Wilfried Stroh

De gustibus est disputandum:
Der gute Geschmack in Küche und Gastmahl der Römer


Festvortrag zur feierlichen Eröffnung des 17. Oberpfälzer Zahnärztetages "Der gute Geschmack"
Historischer Reichsaal des Alten Rathauses der Stadt Regensburg
3. Juli 2003

Iuppiter optime maxime, qui cum mundum gubernas tum haec Castra Regina semper auxisti tuque Iuno regina coniunx sororque Iovis, vos ego voco
vosque praecipue, quos deos scimus epulis fauere culinisque,
te, Vulcane, voco, cui ignium artes curae sunt,
te, Ceres optima, quae frumenta mortalibus dedisti,
te, Diana, quae e silvis delicias ferinas nobis ministras,
te, Bacche, qui vinis tuis convivia exhilaras curasque diluis,
vos omnes ceterosque deos immortales invoco et obsecro, bonas preces precor,
uti vos huic cenae laeti libentes adsitis,
omne bonum arcessatis, omne malum arceatis.


Meine sehr verehrten Damen und Herrn,
        was Sie gehört haben, war ein improvisiertes lateinisches Tischgebet, wie es einmal in Rom oder auch hier in Castra Regina, unserem heutigen Regensburg, geklungen haben dürfte, zu Beginn einer cena, eines Gastmahls bzw. Abendessens, das natürlich mit Anrufung der Götter eröffnet werden musste. Die Römer waren nach ihrem eigenen Selbstverständnis die „frömmsten unter den Menschen“, religiosissimi mortalium , und nichts von dem, was sie taten, sollte ohne den Segen der unsterblichen Götter (di immortales) geschehen. Vor Tische also werden, wie gerne auch am Beginn einer Rede, die Götter angerufen, nach dem Hauptgang erhalten die Laren, die speziellen Schutzgötter des Hauses, ein Opfer, d.h. ihren Anteil an der von den Menschen verzehrten Speise. So habe ich soeben nach dem Göttervater Jupiter und seiner Gemahlin Juno vor allem diejenigen Götter angerufen, die speziell zu Küche und Gastmahl Beziehungen haben: Vulcanus, den Gott des Feuers (ohne das in der Küche nichts zu machen ist), Ceres, die den Menschen das Getreide geschenkt und durch den Ackerbau die sesshafte menschliche Zivilisation begründet hat, die Jagdgöttin Diana, die der Tafel das köstliche Wildpret liefert, und schließlich Bacchus, den Gott des Weines, der für Küche und Gastmahl so unentbehrlich ist. Einen eigenen Gott der Gastronomie gibt es nicht; erst Brillat-Savarin, der berühmteste Feinschmecker der Neuzeit, hat am Ende des 18. Jahrhunderts dem antiken Götterhimmel die Muse Gasterea dazu erfunden und ihr einen Tempel errichtet.
        Stellen wir uns also vor: Kaiser Mark Aurel, der Gründer des Legionslagers Castra Regina, Vater somit von Regensburg, wäre in dem Jahr vor seinem Tode, also i.J. 179 n. Chr. mit seinem Sohn Commodus (den die meisten von Ihnen aus dem Gladiator-Film kennen werden) zur Truppeninspektion hier gewesen und hätte für die Prominenten vor Ort, also vor allem die obersten Offiziere und die Leute aus seinem Stab, ein Gastmahl veranstaltet, dann hätte er, ein frommer Mann, dieses mit einem solchen Tischgebet eröffnet. Vor dem großen Gastmahl allerdings hätte noch ein anderes bescheideneres Mahl stattgefunden, nicht im Kreise der Prominenz, sondern unter den gewöhnlichen Soldaten. Der Kaiser, so wollte es der Brauch, hätte sich unter seine Legionäre gesetzt, er hätte eigenhändig mit Hilfe einer Handmühle Getreide geschrotet und sich daraus, immer noch eigenhändig, ein Soldatenbrot gebacken und verzehrt, zum Zeichen, dass er einer von ihnen sei, vor allem auch ein gedienter Soldat, der es in allem Ganz seines kaiserlichen Hofes noch nicht verlernt hatte, sich in der Weise des römischen Legionärs selber sein tägliches Brot zu beschaffen. Und die Herzen seiner Leute müssen ihm zugeflogen sein,  i h r e m  Kaiser! Bei Mark Aurel wäre das ja auch kein populäres Getue gewesen. Er war doch vor allem auch stoischer Philosoph und wusste, dass alle Menschen, vom Kaiser bis zum Sklaven, fundamental gleich seien, gleichermaßen begnadet mit dem göttlichen Funken, der Vernunft, ratio, die auch die Welt regierte und unter dem Namen Jupiters verehrt wurde, Jupiters, den er dann ja auch in seinem (voher gehörten) Tischgebet als ersten ansprach.
        Doch anschließend an dieses frugale Vorspiel primitivster Speisung gab es natürlich für die meliores , die happy few das eigentliche gehobene Essen, die cena, im Speisesaal der Castra Regina, kunstvoll zubereitet von mitgebrachten Köchen und geschickt serviert von kundigen Sklaven. Nach dem Gebet, das wir gehört haben, wurde als Aperitif mulsum , der römische Honigwein gereicht; dazu gab es als Vorspeise, lateinisch gustatio , verschiedene appetitanregende Salate und Delikatessen, ganz besonders Eier – daher das noch heute übliche Sprichwort ab ovo , „vom Ei beginnend“, also: vom Anfang an -, dann folgten die verschiedenen Gänge (fercula ) von Fleisch und Fisch; und den Abschluss des Essens im engeren Sinn, der cena, bildete wie bei uns das Dessert, mensa secunda, bestehend vor allem aus dulcia, Süßspeisen. Worauf als zweiter Teil des Gastmahls in der Regel noch ein Umtrunk folgte, mit edleren Weinen (bei dem sich Kaiser Mark Aurel schon aus Gesundheitsgründen zurückgehalten haben wird), bis man dann nach Einbruch der Dunkelheit – denn das Gastmahl hatte schon im Laufe des Nachmittags begonnen – selig angeheitert wieder auseinander ging.
        Die Römer liebten es, wie wir aus vielen Zeugnissen wissen, sich beim Essen und Trinken auch über das Essen und Trinken selber zu unterhalten; und so mag es bei einer solchen cena im römischen Regensburg auch zu gastronomischen Auseinandersetzungen unter den Gästen gekommen sein: ob der Koch die Hirschsauce (ius in ceruo) zu Recht mit soviel Liebstöckel (ligusticum) gewürzt habe; ob Donaufische ( pisces e Danuvio ) überhaupt essbar seien im Vergleich mit den Köstlichkeiten des Mittelmeers (deliciae maris nostri), ob unter den Weinen der Caecuber oder der Falerner den Vorzug verdiene und ob es irgendein gallischer Wein mit den italischen, ein italischer Wein geschmacklich mit den Reben der Griechen aufnehmen könne – solche Fragen dürften wahrscheinlich  auch bei unserem Gastmahl diskutiert worden sein, vielleicht mit der Ausdauer und Hartnäckigkeit fanatischer Feinschmecker, deren rechthaberischer Eifer durch den Wein noch stimuliert wurde, so dass es unter den Streithähnen fast zu Handgreiflichkeiten kam – bis dann, möchte man meinen, der Kaiser selber, Mark Aurel eingriff und mit milder stoischer Gelassenheit die Streitenden salomonisch besänftigte mit dem Sprichwort:
        De gustibus non est disputandum .
„Über die Geschmäcker soll man nicht streiten.“
        Aber, meine sehr verehrten Damen und Herrn,  s o  kann es jedenfalls in  d i e s e m   Punkte nicht gewesen sein. Denn dieses bekannte Sprichwort De gustibus non est disputandum, das sich in fast allen Schulbüchern und den meisten Sprichwörtersammlungen findet und den Hintergrund für meinen heutigen Vortrag (De gustibus est disputandum) abgibt, ist zwar lateinisch, aber nicht römisch; man kann zweifeln, ob es überhaupt römischer Auffassung entspricht, auf jeden Fall kann es Mark Aurel in Regensburg nicht verwendet haben. Wo hat es seinen Ursprung? Der schon zitierte Franzose Brillat-Savarin, dieser Fanatiker des guten Geschmacks, leitete das geflügelten Wort aus dem Spanischen her (Sobre los gustos no hay disputo) – obwohl es schon zu seiner Zeit auch auf französisch eingebürgert war -; schlägt man im großen Historischen Wörterbuch der Philosophie nach, wo das Stichwort „Geschmack“ von drei verschiedenen Gelehrten tiefgründig behandelt wird, so erfährt man, dass der Ursprung des Worts in der scholastischen Philosophie (also der Theologie des Mittelalters) zu suchen sei und dass es ursprünglich so lautete: De gustibus et coloribus non est disputandum . „Über Geschmäcker und Farben kann man nicht streiten.“ Diese Zusammenstellung mit den Farben (colores ) ist interessant, weil sich daran zeigt, dass im ursprünglichen Sinn des Satzes gustus (Geschmäcker) nicht die subjektiv verschiedenen Geschmacksrichtungen der Menschen bedeutet, sondern die objektiv verschiedenen Geschmäcker der Dinge bzw. Speisen selber. Wie es unendlich viele Farbtönungen gibt, so auch unendlich viele Geschmäcker (man denke nur, wie anders ein badischer Riesling, wie anders schon ein Franken- oder gar ein Moselriesling schmeckt, bei gleicher Traubensorte); und diese Vielfalt scheint keine völlig rationale Zergliederung und Zuordnung zuzulassen. Schon Aristoteles hat zwar versucht, alle möglichen Geschmäcker in acht verschiedene Klassen einzuteilen (süß – bitter – ölig – salzig usw.); aber auch er konnte keine eindeutigen Kriterien geben, die es ermöglichen würde, zu entscheiden, ob eine Speise z. Bsp. mehr bitter, salzig oder sauer sei (was der heutigen Geschmacksphysiologie wohl eher möglich ist). Und gar die Frage, ob eine bestimmte Sauce wohl schmecke oder nicht, entzieht sich bis heute und für alle Zeiten einer vernünftigen Diskussion. An dieser Stelle geht die Bedeutung von gustus, wie Sie sehen, notwendig in die der subjektiv verschiedenen Geschmacksrichtung über. De gustibus non est disputandum heißt dann – und so hat man es ja auch meist verstanden -, dass niemand rational beweisen kann, dieses oder jenes Geschmacksempfinden sei  d a s  richtige. Hier ist alles so, wie es einem jeden scheint: Tutti i gusti sono giusti („alle Geschmäcker haben recht“), wie die Italiener sagen; oder wie es in der Operette ,Fledermaus’ heißt: Chacun à son goût.
