Wilfried Stroh

Vom Faunus zum Faun: theologische Beiträge von Horaz und Ovid*

Was ist ein Faun? Nach Dudens Wörterbuch: ein "gehörnter, bocksfüßiger, altröm. Flur- und Waldgott, später Waldgeist, der in Kunst u. Literatur bes. die starke, ungehemmte sexuelle Triebhaftigkeit symbolisiert."1 Mit dem letzteren wird der heutige Sprachgebrauch, auch bezüglich des Adjektivs "faunisch", treffend wiedergegeben;2 nicht richtig ist dagegen, wenn schon dem altrömischen Gott (Faunus) Hörner und Bocksfüße zugeschrieben werden. Diese trägt er nämlich erst bei Ovid;3 und sie ergeben sich aus dessen expliziter Gleichsetzung des Faunus mit dem liebeslüsternen griechischen Gott Pan.4 So heißt es etwa zum Fest der dem Faunus zugeordneten Lupercalia in den Fasti (2,267-272):

Tertia post idus nudos Aurora Lupercos

aspicit, et Fauni sacra bicornis eunt.

dicite, Pierides, sacrorum quae sit origo,

attigerint Latias unde petita domos?

Pana deum pecoris ueteres coluisse feruntur

Arcades ...

und (2,277-281): Pan erat armenti, Pan illic numen equarum;

munus ob incolumes ille ferebat oues.

transtulit Euander siluestria numina secum;

hic ubi nunc urbs est, tum locus urbis erat.

inde deum colimus deuectaque sacra Pelasgis ...

Der griechische Hirten- und Herdengott Pan wäre also in vorrömischer Zeit aus Arkadien nach Italien bzw. Latium unter dem Namen Faunus importiert worden. Es ist anzunehmen, daß unsere heutige Vorstellung von einem Faun irgendwie mit dieser Identifikation zusamenhängt.

Sonderbarerweise aber hat man, obwohl die Natur des alten Faunus5 bei den Religionswissenschaftlern höchst umstritten ist, nie genau untersucht, wie und wann es eigentlich zu dieser Gleichsetzung, durch die ja das Wesen der alten Gottheit verdunkelt werden mußte,6 gekommen ist. Meist gilt sie als "sehr bald"7 oder "früh"8 bzw. "ziemlich früh"9 oder auch nur "lange vor Horaz"10 erfolgt, eines der vielen Beispiele eben für die alte Praxis, griechische Götter in den einheimischen wiederzufinden.11 Ich möchte dagegen zeigen, daß sich die Datierung auf Grund der literarischen Zeugnisse recht genau und erst auf ziemlich späte Zeit festlegen läßt: Die Identifikation dürfte höchstwahrscheinlich erst von Horaz stammen; von Ovid ist sie dann im Zusammenhang einer Neudeutung der Lupercalia ausgestaltet worden.

In den nicht sehr zahlreichen republikanischen Zeugnissen ist fast nie von einem einzelnen Gott Faunus, der doch immerhin seit 194 v.Chr. mit Jupiter Tempel und Kult auf der Tiberinsel hatte,12 die Rede. Nur einige Annalisten scheinen von dem (uns später vor allem aus Vergil bekannten) zum Gott gewordenen Latinerkönig Faunus erzählt zu haben (vgl. unten S. ); im übrigen spricht man, wie schon Warde Fowler (1899) richtig hervorgehoben hat, seit älterer Zeit meist von einer Mehrzahl von Fauni.13 Ennius nennt sie im frühesten Beleg, den wir haben, zusammen mit den uates, also vermutlich als wahrsagende Gottheiten, die sich des (von Ennius noch nicht so benannten) urtümlichen und altmodischen uersus Saturnius14 bedient hätten (ann. 213 f. Marx = 206 f. Skutsch):

scripsere alii rem

uorsibus quos olim Faunei uatesque canebant.

Und zu diesem berühmten, bei Cicero (Brut. 71; 75; orator 171) öfter zitierten Vers gibt Varro in seiner (noch zu Ciceros Lebzeiten verfaßten) Schrift 'De lingua Latina' (7,36) die Erläuterung: Fauni dei Latinorum, ita ut et Faunus et Fauna sit;15 hos uersibus quos uocant Saturnios in siluestribus locis traditum est solitos fari, <a> quo fando Faunos dictos. Dies ist die älteste und im Altertum beliebteste Etymologie von Faunus16 (die heute eher favorisierte Herleitung von faueo findet sich erst bei Servius17); und sie zeigt, daß Varro in den Fauni die wohl vor allem prophetisch18 sprechenden Waldgötter sieht. Solchen Fauni schrieb man (laut Cicero) auch geheimnisvoll wahrsagende Stimmen mitten im Schlachtengetümmel zu; de div. 1, 101 (im Mund von Ciceros weissagungsgläubigem Bruder Quintus): saepe etiam et in proeliis Fauni auditi et in rebus turbidis ueridicae uoces ex occulto missae esse dicuntur - ein berühmtes Beispiel bot die Schlacht im Wald von Arsia19 - ; nat. deor. 2,6 (es spricht der religionsfromme Stoiker Balbus): saepe Faunorum uoces exauditae ... Wenn es im Widerspruch dazu heißt (als Meinung des Spötters Cotta, nat. deor. 3,15): Fauni uocem equidem numquam audiui; tibi, si audiuisse te dicis, credam, etsi Faunus omnino quid sit nescio ..., so ist durch den Bezug klar, daß auch hier nicht ein großer Gott Faunus, sondern eben einer der vorher erwähnten Fauni im Blick ist.

Eine Vielzahl von Fauni nannte auch Lucilius, und zwar als Wesen, die den Menschen abergläubische Vorstellungen beigebracht hätten (484-485 Marx = 490-491 Krenkel):

terriculas, Lamias, Fauni quas Pompiliique

instituere Numae, tremit has, hic omnia ponit.

Die Erwähnung zusammen mit dem Religionsstifter Numa legt hier zwar die Vermutung nahe, daß schon Lucilius an eine Erzählung wie die später von Valerius Antias und Ovid berichtete denkt (wonach der als Einzelgott erscheinende Faunus mit Picus von König Numa überrumpelt und zur Hilfe bei Blitzentsühnung und Jupiterbeschwörung genötigt wurde20); aber angesichts der sonstigen Zeugnisse wird man dennoch Fauni nicht (wie Numae) einfach nur als generalisierenden Plural21 ansetzen wollen: Eher dürften die hier wie sonst echt pluralischen Fauni eine scherzhafte und etwas despektierliche Vervielfachung auch des Numa nach sich gezogen haben, nicht unähnlich etwa dem Spaß, den sich Catull erlaubt, wenn er in Analogie zu den vielen Eroten auch deren Mutter multipliziert (3,1): Lugete, o Veneres Cupidinesque ... Auf jeden Fall paßt auch das von Lucilius Gesagte recht gut zu uates-Nähe und uates-Charakter der alten und sozusagen republikanischen Fauni.

Mehr über sie erfahren wir dann freilich fast nur aus der römischen Kaiserzeit, wo sie, wie es scheint, im Volksglauben - über die Dichterzeugnisse ist erst später zu reden - weiterhin ihr Wesen oder Unwesen treiben. Der ältere Plinius weiß, daß sie den Schlaf der Menschen durch Schabernack beeinträchtigen (Plin. nat. 25,29 haec [sc. paeonia] medetur et Faunorum in quiete ludibriis, vgl. 30,84 qui a nocturnis diis Faunisque agitentur22) - ihr nächtliches Lärmen kannte auch schon Lucrez (4, 582; dazu später) - ; und erstgeborenen Hündinnen sollen sie gelegentlich (was man wohl aus deren plötzlichem Erschrecken schließt) zu Gesichte kommen (nat. 8,151).23 Nach Plinius ist es ferner ein allgemeiner Glaube, daß Fauni und Siluani "wie vom Himmel" in ihre Wälder gekommen,24 d.h. dort seit urdenklichen Zeiten ansässig seien. Diese Vorstellung bezeugt sogar schon Vergil in der Aeneis, wo sonst immer nur von dem einen Gott bzw. König Faunus die Rede ist: Dem Latium der ältesten, noch unzivilisierten und vor Saturnus liegenden Zeit spricht Euander "eingeborene Faune" zu (Aen. 8,314): haec nemora indigenae Fauni Nymphaeque tenebant ...25Und im Anschluß an ihn, wie leicht zu sehen, formuliert Censorinus26 diese Vorstellung sogar als alten Volksglauben (4,11): in Italia Nymphas indigenasque Faunos nemora quaedam tenuisse non difficile rudis antiquorum credulitas recepit. Urtümliches Alter attestiert den Fauni schließlich auch eine von Gellius zweimal gebrauchte, wie es scheint, sprichwörtliche Wendung: Fauni et Aborigines,27 womit wahrscheinlich die Götter und Menschen der italischen Frühzeit gemeint sein sollen.

Sonderbarerweise meint man nun meist, die Pluralität dieser das ganze Altertum hindurch präsenten Fauni sei nach Analogie der griechischen Panes und Satyri entstanden, nachdem schon die Gleichsetzung des Faunus mit Pan stattgefunden habe.28 Das dürfte völlig unrichtig sein. Gerade Pan, dem auch nur selten Wahrsagung29 oder geheimnisvolle Stimmen30 zugeschrieben werden, tritt meist in der Einzahl auf,31 während für die Fauni ja der Plural jedenfalls in der älteren Zeit charakteristisch ist: Wo Pan dort einmal romanisiert bzw. latinisiert wird, wie in der älteren lateinischen Dramenliteratur, da tritt für ihn, wie schon Georg Wissowa gesehen hat,32 der alte Waldgott Silvanus ein (so Plaut. Aul. 674-676, Acc. trag. 404).33 Und das ist kein Wunder: Nur Silvanus34 wird zu allen dokumentierten Zeiten der römischen Geschichte wie Pan im Privatkult verehrt; für Faunus dagegen gibt es, wie schon derselbe Wissowa zu seiner Verwunderung feststellte,35 bis zum Ende des Altertums nicht einmal Dedikationsinschriften. Wozu auch? Faunus scheint von Hause aus kein Gott, dessen Hilfe man sich durch Opfer, Gebet und Weihung zu sichern gewohnt wäre: Er ist die im Walde, hier und dort, spontan und unberechenbar sich äußernde Stimme des Göttlichen:36 darum bleibt er ohne Gestalt und Kultbild,37 darum existiert er in der Vielzahl.

Wäre es dann also umgekehrt zur Singularisierung der pluralischen Fauni erst unter dem Einfluß des griechischen Einzelgängers Pan gekommen? So einfach scheint es nicht zu sein. Jedenfalls von dem einen Faunus des römischen Staatskults, der, wie erwähnt, seit 194 v.Chr. am 13. Februar sein Opfer erhält, ist zumindest aus den spärlichen Zeugnissen keine Nähe zu Pan erkennbar: Bei ihm könnte es sich, jedenfalls ursprünglich, wohl nur um die als Einzelperson vorgestellte Verkörperung der vielen waldansässigen Fauni handeln (wie etwa Plautus in der 'Aulularia' statt der üblichen Lares einen einzelnen Lar familiaris auftreten läßt, oder wie man, seit Homer, von Musen, Charitinnen usw. auch in der Einzahl reden kann). Daß sein Tempel, wie Livius berichtet (33, 42, 10), aus Bußgeldern gerade der pecuarii erbaut wurde, muß dabei mitnichten darauf hindeuten, daß er, wie Pan, ein Herden- und Weidegott gewesen wäre38 (wofür in Rom ja auch Pales zuständig scheint): Eher dürfte das illegal weidende Vieh der pecuarii den heiligen Lebensraum der in wilder Natur beheimateten Fauni angegriffen haben;39 ihre Bestrafung diente dann also wohl ökologischer Wiedergutmachung.

Unklar ist, ob bzw. seit wann der Faunus der Tiberinsel als identisch mit dem (oben schon beiläufig genannten) Latiner- bzw. Aboriginerkönig Faunus empfunden wurde,40 ihn, den die Römer, wie Dionysios von Halikarnaß zumindest für augusteische Zeit bezeugt (ant. 1,31,2), "als einen der einheimischen Götter mit Opfern und Gesängen ehren".41 Für unsere Frage ist dies aber nebensächlich, da gerade dieser Faunus jedenfalls kein dem griechischen Pan ähnliches Wesen ist. Wenn er, der Sohn des Picus,42 bei Vergil an der Stätte seines Incubationsorakels43 seinem Sohn und Nachfolger Latinus, ohne leibhaftig zu erscheinen, durch bloße Stimme einen Orakelbescheid über das zukünftige imperium Romanum erteilt (Aen. 7, 81 ff.), so läßt dies ja deutlich an die alten, wahrsagenden latinischen Fauni denken.44 Im übrigen ist dieser Faunus natürlich ein nach griechischem Muster zum Gott erhobener Heros: Schon Varro hat ihn zu den Göttern gerechnet, die erst durch Apotheose entstanden sind, dabei aber (im Gegensatz etwa zu Hercules) nur lokale Verehrung genießen (als analoge Beispiele nannte er Amphiaraos in Theben sowie Tyndaros in Sparta).45 Als einen solchen latinischen Lokalheros dürfte ihn auch Valerius Antias (den man in sullanische Zeit datiert) angesehen haben, wenn er ihn, wie erwähnt, zum Religionsberater von König Numa machte; ja offenbar haben schon die älteren Annalisten Cincius Alimentus (?)46 und Cassius Hemina in recht euhemeristischem Sinn47 von seiner Vergöttlichung gesprochen (Serv. georg. 1,10 = Cinc. Al. fr. 2 Peter): Cincius et Cassius aiunt ab Euandro Faunum deum appellatum ideoque aedes sacras 'faunas' primo appellatas, postea fana dicta, et ex eo qui futura praecinerent 'fanaticos' dici.48 Es ist klar, daß dieser doch wohl postum vergottete Faunus des Euander, trotz des letzteren Herkunft aus Arkadien, mit dem arkadischen Pan unmöglich identisch sein kann. Weder die altlatinischen Fauni noch der mutmaßlich aus ihnen entstandenene Latinerkönig49 Faunus scheinen sich zu ihm, dem bocks-gestaltigen Herdengott, in Verbindung bringen zu lassen.

Erst ein berühmtes Zeugnis des Lucrez verknüpft wenigstens äußerlich die Fauni und den griechischen Pan - es ist die Stelle, an der dieser für uns überhaupt zum erstenmal in genuin lateinischer Literatur erscheint50 -, ohne daß dabei freilich die Gottheiten miteinander gleichgesetzt würden. Von Gegenden mit mehrfachem Echo heißt es (4, 580-589):

haec loca capripedes Satyros Nymphasque tenere

finitimi fingunt et Faunos esse locuntur

quorum noctiuago strepitu ludoque iocanti

adfirmant uolgo taciturna silentia rumpi;

chordarumque sonos fieri dulcisque querellas,

tibia quas fundit digitis pulsata canentum;51

et genus agricolum late sentiscere, quom Pan

pinea semiferi capitis velamina quassans

unco saepe labro calamos percurrit hiantis,

fistula siluestrem ne cesset fundere musam.

Daß sich bei dieser Beschreibung ländlichen Volksglaubens Griechisches mit Einheimischem verbindet, ist klar: Die in die Nähe bocksfüßiger Satyrn und (zum ersten Mal) Nymphen gerückten Fauni haben mit Pan neben ihrem Sitz in der freien Natur das gemeinsam, daß sie gewöhnlich nur hörbar sind, nicht sichtbar in Erscheinung treten. Im übrigen aber ist die Beschreibung der Fauni, die nachts koboldartig lärmen, und des edel musizierenden, seine (euphemistisch umschriebenen) Hörner mit dem Pinienkranz verhüllenden Pan52 fühlbar verschieden; ihre Identität kann dem Leser des Lucrez noch nicht geläufig sein.

