen wissen, sich beim Essen und Trinken auch
über das Essen und Trinken selber zu unterhalten; und so mag es
bei einer solchen cena im römischen Regensburg auch zu
gastronomischen Auseinandersetzungen unter den Gästen gekommen
sein: ob der Koch die Hirschsauce (ius
in ceruo) zu Recht mit soviel Liebstöckel (ligusticum)
gewürzt habe; ob Donaufische ( pisces e Danuvio )
überhaupt essbar
seien im Vergleich mit den Köstlichkeiten des Mittelmeers (deliciae
maris nostri), ob unter den Weinen der Caecuber oder der Falerner
den
Vorzug verdiene und ob es irgendein gallischer Wein mit den italischen,
ein italischer Wein geschmacklich mit den Reben der Griechen aufnehmen
könne – solche Fragen dürften wahrscheinlich auch bei
unserem
Gastmahl diskutiert worden sein, vielleicht mit der Ausdauer und
Hartnäckigkeit
fanatischer Feinschmecker, deren rechthaberischer Eifer durch den Wein
noch
stimuliert wurde, so dass es unter den Streithähnen fast zu
Handgreiflichkeiten kam – bis dann, möchte man meinen, der Kaiser
selber, Mark Aurel eingriff und mit milder stoischer Gelassenheit die
Streitenden salomonisch besänftigte mit dem Sprichwort:
De gustibus non est disputandum
.
„Über die Geschmäcker soll man nicht streiten.“
Aber, meine sehr verehrten Damen
und Herrn, s o kann es jedenfalls in d i e s e
m Punkte nicht gewesen sein. Denn dieses bekannte
Sprichwort De gustibus non est disputandum, das sich in fast
allen Schulbüchern und den meisten Sprichwörtersammlungen
findet und den Hintergrund für meinen heutigen Vortrag (De
gustibus est disputandum) abgibt, ist
zwar lateinisch, aber nicht römisch; man kann zweifeln, ob es
überhaupt römischer Auffassung entspricht, auf jeden Fall
kann es Mark Aurel
in Regensburg nicht verwendet haben. Wo hat es seinen Ursprung? Der
schon
zitierte Franzose Brillat-Savarin, dieser Fanatiker des guten
Geschmacks,
leitete das geflügelten Wort aus dem Spanischen her (Sobre los
gustos
no hay disputo) – obwohl es schon zu seiner Zeit auch auf
französisch
eingebürgert war -; schlägt man im großen Historischen
Wörterbuch
der Philosophie nach, wo das Stichwort „Geschmack“ von drei
verschiedenen
Gelehrten tiefgründig behandelt wird, so erfährt man, dass
der
Ursprung des Worts in der scholastischen Philosophie (also der
Theologie
des Mittelalters) zu suchen sei und dass es ursprünglich so
lautete:
De gustibus et coloribus non est disputandum . „Über
Geschmäcker
und Farben kann man nicht streiten.“ Diese Zusammenstellung mit den
Farben
(colores ) ist interessant, weil sich daran zeigt, dass im
ursprünglichen
Sinn des Satzes gustus (Geschmäcker) nicht die subjektiv
verschiedenen Geschmacksrichtungen der Menschen bedeutet, sondern die
objektiv verschiedenen Geschmäcker der Dinge bzw. Speisen selber.
Wie es unendlich viele Farbtönungen gibt, so auch unendlich viele
Geschmäcker (man denke nur, wie anders ein badischer Riesling, wie
anders schon ein Franken- oder gar ein Moselriesling schmeckt, bei
gleicher Traubensorte); und diese Vielfalt scheint keine völlig
rationale Zergliederung und Zuordnung zuzulassen. Schon Aristoteles hat
zwar versucht, alle möglichen Geschmäcker in acht
verschiedene
Klassen einzuteilen (süß – bitter – ölig – salzig
usw.);
aber auch er konnte keine eindeutigen Kriterien geben, die es
ermöglichen
würde, zu entscheiden, ob eine Speise z. Bsp. mehr bitter, salzig
oder
sauer sei (was der heutigen Geschmacksphysiologie wohl eher
möglich
ist). Und gar die Frage, ob eine bestimmte Sauce wohl schmecke oder
nicht,
entzieht sich bis heute und für alle Zeiten einer
vernünftigen
Diskussion. An dieser Stelle geht die Bedeutung von gustus, wie
Sie
sehen, notwendig in die der subjektiv verschiedenen Geschmacksrichtung
über.
De gustibus non est disputandum heißt dann – und so hat
man
es ja auch meist verstanden -, dass niemand rational beweisen kann,
dieses
oder jenes Geschmacksempfinden sei d a s richtige. Hier ist
alles so, wie es einem jeden scheint: Tutti i gusti sono giusti
(„alle
Geschmäcker haben recht“), wie die Italiener sagen; oder wie es in
der Operette ,Fledermaus’ heißt: Chacun à son
goût.
Während so weit vom
Geschmack nur immer im einfach ursprünglichen Sinn des Oralen die
Rede ist,
hat man vom siebzehnten Jahrhundert an, unter vielfältigem Bezug
auf
unser Sprichwort, begonnen, das Wort Geschmack (gustus, gusto,
goût,
taste ) auch übertragen, metaphorisch für den Bereich des
ästhetisch Schönen zu verwenden, wie ja auch wir es noch tun,
wenn wir von einer „geschmackvollen Kleidung“ oder einem „feinen Musik-
oder Literaturgeschmack“ reden. Und hier gab es nun, anderthalb
Jahrhunderte
lang, eine große philosophische Debatte darüber, wie weit
der
gute Geschmack (bon goût ), auf den sich vor allem die
Franzosen
viel zu gute taten, doch etwas bei allen Menschen irgendwie Vorhandenes
und
damit doch Intersubjektives sei, ob und wie weit man ihn erlernen und
kultivieren
könne, schließlich auch – und damit ging die Diskussion
schließlich
zu Ende -, ob es in der Kunst überhaupt so sehr auf den guten
Geschmack
und nicht vielmehr vor allem auf das Genie ankomme. Aber über
diese
faszinierenden Probleme möchte ich heute nichts sagen, sondern nur
darauf hinweisen, dass jedenfalls in Fragen der Erlernbarkeit des
Geschmacks
schon der große Quintilian, der Rhetoriklehrer der römischen
Kaiserzeit, ähnlicher Meinung gewesen zu sein scheint wie Herr
Oberbürgermeister
Hans Schaidinger im Programmheft Ihrer Tagung (S.13): Herr Schaidinger
meint
nämlich im Einklang mit vielen, „dass guter Geschmack über
jede
Diskussion erhaben sei; man hat ihn oder man hat ihn nicht“; und
ähnlich
sagte Quintilian vom Urteilsvermögen (iudicium) des
Redners,
es sei zwar außerordentlich wichtig, man könne es aber
wissenschaftlich
so wenig vermitteln wie den physischen Geschmack (gustus) oder
den
Geruch: non magis arte traditur quam gustus aut odor. (Wohl
keine
andere Äußerung der Römer kommt so nahe dem De
gustibus
non est disputandum.)