        Während so weit vom Geschmack nur immer im einfach ursprünglichen Sinn des Oralen die Rede ist, hat man vom siebzehnten Jahrhundert an, unter vielfältigem Bezug auf unser Sprichwort, begonnen, das Wort Geschmack (gustus, gusto, goût, taste ) auch übertragen, metaphorisch für den Bereich des ästhetisch Schönen zu verwenden, wie ja auch wir es noch tun, wenn wir von einer „geschmackvollen Kleidung“ oder einem „feinen Musik- oder Literaturgeschmack“ reden. Und hier gab es nun, anderthalb Jahrhunderte lang, eine große philosophische Debatte darüber, wie weit der gute Geschmack (bon goût ), auf den sich vor allem die Franzosen viel zu gute taten, doch etwas bei allen Menschen irgendwie Vorhandenes und damit doch Intersubjektives sei, ob und wie weit man ihn erlernen und kultivieren könne, schließlich auch – und damit ging die Diskussion schließlich zu Ende -, ob es in der Kunst überhaupt so sehr auf den guten Geschmack und nicht vielmehr vor allem auf das Genie ankomme. Aber über diese faszinierenden Probleme möchte ich heute nichts sagen, sondern nur darauf hinweisen, dass jedenfalls in Fragen der Erlernbarkeit des Geschmacks schon der große Quintilian, der Rhetoriklehrer der römischen Kaiserzeit, ähnlicher Meinung gewesen zu sein scheint wie Herr Oberbürgermeister Hans Schaidinger im Programmheft Ihrer Tagung (S.13): Herr Schaidinger meint nämlich im Einklang mit vielen, „dass guter Geschmack über jede Diskussion erhaben sei; man hat ihn oder man hat ihn nicht“; und ähnlich sagte Quintilian vom Urteilsvermögen (iudicium) des Redners, es sei zwar außerordentlich wichtig, man könne es aber wissenschaftlich so wenig vermitteln wie den physischen Geschmack (gustus) oder den Geruch: non magis arte traditur quam gustus aut odor. (Wohl keine andere Äußerung der Römer kommt so nahe dem De gustibus non est disputandum.)
        Ich spreche vor Zahnärzten, apud dentium medicos dico, den Ärzten also, die mit dem Teil des Körpers zu tun haben, auf dem nach Cicero das menschliche Leben vor allem beruht, nämlich dem Mund  – denn dieser hat zu tun mit den drei Vitalfunktionen des Essens, Trinkens und Atmens ( edendi, potandi, spirandi) -; und obwohl ich sehe, dass auch Sie aus Ihrer Tagung die Probleme des Ästhetischen nicht völlig ausgeklammert haben – denn ich lese in Ihrem Programm nicht nur von „Geschmacksstörungen“ und „Geschmacksirritationen“, sondern auch von „ästhetischer Zahnmedizin“, der „ästhetisch ansprechenden Versorgung im Frontzahnbereich“, ja sogar ganz schlicht von „roter Ästhetik“ (womit offenbar nicht der Sozialistische Realismus, sondern die Behandlung des Zahnfleischschwundes, der Gingivarezession, gemeint ist) -; dennoch möchte ich mich heute auf den Geschmack im engsten und ursprünglichsten Sinne beschränken und Ihnen unter Absehung von ästhetischen Problemen darlegen, welche Bedeutung für die Römer der gute Geschmack in Küche und Gastmahl gehabt hat. Ich denke dabei auch daran, dass nach Brillat-Savarin vier Berufe in besonderer Weise für die Feinschmeckerei geboren sind: die Bankiers, die Literaten, die Betbrüder und die Ärzte. Vor Ärzten spreche ich über den guten Geschmack im eigentlichsten Sinn, die vielen guten Geschmäcker im alten Rom: De gustibus est disputandum!
        Denn gerade die Römer haben offenbar - und jetzt muss ich zum letzten Mal noch ein wenig philosophieren – dem physischen Geschmack die größte Bedeutung zugemessen und die höchste Wertschätzung bezeugt. Nur sie haben, zwar nicht das ästhetische Urteilsvermögen, wohl aber die Weisheit selber, also die höchste aller menschlichen Tugenden vom Geschmacksinn des Mundes hergeleitet: sapere heißt eigentlich „schmecken“; davon aber kommt sapiens , der Weise, und sapientia , die Weisheit, ja Philosophie, die also eigentlich nichts anderes ist als der vollkommene Geschmack, im Sinne des richtig Schmeckens. Und dies obwohl, nach einhelliger Meinung gerade der Philosophen, der Geschmack derjenige unter den Sinnen ist, der uns (neben dem Tastsinn) am meisten mit den Tieren verbindet, weswegen etwa auch die römischen Philosophen, Cicero und besonders Seneca, den kulinarischen Tafelfreuden höchst reserviert gegenüberstehen. Dennoch nennen auch sie die Weisheit, nach der sie als Philosophen streben, ja gelegentlich sogar die Philosophie selber mit dem Namen des physischen Geschmacks; und sie wissen wohl auch - diese Erkenntnis geht wiederum auf Aristoteles zurück -, dass gerade der Geschmack beim Menschen im Gegensatz zu den meisten Tieren so außerordentlich fein ausgebildet ist, dass, um ein extremes Beispiel anzuführen, manche römischen Feinschmecker fähig gewesen sein sollen, einen Fisch, der zwischen den beiden Tiberbrücken gefangen wurde, von anderen Tiberfischen zu unterscheiden. Kein Wunder also, dass es die Römer, gerade die Römer waren, die der Menschheit auch das erste geschriebene Kochbuch hinterlassen haben, das auf uns gekommen ist (und dass Sie, zweisprachig bei Reclam, in jeder besseren Buchhandlung für wenige Euros erwerben können): De re coquinaria (Über die Kochkunst), überliefert, auch wenn es nicht in allen Teilen von ihm stammen kann, unter dem Namen des Apicius, genauer: M. Gavius Apicius, der ein berühmter Feinschmecker der frühen römischen Kaiserzeit war - berühmt und berüchtigt: Er soll ja aufs gute Essen so erpicht gewesen, dass er, als sein Vermögen von 100 Millionen auf (immer noch sehr beachtliche) 10 Millionen Sesterzen zusammengeschmolzen war, sich selber vergiftete, weil er geglaubt habe, mit der verbliebenen Summe nicht mehr menschenwürdig leben, d.h. tafeln zu können.
        Bedenken wir aber sogleich, dass solche Beispiele der Verfressenheit bzw. Schlemmerei äußerst selten und keineswegs die Regel sind. Die Römer waren generell bei aller Feinschmeckerei nicht die beständig Fress- Sauf- und Sexorgien feiernden Völlerer, als die sie uns in manchen Filmen geschildert werden. Das Kochbuch des Apicius selber enthält neben Beispielen in der Tat extravaganter Küche – ich nenne nur das Stichwort Flamingozungen - auch solche schlichterer Hausmannskost. Sogleich das erste Buch ist überschrieben mit „Epimeles“, bei Reclam übersetzt mit „Der sparsame Wirtschafter“; und ganz allgemein gilt, dass die Römer zu allen Zeiten bis auf bestimmte Ausnahmen im Essen recht bescheiden waren. Sowohl das Frühstück (ientaculum ) als auch das Mittagessen (prandium) bestand selbst bei den Vornehmeren wohl immer nur aus den gängigsten Nahrungsmitteln, etwas Brot, Käse und Oliven; und sogar beim Abendessen, der cena, wurde nur gelegentlich einmal des Guten mehr oder gar zu viel getan. Wer, wie ein heutiger deutscher Bundesbürger, seinen Tag sogleich mit einem Frühstück von Kaffee (aus Südamerika), Grapefruitsaft, Orangenmarmelade und exotischen Südfrüchten (aus Afrika) in seinem Müsli begonnen hätte, den hätte man auch noch zu Zeiten des Kaiser Neros als recht übertriebenen Genießer angesehen. Aber gehen wir der Reihe nach vor, um zu sehen wie die Römer auf den Geschmack, den guten Geschmack gekommen sind.
        Am Anfang war die puls, ein Brei aus Getreide (meist Emmer), Salz und Wasser, das schlichte Nationalnahrungsmittel der Römer, welche noch ihr erster uns greifbarer Dichter, Plautus, das Volk der pultiphagi , der Breifresser, nennt. Sie, die puls , konnte man durch Zugabe von Zwiebeln, Gemüse oder auch ein wenig Speck etwas abwechslungsreicher gestalten; man konnte sie auch durch Backen, in der Form von Brotfladen, haltbar machen. Wie unluxuriös man dabei war, zeigt sich daran, dass es in Rom noch bis ins zweite vorchristliche Jahrhundert keine professionellen Bäcker, geschweige denn Konditoren, gab: Jede Hausfrau bäckt ihr Brot für die Familie selber. Zu trinken gibt es neben dem Wein, der immer verdünnt wird, als einfacheres Getränk die posca, ein durststillendes Essigwasser (das ist das Getränk, das auch Jesus am Kreuz von einem Römer angeboten wird). Krone dieser einfachsten Nahrungsmittel, die auf dem Lande, bei der eigentlich arbeitenden Bevölkerung, immer gebräuchlich bleiben, ist das moretum , eine Knoblauchpaste, die dem Menschen sozusagen alles gibt, was er außer Getreide noch braucht. Wir kennen ihre nicht ganz einheitliche Herstellung aus Landwirtschaftsschriftstellern, vor allem aber aus einem Gedicht, das in der Überlieferung dem größten römischen Dichter, Vergil zugeschrieben wird (auch wenn er wohl nicht wirklich der Verfasser ist) und das selber den Titel ‚Moretum’ trägt. Darin wird beschrieben, wie sich ein einfacher römischer Bauer, Simylus, der sich nur eine einzige Sklavin leisten kann, am Anfang eines Arbeitstags seine Tagesration an Brot und Zukost selber herstellt. Seinen kostbaren Schinken greift er nicht an, der ist zum Verkauf bestimmt; aber aus dem Garten holt er sich eine Masse Knoblauch, allium, vier Knollen (nicht Zehen!) für die Tagesportion, viele Kräuter wie Koriander, Sellerie, Weinraute (die heute zu Unrecht verachtet wird); dazu kommt Käse, dann wird das Ganze in einem Mörser mit dem Stößel zerrieben, bis allmählich – Vergil schildert das so brillant realistisch, dass wir den Vorgängen zuschauen können wie bei Alfred Biolek - eine helle grünliche Masse entsteht, die Simylus durch etwas Öl und einen Hauch von Essig geschmeidiger gestaltet.