Ähnliches ergeben auch zwei Äußerungen des jungen Vergil. Wenn zum Silenslied die Fauni mit den wilden Tieren tanzen (ecl. 6,27):

tum uero in numerum Faunosque ferasque uideres

ludere...,

bezeugt das nicht einmal deren besondere Musikempfänglichkeit - wie bei den ferae soll ja bei den Fauni hervorgehoben werden, daß das Lied des Silen sogar sie zum Tanz begeistert53 - , und schon gar keine Identität mit dem flötenden Pan,54 der sonst überall in den Bucolica als Gott von Hirten und Hirtenmusik erscheint.55 Und im Prooemium zu den Georgica werden wie bei Lucrez die Fauni von Pan deutlich getrennt (georg. 1, 10-12; 16-18):

et uos, agrestum praesentia56 numina, Fauni,

ferte simul Faunique pedem Dryadesque puellae:

munera uestra cano ...

...

ipse nemus linquens patrium saltusque Lycaei

Pan, ouium custos, tua si tibi Maenala curae,

adsis, o Tegeaee, fauens ...

Hier ist, da zwischen die Erwähnung der einheimischen Fauni und des ausländischen Pan drei den Neptunus und Aristaeus betreffende Verse gestellt sind, die Beziehung sogar noch schwächer. Nicht einmal, daß die Fauni speziell mit den Herden zu tun hätten, wird ausdrücklich gesagt; aber da sie mit den Dryaden verbunden das "Bein schwingen",57 wird man doch am ehesten daran zu denken haben, daß das Vieh in den Wäldern der Fauni und Baumnymphen weidet,58 man seine Erhaltung mithin höflicherweise eben diesen Gottheiten als Leistung (V. 12 munera) zurechnen kann.59 Trotz landwirtschaftlichem Bezug ist aber der Unterschied zu Pan, dem eigentlichen "Hüter der Schafe", immer noch groß genug: Weil ihn die praesentia numina Italiens nicht ersetzen können, muß er zur Unterstützung Vergils eigens aus Arkadien anreisen.60 Und seine relative Nähe zu den Fauni bleibt bei Vergil Episode:61 In der Aeneis sind diese, wie wir gesehen haben, wieder reine Waldgötter, von Pan fast ebenso weit entfernt wie König Faunus.

Epochemachend in der Entwicklung von den alten Fauni zum neuen Faunus62 scheinen dann aber die Oden des Horaz, deren erste drei Bücher wenige Jahre nach den Georgica i.J. 23 v.Chr. veröffentlicht werden. Jedes Buch präsentiert einen singularischen Faunus, der offenbar geradezu ein Lieblingsgott des Dichters ist63 und jedenfalls mit dem Latinerkönig der Annalisten und Vergils nichts zu tun hat, an prominenter Stelle (1,17; 2,17; 3,18). Schon im vierten Gedicht des ersten Buches, der Frühlingsode, überrascht Horaz seinen Leser64 mit der Aufforderung, dem Faunus (der hier noch durchaus einer unter mehreren lokalen Fauni sein könnte),65 offenbar als Inbegriff neu erwachter Lebensfreude,66 ein Lamm oder Böckchen zu opfern (V. 11 f.):

nunc67 et in umbrosis Fauno decet immolare lucis,

seu poscat agna siue malit haedo.

Dann aber wird Faunus im 17. Gedicht in aller Eindeutigkeit mit dem arkadischen Pan gleichgesetzt: Er kommt als ein speziell für die Ziegen zuständiger Gott eigens vom arkadischen Lykaios zu dem Berg, wo Horazens Sabinergrundstück liegt (1,17,1-4):

Velox amoenum saepe Lucretilem

mutat Lycaeo Faunus et igneam

defendit aestatem capellis

usque meis pluuiosque uentos.

Das heißt, der Gott tut eben das, worum er, noch als Pan, von Vergil gebeten wurde (georg. 1,16 ff.): Er reist, und zwar öfter (saepe), von Griechenland nach Italien und nimmt dabei offenbar den Namen Faunus an; d.h. er wird von Horaz als wesensgleich mit dem einheimischen Faunus empfunden, ähnlich wie man früher einmal den griechischen Dionysos in Liber, die Demeter in Ceres, Poseidon in Neptunus - um nur Götter zu nennen, die Vergil anrief, ohne sie aus Griechenland herbeirufen zu müssen - wiedergefunden und erkannt hat. Kann man eigentlich zweifeln, daß sich erst hier, in diesen so anspielungs- und bedeutungsreichen Worten des Horaz, die Einbürgerung des griechischen Pan, d.h. seine Identifikation mit dem latinischen Faunus vollzieht? Noch der Horazerklärer Ps. Acro (dem Faunus als Ziegenhüter nicht selbstverständlich ist) notiert die Besonderheit (zu V.1): sed hic magis Pana pro Fauno uoluit intellegi, nam et capellas suas eumcustodire dicit.

Dieser Faunus, der mit den alten Fauni immerhin gemeinsam hat, daß man ihn für gewöhnlich wohl nicht sieht, spielt nun auch auf der Pansflöte,68 durch die er zum Schutz des Viehs wunderbare, selbst für Pan m.W. nicht bezeugte, Wirkungen erzielt (V. 5-12):

inpune tutum per nemus arbutos

quaerunt latentis et thyma deuiae

olentis uxores mariti

nec uirides metuunt colubras

nec Martialis haediliae lupos,69

utcumque dulci, Tyndari, fistula

ualles et Vsticae cubantis

leuia personuere saxa.

Stärker erinnert es an die von Ennius, Cicero und Varro erwähnten, mit oder als uates weissagenden Waldschrate, daß dem Faunus von Horaz offenbar ein gewisses Patronat für die Dichter bzw. Mercuriusschützlinge70- Pan galt meist als Sohn des Hermes - zugesprochen wird. Jedenfalls behauptet Horaz im zweiten Buch, ihm seine wundersame Rettung beim Niedersturz eines Baumes zu verdanken (2, 17, 27-30):

me truncus inlapsus cerebro

sustulerat, nisi Faunus ictum

dextra leuasset, Mercurialium

custos uirorum ...

und verspricht ihm dafür ein Lämmchen (V. 32). Aber woher weiß er hier, daß es gerade Faunus ist, der dies getan hat? Warum nicht Mercur selbst oder die Musen, denen er sonst diese und vergleichbare Rettungen zuschreibt?71 In dem Faunus gewidmeten Hymnus, carm. 3,18, spricht er von einem alten Faunusaltar (V. 7 uetus ara), der sich offenbar auf seinem Grundstück befindet (und auf dem dann sicherlich auch das in 2, 17 projektierte Lammopfer stattfinden soll); das Unglück dürfte sich also wohl in der Nähe dieses Altars ereignet haben. Noch entschiedener als sonst bekennt sich Horaz in diesem letzten großen Faunusgedicht als ein Verehrer des Gottes, der wiederum deutlich als ein Pan vorgestellt wird: Er betreut nicht nur die Herden des Horaz, sondern entwickelt auch schon erotische Neigungen zu den Nymphen72

(3,18,1-8):

Faune, Nympharum fugientum amator,

per meos finis et aprica rura

lenis incedas abeasque paruis

aequus alumnis.73

si tener pleno cadit haedus anno

larga nec desunt Veneris sodali

vina creterrae,74 uetus ara multo

fumat odore.

Demnach scheint die Faunusverehrung auf dem Grundstück des Horaz eine alte Tradition zu haben; für seine Deutung des Faunus als Pan besagt das nichts. Sonst nicht bekannt ist das im Folgenden erwähnte, von Horazens ganzem Gau am

5. Dezember gefeierte Faunusfest, das als Inbegriff einer von Arbeit erlösten Muße erscheint und - noch phantastischer als in carm. 2,17 - Mensch, Vieh und Raubtier in paradiesesgleichem Frieden vereinigt (V. 9-16):

ludit herboso pecus omne campo,

cum tibi nonae redeunt Decembres;

festus in pratis uacat otioso

cum boue pagus;

inter audacis lupus errat agnos,

spargit agrestis tibi silua frondes,

gaudet inuisam pepulisse fossor

ter pede terram.75

Horazens Verehrung für den mit Pan gleichgesetzten Faunus, dessen griechischer Name nirgendwo erscheint,76 beschränkt sich auf die Oden, sein am höchsten stilisiertes, von der alltäglichen Lebensgewohnheit am weitesten abgerücktes Werk. In der Sermonendichtung kennt er nur die üblichen, pluralischen Fauni als Genossen der im Gefolge des Bacchus befindlichen Satyrn (epist. 1,19,4 Satyris Faunisque; die Zuordnung entspricht immerhin äußerlich griechischen Panes77)oder gar als wesensgleich mit diesen (ars 244: Fauni als Chor eines römischen Satyrspiels!78). Auch das könnte zusätzlich dafür sprechen, daß er, wie die sonstigen Zeugnisse nahegelegt haben - speziell über die Lupercalia wird noch zu reden sein - , überhaupt als erster und einziger vor Ovid die Identität der beiden Götter Faunus und Pan erfaßt und dichterisch gestaltet hat.

Oder sollten auch andere damals ähnlich empfunden haben? Eindeutiger als Lucrez, der schon die Musik des Pan in einen Zusammenhang mit den lärmenden Spielen der Fauni gebracht hatte, konstatierte Horazens Zeitgenosse, der mit römischer Kultur und Literatur wohlvertraute, selber in Rom wirkende, Dionysios von Halikarnaß,79 eine Verwandtschaft der Gottheiten. Als er die einem lokalen Heros oder eben auch dem "sogenannten " zugeschriebene prophetische Stimme im Wald von Arsia behandelt,80 bemerkt er zum Verständnis seiner griechischen Leser (ant. 5,16,3):
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

("Diesem Gott nämlich schreiben die Römer das Panische zu, und immer wenn Erscheinungen, die bald diese, bald andere Gestalt haben, den Menschen vor Augen treten und Furcht erregen81 oder wenn ihnen göttliche Stimmen zu Ohren kommen und sie verwirren, sagen sie, es sei das Werk dieses Gottes.") Es sind also die unheimlichen, den (bis heute sprichwörtlichen) "panischen" Schreck82 auslösenden, Erscheinungen der Natur, die nach Ansicht des Dionysios eine Verbindung zwischen Pan und Faunus herstellen. Horaz, der Landwirt und vor allem Dichter, hat auffallenderweise gerade hierauf nicht abgehoben, sondern seinen Faunus als Viehbetreuer, Flötenmusiker und Nymphenliebhaber sehr gründlich im Hinblick auf den spezifisch griechischen Pan umgestaltet. So unterstreicht gerade diese Äußerung des Dionysios,83 der ja auch nur eine Ähnlichkeit, nicht Wesensgleichheit, der Götter notiert, die Kühnheit ihrer Identifikation durch Horaz.

Seine hohe Auffassung vom eigenen Beruf als Dichter mochte ihn zu einer solchen theologischen Neuerung berechtigt scheinen lassen. Nach einem berühmten Dictum schon Herodots (2,53) haben Hesiod und Homer den Griechen ihre "Theogonie geschaffen",84 d.h. sie haben Bereiche und Aufgaben der Götter gegeneinander abgegrenzt und ihre Gestalten bestimmt. Der Dichter Horaz, selber auch als Prophet (epod. 16) praktizierender uates,85 er, der als solcher (nach der Augustusepistel, V. 132-138) dazu berufen ist, zwischen Menschen und Göttern in priesterähnlicher Funktion zu vermitteln, und der im Carmen saeculare dies bis zu einem gewissen Grad ja auch tut, er konnte, wie er etwa im religiösen Enthusiasmus Bacchus persönlich erblickt (carm. 2, 19) und sich von ihm hinreißen läßt (carm. 3,25), so offenbar auch die Einheit des griechischen Pan, des musischen Wald- und Hirtengottes, mit dem Waldgott Faunus, der als orakelsingender uates zugleich in besonderer Weise sein eigener Gott und Patron war, mit visionärer Kraft erkennen und schauen.86 Der wunderbare, an die Grenzen des noch Glaublichen gehende Tierfriede, den er in carm. 1,1787 wie in 3,18 darstellt, gibt einen Eindruck von der durchaus auch religiösen Erregung, in der man sich diese Oden (vom lyrischen Ich, versteht sich) gesprochen vorzustellen hat - auch wenn sich jedenfalls carm. 1,17 am Schluß als eine Art Liebesgedicht entpuppt.

Vielleicht aber geht Horazens religiöse Innovationskraft, wenn man so sagen darf, sogar noch ein Stückchen weiter. Man hat in dem in carm. 3,18 beschriebenen, ländlichen Faunusfest fast immer ein Stück alter italischer Religionsausübung, ja sogar "die Essenz wirklich römischer Frömmigkeit auf dem Lande"88 sehen wollen. Dabei überrascht aber, daß diese - vom Horazkommentator Porphyrio (zu V. 19) so bezeichneten - 'Faunalia'89 im römischen Festkalender, der sonst durchaus auch Bäuerliches hat, fehlen, ja, daß es überhaupt keine weiteren Zeugnisse für sie gibt. Wie schon festgestellt, existieren - von dem einen staatsoffiziellen Opfer auf der Tiberinsel und den höchst umstrittenen, noch zu besprechenden Lupercalia abgesehen - überhaupt keine rechten Zeugnisse für eine kultische Verehrung des Gottes Faunus, der ja, zumal im Singular, mehr literarische als lebenspraktische Wirklichkeit zu haben scheint (im genauen Gegensatz zu seinem partiellen Rivalen Silvanus). So muß die Vermutung erlaubt sein, daß überhaupt erst Horaz, der sich Pan - Faunus auch durch seine persönliche Rettung verpflichtet fühlte, in seinem pagus dem Gott ein eigenes Fest eingerichtet und mit einer ländlichen Gemeinde nach seinen Vorstellungen gefeiert hat. Sieht man sich das Gedicht näher an, so erkennt man, daß eigentlich nur für den Altar ein gewisses Alter bezeugt wird - V.7 f. uetus ara multo fumat odore90 - ; über das Fest wird bloß gesagt, daß es am 5. Dezember regelmäßig stattfindet (V.10) und daß es ein Fest des pagus, nicht, wie man öfter liest, aller ländlichen Gaue, sei (V. 11 f.).

Die Vorstellung von Horaz als einem (gewissermaßen von der theologia poetarum zur theologia ciuilis übergehenden) Kultstifter mag ungewohnt, unbehaglich sein für den, der in ihm nur den für gebildete Leser Literatur produzierenden Künstler sehen möchte - besonders Eduard Fraenkels wirkungsreiches Horazbuch und der Odenkommentar von Nisbet und Hubbard91 haben dieses Bild geprägt und viel von der evidenten Lebenswirklichkeit aus dem Werk des Dichters beseitigt - ; doch wäre, die Richtigkeit unserer Vermutung vorausgesetzt, seine religionsschöpferische Tat wohl nicht größer als etwa die von Cicero, der seiner vergöttlichten Tochter Tullia ein Heiligtum mit Heroenverehrung bei der Nachwelt zu erbauen plante92 - von Julius Caesars beispiellosen Selbstvergottungsabsichten93 ganz zu schweigen. Schließlich gibt es aber sogar im Bereich des Literarischen ein mögliches Vorbild für Horaz. Pindar nämlich, der prominenteste griechische Lyriker, hatte sich ausgerechnet für Pan, als dessen besonderer Liebling er später galt,94 einen Privatkult mit Heiligtum eingerichtet.95 So bezeugt er es in der dritten Pythie (V. 77 ff.):
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

("Aber beten will ich zur Großen Mutter, welche zusammen mit Pan vor meiner Tür die Mädchen häufig in der Nacht besingen, die erhabene Göttin") - und implizit auch in dem für Pan geschriebenen Hymnus, aus dem immerhin einige Fragmente erhalten sind (95-100 Snell),96 die ein wenig an Horaz anklingen. Pan wurde dort nicht nur Arkader und Musiker genannt (wie in Hor. carm. 1,17); er war "süßer Liebling der Chariten" ähnlich wie Nympharum fugientum amator (3,18,1); und er hieß "Genosse der großen Mutter" wie ihm bei Horaz als Veneris sodali (carm. 3,18,6)97 die Weinspende zukommt. So könnte Pindar als Kultstifter wie als Festdichter Horaz inspiriert haben.