Ich spreche vor Zahnärzten,
apud dentium medicos dico, den Ärzten also, die mit dem
Teil
des Körpers zu tun haben, auf dem nach Cicero das menschliche
Leben
vor allem beruht, nämlich dem Mund – denn dieser hat zu tun
mit den drei Vitalfunktionen des Essens, Trinkens und Atmens (
edendi,
potandi, spirandi) -; und obwohl ich sehe, dass auch Sie aus Ihrer
Tagung die Probleme des Ästhetischen nicht völlig
ausgeklammert haben – denn ich lese in Ihrem Programm nicht nur von
„Geschmacksstörungen“ und „Geschmacksirritationen“, sondern auch
von „ästhetischer Zahnmedizin“, der „ästhetisch ansprechenden
Versorgung im Frontzahnbereich“, ja sogar ganz schlicht von „roter
Ästhetik“ (womit offenbar nicht der Sozialistische Realismus,
sondern die Behandlung des Zahnfleischschwundes, der Gingivarezession,
gemeint ist) -; dennoch möchte ich mich heute auf den Geschmack im
engsten und ursprünglichsten Sinne beschränken und Ihnen
unter
Absehung von ästhetischen Problemen darlegen, welche Bedeutung
für
die Römer der gute Geschmack in Küche und Gastmahl gehabt
hat.
Ich denke dabei auch daran, dass nach Brillat-Savarin vier Berufe in
besonderer
Weise für die Feinschmeckerei geboren sind: die Bankiers, die
Literaten,
die Betbrüder und die Ärzte. Vor Ärzten spreche ich
über
den guten Geschmack im eigentlichsten Sinn, die vielen guten
Geschmäcker
im alten Rom: De gustibus est disputandum!
Denn gerade die Römer haben
offenbar - und jetzt muss ich zum letzten Mal noch ein wenig
philosophieren – dem physischen Geschmack die größte
Bedeutung zugemessen und die höchste Wertschätzung bezeugt.
Nur sie haben, zwar nicht
das ästhetische Urteilsvermögen, wohl aber die Weisheit
selber,
also die höchste aller menschlichen Tugenden vom Geschmacksinn des
Mundes hergeleitet: sapere heißt eigentlich
„schmecken“;
davon aber kommt sapiens , der Weise, und sapientia ,
die
Weisheit, ja Philosophie, die also eigentlich nichts anderes ist als
der
vollkommene Geschmack, im Sinne des richtig Schmeckens. Und dies
obwohl, nach einhelliger Meinung gerade der Philosophen, der Geschmack
derjenige
unter den Sinnen ist, der uns (neben dem Tastsinn) am meisten mit den
Tieren
verbindet, weswegen etwa auch die römischen Philosophen, Cicero
und
besonders Seneca, den kulinarischen Tafelfreuden höchst reserviert
gegenüberstehen. Dennoch nennen auch sie die Weisheit, nach der
sie
als Philosophen streben, ja gelegentlich sogar die Philosophie selber
mit
dem Namen des physischen Geschmacks; und sie wissen wohl auch - diese
Erkenntnis
geht wiederum auf Aristoteles zurück -, dass gerade der Geschmack
beim
Menschen im Gegensatz zu den meisten Tieren so außerordentlich
fein
ausgebildet ist, dass, um ein extremes Beispiel anzuführen, manche
römischen Feinschmecker fähig gewesen sein sollen, einen
Fisch,
der zwischen den beiden Tiberbrücken gefangen wurde, von anderen
Tiberfischen
zu unterscheiden. Kein Wunder also, dass es die Römer, gerade die
Römer
waren, die der Menschheit auch das erste geschriebene Kochbuch
hinterlassen
haben, das auf uns gekommen ist (und dass Sie, zweisprachig bei Reclam,
in
jeder besseren Buchhandlung für wenige Euros erwerben
können):
De re coquinaria (Über die Kochkunst), überliefert,
auch
wenn es nicht in allen Teilen von ihm stammen kann, unter dem Namen des
Apicius,
genauer: M. Gavius Apicius, der ein berühmter Feinschmecker der
frühen
römischen Kaiserzeit war - berühmt und berüchtigt: Er
soll
ja aufs gute Essen so erpicht gewesen, dass er, als sein Vermögen
von
100 Millionen auf (immer noch sehr beachtliche) 10 Millionen Sesterzen
zusammengeschmolzen
war, sich selber vergiftete, weil er geglaubt habe, mit der
verbliebenen
Summe nicht mehr menschenwürdig leben, d.h. tafeln zu können.
Bedenken wir aber sogleich, dass
solche Beispiele der Verfressenheit bzw. Schlemmerei äußerst
selten und keineswegs die Regel sind. Die Römer waren generell bei
aller
Feinschmeckerei nicht die beständig Fress- Sauf- und Sexorgien
feiernden
Völlerer, als die sie uns in manchen Filmen geschildert werden.
Das
Kochbuch des Apicius selber enthält neben Beispielen in der Tat
extravaganter
Küche – ich nenne nur das Stichwort Flamingozungen - auch solche
schlichterer
Hausmannskost. Sogleich das erste Buch ist überschrieben mit
„Epimeles“,
bei Reclam übersetzt mit „Der sparsame Wirtschafter“; und ganz
allgemein
gilt, dass die Römer zu allen Zeiten bis auf bestimmte Ausnahmen
im
Essen recht bescheiden waren. Sowohl das Frühstück (ientaculum
) als auch das Mittagessen (prandium) bestand selbst bei den
Vornehmeren wohl immer nur aus den gängigsten Nahrungsmitteln,
etwas Brot, Käse und Oliven; und sogar beim Abendessen, der cena,
wurde nur gelegentlich einmal des Guten mehr oder gar zu viel getan.
Wer, wie ein heutiger deutscher Bundesbürger, seinen Tag sogleich
mit einem Frühstück von
Kaffee (aus Südamerika), Grapefruitsaft, Orangenmarmelade und
exotischen
Südfrüchten (aus Afrika) in seinem Müsli begonnen
hätte,
den hätte man auch noch zu Zeiten des Kaiser Neros als recht
übertriebenen
Genießer angesehen. Aber gehen wir der Reihe nach vor, um zu
sehen
wie die Römer auf den Geschmack, den guten Geschmack gekommen sind.