        So voran ging das Werk; schon nicht mehr hüpfte der Stößel,
        wie zuvor noch, er ging bedächtig in langsamen Kreisen.
        Also tröpfelt er Tropfen hinein vom Öle der Pallas
        [Pallas Athene hat den Athenern das Öl gebracht]
        und gießt bei ein bescheidenes Quentchen von kräftigem Essig,
        mischt das Werk, mischt wieder das Werk und knetet es nochmals.

        (Falls es jemand nachmachen möchte: Bei der Ölzugabe empfiehlt es sich, sehr vorsichtig zu sein, damit die Masse nicht ihre feste Konsistenz verliert.) Während Simylus bei der Arbeit noch darüber geflucht hat, dass ihm der bissig riechende Knoblauch die Tränen in die Augen trieb, ist er am Schluss zufrieden. Was er, mit zwei Fingern den Rand des Mörsers abschabend, zum Kügelchen geballt, kostet, ist wohlschmeckendes Moretum, ein Gericht, mit dem für heute der Arbeitstag gerettet ist: zum täglichen Brot das tägliche Moretum.
        Nicht immer hat man den Geschmack des Simylus geteilt. Von Horaz, dem neben Vergil zweiten großen klassischen Dichter der Römer, haben wir ein derbes Gedicht, wo er,  nachdem er von einem solchen Moretum gekostet hat, dieses, wenn auch nicht völlig ernsthaft, als wahren Giftcocktail beschreibt, der zur Hinrichtung leibhaftiger Vatermörder geeignet sei. Ich zitiere auszugsweise aus dem dritten Epodus (wie durchweg, in eigener Übersetzung):

        Hat seines eigenen Vaters Gurgel ein Verbrecher je
            mit bösen Händen zugedrückt,
        dann ess’ er Knoblauch, ärger noch als Schierlingssaft!
            O Schnitter! Roh ist euer Bauch!
        Es tobt im Eingeweide mir wie schieres Gift.
            Hat man das Blut von Vipern denn
        den Kräutern heimlich eingekocht? Hat diese Kost
            ein Hexenzauber so verkorkst?