Das große Faunusfest aber schafft erst, wie es scheint, Ovid, indem er in seinen Fasti an der schon eingangs zitierten Stelle, ein altberühmtes römisches Fest, die Lupercalia, erstmalig dem Faunus, genauer gesagt: dem von Horaz als Pan gedeuteten Faunus widmet. Die Identität der beiden Götter ist ihm schon in seinen Heroidenepisteln eine ausgemachte Sache: Phaedra weiß von "doppelgehörnten" Fauni (epist. 4,49 semideae Dryades Faunique bicornes98), die nur Pane sein können; und Oenone gibt dem Faunus genannten Gott, der sie auf dem Berg Ida verfolgt, sogar den für Pan charakteristi-schen Pinienkranz (5,137 f. cornigerumque caput pinu praecinctus acuta / Faunus ...99). Während dort ein griechischer Pan wie selbstverständlich den lateinischen Namen Faunus erhält, wird nun im zweiten Buch der Fasti der soeben als Gott auf der Tiberinsel (zum 13. Februar) genannte latinische Faunus ausdrücklich als Pan gedeutet100 und mit eigenem großen Fest, den angeblich von Euander gestifteten Lupercalia (am 15. Februar), versehen (2, 267 ff.). Neben den schon eingangs angeführten Versen sei noch zitiert fast. 5, 99-102, wo es im selben Sinn vom arkadischen Euander heißt:

sacraque multa quidem, sed Fauni prima bicornis

has docuit gentes alipedisque dei.

semicaper, coleris cinctutis, Faune, Lupercis,

cum lustrant celebres uellera secta uias.

In der Forschung ist diese Neuerung Ovids bisher m. W. nie richtig erkannt worden. Entweder hat man, im Banne von Ovids eigener Darstellung, die Lupercalia schlechtweg und schon ihrem Ursprung nach für ein Fest des Faunus gehalten101 oder aber geglaubt, sie seien jedenfalls schon längst vor Ovid in diesem Sinne aufgefaßt worden.102 Dabei spielte natürlich auch eine Rolle, daß man der Identifikation von Pan und Faunus ein viel zu hohes Alter zuschrieb. In der Tat sieht man nämlich leicht, daß die von Ovid vertretene Auffassung der z. T. recht ausgelassenen Lupercalia als eines ursprünglichen Panfestes103 schon etwas älteren Ursprungs ist; sie besagt aber, solange jene Identifikation nicht hergestellt war, nichts gerade für Faunus. Wir werden die vielbehandelten Zeugnisse nochmals zu prüfen haben.

Der locus classicus findet sich in dem (in der ersten Hälfte der Zwanzigerjahre erschienenen) ersten Buch des Livius (1,5,1): iam tum in Palatio monte Lupercal hoc fuisse ludicrum [= Lupercalia] ferunt [...]; ibi Euandrum qui ex eo genere Arcadum multis ante tempestatibus tenuerit loca, sollemne allatum ex Arcadia instituisse ut nudi iuuenes Lycaeum Pana uenerantes per lusum atque lasciuiam currerent, quem Romani deinde uocarunt Inuum. Die Lupercalia, als deren Kern der Lauf der nackten luperci gilt, sind also für Livius wie für Ovid ein von Euander eingeführtes Fest für Pan Lykaios; als dessen römisches Äquivalent erscheint hier aber nicht Faunus,104 sondern ein gewisser Inuus, den man mit Faunus nicht vorschnell identifizieren darf. Wenn spätere Grammatiker dies tun,105 so darum, weil eben später, nach Ovid, Pan mit Faunus gleichgesetzt werden kann. Die Zuordnung der Lupercalia zu Faunus ist auch sonst keineswegs Gemeingut der Augusteerzeit,106 sondern eine Auffassung nur Ovids. Vergil im 8. Buch der Aeneis übernimmt zwar von Livius bzw. dessen Gewährsmann die Beziehung der Lupercalia, genauer gesagt: des in deren Mittelpunkt stehenden Lupercal, auf den arkadischen Pan Lykaios, identifiziert diesen aber, obwohl er, wie wir gesehen haben, gerade am Schauplatz der Lupercalia vorrömische Faune ansiedelt (8,314), durchaus nicht mit Faunus107 (der als Vater des Latinus schon ganz anders festgelegt ist) oder sonst einem römischen Gott (8, 343 f.):

... gelida monstrat [sc. Euandrus] sub rupe Lupercal

Parrhasio dictum Panos de more Lycaei.
 
 

Dieser Tradition folgt auch der seit 30 v.Chr. in Rom lebende Dionysios von Halikarnaß (ant. 1,32, 4 f.), der ebenfalls die am Lupercal ( ) stattfindenden Lupercalia ( , 1,80,1) dem Pan gibt, ohne etwas von Faunus zu sagen (1,32, 5):
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

("Dort [am Lupercal] bauten sie [die Arkader] einen Altar und veranstalteten dem Gott [Pan] das traditionelle Opfer, das die Römer bis zur heutigen Zeit im Februar nach der Wintersonnenwende darbringen, ohne von den damaligen Gepflogenheiten irgend etwas zu verändern."). Und es ist ja auch klar, daß dieser Pan mit Faunus gar nicht identisch sein kann, ist Faunus doch für Dionysios der alte Aboriginerkönig, der Euanders Arkader in Latium aufgenommen und mit Land versorgt hat (ant. 1,31,2): So kann Euander bei ihm die Lupercalia natürlich nur als Pan- nicht als Faunuskult stiften.

In derselben offenbar annalistischen Tradition - denn zu ihr dürfte auch gehören, daß Euander seinen Wohltäter Faunus selbst zum Gott erhebt (spätestens bei Cassius Hemina, s. oben) - , steht schließlich auch noch der augusteische Historiker Pompeius Trogus, der ebenso eindeutig zwischen dem König Faunus und dem Pan der Lupercalia unterscheidet (Just. 43, 1, 6 f.): [...] regnasse Faunum ferunt, sub quo Euander ab Arcadiae urbe Pallanteo in Italiam cum mediocri turba popularium uenit, cui Faunus et agros et montem, quem ille postea Palatium appellauit, benigne adsignauit. in huius radicibus templum Lycaeo, quem Graeci Pana, Romani Lupercum appellant, constituit; ipsum dei simulacrum nudum caprina pelle amictum est, quo habitu nunc Romae Lupercalibus decurritur. Schon diese Bemerkung über die Statue eines, sonst nebelhaften, Gottes Lupercus, der dem griechischen Pan entspreche, aber wie die luperci aussehe, zeigt recht deutlich, daß man sich damals noch durchaus unsicher darüber sein konnte, wer nun eigentlich der - offenbar nicht namentlich genannte - Gott der Lupercalia sei.108 (Auch in unserem Jahrhundert hat es ja Gelehrte gegeben, die sie ursprünglich überhaupt nicht als Götterfest ansehen wollten.109) Im übrigen ist das Alter dieser Herleitung der Lupercalia aus dem Pankult des Euander, die sich recht sicher auch dem Historiker Aelius Tubero, einem Zeitgenossen Ciceros, zuschreiben läßt,110 nicht genau zu fixieren. Während manche Gelehrte sie auf Fabius Pictor zurückführen, was völlig unerweislich ist,111 hat jüngst T.P. Wiseman den im 3. Jahrhundert lebenden Universalgelehrten Eratosthenes als ihren Urheber bestimmen wollen.112 Aber wenn es in dem von ihm angeführten Platonscholion heißt (zu Phaedr. 244 B), daß die Sibylle, die "in der Einsamkeit Italiens ihren Wohnsitz nahm", Mutter des Euander gewesen sei, "der in Rom das Heiligtum des Pan, das sogenannte Lupercal, errichtete", und daß "über sie [!] Eratosthenes schrieb",113 dann ist eben gerade diese Tat des Euander für Eratosthenes nicht zwingend bezeugt. Die relativ sichersten Indizien führen auch hier auf den Religionswissenschaftler Varro,114 der jedenfalls die Luperci mit Pan Lykaios bzw. Zeus Lykaios in Zusammenhang gebracht haben soll (Aug. civ. 18,17): Romanos etiam Lupercos ex illorum mysteriorum ueluti semine dicit exortos.115 Von Faunus kann aber auch er in diesem Zusammenhang nichts gesagt haben; dessen Kult ließ er offenbar nicht mit Euander, sondern erst mit Romulus beginnen (Aug. civ. 4,23 = Varro rer. div. 35 Cardauns).116

Wir sehen also: Die Herleitung der Lupercalia von Euander ist eine zwar häufig bezeugte, aber wahrscheinlich nicht sehr alte religionshistorische Konstruktion. Sie konnte - und das ist der für uns entscheidende Punkt - neben der mutmaßlich älteren Tradition, wonach Euander von Faunus aufgenommen wird und diesen später konsekriert, nur unter der Voraussetzung entstehen, daß man Faunus nicht für identisch mit Pan ansah:117 Denn, wie bemerkt, konnte derselbe Gott ja nicht zugleich in Italien heimisch und aus Arkadien eingeführt sein.118 Dies bestätigt noch nachträglich unsere (ganz anders begründete) These, daß erst Horaz in der Odensammlung von 23 v. Chr. die Gleichsetzung von Pan und Faunus vollzogen hat. Eben durch Horaz waren nun aber gewissermaßen drei Konzeptionen in der Welt, die insgesamt miteinander nicht verträglich waren: (1) Faunus als (postum zum Gott gewordener) Latinerkönig, (2) Pan als Gott der Lupercalia, (3) Faunus als identisch mit Pan. Kompatibel sind hier nur jeweils (1) und (2), (2) und (3); (1) und (3) schließen sich aus. Von den konservativen augusteischen Historikern gibt Livius, der (3) noch nicht kennt, nur (2); die anderen, Pompeius Trogus und Dionysios (dem immerhin eine Wesensähnlichkeit von Pan und Faunus bewußt ist), lassen (3) beiseite und kombinieren, wie vielleicht schon Varro, (1) und (2); ähnlich hält es Vergil. Erst Ovid in seinen wahrscheinlich erst nach der Zeitwende entstandenen Fasti wagt es, den Latinerkönig Faunus (1) prinzipiell ganz aufzugeben und einen mit Pan identifizierten Faunus (3) zum Gott der Lupercalia (2) zu machen.

Freilich haben wir bei diesem Überblick bisher von einem Zeugnis abgesehen, das seit längerem als Hinweis dafür gilt, daß die Lupercalia jedenfalls schon vor Ovid als Faunusfest hätten angesehen werden können.119 Plutarch, in der Romulusvita unsere Hauptquelle für die rituellen Vorgänge bei den Lupercalia, erzählt nach einem gewissen C. Acilius, den man schon ins 2. Jahrhundert v. Chr. datiert (Plut. Rom. 21,9 = Acilius fr. 2 Peter = FGrHist 813 F 2 Jacoby):
 
 
 
 

("C. Acilius aber berichtet, es seien einmal noch vor der Stadtgründung die Herdentiere der Männer um Romulus verschwunden gewesen; da seien diese nach einem Gebet an den Faunus zur Suche nackt losgelaufen, um nicht vom Schweiß behindert zu werden. Und darum seien die Luperci nackt bei ihrem Umlauf.") Wenn in dieser Erzählung, die ja eine Ätiologie für die Lupercalia bzw. den bei diesen stattfindenden Lauf der nackten luperci gibt - und die offenbar in Konkurrenz zur späteren Euanderversion steht120 - von einem Gebet an Faunus die Rede ist, so gilt es dabei zu beachten, daß dieses Gebet hier noch in keinem eigentlich kultischen Zusammenhang steht. Romulus und seine Genossen feiern ja selber keine Lupercalia:121 Sie dürften sich bei ihrer Suche nach den verlorenen Tieren nur der Gunst der lokalen Waldgottheit, die dem Vieh nicht unbedingt wohlwollen muß, versichern; und so liefert auch nur die Nacktheit beim Lauf, nicht etwa das Faunusgebet, das Aition für die Lupercalia,122 die somit von Acilius noch keineswegs als Faunusfest angesehen sein müssen. Bezeichnenderweise hat Ovid, als er diese (von Plutarch nur angedeutete) Geschichte in den Fasti frei nacherzählte, ohne den Versuch, sie mit der vorher berichteten Version von Euanders Panfest völlig auszugleichen,123 die Akzente hier fühlbar anders gesetzt (fast. 2, 361-371):

cornipedi Fauno caesa de more capella

uenit ad exiguas turba uocata dapes,

dumque sacerdotes ueribus transuta salignis

exta parant medias sole tenente uias -

Romulus et frater pastoralisque iuuentus

solibus et campo corpora nuda dabant:124

caestibus et iaculis et misso pondere saxi

bracchia per lusus experienda dabant -

pastor ab excelso: "per deuia rura iuuencos,

Romule, praedones, et Reme," dixit, "agunt".

longum erat armari ...

Zwar begehen Romulus und Remus auch hier noch keine eigentlichen Lupercalia, aber der Lauf, der dann später in den Lupercalia nachvollzogen wird, geht doch schon aus einem Opfer und Opferschmaus für Faunus hervor. So versucht Ovid, auch von seiner römischen Version her, die Lupercalia zum eindeutigen Faunusfest zu machen.

Eine gewisse Unsicherheit bleibt hier freilich, da wir ja doch nicht völlig ausschließen können, daß schon Acilius eine gewisse, vorsichtig gesprochen, Beziehung zwischen Faunus und Lupercalia herstellen wollte und daß er so Ovids endgültige und eindeutige Zuschreibung mitangeregt haben könnte. Festzuhalten aber ist, daß es auf alle Fälle zuerst Ovid war, der, Horazens Interpretation aufgreifend, den als P a n gedeuteten Faunus zum Herrn des Festes gemacht125 und der somit den arkadischen Bocksgott, der in Rom eine junge und bis dahin fast nur literarische Größe war, fest in den offiziellen Staatskult einbezogen hat.126 Denn Ovids Faunus ist ein wirklicher Pan, so echt man ihn nur wünschen kann! Er hat von jenem nicht nur die zwei Bockshörner (fast. 2,268), die ihm Horaz noch nicht gegeben hatte, und eine gewisse Zuständigkeit für das Vieh (V.277 f.) bekommen, sondern vor allem auch eine unbändige Liebesgier, die ihn über seinen bisherigen Freundinnenkreis (Hor. carm. 3,18,1) weit hinaustreibt. Die erste und ausführlichste Faunusgeschichte, die Ovid berichtet, die mißlungene Verführung der von Hercules geliebten Omphale (2, 303-358), überbietet an drolliger Schlüpfrigkeit fast alles, was sich zumindest der Erzähler Ovid sonst geleistet hat (V. 304 antiqui fabula plena ioci127): ein Meisterstück suggestiver und humoristischer Darstellungskunst.