Am Anfang war die puls,
ein Brei aus Getreide (meist Emmer), Salz und Wasser, das schlichte
Nationalnahrungsmittel der Römer, welche noch ihr erster uns
greifbarer Dichter, Plautus,
das Volk der pultiphagi , der Breifresser, nennt. Sie, die puls
, konnte man durch Zugabe von Zwiebeln, Gemüse oder auch ein wenig
Speck etwas abwechslungsreicher gestalten; man konnte sie auch durch
Backen, in der Form von Brotfladen, haltbar machen. Wie unluxuriös
man dabei war, zeigt sich daran, dass es in Rom noch bis ins zweite
vorchristliche
Jahrhundert keine professionellen Bäcker, geschweige denn
Konditoren,
gab: Jede Hausfrau bäckt ihr Brot für die Familie selber. Zu
trinken
gibt es neben dem Wein, der immer verdünnt wird, als einfacheres
Getränk die posca, ein durststillendes Essigwasser (das
ist das Getränk, das auch Jesus am Kreuz von einem Römer
angeboten wird). Krone dieser einfachsten Nahrungsmittel, die auf dem
Lande, bei der eigentlich arbeitenden Bevölkerung, immer
gebräuchlich bleiben, ist das moretum , eine
Knoblauchpaste, die dem Menschen sozusagen alles gibt, was er
außer Getreide noch braucht. Wir kennen ihre nicht ganz
einheitliche Herstellung aus Landwirtschaftsschriftstellern, vor allem
aber aus einem Gedicht, das in der Überlieferung dem
größten römischen Dichter,
Vergil zugeschrieben wird (auch wenn er wohl nicht wirklich der
Verfasser
ist) und das selber den Titel ‚Moretum’ trägt. Darin wird
beschrieben,
wie sich ein einfacher römischer Bauer, Simylus, der sich nur eine
einzige
Sklavin leisten kann, am Anfang eines Arbeitstags seine Tagesration an
Brot
und Zukost selber herstellt. Seinen kostbaren Schinken greift er nicht
an,
der ist zum Verkauf bestimmt; aber aus dem Garten holt er sich eine
Masse
Knoblauch, allium, vier Knollen (nicht Zehen!) für die
Tagesportion,
viele Kräuter wie Koriander, Sellerie, Weinraute (die heute zu
Unrecht
verachtet wird); dazu kommt Käse, dann wird das Ganze in einem
Mörser
mit dem Stößel zerrieben, bis allmählich – Vergil
schildert
das so brillant realistisch, dass wir den Vorgängen zuschauen
können wie bei Alfred Biolek - eine helle grünliche Masse
entsteht, die Simylus durch etwas Öl und einen Hauch von Essig
geschmeidiger gestaltet.
So voran ging das Werk;
schon nicht mehr hüpfte der Stößel,
wie zuvor noch, er ging
bedächtig in langsamen Kreisen.
Also tröpfelt
er Tropfen hinein vom Öle der Pallas
[Pallas Athene
hat den Athenern das Öl gebracht]
und gießt
bei ein bescheidenes Quentchen von kräftigem Essig,
mischt das Werk,
mischt wieder das Werk und knetet es nochmals.
(Falls es jemand nachmachen
möchte: Bei der Ölzugabe empfiehlt es sich, sehr vorsichtig
zu sein, damit
die Masse nicht ihre feste Konsistenz verliert.) Während Simylus
bei
der Arbeit noch darüber geflucht hat, dass ihm der bissig
riechende
Knoblauch die Tränen in die Augen trieb, ist er am Schluss
zufrieden.
Was er, mit zwei Fingern den Rand des Mörsers abschabend, zum
Kügelchen geballt, kostet, ist wohlschmeckendes Moretum, ein
Gericht, mit dem für heute der Arbeitstag gerettet ist: zum
täglichen Brot das tägliche Moretum.
Nicht immer hat man den Geschmack
des Simylus geteilt. Von Horaz, dem neben Vergil zweiten großen
klassischen Dichter der Römer, haben wir ein derbes Gedicht, wo
er, nachdem er von einem solchen Moretum gekostet hat, dieses,
wenn auch nicht völlig ernsthaft, als wahren Giftcocktail
beschreibt, der zur Hinrichtung leibhaftiger Vatermörder geeignet
sei. Ich zitiere auszugsweise aus dem dritten
Epodus (wie durchweg, in eigener Übersetzung):
Hat seines eigenen Vaters
Gurgel ein Verbrecher je
mit bösen Händen zugedrückt,
dann ess’ er
Knoblauch, ärger noch als Schierlingssaft!
O Schnitter! Roh ist euer Bauch!
Es tobt im
Eingeweide mir wie schieres Gift.
Hat man das Blut von Vipern denn
den Kräutern
heimlich eingekocht? Hat diese Kost
ein Hexenzauber so verkorkst?
Wenigstens vier Verse auch auf Latein:
Parentis olim si quis impia manu
senile guttur fregerit,
edit cicutis
alium nocentius:
o dura messorum ilia!
Es folgen Vergleiche mit dem Gift der Medea und anderer sagenhafter
Giftmischer sowie mit der hitzigen Sommersonne von Apulien (wo der
stets
braungebrannte Horaz zu Hause war). Wie kam denn aber Horaz
überhaupt
dazu, so etwas zu essen? Der Schluss des Gedichts gibt fast
beiläufig
Auskunft: Sein Freund und Förderer Maecenas, bei uns noch
sprichwörtlich
für sein Mäzenatentum, hat ihm offenbar dieses Moretum
scherzhafterweise vorgesetzt oder per Küchenboten zugeschickt
(vielleicht um zu testen, ob es Horaz, der sich so gerne bekannte zu
schlichter Nahrung und einfachem Landleben, auch wirklich ernst sei mit
solchen Bekenntnissen). Was zu viel ist, ist zu viel: Alles mit
Maßen!
Falls
du, mein lustiger Maecenas, je
auf solche Speise Lust bekommst ...
Nun erwartet man nach allen Schrecklichkeiten des bisherigen Gedichts
einen furchtbaren Fluch – aber Horaz endet harmlos
...dann
stoße fort den Kuss dein Mädchen mit der Hand
und kuschle auf die äußerste
Matratze sich!
Maecenas soll also um die nach der Mahlzeit erhofften Liebesfreuden
gebracht werden: Knoblauch, so weiß man, macht zwar zur
körperlichen Liebe begierig, aber nur den ihn Verzehrenden, nicht
dessen Liebesobjekt, im Gegenteil: Er verscheucht ja sogar Vampire.
Ja, am Knoblauch, am allium,
scheiden sich bis heute die Geschmäcker und, möchte ich
hinzufügen, auch die Epochen der römischen
Küchengeschichte. Denn in der
späteren haute cuisine der Römer ist gerade der
Knoblauch
so gut wie völlig abgeschafft. Im Kochbuch des Apicius spielt er
keine
Rolle mehr; er ist in seiner Zeit beschränkt auf den
ländlichen
Bereich, wie es ja Horaz zum Ausdruck bringt, wenn er in seinem Gedicht
gerade die Erntearbeiter apostrophiert: o dura messorum ilia!
„O
Schnitter! Roh ist euer Bauch!“ Wer sein, Horazens, Vorurteil gegen den
Knoblauch nicht teilt, den kann ich nur entschieden zu einem Versuch
mit
Moretum ermuntern (das Einverständnis, besser noch Komplizentum
seiner
Gattin oder Geliebten natürlich vorausgesetzt). Gerade als
Brotzeit
an einem warmen Mittag mit einem herben, mäßig kühlen
Rotwein,
der nicht fehlen sollte, genossen, bietet dieses kräuterreiche
Gemisch
einen herrlich schmackhaften, wenn auch höchst derben Genuss,
sofern
man sich möglichst genau an die originalen Zutaten hält, was
jedenfalls den Münchnern mit Hilfe des Viktualienmarkts
einigermaßen möglich ist (nur die Weinraute, ruta,
sollte man sich im eigenen Kräutergarten ziehen).