Wenigstens vier Verse auch auf Latein:

            Parentis olim si quis impia manu
                senile guttur fregerit,
            edit cicutis alium nocentius:
                o dura messorum ilia!


Es folgen Vergleiche mit dem Gift der Medea und anderer sagenhafter Giftmischer sowie mit der hitzigen Sommersonne von Apulien (wo der stets braungebrannte Horaz zu Hause war). Wie kam denn aber Horaz überhaupt dazu, so etwas zu essen? Der Schluss des Gedichts gibt fast beiläufig Auskunft: Sein Freund und Förderer Maecenas, bei uns noch sprichwörtlich für sein Mäzenatentum, hat ihm offenbar dieses Moretum scherzhafterweise vorgesetzt oder per Küchenboten zugeschickt (vielleicht um zu testen, ob es Horaz, der sich so gerne bekannte zu schlichter Nahrung und einfachem Landleben, auch wirklich ernst sei mit solchen Bekenntnissen). Was zu viel ist, ist zu viel: Alles mit Maßen!

            Falls du, mein lustiger Maecenas, je
                auf solche Speise Lust bekommst ...

Nun erwartet man nach allen Schrecklichkeiten des bisherigen Gedichts einen furchtbaren Fluch – aber Horaz endet harmlos

            ...dann stoße fort den Kuss dein Mädchen mit der Hand
                und kuschle auf die äußerste Matratze sich!

Maecenas soll also um die nach der Mahlzeit erhofften Liebesfreuden gebracht werden: Knoblauch, so weiß man, macht zwar zur körperlichen Liebe begierig, aber nur den ihn Verzehrenden, nicht dessen Liebesobjekt, im Gegenteil: Er verscheucht ja sogar Vampire.
        Ja, am Knoblauch, am allium, scheiden sich bis heute die Geschmäcker und, möchte ich hinzufügen, auch die Epochen der römischen Küchengeschichte. Denn in der späteren haute cuisine der Römer ist gerade der Knoblauch so gut wie völlig abgeschafft. Im Kochbuch des Apicius spielt er keine Rolle mehr; er ist in seiner Zeit beschränkt auf den ländlichen Bereich, wie es ja Horaz zum Ausdruck bringt, wenn er in seinem Gedicht gerade die Erntearbeiter apostrophiert: o dura messorum ilia! „O Schnitter! Roh ist euer Bauch!“ Wer sein, Horazens, Vorurteil gegen den Knoblauch nicht teilt, den kann ich nur entschieden zu einem Versuch mit Moretum ermuntern (das Einverständnis, besser noch Komplizentum seiner Gattin oder Geliebten natürlich vorausgesetzt). Gerade als Brotzeit an einem warmen Mittag mit einem herben, mäßig kühlen Rotwein, der nicht fehlen sollte, genossen, bietet dieses kräuterreiche Gemisch einen herrlich schmackhaften, wenn auch höchst derben Genuss, sofern man sich möglichst genau an die originalen Zutaten hält, was jedenfalls den Münchnern mit Hilfe des Viktualienmarkts einigermaßen möglich ist (nur die Weinraute, ruta, sollte man sich im eigenen Kräutergarten ziehen).
         Aber genug von so rohen Gaumenfreuden! Wir kommen nunmehr, wie schon angedeutet, zur Verfeinerung der ursprünglich ländlichen römischen Küche, einer Kultivierung, die – wie sollte es anders sein? – ihren Ursprung dort hat, wo überhaupt die Wiege unserer heutigen Kultur steht: in Griechenland, besonders in Athen, der Mutter Europas. Während die Römer noch ihre puls mampften, hatte sich in Griechenland, beginnend vor allem in Sizilien, eine hoch stehende Küchenkultur herausgebildet. Von dieser griechischen Gastronomie sind die Römer, die im Pyrrhuskrieg und den punischen Kriegen intensiver mit den griechischen Städten Siziliens und Unteritaliens in Berührung kommen, zunehmend fasziniert, fast schon entzückt. In der zweiten Hälfte des dritten Jahrhunderts v. Chr., zu der Zeit, wo die Römer beginnen, in lateinischer Sprache die Komödien und Tragödien der großen Athener nachzudichten und in primitiven Theatern nachzuspielen, geben sie wenigstens auf der Bühne auch den griechischen Köchen und Küchengeheimnissen ihren Platz. Es ist eine durch und durch griechische Welt, mit griechischen Hetären, Zuhältern, Ärzten, Pädagogen und eben auch Köchen, die sich nun auf den Brettern der römischen Bühne entfaltet, vor allem bei dem schon erwähnten Dichter Plautus, von dem uns viele Komödien aus der Zeit nach dem Hannibalkrieg, also um die Wende vom dritten zum zweiten Jahrhundert v. Chr., erhalten sind. Da werden große, kostspielige Symposien veranstaltet, mitunter einmal sogar auf offener Szene; da macht sich ein angeberischer Koch lustig über die lächerlichen Würzkünste seiner Konkurrenz; da schleppt ein anderer Koch mit seinen Angestellten große Mengen von edlem Fisch und Wildpret vom Markt über die Bühne in die Küche. Da amüsiert sich denn also wohl der zuschauende sparsame römische Spießbürger und Hausvater, wie viel Geld die verrückten Griechen für das Essen, Trinken und immer auch die Liebe ausgeben  ... Ein Römer führt kein solches Symposien-Leben; wer es versucht, für den hat man die Vokabel pergraecari, d.h. soviel wie „auf Griechisch durchmachen“ (mit Wein, Weib und Gesang), oder auch, wie man früher in Deutschland sagte, einen fortgesetzten Lebenswandel führen.
        Das war die erste Stufe der Akkulturation griechischer Küche. Die zweite Stufe, und damit die insgesamt dritte Periode der römischen Küche, hebt an, als die Römer im zweiten Jahrhundert v. Chr., zur Zeit, wo sie selber so mächtig in den Osten, ins griechische Mutterland und nach Kleinasien vorstoßen, beginnen, die griechische Zivilisation, von der Philosophie bis zur Knabenliebe, von der Rhetorik bis zum Hetärenwesen, von der Zahnmedizin bis eben zur griechischen Kochkunst bei sich einzubürgern: die Zeit der Hellenisierung Roms. Nun wird das altrömische Gastmahl, convivium, bei dem die Familie mit Frau, Kindern und einzelnen Gästen am Tische sitzt, unter Beibehaltung des Namens überformt durch das griechische Gastmahl, das Symposion. Sichtbarste Neuerung, die man von den Griechen übernimmt: Man sitzt nicht mehr, man liegt (acubare ) bzw. man legt sich ( accumbere ) zu Tische, und zwar auf griechischen Speisesofas (klinai oder lecti), großen hölzernen Gestellen mit Matratzen und pro Person einem Kissen (pulvinus) zum Aufstützen des linken Arms. Nun, das kennen Sie aus vielen Sandalenfilmen; und wenn Sie selber ausprobieren, wie man im Liegen tafelt, werden Sie feststellen, dass trotz der Newtonschen Gesetze die Speisen nicht schlechter rutschen, keinesfalls schlechter schmecken als im Sitzen. Drei solcher Speisesofas ergeben ein Speisezimmer, triclinium , eigentlich den Dreisofaraum; da ja auf jedem Sofa nicht mehr als drei Personen liegen sollten, jeweils mit dem Kopf zur Mitte, wo auf einem Tisch serviert wird, kann ein Gastmahl in der Regel nicht mehr als dreimal drei, also neun Teilnehmer haben. Eine alte Faustregel, die wir heute noch übernehmen können besagt: Nicht mehr als die Zahl der Musen (neun), nicht weniger als die der Grazien (drei) – ein tête à tête ist natürlich kein Gastmahl mehr.
        Eine andere Neuerung betrifft die aus Griechenland übernommene Zweiteilung des Gastmahls, die ich am Anfang meines Vortrags im Zusammenhang mit Mark Aurel schon kurz erwähnt habe: Essen und Trinken. Der erste Teil, die eigentliche cena, steht im Zeichen der Speisen, die nach Gängen aufgetragen werden. Auch hierbei wird natürlich schon Wein getrunken, aber mäßig und selbstverständlich mit viel Wasser versetzt (der vernünftige Südländer trinkt ja noch heute nie Wein ohne Wasser) – wobei überraschenderweise diese Verdünnung in der Regel durch Meerwasser erfolgt, was die Erforscher der römischen Küche zu Entsetzensschreien veranlasst hat, ohne dass sie es m.W. selber ausprobiert hätten. Erst nach dieser cena folgt das richtige Symposion, lat. comissatio, wo scharf getrunken wird, meist nach griechischem Komment (den ich jetzt nicht näher erläutere); dazu setzt man sich dann auch Kränze auf, am liebsten Rosen, und salbt sich das Haupt mit edlen Parfums (unguenta). Denn der gute Geschmack braucht auch den feinen Duft: Die Nase, noch mehr als das Auge, isst mit; und wenn das Duftöl einmal ganz exquisit und köstlich ist, wünscht sich mancher, wie der Dichter Catullus sagt, „ganz Nase zu sein“ (totus nasus ). Bei dieser comissatio vor allem gibt es auch in Rom gelegentlich musisch-literarische Genüsse: Gedichte können deklamiert, Lieder gesungen werden, sogar aus aus philosophischen Werken kann man rezitieren. Für schlichtere Gemüter setzen schöne Tänzerinnen zur Musik Bauch und Arme in reizvolle Bewegung; in späteren Zeiten kommt es auch einmal vor, dass Gladiatoren sich prügeln; und der Trunkenbold Marc Anton soll bei Tische sogar rebellierende Soldaten in der Weise haben hinrichten lassen, dass seiner Geliebten das Blut ins Decolleté spritzte. Aber das sind geschmacklose Ausnahmen.
        Die wichtigste Neuerung, die mit der Einbürgerung des griechischen Symposions nach Rom kommt, ist natürlich die griechische Gastronomie selber, die nun – jedenfalls bei der gehobenen cena – die altrömische verdrängt oder doch entschieden bereichert. Dass sie aus Griechenland stammt, merkt man schon an den Namen der Speisen, die, noch im späteren Kochbuch des Apicius, großenteils griechisch sind (wie etwa heute bei uns die Küche französische Vokabeln hat: Sauce, Dessert, Omelette usw.) Sogleich das erste Rezept des Apicius, auf das er – übrigens mit Recht – besonders stolz scheint, heißt mit halbgriechischem Namen: conditum paradoxum . Davon ist lateinisch conditum, der gewürzte Wein (also eigentlich uinum conditum ); aber griechisch ist paradoxum , das bedeutet: paradox, wider Erwarten, zur Überraschung. Es ist also ein Gewürzwein sozusagen à la surprise, wie ihn normale Partygäste nicht erwartet hätten: offenbar eine exklusive Variante des üblichen mulsum, des Honigweins, der hier besonders raffiniert gewürzt wird. Da ein Teil von Ihnen dieses conditum paradoxum bald wird als Aperitif zu trinken bekommen, teile ich Ihnen kurz dieses (wahrscheinlich auf einen griechischen Küchenmeister zurückgehende) Rezept mit, auch weil Apicius es besonders liebevoll sprachlich gestaltet hat (wobei ich die antiken Maßangaben durch moderne ersetze):