Schon die Transvestitenszene, in der sich die verführerisch gewandete Omphale und der rohe Hercules wechselseitig verkleiden, ist von einer feinen (noch nicht lächerlichen) Pikanterie. Die erwartungsvolle Spannung, hervorgerufen durch die zuvor erwähnte blitzartige erotische Vernarrtheit des Faunus, der in einer kurzen, ouvertureartigen Rede - der ersten und einzigen im ganzen Stück - seinen bisher rustikalen Liebschaften Liebschaften abschwört, um sich in geradezu liebeselegischer Monomanie128 der Einen zuzuwenden (V. 307 f.):

uidit et incaluit, "montana"que "numina", dixit,

"nil mihi uobiscum est: hic meus ardor erit" -

diese Spannung steigt, als sich die beiden Liebenden, aus kultischen Gründen, keusch und getrennt von einander zu Bett legen (V. 327-330). Kühn parodiert hier Ovid Vergils improbe Amor (Aen. 4, 412), das den Bericht von Königin Didos tiefster Liebeserniedrigung eingeleitet hat (V. 331 f.):

noctis erat medium. quid non amor improbus audet!

roscida per tenebras Faunus ad antra uenit.

Nur am Eingang der Höhle kann Faunus noch (bei Sternenlicht, wie man sich wohl vorzustellen hat) die Begleiter der Omphale erkennen (V. 333); vom Moment des Eintritts an bis zum aufklärenden Licht des Verses 352 herrscht völliges Dunkel (wie es ja auch dem meist unsichtbar und nachts agierenden altlatinischen Faunus entspricht); und es kommt zu einer Szene, die, wie wohl kaum eine andere Ovids, auf den fünften, niedrigsten und sozusagen sinnlichsten der Sinne, den tactus, abgestimmt ist129

(335 f.):

intrat et huc illuc temerarius errat adulter

et praefert cautas subsequiturque manus.

Jedoch gerade in diesem Fall trügt der tappende Tastsinn (339 tetigit, 343 tangit): Das struppige Löwenfell, das sich die schöne Omphale angelegt hat, läßt ihn zurückschrecken wie die Schlange den Wanderer; bei den uelamina mollia des Hercules dagegen glaubt er am Ziel seiner unkeuschen Wünsche zu sein (343 f.).. Vielleicht nie sonst hat Ovid so krud die physische Liebesbereitschaft gekennzeichnet und dabei auch noch sinnig an das von Pan übernommene Bockshorn des Faunus erinnert (345 f.):

ascendit spondaque sibi propiore recumbit,

et tumidum cornu durius inguen erat.130

Dem Höhepunkt der Lüsternheit müßte die schmählichste Enttäuschung auf dem Fuße folgen (347 f.):

interea tunicas ora subducit ab ima:

horrebant densis aspera crura pilis.

Aber Ovid retardiert noch einen Augenblick: Der täppische Faunus scheint nicht einmal durch die Berührung des vollbehaarten Hercules in seinem lächerlichen Liebesdrang gebremst zu werden; erst der erwachende Held bringt ihn mit dem Stoß des Ellenbogens zur Räson (349 f.):

cetera temptantem cubito Tirynthius heros

reppulit: e summo decidit ille toro.

Der unrühmliche Sturz aus dem Bett ist das erste Geräusch in der bisher ebenso stummen wie dunklen Szene; mit ihm setzen Wort und Licht - sehr zur Beschämung des lichtscheuen Gottes - wieder ein (351 f.):

fit sonus: inclamat comites et lumina poscit

Maeonis. inlatis ignibus acta patent.

Nie zuvor und nie später war ein Faunus so "faunisch" wie in dieser ersten und ausführlichsten der von Ovid dem Gott gewidmeten Erzählungen. Möglicherweise lag darin auch eine politische Bosheit oder zumindest - denn hier ist Vorsicht geboten - Fahrlässigkeit. Wenn Augustus, wie wir wissen (Suet. Aug. 31,4), die (vielleicht nach Cäsars schmählichem Auftritt vom Jahr 44) nicht mehr gefeierten Lupercalia wiederherstellte, so geschah das, wie besonders Udo Scholz hervorgehoben hat,131 vermutlich auch aus einem bevölkerungspolitischen Motiv: Die Lupercalia, seit langer Zeit ein zumindest auch der weiblichen Fruchtbarkeit geltendes Fest,132 sollten, wie die berühmten Ehegesetze des Jahres 18 v.Chr., dazu beitragen, daß Rom und Italien wieder mit legitimem ehelichem Nachwuchs versorgt würden. Es konnte dann aber wohl kaum im Sinne des Kaisers sein, dieses Fest ausgerechnet einem lüstern amourösen Faunus zu widmen.

Freilich bleibt dieser nicht so. Wie jetzt Hugh C. Parker in einer verdienstvollen Dissertation über griechische Götter in Ovids Fasti133 gezeigt hat, wirkt der italische Boden, den der Gott dank Euander berührt - die Omphaleerzählung spielte ja noch im kleinasiatischen Griechenland -, auf ihn offenbar geradezu veredelnd, so daß er in den folgenden Büchern einen sehr viel gesitteteren und ernsthafteren Eindruck macht. Das hängt allerdings auch mit den Mythen zusammen, die Ovid nunmehr aus der annalistischen bzw. vergilischen Tradition zu schöpfen scheint. Im dritten Buch (285 ff.) erzählt er die (von uns schon öfter berührte) Geschichte aus Valerius Antias, wie Picus und Faunus von König Numa überwältigt und zu religiöser Hilfeleistung genötigt werden: Numa stellt nach Instruktion seiner wahrsagenden Gattin Egeria an die Quelle, wo die beiden Götter ihren Durst zu löschen pflegen, mit Wein gefüllte Becher; als diese, davon betrunken, einschlafen, kann er sie fesseln und so zur Unterstützung zwingen: Zwar weiß Faunus selber nicht, wie man die von Jupiter gesandten Blitze, um deretwillen sich Numa an ihn wendet, entsühnen könnte; aber er kennt - offenbar magische - Formeln und Riten, mit denen man den Göttervater vom Himmel herabziehen und zur Hilfe bewegen kann. Bei der Ausgestaltung dieses beliebten Götterschwankmotivs, das Ovids Lesern zumindest aus Homers Odyssee und Vergils 6. Ekloge bekannt sein dürfte,134 drängt er die burlesken Elemente - also vor allem die, ja auch schon von Horaz attestierte, Alkoholfreudigkeit des Gottes - stark zurück;135 der aus seinem Rausch erwachte gefesselte Faunus ist würdevoll und, schon bevor man ihn losbindet, ehrlich bemüht um Hilfe und guten Rat. So glaubt man es, anders als im ersten Buch, geradezu mit dem vergotteten Latinerkönig Vergils zu tun zu haben, zumal Picus und er von Egeria auch noch ausdrücklich als Romani numen utrumque soli (V. 292) angekündigt werden. Und doch bezeichnet dies - zumindest was Faunus betrifft - offenbar mehr das 'Irdische' seiner Existenz (durch das sich der bescheidene Wald- und Berggott136 von größeren, 'himmlischen' Göttern abhebt) als eine echte Autochthonie, die ja mit seiner Herkunft aus Arkadien durchaus nicht verträglich wäre. Ovid beseitigt jeden möglichen Zweifel an der Identität seines Faunus im dritten Buch, indem er ihm wiederum ausdrücklich die Hörner (des Pan) zuspricht (V. 312): sic Numa, sic quatiens cornua Faunus ait ... So wird denn auch Picus zwar mit ihm zusammen genannt, nicht aber (wie bei Vergil) als sein Vater bezeichnet. Dieser Faunus ist demnach eindeutig kein Latinerkönig, nur ein mittlerweile eingebürgerter und sozusagen mit einem vollen Tropfen römischer grauitas gesalbter Pan.

Im vierten Buch vollends, wo zur Erklärung der Fordicalia das aus Vergil Aeneis bekannte Incubationsorakel in Aktion tritt137 - der weissagende Faunus erteilt König Numa Auskunft, wie die ihren Unmut durch Mißwuchs äußernde Tellus zu versöhnen sei (4,641 ff.) - , fehlen alle humoristischen oder burlesken Züge: Nicht durch ein listig-lustiges Überrumpelungsmanöver, sondern durch genauen Vollzug der vorgesehenen Riten und Opfer wird die Hilfe des Faunus gewonnen;138 und als er mit der Nacht und ihrem schwarzen Traumgefolge erscheint, um, auf weißes Lammfell tretend, sein dunkles Orakel von sich zu geben, ist er ein eher schrecklicher (V. 667 terrore) als lächerlicher Gott. Aber Ovid läßt auch diesmal von Anfang an keinen Zweifel daran, daß wir es immer noch mit dem arkadischen Pan zu tun haben (V. 649 f.):

silua uetus nullaque diu uiolata securi

stabat Maenalio sacra relicta deo.139

Nur das Orakel des Faunus, nicht dessen Herkunft, ist von Vergil übernommen. Und so bleibt es auch sonst in den Fasti: Stets trägt Faunus seine Hörner oder Bocksfüße, sei es, daß ihm Romulus und Remus beim prälupercalischen Schmaus ein Ziegenopfer darbringen (2, 361 cornipedi Fauno, s. oben), sei es, daß im 5. Buch noch einmal die Einführung der ihm gewidmeten Lupercalia erwähnt wird (5, 99 Fauni ... bicornis; 101 semicaper ... Faune). Auch im Pinienkranz erscheint er (3, 84 pinigerum Fauni ... caput). Und man denkt, wie die Kommentare längst bemerkt haben, an eine berühmte Äußerung Theokrits über Pan,140 wenn es im Pariliengebet zur Göttin Pales heißt

(4, 761 f.):

nec Dryadas nec nos uideamus labra Dianae

nec Faunum, medio cum premit arua die.

Wie genau Ovid seine Konzeption durchdacht hat, zeigt, daß er weder hier (wo es nahe läge) noch sonst in den Fasti von einheimischen Fauni, sondern immer nur von dem einen Faunus (der eben Pan vertritt) spricht: Nur in Griechenland kennt er als Verehrer des Bacchus pluralische - nicht Fauni, sondern Panes141 (1, 397 Panes et in Venerem Satyrorum prona iuuentus); auch dort aber gibt es keinen Pan, der nun eben ein für allemal, wie andere griechische Götter, seinen römischen Namen bekommen hat. In all dem sind die Fasti gewissermaßen komplementär zu Vergils Aeneis, die genau das hat, was bei Ovid fehlt: italische Fauni, einen Latinerkönig Faunus und einen von beiden unabhängigen griechischen Pan. Dabei dürfte es kaum Ovids Absicht gewesen sein, sich irgendwie mutwillig oder spielerisch von der Autorität des großen Nationalepikers abzugrenzen und eigene Akzente zu setzen; es wird vielmehr seiner aus der lyrischen Vision des Horaz entsprungenen,142 durch wissenschaftliches Studium vertieften, Überzeugung143 entsprochen haben, daß Vergil hier in der Tat geirrt hat und daß die ganze italische Tradition von Fauni und Faunus nicht auf einen altlatinischen König, sondern auf den aus Griechenland übernommenen Pan zurückgeht.144 Jedenfalls stützt er seine entscheidende Aussage nachdrücklich auf die Autorität der Musen (2, 269 dicite, Pierides ...); und wenn sich der Gott bei ihm im Laufe der Bücher vom faunischen Lüstling der Lupercalia zum gravitätischen Faunus der Fordicalia wandelt, dann könnte das im Sinne Ovids vielleicht sogar eine wirkliche religionshistorische Entwicklung widerspiegeln.

Wie originell Ovid hier war, zeigt sich auch darin, daß er in seinen vor allem der griechischen Mythologie gewidmeten und größtenteils früher verfaßten Metamorphosen die Dinge noch recht anders dargestellt hat. Hier gibt es, trotz der schon in den Heroidenbriefen (s. oben) gelegentlich stattfindenden Gleichsetzung von Faunus und Pan, wiederum einen rein arkadischen Pan, der unter eigenem Namen in zwei ausführlichen, für ihn typischen Geschichten als Verliebter (met. 1,689 ff.: Syrinx) und flötender Musiker (11, 146 ff.: Wettkampf mit Apollo) vorgestellt wird. Dementsprechend wird der von Pan losgelöste Faunus in den Metamorphosen auf seinen ältesten Status als den einer pluralischen Waldgottheit reduziert, wobei diese Fauni allerdings nicht mehr nur in Latium, sondern sozusagen weltweit auftreten können. Jupiter betont seine Fürsorgepflichten für die Fauni wie die anderen auf der Erde ansässigen, später von Ovid auch als plebs superum (Ibis 79) eingestuften "Halbgötter" (met. 1, 192-195):

sunt mihi semidei, sunt, rustica numina, Nymphae

Faunique Satyrique et monticolae Siluani,

quos quoniam caeli nondum dignamur honore,

quas dedimus certe terras habitare sinamus.145

Solche Fauni sind es, die (mit Satyrn und Nymphen) das schaurige Schicksal des Marsyas beklagen (6,392 ruricolae, siluarum numina, Fauni). Einen alten Altar in (lykischen) Wäldern schreibt man vermutungsweise den Nymphen oder einem Faunus zu (6,329 f. Naiadum Faunine foret tamen ara rogabam / indigenaeue dei...); ein (nicht: der) Faunus dürfte auch Vater des schönen Acis in Sizilien sein (13, 750 Acis erat Fauno nymphaque Symaethide cretus ...). Auch hier fehlt, wie in den Fasti, der alte Latinerkönig Faunus.

Von nun an, um es so generell zu sagen, steht es den römischen Dichtern frei, ob sie von Faunus als einem mehr oder minder pluralischen, von Pan verschiedenen Gott im Sinn der Metamorphosen oder nach Deutung der Fasti als von einem aus Griechenland stammenden Pan reden wollen; auch die verschiedensten Zwischenlösungen sind möglich, wobei es überrascht, wie insgesamt traditionell im Sinne der vorhorazischen Auffassung das Faunusbild ausfällt. Wir versuchen, die Zeugnisse ungefähr am Faden der Chronologie zusammenzufassen.

Der Augusteer Grattius unterscheidet im Prooemium seines Lehrgedichts streng konservativ zwischen latinischen Fauni und arkadischem Pan als jeweils auch für die Jagd zuständigen Gottheiten (1,18 f.):

Naides et, Latii<s fera,> Fauni, <numina in agri>s,

Maenaliusque puer ...146

Bei Calpurnius dagegen, dem Bukoliker neronischer Zeit, verfließen meistens, nicht immer, die Grenzen. Einerseits trägt Faunus die Hörner des Pan (1,15 cornigeri ... Fauni) und interessiert sich wie dieser (mit Satyrn, Dryaden und Naiaden) für Lieder der Hirten (2,13) und Flötenmusik (4,60 f., vgl. auch die ebenfalls neronischen Carmina Einsidlensia 1,9 fistula siluicolae munus memorabile Fauni), läßt sich auch von den Hirten als lokaler Gottheit ein Opfer darbringen (5,24 ff.)147 - insoweit ist er also einfach im Sinne der horazisch-ovidischen Neudeutung an die Stelle von Vergils bukolischem Pan getreten -; andererseits wird er jedoch an einer Stelle von dem ähnlichen, aber offenbar noch in Griechenland wohnenden Pan Lycaeus geschieden (4,132-134):

numine Caesareo securior ipse Ly<c>aeus

Pan recolit siluas, et amoena Faunus in umbra

securus recubat ...

Als wahrsagender Gott im alten (ennianisch-varronischen) Sinne ritzt er sogar ein ganzes prophetisches Gedicht in die Baumrinden (1,20 ff.), wobei er - wie wichtig muß es sein, wenn ein Gott sich zum Schreiben versteht!148 - die Wiederkehr eines goldenen, die Herrschaft von Saturn und Numa (!) wiederbringenden Zeitalters verkündet und damit sogar die lesenden Hirten zum förmlichen Enthusiasmus begeistert (89 f.):

...iam dudum uelut ipso numine plenum

me quatit et mixtus subit inter gaudia terror.