Aber genug von so rohen
Gaumenfreuden! Wir kommen nunmehr, wie schon angedeutet, zur
Verfeinerung der ursprünglich ländlichen römischen
Küche, einer Kultivierung, die – wie sollte es anders sein? –
ihren Ursprung dort hat, wo überhaupt die
Wiege unserer heutigen Kultur steht: in Griechenland, besonders in
Athen,
der Mutter Europas. Während die Römer noch ihre puls mampften,
hatte sich in Griechenland, beginnend vor allem in Sizilien, eine hoch
stehende Küchenkultur herausgebildet. Von dieser griechischen
Gastronomie
sind die Römer, die im Pyrrhuskrieg und den punischen Kriegen
intensiver mit den griechischen Städten Siziliens und
Unteritaliens in Berührung kommen, zunehmend fasziniert, fast
schon entzückt. In der zweiten
Hälfte des dritten Jahrhunderts v. Chr., zu der Zeit, wo die
Römer
beginnen, in lateinischer Sprache die Komödien und Tragödien
der großen Athener nachzudichten und in primitiven Theatern
nachzuspielen,
geben sie wenigstens auf der Bühne auch den griechischen
Köchen
und Küchengeheimnissen ihren Platz. Es ist eine durch und durch
griechische
Welt, mit griechischen Hetären, Zuhältern, Ärzten,
Pädagogen
und eben auch Köchen, die sich nun auf den Brettern der
römischen
Bühne entfaltet, vor allem bei dem schon erwähnten Dichter
Plautus,
von dem uns viele Komödien aus der Zeit nach dem Hannibalkrieg,
also
um die Wende vom dritten zum zweiten Jahrhundert v. Chr., erhalten
sind.
Da werden große, kostspielige Symposien veranstaltet, mitunter
einmal
sogar auf offener Szene; da macht sich ein angeberischer Koch lustig
über
die lächerlichen Würzkünste seiner Konkurrenz; da
schleppt
ein anderer Koch mit seinen Angestellten große Mengen von edlem
Fisch
und Wildpret vom Markt über die Bühne in die Küche. Da
amüsiert
sich denn also wohl der zuschauende sparsame römische
Spießbürger
und Hausvater, wie viel Geld die verrückten Griechen für das
Essen,
Trinken und immer auch die Liebe ausgeben ... Ein Römer
führt
kein solches Symposien-Leben; wer es versucht, für den hat man die
Vokabel
pergraecari, d.h. soviel wie „auf Griechisch durchmachen“ (mit
Wein,
Weib und Gesang), oder auch, wie man früher in Deutschland sagte,
einen
fortgesetzten Lebenswandel führen.
Das war die erste Stufe der
Akkulturation griechischer Küche. Die zweite Stufe, und damit die
insgesamt dritte Periode der römischen Küche, hebt an, als
die Römer im zweiten Jahrhundert v. Chr., zur Zeit, wo sie selber
so mächtig in den Osten, ins griechische Mutterland und nach
Kleinasien vorstoßen, beginnen, die griechische Zivilisation, von
der Philosophie bis zur Knabenliebe, von der Rhetorik bis zum
Hetärenwesen, von der Zahnmedizin bis eben zur
griechischen Kochkunst bei sich einzubürgern: die Zeit der
Hellenisierung
Roms. Nun wird das altrömische Gastmahl, convivium, bei
dem
die Familie mit Frau, Kindern und einzelnen Gästen am Tische
sitzt,
unter Beibehaltung des Namens überformt durch das griechische
Gastmahl,
das Symposion. Sichtbarste Neuerung, die man von den Griechen
übernimmt: Man sitzt nicht mehr, man liegt (acubare ) bzw.
man legt sich ( accumbere ) zu Tische, und zwar auf griechischen
Speisesofas (klinai
oder lecti), großen hölzernen Gestellen mit
Matratzen
und pro Person einem Kissen (pulvinus) zum Aufstützen des
linken
Arms. Nun, das kennen Sie aus vielen Sandalenfilmen; und wenn Sie
selber
ausprobieren, wie man im Liegen tafelt, werden Sie feststellen, dass
trotz
der Newtonschen Gesetze die Speisen nicht schlechter rutschen,
keinesfalls
schlechter schmecken als im Sitzen. Drei solcher Speisesofas ergeben
ein
Speisezimmer, triclinium , eigentlich den Dreisofaraum; da ja
auf
jedem Sofa nicht mehr als drei Personen liegen sollten, jeweils mit dem
Kopf
zur Mitte, wo auf einem Tisch serviert wird, kann ein Gastmahl in der
Regel
nicht mehr als dreimal drei, also neun Teilnehmer haben. Eine alte
Faustregel,
die wir heute noch übernehmen können besagt: Nicht mehr als
die
Zahl der Musen (neun), nicht weniger als die der Grazien (drei) – ein
tête à tête ist natürlich kein Gastmahl
mehr.
Eine andere Neuerung betrifft die
aus Griechenland übernommene Zweiteilung des Gastmahls, die ich am
Anfang
meines Vortrags im Zusammenhang mit Mark Aurel schon kurz erwähnt
habe:
Essen und Trinken. Der erste Teil, die eigentliche cena, steht
im
Zeichen der Speisen, die nach Gängen aufgetragen werden. Auch
hierbei wird natürlich schon Wein getrunken, aber mäßig
und selbstverständlich mit viel Wasser versetzt (der
vernünftige Südländer trinkt ja noch heute nie Wein ohne
Wasser) – wobei überraschenderweise diese Verdünnung in der
Regel durch Meerwasser erfolgt, was die Erforscher der römischen
Küche zu Entsetzensschreien veranlasst hat, ohne dass sie es m.W.
selber ausprobiert hätten. Erst nach dieser cena folgt
das richtige Symposion, lat. comissatio, wo scharf getrunken
wird, meist nach griechischem Komment (den ich jetzt nicht näher
erläutere); dazu setzt man sich dann auch Kränze auf, am
liebsten Rosen, und salbt sich das Haupt mit edlen Parfums (unguenta).
Denn der gute Geschmack braucht auch den feinen Duft: Die Nase, noch
mehr als das Auge, isst mit; und wenn das Duftöl einmal ganz
exquisit und köstlich ist, wünscht sich mancher, wie der
Dichter Catullus sagt, „ganz Nase zu sein“ (totus nasus ). Bei
dieser comissatio vor allem gibt es auch in Rom
gelegentlich musisch-literarische Genüsse: Gedichte können
deklamiert,
Lieder gesungen werden, sogar aus aus philosophischen Werken kann man
rezitieren. Für schlichtere Gemüter setzen schöne
Tänzerinnen zur Musik Bauch und Arme in reizvolle Bewegung; in
späteren Zeiten kommt es auch einmal vor, dass Gladiatoren sich
prügeln; und der Trunkenbold Marc Anton soll bei Tische sogar
rebellierende Soldaten in der Weise haben hinrichten lassen, dass
seiner Geliebten das Blut ins Decolleté spritzte. Aber das sind
geschmacklose Ausnahmen.
Die wichtigste Neuerung, die mit
der Einbürgerung des griechischen Symposions nach Rom kommt, ist
natürlich die griechische Gastronomie selber, die nun – jedenfalls
bei der gehobenen cena – die altrömische verdrängt
oder doch entschieden
bereichert. Dass sie aus Griechenland stammt, merkt man schon an den
Namen
der Speisen, die, noch im späteren Kochbuch des Apicius,
großenteils
griechisch sind (wie etwa heute bei uns die Küche
französische
Vokabeln hat: Sauce, Dessert, Omelette usw.) Sogleich das erste Rezept
des
Apicius, auf das er – übrigens mit Recht – besonders stolz
scheint,
heißt mit halbgriechischem Namen: conditum paradoxum .