Fünf Kilo Honig werden in ein ehernes Gefäß gegeben,
in das man zuvor schon einen guten Liter Wein gegossen hat,
so dass man diesen zu einem Honiggebräu einkocht.
[Dieses Einkochen wird nun im einzelnen erläutert.]
Hat man ihn auf  Sparflamme mit trockenen Hölzern erhitzt,
wobei man ihn, so lange er gekocht wird, mit dem Besen umrührt,
dann wird er, sobald er angefangen hat aufzukochen,
mit Tau von Wein abgelöscht [man gießt also etwas kühlen Wein darüber],
wobei ein Teil des Überkochenden schon dann in sich zurücksinkt,
wenn man ihm das Feuer entzieht.
[Hier ist in der Tat große Vorsicht geboten: dass nichts überkocht.]
Ist er abgekühlt, setzt man ihn wieder unter Flammen.
Dies [also Aufkochen und Ablöschen] geschieht ein zweites und ein drittes Mal ,
und dann erst nimmt man ihn vom Herd und schäumt ihn ab.
[So weit dürfte das Rezept wohl dem gewöhnlichen Honigwein, mulsum, entsprechen;
jetzt kommt der Überrachungsknüller, das paradoxum :]
Dann nimmt man 110 Gramm Pfeffer,
dreieinhalb Gramm gemahlenen Mastix [also Harz],
viereinhalb Gramm Lorbeerblätter und Safran,
fünf geröstete Dattelkerne und dazu das in Wein eingeweichte Dattelfleisch,
nachdem man zuvor nach rechtem Maß und Zahl so viel Wein angegossen hat,
dass es eine sanfte geriebene Mischung ergibt.
[Apicius erwähnt nicht eigens, dass diese Paste dem eingekochten Honigwein beigegeben wird.]
Ist dies alles fertig, gibt man zehn Liter milden Weines darüber.
[Das heißt die Grundsubstanz des Getränks aus eingekochtem Honig und Gewürzmischung verhält sich zum Endprodukt quantitativ wie etwa eins zu drei; der entstandene, höchst delikate Aperitif ist nicht alkoholreicher als gewöhnlicher Wein. Das Altertum kennt keine Spirituosen.]