Aber sowohl diese Verzückung149 als auch seine Herkunft (V. 33 satus Aethere)150 weisen auch ihn wieder als echten Pan aus. Während also bei Calpurnius, generell gesprochen, Faunus als ein auch in Italien lebender Quasi-Pan aufgefaßt werden kann, vermengt der Bukoliker Nemesianus, der am Anfang der eigentlich spätlateinischen Dichtung steht, zwar den singularischen Faunus so mit dem flötenspielenden Pan, daß ihre Namen ausgetauscht werden können (1,14 iam mea ruricolae dependet fistula Fauno, sc. als Weihegeschenk; vgl. 1,4 f. te calamos inflare labello / Pan docuit ...); die pluralischen Fauni dagegen sind, obschon als musenfreundliche Bauern (1,66 f.) und Hirten (2,72 f.) gedacht, von Pan unterschieden (2,73 Pan doctus, Fauni uates ...; 3,25 f. [im Lied des Pan selber] Nymphae Faunique senes ... / nosque etiam ...).

Von den drei Epikern der frühen Kaiserzeit sind zwei, jeder auf seine Art, Traditionalisten. Valerius Flaccus kennt, gut archaisch, prophezeiende Fauni, die (immerhin in Thessalien) ausnahmsweise sogar bei hellem Licht (manifesto in lumine) auftreten, um von der Argonautenfahrt zu singen (1,104 f.); im Gegensatz zu ihnen verursacht der Waldgott Pan vor allem den panischen Kriegsschrecken (3, 48 Pan nemorum bellique potens ...). Bei Silius Italicus unterstützt ein zu den einheimischen Göttern gerechneter Faunus (9,294 indigetesque dei Faunusque satorque Quirinus) die Römer bei Cannae;151 sonst pflegt er im Plural auf Bergen zu wohnen (5,625 f. monte relicto / Apenninicolae fugere ad litora Fauni) und hat jedenfalls nichts zu tun mit Pan, der an anderer Stelle ausführlich beschrieben wird (13,326 ff.): Auch in dieser Einzelheit ist also Silius ein getreuer Nachfolger Vergils, der ja als einziger der drei Augusteer nur die genuin italischen Fauni und Faunus (ohne Gleichsetzung mit Pan) kennt.

Statius ist vieldeutiger. In der Thebais erwähnt er meist Fauni, die als Waldgötter mit den Dryaden (2,521 f.) bzw. Nymphen (6,95 f.) verehrt werden (vgl. bes. auch Stat. Ach. 1,240, wo schon eine gewisse Musikalität ins Spiel kommt); doch lieben sie auch wie Pan die Rohrflöte (5,582 siluicolae, fracta gemuistis harundine, Fauni) und stellen, in Bocksgestalt, den Nymphen nach (4,695 f. [Rede des Bacchus] ... furta licentum / cornipedum et cupidas Faunorum arcebo rapinas) - ein vereinzelter Beleg dafür, daß die 'faunische' Lüsternheit, die bei Ovid dem einen (mit Pan gleichgesetzten) Faunus vorbehalten war, nunmehr auf die alten, pluralischen Fauni übergeht. Wenn also Eurymedon in Theb. 7,262 f. pastoralia Fauni / arma patris und den (für Pan typischen) Pinienkranz trägt, so wäre kaum zu bestimmen, ob ein Faunus oder Gott Pan sein Vater ist, hieße es nicht später ausdrücklich (11,34): Pan illi genitor.152 So dürfte Entsprechendes auch für Crenaeus gelten, von dem gesagt wird (9,319): gaudebat Fauno nymphaque Ismenide natus.153 Dagegen sind die Fauni der 'Silvae' musikliebende Götter (1,3,99), die, vom lüsternen Pan ausdrücklich unterschieden,154 sogar einmal, bei geringerem Sujet, anstelle Apolls den Dichter - wir denken wiederum an Ennius - inspirieren können (2,3,6 f.):

quid Phoebum tam parua rogem? uos dicite causas

Naides, et faciles, satis est, date carmina, Fauni.155

Auch Martial läßt seine Fauni zwar mit dem offenbar wesensverwandten Pan auftreten, aber scheidet sie doch von diesem: Sie spielen nachts auf der fistula

(9,61,11 f.), er verfolgt die Dryaden (V. 13 f.). Sonst rechnen sie, wie beim Ovid der Metamorphosen, zur plebs deorum, die Jupiter nur ausnahmsweise seiner Gesellschaft würdigt (8,49,3 f., vgl. zum Plural auch 10,92,3 f.). Der als Mann der Dryade Sola genannte Faunus (4,25,3 Antenoreo ... Fauno) dürfte wohl als lokaler, bei Patavium ansässiger, Faunus zu denken sein. Nur in den zeitlich nicht genau bestimmbaren 'Carmina Priapea' erscheint auch ein arkadischer Faunus.156

Eine eher geringere Rolle scheint Faunus bei spätlateinischen Dichtern, von denen wir schon Nemesianus erwähnt haben, zu spielen. Ausonius in der 'Mosella' unterscheidet bei seinem (fast schon auf Arnold Böcklin vorausweisenden) lasziven Spiel männlicher Naturgeister mit den Naiaden bzw. Nymphen und Oreaden (V. 170 ff.) kaum zwischen Satyrn (V. 170 agrestes Satyros, vgl. V. 179; 183), Panes (V. 172 capripedes ... Panas) und lüsternen Fauni (V. 177 lasciuos, paganica numina, Faunos). Eher tut dies offenbar der Christ Prudentius, wenn er über die rustici dei der Heiden spottet (perist. 10, 242 Faunos, Priapos, fistularum praesides ...[= Panas]), und in ähnlichem Zusammenhang, ein Jahrhundert später, Dracontius (Romul. 7,35-37);157 auch Sidonius Apollinaris nennt zwar Pan (carm. 7,33) bzw. Panes (carm. 1,15; 22,37), jeweils im Zusammenhang mit Fauni, setzt sie aber nicht gleich.158

Die Nähe, aber doch auch personale Verschiedenheit, der beiden Götter bezeugt noch einmal besonders eindrucksvoll Rutilius Namatianus. Als er in seinem Reisegedicht zu einem ihm als Castrum Inui vorgestellten Ort kommt (1, 232) und dort vor dem Tor die steinerne Statue eines gehörnten Hirten findet (230 qui pastorali cornua fronte gerit), der offenbar eben diesen Inuus darstellen soll,159 ist er in Zweifel, ob er ihn (mit Livius) als arkadischen Pan oder (mit anderen) als einheimischen Faunus zu deuten hat (1, 233-236):160

seu Pan Tyrrhenis mutauit Maenala siluis,161

siue sinus patrios incola Faunus init,162

dum renouat largo mortalia semina fetu,

fingitur in uenerem pronior esse deus.163

So oder so gilt er ihm jedenfalls als Gott animalischer Fruchtbarkeit; und damit scheint er auch erklären zu wollen, warum an der Statue des Gottes der Liebestrieb offenbar besonders plastisch - wir denken an das Ende der Omphaleerzählung - zum Ausdruck gebracht war.164

Während diese Verse, trotz Trennung der beiden Götter, ohne die horazisch-ovidische Faunustradition kaum denkbar wären, erneuert Roms letzter wahrhaft genialer Dichter, Claudian, noch einmal in amüsantester Erfindung die ganze klassische, vorhorazische Auffassung. Seine bei ihm stets pluralischen Fauni treten zusammen mit den Dryaden (rapt. Pros. 3,381) bzw. Pan und den Dryaden (28, 199 f.) auf; sie werden zwar von den Eroten mit Pfeilen bedroht, als sie neugierig die Grotte der Venus beäugen (carm. min. 25,19 f. ... longeque tuentibus antrum / flammea lasciuis intendunt spicula Faunis), aber dies beweist ja gerade nicht, daß sie schon von Natur aus übertrieben lüstern wären. Zumindest kunstverständig wie Pan sind sie im übrigen nicht, sondern so amusisch wie die Centauren (9,13); und so kann man froh sein, daß sie, mit der sonstigen Götterplebs zu einer Versammlung in den Himmel gebeten, wenigstens beim Anblick der wunderbaren Sternenwelt einmal Ruhe geben (rapt. Pros. 3,17 ... taciti mirantur sidera Fauni).165

Schon diese rasche "tour d' horizon" durch die spätere lateinische Dichtung zeigt uns, daß die Gleichsetzung von Pan und Faunus, wie sie in den Oden des Horaz und Ovids Fasti vorgenommen war, zwar nicht ohne Wirkung blieb, aber doch auch keinen wirklich durchschlagenden Erfolg hatte: Zwar übernimmt, vor allem in der frühen Kaiserzeit, Faunus vielfach Züge des Pan, besonders seine Musikalität und Liebeslust, aber eigentlich kein einziger dieser Dichter (mit Ausnahme eines Unbekannten in den Priapea) spricht konsequent von Faunus, um damit eine einheitliche, auf der Wesensgleichheit von Pan und Faunus beruhende, Gottheit zu bezeichnen.

Dies gilt natürlich erst recht für die Zeugnisse der gelehrten, philologischen oder historisch antiquarischen Prosaliteratur. Die augusteischen Historiker Pompeius Trogus und Dionysios von Halikarnaß unterscheiden, wie gezeigt, zwischen König Faunus und Gott Pan (obwohl zumindest Dionysios von dessen Ähnlichkeit mit dem Waldgott Faunus weiß), ebenso etwa der ältere Plinius.166 Sonst kennen die griechischen Historiker nur König Faunus als Sohn von Picus (Diod. fr. 6,5,2) oder des Mars (Appian. Basil. fr. 1) bzw. Vater des Latinus (Dio Cass. nach Zonar. 7,1).167 Von römischen Historikern erwähnt m.W. nur Ps. Aurelius Victor (orig. 4,6),168 daß einige Faunus für identisch mit Pan halten; im übrigen erzählt er nach Pompeius Trogus die (damit unverträgliche) Geschichte von Euander, der, von Faunus aufgenommen, den Pankult einführt (5, 3). Auch römische Religionswissenschaftler wie die von Lactanz (inst. 1, 22, 9-11) neben Varro zitierten Gavius Bassus (fr. 10 Funaioli) und Sex. Clodius scheinen von einer Identität ihres Faunus mit Pan nichts zu wissen oder nichts zu halten;169 und so behandeln denn die Christen Tertullian,170 Arnobius,171 Lactanz,172 Hieronymus173 und Augustin174 den heidnischen Faunus (als Gott und/oder italischen König, vor allem auch als Mann der Fauna bzw. Fatua) ohne eine Beziehung zu Pan zu erwähnen; gerade auf seine Lüsternheit, die sich zur Polemik doch angeboten hätte, wird auffälligerweise nicht abgehoben. Nicht einmal die Philologen haben sich von der Autorität der durch sie betreuten Dichter sonderlich beeindrucken lassen. Lediglich die Vergilkommentatoren Servius und "Probus" bemerken, daß gewisse Leute Pan wie Faunus mit Inuus gleichsetzen;175 sonst wird die Identität von Pan und Faunus nur gerade punktuell zu Horaz, carm. 1,17 (Ps. Acro, s. oben), nicht einmal zu 3,18, adnotiert.176 Und was Ovids Zuschreibung der Lupercalia an Faunus angeht, bleibt sie im Altertum sogar literarisch ohne jede Wirkung - daß die luperci sie am 15. Februar je berücksichtigt hätten, war wohl ohnehin nicht zu erwarten.

Es gilt zu resümieren. Auch wenn wir noch weit davon entfernt sind, eine wirkliche Geschichte des Gottes Faunus schreiben zu können - eine Aufgabe, für die neben der vergleichenden Religionswissenschaft vor allem ja auch die Tradition der bildenden Kunst, Musik und Literatur bis zur Gegenwart aufzuarbeiten wäre -, lassen sich doch, was das Verhältnis zu Pan betrifft, wenigstens die Hauptlinien der antiken Entwicklung fassen. Faunus, um das mittlerweile Selbstverständliche festzuhalten, war nie eine als interpretatio Graeca allgemein akzeptierte Entsprechung des griechischen Pan. Während es ja in historischer Zeit keinem Schriftsteller mehr freistand, etwa "Hermes" statt Mercurius, "Athene" statt Minerva usw. zu sagen, führt Pan in der lateinischen Literatur seit Lucrez stets unter eigenem Namen ein kraftvolles Leben;177 und auch der latinische Faunus ist in ihm nie (wie etwa die Camenae in den Musen) so aufgegangen, daß er nicht doch eigene Konturen bewahrt hätte. Von den Klassikern hat einzig nur Horaz den Namen Pan ganz gemieden, um den griechischen Gott eben als Faunus völlig einzubürgern; schon bei Ovid ist die Identifizierung auf die Fasti beschränkt. In der Tat waren die beiden Götter ursprünglich nicht gerade auf Konvergenz hin angelegt: Pan war ein kultisch verehrter, bocksgestaltiger Hirtengott, ein Erotiker und Musikant, die zunächst regelmäßig pluralischen Fauni dagegen weissagende Waldgeister, ohne Gestalt und Kult, fast geschlechtslos. Ihre Nähe zu Pan ergab sich fast nur durch den mit diesem gemeinsamen Sitz im Walde (und einer daraus resultierenden Beziehung zum Vieh) und daraus, daß sie mehr zu sehen als zu hören waren, etwas Spukhaftes hatten.

Damit die spätere Identifizierung möglich werden konnte, mußte wohl zunächst Faunus als ein einzelner Gott gefühlt werden. Dazu kam es, wahrscheinlich im Zusammenhang mit dem Kult auf der Tiberinsel, in der Geschichtsschreibung des zweiten Jahrhunderts v. Chr.: Der so nach euhemeristischem Denkmuster erschlossene Faunus war freilich kein Pan, sondern ein altlatinischer König, postum konsekriert, ein Wahrsager und, wohl in späterer Tradition, dann auch ein Zivilisationsbringer und Religionsstifter. So standen am Ende der republikanischen Zeit, bei Varro und sogar noch in Vergils Aeneis, die traditionellen Fauni und ein geschichtlich jüngerer Faunus, der auch kultisch verehrt wurde, ohne rechte Verbindung nebeneinander;178 nur jene, nicht dieser, der wie eine Verkörperung altitalischer Religion erscheint,179 besaßen eine gewisse, von Lukrez und dem jungen Vergil gefühlte, Wesensverwandtschaft mit Pan. Als Religionswissenschaftler die Theorie aufbrachten, die arkadische Panverehrung sei in vorrömischer Zeit über die Lupercalia nach Latium gekommen, dachte zunächst niemand daran, gerade in Faunus den entsprechenden einheimischen Gott zu sehen. Als dieser wäre noch damals eher Silvanus in Frage gekommen.180

Aber es war Faunus, nicht Silvanus, in dem Horaz durch eigenwillige, eigenmächtige interpretatio Graeca den römischen Pan erkannte, und wir können den Grund dafür noch ahnen. Die Waldgötter Fauni waren ja laut Ennius, dessen Zeugnis der gelehrte Varro neu zur Geltung gebracht hatte,181 als uates und neben den uates die ältesten lateinischen Sänger: Dürfte nicht also ein Faunus den Lyriker und uates Horaz in einem Wäldchen seines Sabineranwesens vor dem niederstürzenden Baum gerettet haben? Und wer sonst war dann dieser Faunus als der Waldgott und Musiker Pan, der einst auch den großen Lyriker Pindar geliebt hatte und ein Sohn des Hermes war, dem sich als Mercurius Horaz vielfach verbunden fühlte? Horaz hat seine Rückwendung zu den Göttern, die ihn von der "irrenden Weisheit" Epikurs abbrachte, an das Erlebnis eines, offenbar als Zeichen interpretierten, Donnerschlags geknüpft (carm. 1,34).182 Es könnte das vergleichbare Erlebnis wunderbarer Errettung aus Todesnot gewesen sein, das ihn zum Dichter und Verehrer eines Pan gleichen, um Musik, Vieh und Nymphen bekümmerten Faunus und vielleicht sogar zum Stifter eines eigenen lokalen Faunusfests am 5. Dezember machte.