Davon
ist lateinisch conditum, der gewürzte Wein (also
eigentlich
uinum conditum ); aber griechisch ist paradoxum , das
bedeutet:
paradox, wider Erwarten, zur Überraschung. Es ist also ein
Gewürzwein
sozusagen à la surprise, wie ihn normale Partygäste
nicht
erwartet hätten: offenbar eine exklusive Variante des
üblichen
mulsum, des Honigweins, der hier besonders raffiniert
gewürzt
wird. Da ein Teil von Ihnen dieses conditum paradoxum bald wird
als Aperitif zu trinken bekommen, teile ich Ihnen kurz dieses
(wahrscheinlich
auf einen griechischen Küchenmeister zurückgehende) Rezept
mit,
auch weil Apicius es besonders liebevoll sprachlich gestaltet hat
(wobei
ich die antiken Maßangaben durch moderne ersetze):
Fünf Kilo Honig werden in ein ehernes
Gefäß gegeben,
in das man zuvor schon einen guten Liter Wein gegossen hat,
so dass man diesen zu einem Honiggebräu einkocht.
[Dieses Einkochen wird nun im einzelnen erläutert.]
Hat man ihn auf Sparflamme mit trockenen Hölzern
erhitzt,
wobei man ihn, so lange er gekocht wird, mit dem Besen
umrührt,
dann wird er, sobald er angefangen hat aufzukochen,
mit Tau von Wein abgelöscht [man gießt also etwas
kühlen Wein darüber],
wobei ein Teil des Überkochenden schon dann in sich
zurücksinkt,
wenn man ihm das Feuer entzieht.
[Hier ist in der Tat große Vorsicht geboten: dass nichts
überkocht.]
Ist er abgekühlt, setzt man ihn wieder unter Flammen.
Dies [also Aufkochen und Ablöschen] geschieht ein zweites
und ein drittes Mal ,
und dann erst nimmt man ihn vom Herd und schäumt ihn ab.
[So weit dürfte das Rezept wohl dem gewöhnlichen
Honigwein, mulsum, entsprechen;
jetzt kommt der Überrachungsknüller, das paradoxum
:]
Dann nimmt man 110 Gramm Pfeffer,
dreieinhalb Gramm gemahlenen Mastix [also Harz],
viereinhalb Gramm Lorbeerblätter und Safran,
fünf geröstete Dattelkerne und dazu das in Wein
eingeweichte Dattelfleisch,
nachdem man zuvor nach rechtem Maß und Zahl so viel Wein
angegossen hat,
dass es eine sanfte geriebene Mischung ergibt.
[Apicius erwähnt nicht eigens, dass diese Paste dem
eingekochten Honigwein beigegeben wird.]
Ist dies alles fertig, gibt man zehn Liter milden Weines
darüber.
[Das heißt die Grundsubstanz des Getränks aus
eingekochtem Honig und Gewürzmischung verhält sich zum
Endprodukt quantitativ wie etwa eins zu drei; der entstandene,
höchst delikate Aperitif ist nicht alkoholreicher als
gewöhnlicher Wein. Das Altertum kennt keine Spirituosen.]
Dies ist also ein Glanzstück der feinen Küche, der haute
cuisine , wie sie im zweiten Jahrhundert v. Chr., als das
römische Weltreich so mächtig wuchs, unter griechischem
Einfluss in Rom erblühte, selbstverständlich zusammen mit
griechischen Köchen, die man als Sklaven besaß oder als
Freiberufliche mietete; denn die römische Hausfrau war in der nun
modernen Küche regelmäßig überfordert, und so
reduzierte sie ihren Beitrag zum Haushalt auf das weniger
professionelle Ansprüche stellende Wollespinnen. Dafür hatte
sie immerhin in Rom das Privileg, beim Gastmahl zumindest ihres Gatten
dabeisein zu dürfen. In Griechenland tafelten ja beim Symposion
die Männer unter sich – manche von Ihnen werden sich an Platons
Symposion, den schönsten Dialog der Weltliteratur, erinnern -;
allenfalls leichte Mädchen, Ausländerinnen, waren hier zum
niederen Amusement der Gäste willkommen. In Rom dagegen – das
haben vergleichende Kulturkundler schon in der Antike registriert –
genoss die Frau, jedenfalls die Hausfrau (matrona), höhere
Achtung und Verehrung, die sich auch sonst in Zeugnissen
niederschlägt: Mit
Rührung sehen wir noch heute, wie sich alte römische Ehepaare
auf
Grabsteinen innig an den Händen halten. So muss es auch einmal auf
dem
Speisesofa gewesen sein.
Diese dritte und wichtigste Epoche
der römischen Kochkunst, die vom zweiten Jahrhundert bis ans Ende
der Republik, genauer: bis zur Schlacht von Actium i.J. 31 v.Chr.
reicht,
bringt natürlich auch Kritiker der Kochkunst hervor. Der alte
Cato,
als griesgrämiger Zensor noch heute bekannt, noch bedeutender als
Vater
der lateinischen Kunstprosa, sprach davon, der Staat müsse
untergehen,
in dem ein Fisch teurer als ein Ochs verkauft werde (in der Tat war die
fast kultische Verehrung bestimmter Fischsorten, die sich auch in den
Preisen
niederschlug, ein Kennzeichen der von den Römern integrierten
hellenistischen
Küche). Ihm entgegen steht aber, als ebenso bedeutender
gleichzeitiger
Literat, der Dichter Ennius, der, in lateinischen Hexametern, nicht nur
die ruhmreiche Geschichte seines Volkes besingt, sondern auch ein
Lehrgedicht
‚Hedyphagetica’ (über die Delikatessen), mit besonderer
Berücksichtigung
der Fische, schreibt. Leider ist uns gerade dieses Werk am Beginn der
großen römischen Dichtung fast völlig verloren.
Vor allem aber lebt in dieser
Epoche, genauer: im 1. Jahrhundert v. Chr., der bis heute wohl
berühmteste
aller (nicht nur antiken) Feinschmecker: der große Lucullus, um
dessentwillen man ja noch heute von lukullischen Speisen spricht (und
wir Schwaben den Quark „Lukeleskäs“ getauft haben). Er war aber
nicht, wie der einige Generationen spätere Apicius, ein
ausschließlicher Schlemmer
und Bonvivant, vielmehr ein großer Politiker (des konservativen
Lagers, wie wohl die meisten Feinschmecker) und vor allem ein
bedeutender Feldherr, der nur noch von Pompeius und Caesar
übertroffen wurde. Bertolt Brecht hat ihn bekanntlich in seiner
Oper „Verhör des Lucullus“ mächtig bloß gestellt und
nur das eine zu seinen Gunsten gelten lassen, dass er aus seinen
Feldzügen in Asien die Kirsche (cerasus) mitgebracht habe.
Mit ihm, Lucullus, aber war auch beim Gastmahl gut Kirschen essen.
Für seine lieben Gäste war ihm nämlich so wenig zu
teuer,
dass es diesen, z.B. Cicero und Pompeius, oft selber peinlich wurde und
sie
ihn baten, wie eine schwäbische Hausfrau, nur bloß nicht so
viel
Umstände machen zu wollen (es gibt darüber köstliche
Anekdoten).