Dies ist also ein Glanzstück der feinen Küche, der haute cuisine , wie sie im zweiten Jahrhundert v. Chr., als das römische Weltreich so mächtig wuchs, unter griechischem Einfluss in Rom erblühte, selbstverständlich zusammen mit griechischen Köchen, die man als Sklaven besaß oder als Freiberufliche mietete; denn die römische Hausfrau war in der nun modernen Küche regelmäßig überfordert, und so reduzierte sie ihren Beitrag zum Haushalt auf das weniger professionelle Ansprüche stellende Wollespinnen. Dafür hatte sie immerhin in Rom das Privileg, beim Gastmahl zumindest ihres Gatten dabeisein zu dürfen. In Griechenland tafelten ja beim Symposion die Männer unter sich – manche von Ihnen werden sich an Platons Symposion, den schönsten Dialog der Weltliteratur, erinnern -; allenfalls leichte Mädchen, Ausländerinnen, waren hier zum niederen Amusement der Gäste willkommen. In Rom dagegen – das haben vergleichende Kulturkundler schon in der Antike registriert – genoss die Frau, jedenfalls die Hausfrau (matrona), höhere Achtung und Verehrung, die sich auch sonst in Zeugnissen niederschlägt: Mit Rührung sehen wir noch heute, wie sich alte römische Ehepaare auf Grabsteinen innig an den Händen halten. So muss es auch einmal auf dem Speisesofa gewesen sein.
        Diese dritte und wichtigste Epoche der römischen Kochkunst, die vom zweiten Jahrhundert bis ans Ende der Republik, genauer: bis zur Schlacht von Actium i.J. 31 v.Chr. reicht, bringt natürlich auch Kritiker der Kochkunst hervor. Der alte Cato, als griesgrämiger Zensor noch heute bekannt, noch bedeutender als Vater der lateinischen Kunstprosa, sprach davon, der Staat müsse untergehen, in dem ein Fisch teurer als ein Ochs verkauft werde (in der Tat war die fast kultische Verehrung bestimmter Fischsorten, die sich auch in den Preisen niederschlug, ein Kennzeichen der von den Römern integrierten hellenistischen Küche). Ihm entgegen steht aber, als ebenso bedeutender gleichzeitiger Literat, der Dichter Ennius, der, in lateinischen Hexametern, nicht nur die ruhmreiche Geschichte seines Volkes besingt, sondern auch ein Lehrgedicht ‚Hedyphagetica’ (über die Delikatessen), mit besonderer Berücksichtigung der Fische, schreibt. Leider ist uns gerade dieses Werk am Beginn der großen römischen Dichtung fast völlig verloren.
        Vor allem aber lebt in dieser Epoche, genauer: im 1. Jahrhundert v. Chr., der bis heute wohl berühmteste aller (nicht nur antiken) Feinschmecker: der große Lucullus, um dessentwillen man ja noch heute von lukullischen Speisen spricht (und wir Schwaben den Quark „Lukeleskäs“ getauft haben). Er war aber nicht, wie der einige Generationen spätere Apicius, ein ausschließlicher Schlemmer und Bonvivant, vielmehr ein großer Politiker (des konservativen Lagers, wie wohl die meisten Feinschmecker) und vor allem ein bedeutender Feldherr, der nur noch von Pompeius und Caesar übertroffen wurde. Bertolt Brecht hat ihn bekanntlich in seiner Oper „Verhör des Lucullus“ mächtig bloß gestellt und nur das eine zu seinen Gunsten gelten lassen, dass er aus seinen Feldzügen in Asien die Kirsche (cerasus) mitgebracht habe. Mit ihm, Lucullus, aber war auch beim Gastmahl gut Kirschen essen. Für seine lieben Gäste war ihm nämlich so wenig zu teuer, dass es diesen, z.B. Cicero und Pompeius, oft selber peinlich wurde und sie ihn baten, wie eine schwäbische Hausfrau, nur bloß nicht so viel Umstände machen zu wollen (es gibt darüber köstliche Anekdoten). Da rettete einmal Lucullus sich und die anderen durch feine Ironie: Diesen Aufwand mache er doch nicht nur wegen der Gäste, sondern vor allem, um es sich selber gut gehen zu lassen. In der Tat. Als ihm sein Koch ein andermal zu wenig servierte und sich, zur Rede gestellt, damit verteidigte, dass Lucullus heute doch keinen Gast bei sich habe, schalt ihn dieser: „Lucullus, merk dir’s, speist heute bei Lucullus!“ (und einen anspruchsvolleren Gast gab es eben nicht).  Alles was wir von Lucullus in dieser Hinsicht hören, zeigt einen wahrhaft generösen Menschen von großem Stil. Er war der erste, der Gourmand nicht nur war, sondern seine Gourmandise offen zur Schau stellte, wie andere etwa die Zahl ihrer Klienten. Dank Lucullus muss sich niemand mehr schämen, einen guten, feinen Geschmack zu haben; „lukullisch“ ist bis heute nie ein Schimpfwort geworden.
        Ein negatives Gegenstück zu ihm ist, am Ende dieser dritten kulinarischen Epoche, eine Gestalt, die nur als Repräsentant ihrer Zeit, nicht als historische Persönlichkeit Interesse verdient: der neureiche Geldprotz Nasidienus Rufus, uns ausschließlich bekannt aus einer Satire des schon zitierten Dichters Horaz. Das von ihm am Ende seines zweiten Satirenbuchs beschriebene Gastmahl, die gegen Ende der Dreißigerjahre stattfindende cena Nasidieni, ist die uns am genauesten bekannte Mahlzeit der alten Römer, nicht nur was die Speisen, sondern sogar was die rekonstruierbare Tisch- bzw. Liegeordnung angeht. Für unser heutiges Thema ist sie vor allem darum erheblich, weil in ihr der gute Geschmack der Küche durch den schlechten Geschmack des Gastgebers hoffnungslos verdorben wird. Nasidienus, ein neureicher Geldprotz, hat eine Reihe literarischer Persönlichkeiten zu Tische gebeten, neben Maecenas, dem Literaten und Literaturförderer, einen Komödiendichter, Fundanius, einen Tragiker, Varius und einen Literaturkritiker, Viscus. Außerdem sind mit mit von der Partie zwei Begleiter des Maecenas und zwei des Hausherrn. Diese Begleiter heißen umbrae, „Schatten“, weil sie ihrem Herrn zu Gastmählern so unweigerlich nachfolgen, wie der Kurschatten seiner Dame zum Kurkonzert. Sie haben, wie die griechischen Parasiten, die Aufgabe, als gewissermaßen berufliche Partylöwen die Konversation in Schwung zu halten, lustige Sprüche zu klopfen und gelegentlich ihrem Herrn aus einer Peinlichkeit zu helfen. Wozu sich Gelegenheit ergibt.
        Nasidienus, der Gastgeber, ist nicht nur ein Neureicher, sondern auch ein Neu-Feinschmecker, der sich viel auf sein einschlägiges Wissen zugute tut und seine Gäste sowohl durch ungewöhnliche Speisen als auch durch endlose Kommentare zu verblüffen sucht. Den Anfang macht, statt der üblichen Eier und Appetithäppchen, als Vorspeise unpassend, aber sensationell, ein leibhaftiger lukanischer Eber, „bei Südwind gejagt“, wie der Hausherr kommentiert, weil dieser Südwind offenbar den Geschmack verfeinert. Dann werden in feierlichem Aufzug die Weine aufgetragen, Caecuber- und Chierwein zur Auswahl – selbstverständlich, lässt Nasidienus einfließen, hätte er für den empfindlichen Magen des Maecenas auch noch Albaner oder Falerner anzubieten, eine offenbar als geschmacklos empfundene Protzerei: Diuitias miseras!, „o elendiger Reichtum!“, ruft Horaz, der selber bei dem Gastmahl nicht anwesend ist, sich aber berichten lässt. Der nächste Gang bietet die verschiedensten Leckereien, Vögel, Austern, Fische, die alle (wie der Gastgeber offenbar rühmt) die Eigenart haben, ganz anders zu schmecken als üblich. Besonders zeigte sich das, heißt es drollig, bei einer Speise aus Stachelflunder-Innereien (wo natürlich kein Mensch eine Ahnung hat, wie diese normalerweise schmecken). Kleine Zwischenbemerkung: Es ist tatsächlich eine Eigenart der römischen Küche, dass man es für besonders kunstvoll und sinnig hält, den Dingen einen anderen Geschmack als den natürlichen zu geben; so lehrt z. Bsp. Apicius, wie man Sardinen so kochen kann, dass sie wie Huhn schmecken (was uns ein bisschen überflüssig scheint); diese z. Zt. des Horaz vielleicht noch weniger verbreitete Tendenz wird hier also von Nasidienus auf die Spitze getrieben. Seine großspurig ausgebreiteten gastronomischen Weisheiten (so weiß er von einer bestimmten Apfelsorte, dass man sie wegen der Farbe nur bei Neumond pflücken dürfe) gehen den Gästen bereits jetzt so auf die Nerven, dass sich einer der Begleiter des Maecenas durch ein verfrühtes Besäufnis, das sonst erst bei der comissatio stattfinden dürfte, schadlos halten will:

„Trinken wir rücksichtslos! Sonst sterben wir hier ohne Rache!“
Und schon forderte er die größeren Becher. Der Hausherr,
ach, er erbleicht im Gesicht, denn gar nichts fürchtet er mehr als
heftige Zecher. Warum? Sie neigen zu freierem Schimpfen,
und der feurige Wein stumpft ab die Feinheit des Gaumens.