Was Horaz vielleicht für den Privatkult leistete, das scheint Ovid, obschon er wohl nicht dieselbe persönliche Beziehung zu dem Gott hatte, in gewisser Weise für den Staatskult versucht zu haben. Wenn, wie er sich von Horaz überzeugen ließ, Faunus wesensgleich war mit Pan, dann waren die dem Pan neuerdings mit so einleuchtender Begründung zugeschriebenen altrömischen Lupercalia mit ihrer Indezenz und Ausgelassenheit ein Faunusfest (und Euander, der nach bisheriger Ansicht sowohl Pan eingeführt als auch Faunus konsekriert hatte, erledigte nun, eben durch Stiftung der Lupercalia, sozusagen beides in einem). Den latinischen König Faunus konnte es dann freilich, trotz Vergils Autorität, nicht gegeben haben; aber was man von ihm erzählte, ließ sich wenigstens zum Teil auf einen griechischen Pan, der sich römischer Ernsthaftigkeit angeglichen hatte, umschreiben. Nur in der ersten, schönsten und deftigsten Faunuserzählung in den Fasti durfte der Gott noch einmal, als ebenso liebeslüsterner wie erfolgloser Schwerenöter, ganz Pan sein; dann hatte er sich als orakelnder Mittler zwischen Gott und Mensch dem gesitteten römischen Festkalender einzufügen.

Wir haben gesehen, daß Horaz und Ovid als Faunustheologen bei der unmittelbaren Nachwelt nur beschränkt erfolgreich waren; vor allem Ovids Versuch, auf seinen Pan-Faunus das von König Faunus Tradierte zu übertragen, mußte eigentlich wegen seiner Gewaltsamkeit ein Fehlschlag sein.183 Insgesamt haben sich die späteren Dichter bei allem Respekt für diese beiden Klassiker in der Regel mehr an die traditionellen Fauni, die Prosaiker mehr an den König Faunus Vergils gehalten. Als am Ende der Antike der hochgebildete Bischof Isidor von Sevilla das Wissen des heidnischen Roms zusammenfaßte und sozusagen dem Mittelalter zur Verfügung stellte, gab er ein Bild, das größtenteils etwa der Auffassung Varros, nicht der Ovids, entsprach. Nur im Kapitel über die Musikinstrumente erwähnt er, daß die Hirtenflöte nach Ansicht mancher erfunden sei a Fauno, quem Graeci uocant Pan (orig. 3, 21, 6); bei seiner Darstellung der antiken Religion (orig. 8, 11 De diis gentium) weiß er davon nichts mehr: Seite an Seite stehen da die alten, a fando benannten, wahrsagenden Fauni184 und der, wegen seiner Verdienste, postum vergottete Faunus.185 Pan (der im übrigen allegorisch gedeutet wird) hat hier mit beiden nichts zu tun, entspricht vielmehr Silvanus;186 denn der sogar wörtlich zitierte Faunus des Horaz, Nympharum fugientum amator, gilt dem christlichen Gelehrten nicht als ein Pan, sondern als Incubo, ein unzüchtiger Alptraumdämon187 - würdiger Abschluß eines Compendiums der Heidengötter!

So scheint die große Stunde des horazischen, hier sollten wir besser sagen: ovidischen Faunus wohl erst in der Neuzeit gekommen zu sein. Gegen fast alle Evidenz, möchte man sagen, gelang es ja Ovid, bis heute die Mehrzahl der Religionshistoriker davon zu überzeugen, daß die Lupercalia ein Fest des altlatinischen Faunus gewesen wären (obwohl ihm gerade dies in der Antike niemand geglaubt hatte). Vor allem aber - und das ist natürlich wichtiger - dürfte er es gewesen sein, der besonders durch den Faunus der Lupercalia den eingangs erwähnten modernen Begriff des "faunischen", das heißt: vom Sexualtrieb bestimmten Menschen geprägt hat: Indem die moderne Sprachregelung, offenbar an Ovid anschließend, das Faunische auf die Lüsternheit festlegte,188 blieb für das Panische sozusagen nur noch der Schrecken übrig. Aber wie das im Einzelnen vor sich gegangen ist, was alles dazu beigetragen hat, daß etwa heute in der Münchner Glyptothek ein "Barberinischer Faun", nicht etwa Satyr, seine Männlichkeit schläfrig zur Schau stellt, daß Böcklin, Mallarmé und Debussy ihre erotischen Nachmittagsphantasien einem Faun, nicht einem Pan, gewidmet haben,189 das zu erforschen, bleibt immer noch eine lohnende Aufgabe.190
 
 

Anmerkungen

* Den ersten Anstoß zu dieser Untersuchung gab der Auftrag, in der Rolle des Faunus (zusammen mit einem Nymphenchor des Instituts für Klassische Philologie der Universität München) am 19. Juni 1994 die Eröffnung der Ausstellung "Faune nichts als Faune" der Erwin von Kreibig-Stiftung (Schloß Nymphenburg) zu gestalten; eine Dokumentation der dabei gehaltenen (wissenschaftlich noch unausgereiften) Rede in: Vox Latina 30, 1994, 416 f. Für bibliographische Hinweise danke ich Niklas Holzberg, für sonstige Unterstützung Susanne Börner und Veronika Lukas. Dankbar benutzt habe ich das Zettelmaterial des Thesaurus linguae Latinae.

1 G. Drosdowski (Hg.), Duden: das große Wörterbuch der deutschen Sprache, Bd. 3, Mannheim u.a. 21993, 1046. - Jüngster Zufallsbeleg: In der Einladung zu einem Filmabend des Kulturkreis Gasteig (München) zum 25.4.1997 heißt es: "Keine falsche Geschamigkeit: ein richtiger Filmemacher ist halt ein Faun [...] das Medium ist durch und durch lüstern".

2 Dies gilt auch für die romanischen Sprachen, vgl. Le Robert, Dictionnairehistorique de la langue française, Paris1985, 427 s.v. "faune":"Homme dont l'apparence ou le comportement érotique évoque le faune"; danach "faunin", "faunesque" (bes. viele Belege auch in: Trésor de la langue française, Paris 1980, 688); S. Battaglia, Grande Dizionario della lingua Italiana, Turin 1968 (Ndr. 1972), 740 s.v. "Faunesco", "Faunino", "Fauno" (mit Belegen).

3 Nicht klar hervorgehoben von H.C. Parker, der in Romani numina soli: the transformation of Greek gods in Ovid's 'Fasti', Diss. Univ. of Minnesota 1990, 116-177 (zusammengefaßt in "Romani numen soli: Faunus in Ovid's Fasti", TAPhA 123, 1993, 199-217) die älteren Belege für Faunus gut aufarbeitet, ohne immer energisch genug die nötigen Schlüsse zu ziehen.

4 Vgl. zu ihm bes. (W.H.) Roscher / K. Wernicke, "Pan", in: Roscher (Hg.), Ausführliches Lexikon der griechischen und römischen Mythologie, Bd. III 1, Leipzig 1897-1909, 1347-1481; R. Herbig, Pan, der griechische Bocksgott, Frankfurt 1949; M.P. Nilsson, Geschichte der griechischen Religion, Bd. 1, München (21955) 31967, 235 f.; F. Brommer, "Pan", RE Suppl. VIII (1956) 949-1008; W. Pötscher, "Pan", Kl. Pauly 4 (1972), 444-447; Ph. Borgeaud, Recherches sur le dieu Pan, Rom 1979. Wichtig ist immer noch Roscher, Ephialtes (wie Anm. 5). Zum Nachleben: Th. G. Rosenmeyer, The green cabinet: Theocritus and the European pastoral lyric, Berkeley u.a. 1969, bes. 238-246; P.Merivale, Pan the goat-god: his myth in modern times, Harvard UP 1969; J. Davidson Reid, The Oxford guide to classical mythology in the arts, 1300-1990s, New York / Oxford 1993, Bd. 2, 802-813 (s.v. "Pan", mit Lit.); E.M. Moormann / W. Uitterhoeve, Lexikon der antiken Gestalten (niederl. 1987 / 1989), Stuttgart 1995, 523-525 (mit weiterer Lit.). Zur Lüsternheit Pans s. bes. unten Anm. 72.

5 Vgl. bes. A. Schwegler, Römische Geschichte, 1. Bd., 1 Abth., 2. unveränd. Aufl., Tübingen 1867, 215, 225-228 (chthonischer Gott, wesensidentisch mit Mars-Picus und Saturn), 354-364 ("Euander" griech. Übers. von "Faunus"); A.Bouché-Leclercq, Histoire de la divination dans l' antiquité, Bd. 4, Paris 1882 (Ndr. 1978), 121-127 (Prophetie als wichtigstes Charakteristikum); L. Preller / H. Jordan, Römische Mythologie, Berlin 31881/83, Bd. 1, 379-392 (379: "einer der ältesten und volksthümlichsten Götter Italiens"); G. Wissowa, "Faunus", in: W.H. Roscher (Hg.), Ausführliches Lexikon der griech. und röm. Mythologie, Bd. I 2, Leipzig 1886-1890, 1454-1460; ders., "Silvanus und Genossen, Relief in Florenz" (zuerst 1886), in: G.W., Gesammelte Abhandlungen zur römischen Religions- und Stadtgeschichte, München 1904, 78-94; ders., Religion und Kultus der Römer, München 21912 (Ndr. 1971), 208-213 (sieht F. vor allem [S. 210] als "Schützer und Vermeh(r)er der Herden" und "Schirmherr des ländlichen Lebens"); H. Usener, Götternamen, Bonn 1896, 328-329 (Wesenseinheit mit griech. Phaon); J.A. Hild, "Faunus", in: Daremberg / Saglio, Dict. des ant., Bd. 2, Paris 1896 (Ndr. 1963), 1021-1024 ; W. Warde Fowler, The Roman festivals of the period of the republic, 1899 (Ndr. New York/London 1969), 256-265 (betont Vielgestaltigkeit des ursprünglich pluralischen Gottes); W.H. Roscher, Ephialtes, eine pathologisch-mythologische Abhandlung über die Alpträume und Alpdämonen des klassischen Altertums, Leipzig 1900, bes. 84-89 (84: "ein uralter Dämon der Hirten [Bauern] und Herden"); W. Mannhardt, Wald- und Feldkulte, 2. Aufl. bearb. v. W. Heuschkel, Bd. 2, Berlin 1905, 113-118 (halb ziegengestaltiger Gott der Herden); (W.F.) Otto, "Faunus", RE VI 2 (1909) 2054-2073 (Nähe zu Mars, ursprüngliche Wolfsnatur; vgl. Philologus 72, 1913, 161-195); A.M. Franklin, The Lupercalia, (Diss. Columbia Univ.) New York 1921, bes. 53 ff.; J. Bayet, Les origines de l'Hercule romain, Paris 1926, 164-202 (ursprüngliche Identität mit Euander); F. Altheim, A history of Roman religion, London 1938, 206-217; ders., Römische Religionsgeschichte, Berlin 21956, Bd. 1, 12 ("Wolfsgott Faunus"), Bd. 2, 12; E.C.H. Smits, Faunus, Diss. Leiden 1946 (F. besonders als Nachtmahr, Beziehungen zum Werwolfsglauben); A. Brelich, Tre variazioni romane sul tema delle origini, Rom 1955, 52-74 (Gott des Jahresendes, Zivilisationsbringer); F. Bömer (Hg.), P. Ovidius Naso: Die Fasten, Bd. 2 (Kommentar), Heidelberg 1958, 100 ff. (z.T. nach Altheim); K. Latte, Römische Religionsgeschichte, München 1960, 83 ff. (grundsätzlich nach Wissowa: Wesensverwandtschaft mit Silvanus); G. Radke, Die Götter Altitaliens, Münster 1965, 119-121 (nach Altheim, mit Lit.); G. Dumézil, La religion romaine archaïque, Paris 1966, 338-340; W. Eisenhut, "Faunus", Kl. Pauly 2, 1967, 521 f. (mit Lit.); E. Peruzzi, Aspetti culturali del Lazio primitivo, Florenz 1978 (bes. S. 15-18, 34-39); B. Liou-Gille, Cultes 'heroïques romains': les fondateurs, Paris 1980, 66-83, 189-194 (alter italischer Heros mit eigenständiger Mythologie);P. Baccini Leotardi, "Fauno (Faunus)", Enciclopedia Virgiliana, Bd. 2, Rom 1985, 480-481 (mit Lit.); P. F. Dorcey, The cult of Silvanus: a study in Roman folk religion, Leiden u.a. 1992, 33-40 (gegen Identifizierung mit Silvanus). Ältere Literatur ist zu erschließen über Schwegler und die unten in Anm. 13 genannten Lexikonartikel des 18. und 19. Jahrhunderts. Zum Nachleben s. unten Anm. 190. - Eine Gesamtdeutung auch nur des antiken Gottes Faunus ist so wenig die Absicht dieser auf das Verhältnis zu Pan beschränkten Untersuchung wie eine völlige Ausbreitung des Quellenmaterials (für dessen partielle Ergänzung vorläufig auf die Artikel von Wissowa und Otto und die Dissertation von Smits zu verweisen ist); daß ich Faunus ursprünglich weder für einen Hirtengott noch gar für ein Wolfswesen (vgl. bes. Anm. 17) halten kann, ergibt sich nebenbei.

6 Fast nur J. G. Frazer (im Kommentar zu Ovid, Fasti, Bd. 2, London 1929 [Ndr. 1973], S. 357, zu fast. 2, 271) urteilte: "The identification of Faunus with Pan was natural and almost justifiable"; vgl. immerhin auch Mannhardt (wie Anm. 5), Bd. 2, 127 f. und Roscher, Ephialtes (wie Anm. 5) 89. Die relativ zahlreichsten Belege für die

Gleichsetzung gibt Otto (wie Anm. 5) 2072 (Horaz, Ovid, Calpurnius, Priapea); ganz kritiklos zusammengewürfelt ist die Stellensammlung bei Alföldi (wie unten Anm. 102) 89 Anm. 23.

7 Preller / Jordan (wie Anm. 5), Bd.1, 379

8 H. Le Bonniec, s.v. "Faunus", Lex. der Alten Welt (1965) 953; A. Kießling / R. Heinze (Komm.), Horatius, Oden und Epoden, Berlin 71930 = 131968, 85 (zu carm. 1,17,1); vgl. R.G.M. Nisbet / M. Hubbard zu Hor. carm. 1, 17, 2 (A commentary on Horace Odes I, Oxford 1970, 218): "At an early stage".

9 Wissowa, Religion (wie Anm. 5) 212; ders. in "Faunus" 1454 noch: "seit dem letzten Jahrhundert der Republik"; vgl. auch ders., "Silvanus" 86, wo ein Datum erst zwischen Accius und Vergil angesetzt scheint.

10 H.P. Syndikus, Die Lyrik des Horaz, Bd. 2, Darmstadt 1973, 171. Nach Roscher (wie Anm. 5) 84 f. ginge die Gleichsetzung schon auf die früheste Berührung mit der griechischen Religion zurück (so auch nach vielen älteren Arbeiten); nach Peruzzi (wie Anm. 5) 36 wäre sie sogar vorrömisch (vgl. unten Anm. 103). H.J. Rose / J. Scheid (in Art. "Faunus", Oxford classical dictionary, 31996, 590) wollen sie erst mit der Stiftung des Kults auf der Tiberinsel, 193 (sic) v.Chr., in Zusammenhang bringen (vgl. H.J. Rose, "Two notes on Roman religion", Latomus 8, 1949, 9-17, dort 10), wofür sich immerhin die eigenartige Verbindung mit Jupiter (Vitruv, unten Anm. 12) anführen ließe (zu Pan und Zeus s. Borgeaud [wie Anm. 4] 265, Burkert [wie Anm. 115] 107 f.). Franklin (wie Anm. 5) 56 f. sieht den Ursprung bei alexandrinischen Gelehrten, die auf die römischen Annalisten gewirkt hätten; auch Bayet (wie Anm. 5) 188 denkt an griechische Herkunft. Die entscheidend richtige Feststellung macht schon beiläufig (mit m. E. falscher Schlußfolgerung) W.Richter, "Ziege", RE X A (1972) 398-433, dort 427: "erst bei den augusteischen Dichtern erscheint er [sc. Faunus] als ein römischer Pan".