Da rettete einmal Lucullus sich und die anderen durch feine Ironie:
Diesen
Aufwand mache er doch nicht nur wegen der Gäste, sondern vor
allem,
um es sich selber gut gehen zu lassen. In der Tat. Als ihm sein Koch
ein
andermal zu wenig servierte und sich, zur Rede gestellt, damit
verteidigte,
dass Lucullus heute doch keinen Gast bei sich habe, schalt ihn dieser:
„Lucullus,
merk dir’s, speist heute bei Lucullus!“ (und einen anspruchsvolleren
Gast
gab es eben nicht). Alles was wir von Lucullus in dieser Hinsicht
hören,
zeigt einen wahrhaft generösen Menschen von großem Stil. Er
war
der erste, der Gourmand nicht nur war, sondern seine Gourmandise offen
zur
Schau stellte, wie andere etwa die Zahl ihrer Klienten. Dank Lucullus
muss
sich niemand mehr schämen, einen guten, feinen Geschmack zu haben;
„lukullisch“ ist bis heute nie ein Schimpfwort geworden.
Ein negatives Gegenstück
zu ihm ist, am Ende dieser dritten kulinarischen Epoche, eine Gestalt,
die nur als Repräsentant ihrer Zeit, nicht als historische
Persönlichkeit Interesse verdient: der neureiche Geldprotz
Nasidienus Rufus, uns ausschließlich bekannt aus einer Satire des
schon zitierten Dichters Horaz. Das von ihm am Ende seines zweiten
Satirenbuchs beschriebene Gastmahl, die gegen Ende der
Dreißigerjahre stattfindende cena Nasidieni, ist die uns
am genauesten bekannte Mahlzeit der alten Römer, nicht nur was die
Speisen, sondern sogar was die rekonstruierbare Tisch- bzw.
Liegeordnung
angeht. Für unser heutiges Thema ist sie vor allem darum
erheblich,
weil in ihr der gute Geschmack der Küche durch den schlechten
Geschmack
des Gastgebers hoffnungslos verdorben wird. Nasidienus, ein neureicher
Geldprotz, hat eine Reihe literarischer Persönlichkeiten zu Tische
gebeten, neben Maecenas, dem Literaten und Literaturförderer,
einen Komödiendichter, Fundanius, einen Tragiker, Varius und einen
Literaturkritiker, Viscus.
Außerdem sind mit mit von der Partie zwei Begleiter des Maecenas
und zwei des Hausherrn. Diese Begleiter heißen umbrae,
„Schatten“, weil sie ihrem Herrn zu Gastmählern so unweigerlich
nachfolgen, wie
der Kurschatten seiner Dame zum Kurkonzert. Sie haben, wie die
griechischen
Parasiten, die Aufgabe, als gewissermaßen berufliche
Partylöwen
die Konversation in Schwung zu halten, lustige Sprüche zu klopfen
und
gelegentlich ihrem Herrn aus einer Peinlichkeit zu helfen. Wozu sich
Gelegenheit
ergibt.
Nasidienus, der Gastgeber, ist
nicht nur ein Neureicher, sondern auch ein Neu-Feinschmecker, der sich
viel auf sein einschlägiges Wissen zugute tut und seine Gäste
sowohl durch ungewöhnliche Speisen als auch durch endlose
Kommentare zu verblüffen sucht. Den Anfang macht, statt der
üblichen Eier und Appetithäppchen, als Vorspeise unpassend,
aber sensationell, ein leibhaftiger lukanischer Eber, „bei Südwind
gejagt“, wie der Hausherr kommentiert, weil dieser Südwind
offenbar den Geschmack verfeinert. Dann werden in feierlichem Aufzug
die Weine aufgetragen, Caecuber- und Chierwein zur Auswahl –
selbstverständlich, lässt Nasidienus einfließen,
hätte er für den empfindlichen Magen des Maecenas auch noch
Albaner oder Falerner anzubieten, eine offenbar als geschmacklos
empfundene Protzerei: Diuitias miseras!, „o elendiger
Reichtum!“, ruft Horaz, der selber bei dem Gastmahl nicht anwesend ist,
sich aber berichten lässt. Der nächste Gang bietet die
verschiedensten Leckereien, Vögel, Austern, Fische, die alle (wie
der Gastgeber offenbar rühmt) die Eigenart haben, ganz anders zu
schmecken als üblich. Besonders zeigte sich das, heißt es
drollig, bei einer Speise aus Stachelflunder-Innereien (wo
natürlich kein Mensch eine Ahnung hat, wie diese normalerweise
schmecken). Kleine Zwischenbemerkung: Es ist tatsächlich eine
Eigenart
der römischen Küche, dass man es für besonders kunstvoll
und sinnig hält, den Dingen einen anderen Geschmack als den
natürlichen
zu geben; so lehrt z. Bsp. Apicius, wie man Sardinen so kochen kann,
dass
sie wie Huhn schmecken (was uns ein bisschen überflüssig
scheint);
diese z. Zt. des Horaz vielleicht noch weniger verbreitete Tendenz wird
hier
also von Nasidienus auf die Spitze getrieben. Seine großspurig
ausgebreiteten gastronomischen Weisheiten (so weiß er von einer
bestimmten Apfelsorte, dass man sie wegen der Farbe nur bei Neumond
pflücken dürfe) gehen den Gästen bereits jetzt so auf
die Nerven, dass sich einer der Begleiter des Maecenas durch ein
verfrühtes Besäufnis, das sonst erst bei der comissatio stattfinden
dürfte, schadlos halten will:
„Trinken wir rücksichtslos! Sonst sterben wir
hier ohne Rache!“
Und schon forderte er die größeren Becher. Der
Hausherr,
ach, er erbleicht im Gesicht, denn gar nichts fürchtet er
mehr als
heftige Zecher. Warum? Sie neigen zu freierem Schimpfen,
und der feurige Wein stumpft ab die Feinheit des Gaumens.
Nasidienus hat also vor allem Angst, dass die noch geplanten Gänge
seines Menus bei frühzeitiger Trunkenheit der Gäste nicht
mehr richtig zur Wirkung kommen. Höchst berechtigt! Aber er hat
eben den
Gästen durch seine nervtötenden Kommentare schon jetzt den
Appetit
auf weitere Speisen verleidet.
Während des dritten Gangs, einer in Seekrebsen
schwimmenden Muräne – die dazugehörige Sauce ist
unglücklicherweise eine Erfindung des Hausherrn selber, der
nunmehr vom Kommentar zur förmlichen Vorlesung übergeht, um
sein Rezept in den größeren Zusammenhang des kulinarischen
Fortschritts zu stellen -, während dieser Darbietung also sorgt
ein Unglücksfall für unerwünschte Abwechslung. Der
über dem Triclinium aufgespannte Baldachin stürzt ein, landet
auf Muräne und Gästen und zwar mit einer Staubwolke so
gewaltig, wie wenn der Wind über die ausgedörrten Felder von
Campanien braust. (Denn ein Protz wie Nasidienus, bei dem alles auf die
äußere Show ankommt, denkt nicht daran, auch dort Staub zu
wischen, wo man es nicht sieht.) Der Dampf verzieht sich; man stellt
fest, dass man mit dem Leben davon gekommen ist (es hätte ja auch
die Decke einstürzen können), und man lacht – ausgenommen,
versteht sich, der Hausherr, der untröstlich ob dieses
Missgeschicks und der Schmach seines Hauses das Haupt im Kissen birgt
und bitterlich weint. Nun ist die Stunde für seinen „Schatten“
Balatro gekommen, der ja auch die Aufgabe hat, solche Pannen irgendwie
zu retten. Er nimmt aber dabei seinen Herrn, ohne dass dieser es merkt,
gewaltig auf die Schippe, indem er nun einen großen
tragödienartigen Monolog hält über die Ungerechtigkeit
des Glücks, das die Tugend nicht zu belohnen wisse:
Ach, das ist, so sprach er, ja stets die Unbill des
Lebens,
dass der Leistung und Müh niemals der entsprechende Ruhm
wird.