Nasidienus hat also vor allem Angst, dass die noch geplanten Gänge seines Menus bei frühzeitiger Trunkenheit der Gäste nicht mehr richtig zur Wirkung kommen. Höchst berechtigt! Aber er hat eben den Gästen durch seine nervtötenden Kommentare schon jetzt den Appetit auf weitere Speisen verleidet.
    Während des dritten Gangs, einer in Seekrebsen schwimmenden Muräne – die dazugehörige Sauce ist unglücklicherweise eine Erfindung des Hausherrn selber, der nunmehr vom Kommentar zur förmlichen Vorlesung übergeht, um sein Rezept in den größeren Zusammenhang des kulinarischen Fortschritts zu stellen -, während dieser Darbietung also sorgt ein Unglücksfall für unerwünschte Abwechslung. Der über dem Triclinium aufgespannte Baldachin stürzt ein, landet auf  Muräne und Gästen und zwar mit einer Staubwolke so gewaltig, wie wenn der Wind über die ausgedörrten Felder von Campanien braust. (Denn ein Protz wie Nasidienus, bei dem alles auf die äußere Show ankommt, denkt nicht daran, auch dort Staub zu wischen, wo man es nicht sieht.) Der Dampf verzieht sich; man stellt fest, dass man mit dem Leben davon gekommen ist (es hätte ja auch die Decke einstürzen können), und man lacht – ausgenommen, versteht sich, der Hausherr, der untröstlich ob dieses Missgeschicks und der Schmach seines Hauses das Haupt im Kissen birgt und bitterlich weint. Nun ist die Stunde für seinen „Schatten“ Balatro gekommen, der ja auch die Aufgabe hat, solche Pannen irgendwie zu retten. Er nimmt aber dabei seinen Herrn, ohne dass dieser es merkt, gewaltig auf die Schippe, indem er nun einen großen tragödienartigen Monolog hält über die Ungerechtigkeit des Glücks, das die Tugend nicht zu belohnen wisse:

Ach, das ist, so sprach er, ja stets die Unbill des Lebens,
dass der Leistung und Müh niemals der entsprechende Ruhm wird.
Sieh, da quälst du dich ab, mit Sorgen und Plagen, damit du
üppig als Gast mich empfängst: Du sorgst, dass das Brot nicht verbrannt ist,
dass auch die Sauce nicht ohne Gewürz serviert wird, dass alle
Sklaven in sauberem Dress und schicklich gegürtet servieren.

[Diese angeblich großartigen Leistungen sind natürlich Selbstverständlichkeiten,
die einem Hausherrn nicht den leisesten Anspruch auf  Ruhm geben;
die große Mühe, die sich gerade Nasidienus mit seinen kulinarischen Großtaten gemacht hat, unterschlägt Balatro boshafterweise.]

Und dann ereilt dich noch solches Geschick, wie nun, dass der Teppich
einstürzt oder ein stolpernde Knecht eine Schüssel zertrümmert.
Doch verrät das Genie des Hausherrn gleichwie des Feldherrn,
wie er das Unglück trägt; denn das Glück vernebelt die Tugend.

            ... ingenium res
adversae nudare solent, celare secundae.