11 So ausdrücklich M. Grant, Roman myths, London 1971, 47 ("regular policy of equating Greek and native divinities").

12 Liv. 33, 42, 10 (aedem ... Fauni); 34, 53, 4; Vitr. 3, 2, 3 (in aede Iouis et Fauni); vgl. Ov. fast. 2, 193 f.; CIL 2302

13 Warde Fowler (wie Anm. 5) 259 f.; in Zedlers Universallexikon (Bd. 9, 1735, Sp. 318) und Hederich-Schwabes Mythologischem Lexikon (1770, Sp. 1106, 1108) waren nicht ohne Grund noch verschiedene Artikel für Fauni und Faunus angesetzt. Erst in Ersch-Grubers Allgemeiner Enzyklopädie findet sich ein einheitlicher Artikel (1845).

14 Danach bei späteren auch uersus Faunius (GL VI 139,1)

15 Damit will Varro nicht etwa (wie O. Skutsch [Hg.] The Annals of Q. Ennius, Oxford 1985, 372 meint) den Plural Fauni erklären, sondern nur eine präzisierende Erläuterung anhängen (ita ut). Auf die altertümliche, nach dem spätrepublikanischen Grammatiker Gavius Bassus (Lact. inst. 1,22,9) den Frauen weissagende Fauna (Quellenbei Wissowa, Religion [wie Anm. 5] 216; Otto [wie Anm. 5] 2059), die dank Linné der heutigen "Fauna" den Namen gegeben hat, brauche ich für unseren Zweck nicht einzugeben: Als Frau bzw. Schwester oder Tochter (so Varro nach Macrob. sat. 1,12,27) des/eines Faunus gedacht (vgl. das doppelgeschlechtliche Paar Liber - Libera und Latte [wie Anm. 5] 59 f.) gehört sie jedenfalls zu den Pan fremden Zügen. Vgl. unten Anm. 45 und 72.

16 Für die spätere Tradition bes. wichtig Serv. Aen. 7, 47 u.ö., Isid. orig. 8,11,87 (unten Anm. 184); die Etymologie klingt nach etwa bei Calp. ecl. 1,91 facundi ... numina Fauni.

17 Serv. georg. 1,10 (als eine von Servius selbst nicht vertretene Ansicht) quod frugibus faueant (möglicherweise unter dem Eindruck eben dieser Vergilstelle). Zu den antiken Etymologien (Otto [wie Anm. 5] 2057-2059; R. Maltby, A lexicon of ancient Latin etymologies, Leeds 1991, 226 s.v. "Faunus") hat A. v. Blumenthal (Hesychstudien, Stuttgart 1930, 38) eine weitere beigesteuert, die vor allem bei Altheim, Bömer und Radke (jeweils wie Anm. 5, vgl. auch G. Radke, Zur Entwicklung der Gottesvorstellung und der Gottesverehrung in Rom, Darmstadt 1987, 3) Beifall gefunden hat (Faunus als "Tier" bzw. "Würger", "Wolf"); so auch G. Binder, Die Aussetzung des Königskindes: Kyros und Romulus, Meisenheim / Gl. 1964, 81-93 (bes. 82 f.); W.Richter, "Wolf", RE Suppl. XV (1978) 960-987, dort 980; vgl. aber dagegen bereits K. Latte, Gnomon 26, 1954, 18 = Kleine Schriften, München 1968, 202). Einer Wolfsnatur des Faunus widerspricht natürlich schon seine wann auch immer vollzogene Identifikation mit dem bocksgestaltigen Pan (vgl. Alföldi [wie Anm. 102] 89); der heute verbreitete Glaube an diese Vorstellung beruht fast nur auf einer mutmaßlichen Etymologie der von Ovid dem Faunus zugeschriebenen luperci (als "Wolfswesen" u.ä.) sowie dem Auftreten einer Wölfin am lupercal in der Geburtslegende von Romulus und Remus (Dion. Hal. 1,79; Ov. fast. 2,413; etwa nach Liou-Gille [wie Anm. 5] 192 wäre diese als "l'émissaire de Faunus" zu denken); vgl. dagegen jetzt bes. D. Porte, L' étiologie religieuse dans les Fastes d'Ovide, Paris 1985, 413 ff. Vgl. aber auch unten Anm. 115.

18 Ausdrücklich von Prophetie ist allerdings weder bei Varro noch bei Ennius die Rede, doch war dessen Zusammenstellung Fauni uatesque so suggestiv, daß Varros fari später allgemein im Sinn eines Vorhersagens verstanden wurde (Fest. s.v. Saturnus p.432 L., Gavius Bassus bei Lact. inst. 1,22,9; Serv. Aen. 7,47 u.ö.).

19 Die dort gehörte Stimme wird von Dionysios von Halikarnaß (ant. 5, 16) zögernd einem (vgl. unten S. ), von Livius dagegen (2,7,2; danach Val. Max. 1,8,5) einem Silvanus zugeschrieben. Klotz (wie unten Anm. 32) 120 hat die immerhin erwägenswerte Vermutung ausgesprochen, daß bei Fabius Pictor, der gemeinsamen, für griechische Leser bestimmten, Quelle, hier Pan gestanden haben könnte: Er half ja (vgl. unten Anm. 30) den Athenern vor und bei der Schlacht von Marathon. Livius
 
 

hätte dann in der Weise der Älteren (s. unten zu Plautus u.a.) Pan durch Silvanus

ersetzt, der Augusteer Dionysios (vgl. unten S. ) - von Horaz beeinflußt? - schon durch Faunus.

20 Val. Ant. fr. 6 Peter (= Arnob. 5, 1); Ov. fast. 3, 285 ff.; Plut. Numa 15: Die Verbindung von Faunus und Picus könnte aus dem Volksglauben stammen, wonach der Specht (picus Martius, ebenso Arnob. a.O. Picus Martius) die Fauni unterstützt (Plin. nat. 25, 29; vgl. Otto [wie Anm. 5] 2054); die Beziehung zu Jupiter wird durch den gemeinsamen Tempel auf der Tiberinsel (oben Anm. 12) nahegelegt. - Natürlich muß es für möglich gelten, daß schon Lucilius die von Lactanz (inst. 1, 22, 9; inst. epit. 17) und "Probus" (zu georg. 1,10) berichtete Version (vgl. auch Serv. Aen. 3, 359 und Schol. Bob. zu Cic. Planc. 23) gekannt hat, nach der (König) Faunus Stifter einer latinischen, vorrömischen Religionspraxis war (so Otto [wie Anm. 5] 2072, Parker 1990 [wie Anm. 3] 135). Da aber Lactanz nur ausgerechnet unsere Verse zur Illustration anführt, ist ebenso denkbar, daß jene Vorstellung, für die sonst ältere Zeugnisse fehlen, überhaupt erst aus diesem Scherz des Lucilius im Verein mit der bekannten Valerius-Antias-Erzählung herausgesponnen wurde.

21 So zögernd F. Charpin in der Lucilius-Ausgabe, Bd. 2, Paris 1979, 246; entschieden Wissowa, "Silvanus" (wie Anm. 5) 87 Anm. 1 und Parker 1990 (wie Anm. 3) 135.

22 Wahrscheinlich ist hier, obwohl es nicht ganz ausdrücklich gesagt wird, an Alpträume zu denken. Das würde die Fauni, sei es schon durch Identifikation (so etwa Eisenhut [wie Anm.5] 522), sei es durch bloße Konvergenz, in die Nähe von Pan rücken, dessen Funktion als Alpdämon Roscher in seiner berühmten Studie (wie Anm. 5, zu den Pliniuszeugnissen dort 61 Anm. 182: Roscher bezieht sie auf speziell erotische Alpträume) beschrieben hat: Unmittelbare Zeugnisse dafür gibt es zwar erst seit augusteischer Zeit (Roscher 67 ff.), aber vor allem auch der Zusammenhang mit dem "panischen Schrecken" (S. 70) scheint auf einen älteren Zug zu

weisen. Nicht vor dem 4. nachchristlichen Jahrhundert (bei Servius, Hieronymus, Isidor u.a.) findet man eine Gleichsetzung von (meist pluralischem) Faunus bzw. Faunus ficarius mit dem Alpträume bringenden Incubus / Incubo (Smits [wie Anm. 5] 49-55), dem auch Lüsternheit nachgesagt wird. Hier könnten auch griechische Panes einwirken (vgl. bes. Aug. civ. 15, 23 ... Siluanos [vgl. auch civ. 6, 9!] et Panes, quos uulgo incubos uocant, inprobos saepe extitisse mulieribus ...).

23 Vgl. zu diesen und ähnlichen, späteren Zeugnissen (in denen die Fauni unter anderem auch Fatui heißen) Otto (wie Anm. 5) 2059 f. und bes. Smits (wie Anm. 5) 46-77, die einen Zusammenhang zur v. Blumenthal-Altheimschen Etymologie (oben Anm. 17) herzustellen versucht. Der Name des nachts die Pferde plagenden und auszehrenden Fatuus ficarius ist sicher erst für Pelagonius (31, 1) nicht schon für den bei diesem zitierten Cornelius Celsus (so Roscher [wie Anm. 5] 61 u. 73 Anm. 224), bezeugt.

24 nat. 12, 3 quin et Siluanos Faunosque et <diuersarum ?> dearum genera siluis ac [= "wie"] sua numina tamquam e caelo attributa credimus.

25 Höchstwahrscheinlich ein solcher Faunus, nicht der Latinerkönig (an den jetzt S. J. Harrison in der kommentierten Ausgabe von Aen. 10, Oxford 1991, S. 211 denkt), ist der in Aen. 10, 550 f. erwähnte Vater des von der Nymphe Dryope geborenen Tarquitus; etwas anders z.St. Servius, dem pluralische Fauni weniger geläufig sind (vgl. zu georg. 1,11), : ... quidam rusticus ..., non deus; zu 10, 558 etiam hinc apparet Faunum hominem fuisse ...

26 Vgl. die kommentierte Ausg. v. C.A. Rapisarda (Bologna 1991) z. St. (S. 130 f.).

27 5, 21, 7 'tibi' inquit 'habeas auctoritates istas ex Faunorum et Aboriginum saeculo repetitas ...'; 16, 10, 7 ius Faunorum et Aboriginum. Denken ließe sich allenfalls auch an den in scherzhaftem Plural gebrauchten Latiner- bzw. Aboriginerkönig Faunus.

28 Zuerst m.W. Christian G. Heyne in der Vergilausgabe, Bd. 3, Leipzig 21787, 152 (5. Exkurs zum 7. Buch): "Hoc numen [sc. Faunum] Romani de Pane Graecorum interpretati sunt: inde etiam Faunos (v. Aen. VIII, 34) ad morem Panum et Satyrorum produxerunt." Ebenso dann etwa Wissowa (wie Anm. 5), "Faunus" 1454 und ders., Religion 212; zuletzt Eisenhut (wie Anm. 5) 522 und Baccini Leotardi (wie Anm. 5) 481. Dagegen schon Warde Fowler (vgl. oben Anm. 13) und, vorsichtiger, Otto (wie Anm. 5) 2060.

29 Immerhin erwähnt Nilsson (wie Anm. 4) Bd. 2, 104: "das erloschene Orakel des Pan in Lykosura"; und nach Apollodor (bibl. 1, 4, 1) soll Apollon die Mantik von Pan gelernt haben. Weitere Hinweise bei Borgeaud (wie Anm. 4) 164 f.

30 Berühmt ist die nur stimmliche Panerscheinung, die den Athenern vor der Schlacht von Marathon Schutz versprach (Herodot 6, 105 f. u.a.); vgl. Brommer (wie Anm. 4) 954 f. und Borgeaud (wie Anm. 5) 195 ff.

31 Erst seit dem 5. Jahrhundert gibt es literarische Belege für mehrere "Panes": zwei P. bei Aischylos fr. 25b Radt = 35 N.; dann Aristoph. Eccl. 1069 (generalisierender Plural), Plato leg. 7, 815 C (mit Nymphen, Satyrn, Silenen); seit derselben Zeit auch bildliche Darstellungen; vgl. Brommer (wie Anm. 4) 957-960, Borgeaud (wie Anm. 4) 75. Nur Nilsson (wie Anm. 4) 236 meinte überraschenderweise, daß auch bei Pan die Mehrzahl ursprünglich sei: Er "wurde zum Einzelgott, weil er im Gegensatz zu Satyrn und Silenen einen Kult hatte". Eher ist doch plausibel, daß er einen Kult hatte, weil er eben Einzelgott war, und daß die ihm ähnlichen Satyrn und Silenen auch seine Vervielfachung nach sich gezogen haben.

32 "Silvanus" (wie Anm. 5) 82; (A.) Klotz, "Silvanus", RE III A 1 (1927), 117-125, dort Sp. 119, vgl. jetzt bes. Dorcey (wie Anm. 5) 40-42, mit Hinweis auf gelegentliche spätere Belege für die Gleichsetzung von Silvanus und Pan.

33 Unrichtig ist der Hinweis bei Wissowa, Religion (wie Anm. 5) 215 auf Stat. Theb. 6,111.

34 Vgl. zu ihm jetzt bes. E. Simon, Die Götter der Römer, München 1990, s.v. "Silvanus", 200-205 und die vorzügliche Arbeit von Dorcey (wie Anm. 5).

35 Wissowa, Religion (wie Anm. 5) 212 f.; die wenigen erhaltenen Faunus-Inschriften hat Dorcey (wie Anm. 5) 34 mit Anm. 4 zusammengestellt. Dort ist auch hingewiesen auf den überraschenden Fund des "Schatzes von Thetford", der u.a. zwölf Silberlöffel mit dem Namen Faunus enthielt. Nach den Bearbeitern C. Johns und T. Potter (The Thetford treasure: Roman jewellery and silber, London 1983, dort 11; vgl. dies., Roman Britain, Berkeley/Los Angeles 1993, 165 f.) wurden sie gegen Ende des 4. Jahrhunderts in Gallien hergestellt; sie wollen aus den Zeugnissen bei Arnobius schließen, daß es noch bis ins 4. Jahrhundert kultische Verehrung des Faunus gegeben habe (S. 49-52: "The cult of Faunus", dort 51). Dies ist an sich zwar nicht zwingend, doch spricht immerhin Prob. Verg. georg. 1,10 von einem Kult: ... ei in Italia quidam annuum sacrum celebrant, quidam menstruum.

36 Vgl. W. Speyer, "Das Hören einer göttlichen Stimme: zur Offenbarung und zu Heiligen Schriften im frühen Rom" (zuerst 1994), in: W.S., Religionsgeschichtliche Studien, Hildesheim u.a. 1995, 75-95 (dort bes. 88-90 zu Faunus/Fauni); vgl. auch dessen Artikel "Himmelsstimme", RLAC 15, 1991, 286-303 (bes. 291).