Sieh, da quälst du dich ab, mit Sorgen und Plagen, damit
du
üppig als Gast mich empfängst: Du sorgst, dass das
Brot nicht verbrannt ist,
dass auch die Sauce nicht ohne Gewürz serviert wird, dass
alle
Sklaven in sauberem Dress und schicklich gegürtet
servieren.
[Diese angeblich großartigen Leistungen sind
natürlich Selbstverständlichkeiten,
die einem Hausherrn nicht den leisesten Anspruch auf
Ruhm geben;
die große Mühe, die sich gerade Nasidienus mit
seinen kulinarischen Großtaten gemacht hat, unterschlägt
Balatro boshafterweise.]
Und dann ereilt dich noch solches Geschick, wie nun, dass der
Teppich
einstürzt oder ein stolpernde Knecht eine Schüssel
zertrümmert.
Doch verrät das Genie des Hausherrn gleichwie des
Feldherrn,
wie er das Unglück trägt; denn das Glück
vernebelt die Tugend.
... ingenium res
adversae nudare solent, celare secundae.
Während Nasidienus über diese ebenso erbauliche wie
heuchlerische Trostrede zutiefst gerührt und dankbar ist, muss
sich einer seiner Gäste, der Tragödiendichter Varius, die
Serviette auf den Mund pressen, um nicht laut loszulachen. Es ist aber
nicht das Missgeschick mit dem Baldachin, das den Gästen dann
endgültig die Mahlzeit verleidet; es sind die mit immer neuen
Speisen neu einsetzenden Lehrvorträge des Gastherrn: Sie legen
sich, heißt es, wie der Gifthauch einer Hexe über die
köstlichsten Delikatessen (Kranich, Singdrossel,
feigengefütterte Gänseleber) – und längst, bevor man zum
Nachtisch kommt oder gar zum eigentlichen Umtrunk, haben alle
Gäste fluchtartig das Haus verlassen.
Um dieses schöne satirische
Gedicht des Horaz voll zu würdigen, muss man wissen, dass der
Dichter selber, im Sinn des Philosophen Epikur, ein Anhänger des
„einfachen Lebens“ war (wie er es ausdrückt); d.h. er war der
Überzeugung, dass es zum Glück des Menschen völlig
genüge, wenn sich dieser seine natürlichen und notwendigen
Bedürfnisse befriedige. (Horaz spricht von Oliven, Malven und
Zichorien, die er gewöhnlich esse, zu Brot und
Wein, versteht sich). Sich etwas besonders Gutes zu gönnen, war
damit
nicht verboten; aber das Geschmäcklertum, mit dem sich ein
Nasidienus der Küche annahm, musste Horaz als geschmacklos
erscheinen.
Sehen wir uns dieses Gastmahl unter
einem küchengeschichtlichen Gesichtspunkt an, so muss auffallen,
dass bei allem luxuriösen Aufwand des Nasidienus seine Speisen
doch sämtlich auf inländischer Produktion beruhen: Keine
syrische Dattel, kein persischer Pfau oder Fasan, kein afrikanischer
Vogel Strauß, wie sie uns anderweitig für die Küche der
Römer bezeugt sind, erscheint hier auf der
Speisekarte. Wir stehen nämlich noch vor der großen
Globalisierung der Küche, wie sie erst nach der Schlacht von
Actium, d.h. der Eroberung der Welt- und Handelsstadt Alexandrien durch
Augustus i. J. 31 v. Chr. eintritt. Erst mit ihr beginnt die vierte,
äußerlich grandioseste Epoche der römischen Kochkunst:
In Rom versammeln sich nun auch kulinarisch die Schätze aus
Europa, Asien und Afrika – leider noch nicht Amerika: Noch mehr als
anderthalb Jahrtausende muss Italien ohne Tomate und Pizza Margherita
auskommen! Sonst aber gilt auch hier: orbis in urbe , die
Welt in der einen Stadt. Natürlich dramatisieren das die
Kulturkritiker. Man durchjage den Erdkreis, heißt es, nach
Näschereien; „die unersättliche
Gurgel“, klagt Seneca, „durchstöbert von hier aus die Meere, von
dort
aus die Länder“. Wobei uns auffällt, dass sich die Römer
diesmal nur die fremdländischen Nahrungsmittel, nicht deren
Küchen
bzw. Rezepte aneignen. Wir hören interessanterweise nichts davon,
dass
man irgendwo in Rom, wie heute in Regensburg oder jeder
größeren
Stadt, indisch, chinesisch oder auch nur spanisch oder toskanisch essen
könne: Wie so vielfach, zeigt Rom also auch hier die
Fähigkeit,
sich das Fremde ohne Aufgabe der eigenen Art einzuverleiben. Woher die
Zutaten
auch kommen, die Küche selber bleibt römisch bzw.
griechisch-römisch.
Fast exakt hundert Jahre, vom
Regierungsantritt
des Augustus (nach Actium) bis zum Tod Neros i. J. 68 n.Chr., dauert
diese
Epoche des größten römischen Tafelluxus, wie schon der
Historiker Tacitus festgestellt hat. Sie findet ihren symbolischen
Abschluss
und gewissermaßen Krönung in einer berühmten
Riesenschüssel
des Vitellius (des letzten Kaisers im Dreikaiserjahr 68/69): Diese
enthielt,
neben Makrelenleber und Muränenmilch, Fasanen- und Pfauenhirne
sowie
die berühmten Flamingozungen; und ihre Bestandteile waren, wie der
Chronist vermeldet, von der römischen Flotte auf einer Expedition
bis nach Spanien und Parthien eigens zusammengesucht worden. Dann
sollte
Rom nach dem Willen des vom Jahr 69 an regierenden Kaisers Vespasian,
dessen
verkniffene, glatzköpfige Porträtbüsten noch heute etwas
von altrömischer Sparsamkeit ausstrahlen, wieder einfacher werden.
Er verweigerte z. Bsp. einem jungen Militär die fällige
Beförderung,
als dieser allzu partymäßig nach Parfum duftete: „Mir
wäre
lieber, du röchest nach Knoblauch.“ Ein Bekenntnis zum
urtümlichen
Moretum, das gerade im Mund Vespasians nicht auffallen kann: Er war ja
auch
der Erfinder einer Urinsteuer und sagte bekanntlich über das so
vom
Fiscus erworbene Geld: „Es stinkt nicht“, non olet .
Ich möchte die Geschichte
der römischen Küche nicht weiter erzählen, so reizvoll
es auch wäre, etwa über die Auseinandersetzung des jungen,
asketischen Christentums – Christus selber war bekanntlich ja kein
Asket - mit der heidnischen
Feinschmeckerei zu berichten. Statt dessen stelle ich zum Schluss die
Frage,
die Ihnen allen längst auf der Zunge liegen muss: Wie schmeckt sie
denn eigentlich, die römische Küche? Und Hand aufs Herz:
Würden
Sie lieber bei Apicius oder nicht doch bei Witzigmann speisen?