Während Nasidienus über diese ebenso erbauliche wie heuchlerische Trostrede zutiefst gerührt und dankbar ist, muss sich einer seiner Gäste, der Tragödiendichter Varius, die Serviette auf den Mund pressen, um nicht laut loszulachen. Es ist aber nicht das Missgeschick mit dem Baldachin, das den Gästen dann endgültig die Mahlzeit verleidet; es sind die mit immer neuen Speisen neu einsetzenden Lehrvorträge des Gastherrn: Sie legen sich, heißt es, wie der Gifthauch einer Hexe über die köstlichsten Delikatessen (Kranich, Singdrossel, feigengefütterte Gänseleber) – und längst, bevor man zum Nachtisch kommt oder gar zum eigentlichen Umtrunk, haben alle Gäste fluchtartig das Haus verlassen.
        Um dieses schöne satirische Gedicht des Horaz voll zu würdigen, muss man wissen, dass der Dichter selber, im Sinn des Philosophen Epikur, ein Anhänger des „einfachen Lebens“ war (wie er es ausdrückt); d.h. er war der Überzeugung, dass es zum Glück des Menschen völlig genüge, wenn sich dieser seine natürlichen und notwendigen Bedürfnisse befriedige. (Horaz spricht von Oliven, Malven und Zichorien, die er gewöhnlich esse, zu Brot und Wein, versteht sich). Sich etwas besonders Gutes zu gönnen, war damit nicht verboten; aber das Geschmäcklertum, mit dem sich ein Nasidienus der Küche annahm, musste Horaz als geschmacklos erscheinen.
        Sehen wir uns dieses Gastmahl unter einem küchengeschichtlichen Gesichtspunkt an, so muss auffallen, dass bei allem luxuriösen Aufwand des Nasidienus seine Speisen doch sämtlich auf inländischer Produktion beruhen: Keine syrische Dattel, kein persischer Pfau oder Fasan, kein afrikanischer Vogel Strauß, wie sie uns anderweitig für die Küche der Römer bezeugt sind, erscheint hier auf der Speisekarte. Wir stehen nämlich noch vor der großen Globalisierung der Küche, wie sie erst nach der Schlacht von Actium, d.h. der Eroberung der Welt- und Handelsstadt Alexandrien durch Augustus i. J. 31 v. Chr. eintritt. Erst mit ihr beginnt die vierte, äußerlich grandioseste Epoche der römischen Kochkunst: In Rom versammeln sich nun auch kulinarisch die Schätze aus Europa, Asien und Afrika – leider noch nicht Amerika: Noch mehr als anderthalb Jahrtausende muss Italien ohne Tomate und Pizza Margherita auskommen! Sonst aber gilt auch hier: orbis in urbe , die Welt in der einen Stadt. Natürlich dramatisieren das die Kulturkritiker. Man durchjage den Erdkreis, heißt es, nach Näschereien; „die unersättliche Gurgel“, klagt Seneca, „durchstöbert von hier aus die Meere, von dort aus die Länder“. Wobei uns auffällt, dass sich die Römer diesmal nur die fremdländischen Nahrungsmittel, nicht deren Küchen bzw. Rezepte aneignen. Wir hören interessanterweise nichts davon, dass man irgendwo in Rom, wie heute in Regensburg oder jeder größeren Stadt, indisch, chinesisch oder auch nur spanisch oder toskanisch essen könne: Wie so vielfach, zeigt Rom also auch hier die Fähigkeit, sich das Fremde ohne Aufgabe der eigenen Art einzuverleiben. Woher die Zutaten auch kommen, die Küche selber bleibt römisch bzw. griechisch-römisch.
        Fast exakt hundert Jahre, vom Regierungsantritt des Augustus (nach Actium) bis zum Tod Neros i. J. 68 n.Chr., dauert diese Epoche des größten römischen Tafelluxus, wie schon der Historiker Tacitus festgestellt hat. Sie findet ihren symbolischen Abschluss und gewissermaßen Krönung in einer berühmten Riesenschüssel des Vitellius (des letzten Kaisers im Dreikaiserjahr 68/69): Diese enthielt, neben Makrelenleber und Muränenmilch, Fasanen- und Pfauenhirne sowie die berühmten Flamingozungen; und ihre Bestandteile waren, wie der Chronist vermeldet, von der römischen Flotte auf einer Expedition bis nach Spanien und Parthien eigens zusammengesucht worden. Dann sollte Rom nach dem Willen des vom Jahr 69 an regierenden Kaisers Vespasian, dessen verkniffene, glatzköpfige Porträtbüsten noch heute etwas von altrömischer Sparsamkeit ausstrahlen, wieder einfacher werden. Er verweigerte z. Bsp. einem jungen Militär die fällige Beförderung, als dieser allzu partymäßig nach Parfum duftete: „Mir wäre lieber, du röchest nach Knoblauch.“ Ein Bekenntnis zum urtümlichen Moretum, das gerade im Mund Vespasians nicht auffallen kann: Er war ja auch der Erfinder einer Urinsteuer und sagte bekanntlich über das so vom Fiscus erworbene Geld: „Es stinkt nicht“, non olet .
        Ich möchte die Geschichte der römischen Küche nicht weiter erzählen, so reizvoll es auch wäre, etwa über die Auseinandersetzung des jungen, asketischen Christentums – Christus selber war bekanntlich ja kein Asket - mit der heidnischen Feinschmeckerei zu berichten. Statt dessen stelle ich zum Schluss die Frage, die Ihnen allen längst auf der Zunge liegen muss: Wie schmeckt sie denn eigentlich, die römische Küche? Und Hand aufs Herz: Würden Sie lieber bei Apicius oder nicht doch bei Witzigmann speisen?
        Dazu muss ich ganz kurz noch ausholen. Seit fünfhundert Jahren druckt man den Apicius, der uns ja in mittelalterlichen Handschriften erhalten ist, man übersetzt und versieht ihn mit Fußnoten. Dennoch hat Apicius und mit ihm die römische Kochkunst, soweit wir sehen, kaum größeren Einfluss auf die Küche der Neuzeit gehabt (es ist also völlig anders als etwa im Falle der frühneuzeitlichen Medizin, die ohne den Römer Celsus nicht zu denken wäre): Apicius hat man fast immer nur als Text, man hat ihn nur wissenschaftlich behandelt, ohne ihn zu erproben; d.h. man hat ihn letztlich völlig unwissenschaftlich behandelt. Noch das neueste zusammenfassende Buch über die römische Küche und Ernährung, vom Franzosen Jacques André, geht zwar gelegentlich auf Fragen der Zubereitung von Speisen ein und stellt auch Vermutungen über den Geschmack an – den André in der Regel für absonderlich hält -, aber es wird klar, dass der Verfasser sich nie ernsthaft mit der Praxis der römischen Küche befasst hat, dass er lieber den traditionellen Künsten von Madame André trauen wollte. Dabei hat man immerhin in den letzten Jahrzehnten damit begonnen, das Prinzip der „experimentellen Archäologie“, wie wir sie heute nennen, auch auf Apicius und die römische Küche anzuwenden. Große Pionierin war die in Toronto lehrende Archäologin Elisabeth Alföldi-Rosenbaum, die nach Experimenten in den Fünfzigerjahren 1970 in der Bücherreihe „Lebendige Antike“ wohl zum erstenmal Rezepte des Apicius für die Möglichkeiten der heutigen Küche aufbereitet und zur Diskussion gestellt hat. Ihr sind gefolgt, ich nenne nur wenige Pioniere, die Köchin Rosemarie Gracher, die vor etwa dreißig Jahren in Trier unter dem Dom das erste römische Restaurant eröffnet hat; der Physiker Robert Maier, Heraugeber des erwähnten deutsch-lateinischen Apicius und Veranstalter der Europäischen Lateinwochen, Septimanae Amoeneburgenses, bei denen jeden Sommer nur lateinisch gesprochen und nur römisch gekocht wird; schließlich der hierzulande als römischer Legionär, Ritter und Gladiator wohlbekannte Marcus Junkelmann, der in seinem preisgekrönten Buch über das Soldatenbrot („Panis militaris“) die schönste Einführung in die Ernährung der Römer gibt und der auch selber monumentale römische Gastmähler veranstaltet.
        Diese Experimente, die heute vor allem in den humanistischen Gymnasien (auch zur Werbung für den Lateinunterricht) praktiziert werden, haben, wie man zugeben muss, mit elementaren Schwierigkeiten zu kämpfen. Apicius schrieb für gelernte römische Köche, nicht für Lateinstudienräte; er gibt keine Garzeiten an, er sagt meist nichts über Quantitäten (das von mir vorgeführte Rezept für Conditum paradoxum war, auch in seiner sprachlichen Ausgestaltung, eine seltene Ausnahme). Aber diese Schwierigkeiten lassen sich durch Probieren, Üben und immer wieder Abschmecken überwinden. Wichtig ist, dass man sich so genau wie möglich an die eindeutig vorgeschriebenen Zutaten hält. Wer einmal damit anfängt, weil es angeblich nicht anders gehe, Liebstöckel durch Petersilie, zerstoßenes Lammhirn durch Hackfleisch oder den heißflüssigen, gepfefferten Honig zum Schweinsbraten – ein herrlicher Geschmack – durch eine Rahmsauce zu ersetzen, braucht sich nicht zu wundern, wenn er ein bestenfalls langweiliges, oft aber geradezu übelschmeckendes Gericht erhält: De his gustibus non est disputandum.
Macht man es richtig, nach den Regeln der Philologie und Grammatik, erhält man eine Küche von völlig eigenem, manchmal sensationellem Geschmack, nicht gleichzusetzen mit einer der uns sonst heute geläufigen exotischen Küchen. Wenigstens drei besonders auffällige Charakteristika seien genannt:

1.    Die römische Küche ist eine Küche der Gewürze und vor allem der frischen Kräuter. Fast jedes Rezept beginnt damit, dass in einem Mörser         diverse Samen und Kräuter zerrieben werden, die die duftende Grundlage des Wohlgeschmacks bilden: vielleicht auch eine Reminiszenz an das alte      Moretum. Hier darf man ja nicht sparen!

2.    Die römische Küche mischt ungeniert Süßes und Saures. Essig und Honig werden meist gleichzeitig eingesetzt; dem Fleisch wie dem Fisch werden –  wie wir das in der Regel nur bei Wildpret machen – ungeniert Früchte beigegeben: Aprikosen zum Schweinefrikassee, Dattelsauce zum Lamm usw.;   besonders charakteristisch und köstlich sind auch die den Saucen häufig beigegebenen gehackten Nüsse, Mandeln und Pinienkerne.

3.    Die römische Küche wird durchzogen von einem Hauch von Meer. Nicht nur der Wein wird meist mit Meerwasser verdünnt, in fast allen Gerichten, sogar den Süßspeisen, findet sich das berühmte garum oder liquamen, eine aus in der Sonne gärenden  Fischen hergestellte Fischsauce, auf deren Qualität größter Wert gelegt wurde. Diese Sauce, deren Herstellung sehr übelriechend war, haben wir nicht, noch nicht (denn vielleicht erbarmt sich einmal ein Saucenfabrikant auch der kochenden Lateiner); man muss sie vorläufig durch Sardellenpaste oder die ähnlich hergestellte vietnamesische Fischsauce „Nuoc Mam“ ersetzen, aber wenigstens das sollte man tun.

Die Wiederentdeckung, Wiederbelebung der römischen Antike im Italien des fünfzehnten Jahrhunderts, die wir Renaissance nennen, hat tiefen Einfluss auf die neuzeitlichen Künste, Literaturen und Wissenschaften, auch auf Musik, Architektur und Mode gehabt. Eine eigentliche, umfassende Wiederbelebung der römischen Küche steht noch aus, und sie könnte Folgen haben. Sie sollte aber nicht stattfinden ohne Erinnerung an die Kultur des römischen Gastmahls. Schön gekleidet sollten wir uns zu Tische legen; wenn der Wein gereicht wird, sollten wir den Göttern eine kleine Weinspende darbringen und uns selber wenigstens Efeukränze aufsetzen. Musik und Poesie dürfen nicht fehlen; statt mit „Mahlzeit“ oder „Prost“ zu grüßen, sollten wir Bene tibi und Bene vobis sagen, am besten natürlich überaupt nur lateinisch reden. Nam nihil sapit dulcius quam lingua Latina. Sed de gustibus satis est disputatum. Bene vobis!