Dazu muss ich ganz kurz noch
ausholen. Seit fünfhundert Jahren druckt man den Apicius, der uns
ja in mittelalterlichen Handschriften erhalten ist, man übersetzt
und versieht ihn mit Fußnoten. Dennoch hat Apicius und mit ihm
die römische Kochkunst, soweit wir sehen,
kaum größeren Einfluss auf die Küche der Neuzeit gehabt
(es ist also völlig anders als etwa im Falle der
frühneuzeitlichen Medizin, die ohne den Römer Celsus nicht zu
denken wäre): Apicius hat man fast immer nur als Text, man hat ihn
nur wissenschaftlich behandelt, ohne ihn zu erproben; d.h. man hat ihn
letztlich völlig unwissenschaftlich behandelt. Noch das neueste
zusammenfassende Buch über die römische Küche und
Ernährung, vom Franzosen Jacques André, geht zwar
gelegentlich auf Fragen der Zubereitung von Speisen ein und stellt auch
Vermutungen über den Geschmack an – den André in der Regel
für
absonderlich hält -, aber es wird klar, dass der Verfasser sich
nie
ernsthaft mit der Praxis der römischen Küche befasst hat,
dass
er lieber den traditionellen Künsten von Madame André
trauen wollte.
Dabei hat man immerhin in den letzten Jahrzehnten damit begonnen, das
Prinzip
der „experimentellen Archäologie“, wie wir sie heute nennen, auch
auf
Apicius und die römische Küche anzuwenden. Große
Pionierin
war die in Toronto lehrende Archäologin Elisabeth
Alföldi-Rosenbaum, die nach Experimenten in den
Fünfzigerjahren 1970 in der Bücherreihe „Lebendige Antike“
wohl zum erstenmal Rezepte des Apicius für die Möglichkeiten
der heutigen Küche aufbereitet und zur Diskussion gestellt hat.
Ihr sind gefolgt, ich nenne nur wenige Pioniere, die Köchin
Rosemarie Gracher, die vor etwa dreißig Jahren in Trier unter dem
Dom das erste römische Restaurant eröffnet hat; der Physiker
Robert Maier, Heraugeber des erwähnten deutsch-lateinischen
Apicius und Veranstalter der Europäischen Lateinwochen, Septimanae
Amoeneburgenses, bei denen jeden Sommer nur lateinisch
gesprochen und nur römisch gekocht wird; schließlich der
hierzulande
als römischer Legionär, Ritter und Gladiator wohlbekannte
Marcus
Junkelmann, der in seinem preisgekrönten Buch über das
Soldatenbrot
(„Panis militaris“) die schönste Einführung in die
Ernährung
der Römer gibt und der auch selber monumentale römische
Gastmähler
veranstaltet.
Diese Experimente, die heute vor
allem in den humanistischen Gymnasien (auch zur Werbung für den
Lateinunterricht) praktiziert werden, haben, wie man zugeben muss, mit
elementaren Schwierigkeiten zu kämpfen. Apicius schrieb für
gelernte römische Köche, nicht für
Lateinstudienräte; er gibt keine Garzeiten an, er sagt meist
nichts über Quantitäten (das von mir vorgeführte Rezept
für Conditum paradoxum war, auch in seiner sprachlichen
Ausgestaltung, eine seltene Ausnahme). Aber diese Schwierigkeiten
lassen sich durch Probieren, Üben und immer wieder Abschmecken
überwinden. Wichtig ist, dass man sich so genau wie möglich
an die eindeutig vorgeschriebenen Zutaten hält. Wer einmal damit
anfängt, weil es angeblich nicht anders gehe, Liebstöckel
durch Petersilie, zerstoßenes Lammhirn durch Hackfleisch oder den
heißflüssigen, gepfefferten Honig zum Schweinsbraten – ein
herrlicher Geschmack – durch eine Rahmsauce zu ersetzen, braucht sich
nicht zu wundern, wenn er ein bestenfalls langweiliges, oft aber
geradezu übelschmeckendes Gericht erhält: De his gustibus
non est disputandum.
Macht man es richtig, nach den Regeln der Philologie und Grammatik,
erhält man eine Küche von völlig eigenem, manchmal
sensationellem
Geschmack, nicht gleichzusetzen mit einer der uns sonst heute
geläufigen
exotischen Küchen. Wenigstens drei besonders auffällige
Charakteristika seien genannt:
1. Die römische Küche ist eine
Küche der Gewürze und vor allem der frischen Kräuter.
Fast jedes Rezept beginnt damit, dass in einem Mörser
diverse Samen und Kräuter
zerrieben werden, die die duftende Grundlage des Wohlgeschmacks bilden:
vielleicht auch eine Reminiszenz an das alte
Moretum. Hier darf man ja nicht sparen!
2. Die römische Küche mischt ungeniert
Süßes und Saures. Essig und Honig werden meist gleichzeitig
eingesetzt; dem Fleisch wie dem Fisch werden – wie wir das in der
Regel nur bei Wildpret machen
– ungeniert Früchte beigegeben: Aprikosen zum Schweinefrikassee,
Dattelsauce zum Lamm usw.; besonders charakteristisch und
köstlich sind auch die den Saucen häufig beigegebenen
gehackten Nüsse, Mandeln und Pinienkerne.
3. Die römische Küche wird durchzogen von
einem Hauch von Meer. Nicht nur der Wein wird meist mit Meerwasser
verdünnt, in fast allen Gerichten, sogar den
Süßspeisen, findet sich das berühmte garum oder
liquamen, eine aus in der Sonne gärenden Fischen
hergestellte Fischsauce, auf deren Qualität größter
Wert gelegt wurde. Diese Sauce, deren Herstellung sehr
übelriechend war, haben wir nicht, noch nicht (denn vielleicht
erbarmt sich einmal ein Saucenfabrikant auch der kochenden Lateiner);
man muss sie vorläufig durch Sardellenpaste oder die ähnlich
hergestellte vietnamesische Fischsauce „Nuoc Mam“ ersetzen, aber
wenigstens das sollte man tun.
Die Wiederentdeckung, Wiederbelebung der römischen Antike im
Italien des fünfzehnten Jahrhunderts, die wir Renaissance nennen,
hat tiefen Einfluss auf die neuzeitlichen Künste, Literaturen und
Wissenschaften, auch auf Musik, Architektur und Mode gehabt. Eine
eigentliche, umfassende Wiederbelebung der römischen Küche
steht noch aus, und sie könnte Folgen haben. Sie sollte aber nicht
stattfinden ohne Erinnerung an die Kultur des römischen Gastmahls.
Schön gekleidet sollten wir uns zu Tische legen; wenn der Wein
gereicht wird, sollten wir den Göttern eine kleine Weinspende
darbringen und uns selber wenigstens Efeukränze aufsetzen. Musik
und Poesie dürfen nicht fehlen; statt mit „Mahlzeit“ oder „Prost“
zu grüßen, sollten wir Bene tibi und Bene vobis
sagen, am besten natürlich überaupt nur lateinisch reden. Nam
nihil sapit dulcius quam lingua Latina. Sed de gustibus satis est
disputatum. Bene vobis!