37 Gegen die frühere Zuschreibung (durch Reifferscheid, von Sacken, Wissowa u.a.; vgl. auch A. Milchhoefer, Jahrbücher des Vereins von Alterthumsfreunden im Rheinlande 90, 1891, 1-12) bestimmter römischer Bronzestatuetten an Faunus (zuletzt im Art. "Fauno" der Enciclopedia Virgiliana [wie Anm. 5]): P. Pouthier / P. Rouillard, "Faunus ou l' iconographie impossible", BCH Suppl. 14, Paris 1986, 105-109. Wissowa selbst hatte seiner früheren Identifikation widersprochen in "Silvanus" (wie Anm. 5) 93; die Archäologin Erika Simon hat Faunus jetzt aus ihrem schönen Buch über die römischen Götter (oben Anm. 34) ganz herauslassen müssen.

38 So zuletzt etwa D. Sabbatucci, La religione di Roma anticadal calendario festivo all' ordine cosmico, Mailand 1988, 44: Seine Ansicht, daß die plebeischen Ädilen als Ausdruck popularer Opposition in Faunus die Verehrung eines den "furore estatico e la sessualità sfrenata" (S.46) verkörpernden "anti-Giove" hätten fördern wollen, klingt nicht nur wegen der falschen Datierung (S.44: 296 v.Chr., S.46: am Anfang des 3. Jahrhunderts) etwas phantastisch.

39 Mit Verstößen ähnlicher Art rechnete auch schon John Briscoe im Kommentar z. St. (A comm. on Livy XXXI - XXXIII, Oxford 1973, S. 330).

40 Selbstverständlich ist die Möglichkeit nicht auszuschließen, daß dies von Anfang an der Fall war. Die Bußgelder gerade der pecuarii, die auch sonst für öffentliche Bauten in Anspruch genommen wurden (vgl. Frazer [wie Anm. 6] S. 321; abwegig darum Parker 1990 [wie Anm. 3] 122), wären dann rein zufällig.

41

Da hier die Lupercalia nicht gemeint sein können (s. unten), muß Dionysios doch wohl an den Faunus der Tiberinsel denken, diesen also für identisch mit dem König Faunus halten (anders urteilt offenbar Parker 1990 [wie Anm. 3] 121). Zu einer weiteren Vermutung s. unten Anm. 83.

42 So auch sonst in der Regel die Genealogie. Nach Appian, reg. fr. 1 ist er freilich Sohn des Mars; und so versteht man durchweg auch Dion. Hal. 1, 31, 2

was sich aber doch auch damit vertrüge, daß sein Vater Picus Sohn oder Nachkomme des Mars wäre. Zu "Derkyllos" s. unten Anm. 167.

43 Die Existenz eines solchen Orakels, verworfen von Richard Heinze (Virgils epische Technik, Leipzig/Berlin 31915, 176 A. 2), wurde wieder erwogen von H. Boas, Aeneas' arrival in Latium, Amsterdam 1938, 178-194, bes. 192; entschieden in diesem Sinn Liou-Gille (wie Anm. 5) 79 f.; dagegen gut H. R. Steiner, Der Traum in der Aeneis, Bern / Stuttgart 1952, 59-62. Sonderbarerweise glaubte Wissowa, "Silvanus" (wie Anm. 5) 86, daß gerade Vergil "die Gleichung Pan = Faunus bereits bekannt" sei; sonst könne Faunus nicht mit Nymphen Söhne zeugen wie Latinus (Aen. 7,47) und Tarquitus (10,551; dazu oben Anm. 25). Auch V.J.Rosivach ("Latinus' genealogy and the palace of Picus [Aeneid 7.45-9, 170-91]", CQ N.S. 30, 1980, 140-152, dort 141) hält Vergils Faunus für identisch mit Pan.

44 Vergil selbst weist auf den Zusammenhang hin, wenn er die Formulierung des Ennius Fauni uatesque canebant nachklingen läßt in Aen. 12, 28 ... diuique hominesque canebant, womit, wie Servius z.St. richtig bemerkt, Faunus (7, 81 ff.) und die uates (7, 68 ff.) gemeint sind.- Das Zeugnis Varros über Fauni (ling. 7, 36) wird (mit Enniuszitat) von Ps. Aurelius Victor auf (Vergils) König bzw. Gott Faunus bezogen (orig. 4, 4): post Picum regnauit in Italia Faunus, quem a fando dictum uolunt, quod is solet futura praecinereuersibus quos Saturnios dicimus ... eius rei Ennius testis est, cum ait: uersibus quos olim Fauni uatesque canebant. Dies kann schwerlich im Sinne Varros selber sein, da dieser den Vers ja auf die pluralischen di Latinorum bezogen hat

45 Serv. Aen. 8, 275 = Varro rer. div. fr. 32 Cardauns: Varro dicit deos ... alios esse priuatos, alios communes. priuatos quos unaquaeque gens colit, ut nos Faunum ... Auch dies läßt sich m. E., wie das Zeugnis des Dionysios (oben Anm. 41), nur auf den Gott der Tiberinsel beziehen: König Faunus kann also nicht nur dank einer "rationalisierende(n) Pseudohistorie" (Wissowa, Religion [wie Anm. 5] 212) literarisch existiert, sondern muß irgendwann seinen Platz auch im Kult gewonnen haben.- Im übrigen scheint Varro, wenn Tert. nat. 2, 9, 21 zu Recht auf ihn zurückgeführt wird, Faunus den prophetischen Wahnsinn zugesprochen zu haben (s. unten Anm. 170). Jedenfalls galt er ihm als Vater der Fauna (Macrob. sat. 1, 12, 27 u.a. = Varro rer. div. 218 Cardauns), die also, wie Faunus selber, für ihn nicht nur eine der pluralischen Latinergottheiten im Sinne von ling. 7, 36, sondern eine quasihistorische Einzelpersönlichkeit war.

46 Gegen Peter haben (G.) Wissowa, RE III 2 (1899), 2555 f. und (C.) Cichorius, RE a.O. 2556 f. das Fragment dem jüngeren (spätrepublikanischen Grammatiker) Cincius zugesprochen, ohne damit auf ausdrücklichen Widerspruch zu stoßen (zustimmend auch M. Gelzer [zuerst 1954], Kleine Schriften, Bd. 3, Wiesbaden 1964, 107) - das Fragment fehlt jedoch in Funaiolis Sammlung der Grammatikerfrag-

mente - ; aber die Verbindung mit Cassius (Hemina) läßt vielleicht doch eher an den alten Annalisten denken. So übrigens auch M. v. Albrecht, Geschichte der röm. Lit., München u.a. 21994, 302 und Liou-Gille (wie Anm. 5) 77.

47 Vgl. F. Leo, Gesch. d. röm. Lit., Bd. 1, Berlin 1913, 329: "da zeigt sich die Wirkung von Ennius' Euhemerus" (mit Bezug nur auf Cassius Hemina). Der Wortlaut (vgl. Vell. Pat. 2, 126, 1 non appellauit eum, sed fecit deum) könnte allerdings auch daran denken lassen, daß Euander nur eine wirkliche Göttlichkeit des Faunus zuerst in Worte gefaßt hat.

48 Unverständlich bleibt (wenn hier nicht etwa eine Textlücke anzusetzen ist), wieso der eine Faunus den Namen für sämtliche Tempel abgegeben haben soll (was dagegen sinnvoll ist, wenn, wie bei Prob.Verg. georg. 1,10 berichtet, Faunus selbst als erster Tempel gestiftet hat). Vielleicht läßt sich der Text auch ganz anders, d.h. in dem Sinne verstehen, daß Euander zuerst für Gott (deus) "faunus" gesagt (ab Euandro 'faunum' deum appellatum) und darunter dann alle einheimischen Götter verstanden hätte. Dagegen spricht jedoch entschieden die Wortstellung.

49 Die Ansicht, daß der Aboriginerkönig Faunus der ursprüngliche gewesen sei, vertritt, wenn auch ohne explizite Auseinandersetzung mit der üblichen Auffassung (gut begründet etwa durch Rose [wie unten Anm. 103] 314), Peruzzi (wie Anm. 5), bes. 36 ff.; ähnlich auch Liou-Gille (wie Anm. 5, zusammenfassend S. 83 f. ), die ihn zugleich für den Repräsentanten einer noch unzivilisierten Gesellschaft und für den Bringer der Zivilisation hält (S. 193). Dann ist aber nicht zu erklären, wie sich seine Identifikation gerade mit dem Hirtengott Pan, die Peruzzi in älteste Zeiten setzt (vgl. unten Anm.103), vollzogen haben soll: Peruzzi erklärt sie aus rein phonetischer Ähnlichkeit! Aber an sich wäre selbstverständlich denkbar, daß die Vorstellung von König und Gott Faunus, dessen Verehrung Varro immerhin schon auf Romulus zurückführte (unten S. mit Anm. 116), lange Zeit neben dem Glauben an Fauni bestanden hat.

50 Pan war (nach Lactanz, inst. 1, 11, 62) immerhin schon in der Euhemeros-Übersetzung des Ennius aufgetreten; nach Lucrez nennt ihn Cicero nat. deor. 3, 56 als Sohn von Hermes und Penelope (3, 43 Panisci).

51 Nicht glauben kann ich, daß dieses Spiel der an sich urbanen Instrumente Kithara und Aulos (nicht etwa Hirtenflöte!) sich auf eine Musik der Fauni beziehen soll (so aber W.E. Leonard u. S.B. Smith im Komm. z. St. [Madison 1942, S. 576] ); und dies wird auch syntaktisch nicht nahegelegt, da der Satz ja kaum von adfirmant (V. 583) abhängig sein kann - sonst wären die chordarum soni ein Ergebnis des noctiuagus strepitus - , sondern direkt mit locuntur (V. 581) zu verbinden ist. Von der Sache her ist am ehesten an eine Musikbegleitung undeutlichen Ursprungs zum Nymphen- und Satyrtanz zu denken; vgl. die frappante Parallele Hor. carm. 1, 1, 30-34 me gelidum nemus / Nympharumque leues cum Satyris chori / secernunt populo, si neque tibias / Euterpe cohibet nec Polyhymnia / Lesboum refugit tendere barbiton (wodurch nebenbei auch der an dieser Stelle angefochtene Text des Horaz [vgl. D.R. Shackleton Bailey, Teubnerausg. Stuttgart 1985] bestätigt wird).

52 Zu beachten ist die "abbildende Wortstellung" in V. 587 und überhaupt in den Versen 586-588 das dekorative Spiel mit der Attribut-Substantiv-Sperrung - sonst daals bei Catull üblich -; die Verse klingen nicht zufällig am Anfang und Ende von Vergils ganz auf solche Euphonie gestimmten Bucolica (ecl. 1, 2; 10, 24 f.) nach.

53 Nach Servius (zu V. 11) wurde diese Ekloge - ich nehme an: in einer Urfassung, ohne die Verse 1-12 - noch zu Lebzeiten Ciceros von Cytheris im Theater gesungen (was gut zu den Versen 64 ff. paßt). Zu denken ist dabei dann an eine tänzerische Darbietung: ecl. 6 mag zunächst auch als Pantomimenlibretto gedacht gewesen sein.

54 Unrichtig Rosenmeyer (wie Anm. 4) 237

55 Die Nennung Pans (beginnend mit den hymnenartigen Versen 2, 31-33; vgl. R. Kettemann, Bukolik und Georgik: Studien zu ihrer Affinität bei Vergil und später, Heidelberg 1977, 56-62) paßt zu Vergils Hirten, die durchweg Griechen oder sogar Arkader sind (ecl. 7, 4 Arcades ambo, was nicht, mit W. Clausen, Kommentar, Oxford 1994, S. 216, "metaphorisch" zu verstehen ist), an zwei Stellen auch (vgl. ecl. 2, 21; 10,15) im griechischen Sprachgebiet leben (vgl. schon J. H. Voss [Hg.], Des P. Virg. M. ländliche Gedichte, Bd. 1, Altona 1797, S. 302, zu ecl. 6, 27). Vergil dürfte hier die realen Verhältnisse widerspiegeln: Die Vorstellung und wohl auch Verehrung von Pan mag in Italien vor allem durch griechische Hirtensklaven verbreitet worden sein. Interessant ist in diesem Zusammenhang, daß Horaz gerade dort, wo er von der Verehrung musizierender Hirten für Pan spricht, diesen nicht wie sonst (s. unten) mit Faunus gleichsetzt, sondern den Namen ausspart (carm. 4,12,11 f. delectantque deum cui pecus et nigri / colles Arcadiae placent).

56 Erklärt von "Probus" z.St.: ... praesentes [sc. Fauni] idcirco, quod rusticis persuasum est incolentibus eam partem Italiae, quae suburbana est, saepe eos in agris conspici (etwas anders der Servius auctus: ... quoniam dicuntur usque ad ea tempora quibus fuit Faunus ... uisa esse numina). Dies dürfte im Rahmen der sonstigen Vorstellung richtiger sein als die heute übliche (schon bei Servius angedeutete) Erklärung von "helfenden" Göttern.

57 J. Conington und H. Nettleship im Komm. z. St. (London 51898, Ndr. 1963) verstanden dies wegen Hor. carm. 2, 12, 17 (ferre pedem ... choris) hier geradewegs von einem Tanz, wie er in ecl. 6, 27 ausgedrückt ist und vielleicht schon bei Lucr. 4, 580 (vgl. oben Anm. 51) vorschwebt. An sich ist Liebe zum Tanz für Pan charakteristisch (vgl. Borgeaud [wie Anm. 4] 218-220).

58 Vgl. den treffenden Hinweis von R.F. Thomas in Komm. z.St. (Cambridge u.a. 1988, S. 70) auf 3, 40 interea Dryadum siluas saltusque sequamur ("referring to the subject of the third book"). Anders wollte W. Richter (Komm., München 1957, S. 117) bei Fauni und Dryades nur an die Baumzucht (von Buch II) denken, aber gerade sie paßt zu beiden nicht recht; vgl. auch W. Steidle, in: Serta philologica Aenipontana 1962, 313 (= W. St., Ausgewählte Aufsätze, Amsterdam 1987, 117).

59 Vg. V. 7 uestro ... munere, wonach munera auch hier irgendein Verdienst bezeichnen sollte; sonstige ähnliche munera der Götter bei Lumpe, ThlL VIII 1664, 35-59.

60 Der Pan der Bucolica ist zwar auch in Italien bekannt (vgl. oben Anm.55), kommt aber nicht persönlich dorthin: Um ihn zu sehen (ecl. 10, 26), geht 'Vergil' nach Arkadien (ecl. 10, 14 ff.).

61 Vgl. zu Vergil (insgesamt) neben dem Artikel der Enciclopedia Virgiliana (wie Anm. 5) bes. auch C. Bailey, Religion in Virgil, Oxford 1935, 35-37, 144-147, der (m.E. zu Unrecht) glaubt, daß Pan und Faunus bei Vergil zumindest in Bezug auf ihre landwirtschaftlichen Funktionen nicht unterschieden würden. Für die Georgica sei noch erwähnt, daß Vergil einmal auf eine Liebesgeschichte von Pan, nicht Faunus, anspielt (3, 391-393).

62 Keine Rolle spielt Faunus bei den Elegikern vor Ovid. Tibull spricht von einem vorrömischen Kult des Pan, nicht des Faunus (2,5,27), wobei er an die Theorie, daß Euander Pan nach Latium gebracht habe, denken dürfte (s. unten). Properz erwähnt ebenfalls Pan, nicht Faunus, als musischen (3,3,30) und jagenden (3,13,45) Gott; die Panes, mit Hirtenflöte, erscheinen im Gefolge des Bacchus (3,17,34). Nach schlechter Überlieferung wäre in 4,2,32 f. Faunus als Gott der Vogeljagd dem Pan angenähert (... harundine sumpta / Faunus plumoso sum deus aucupio); aber wahrscheinlich ist mit P. Fedeli (Teubnerausg., Stuttgart 1984) u.a. fautor zu lesen.

63 So schon Nisbet/Hubbard a.O. (wie oben Anm. 8).

64 Genau in der Mitte des Gedichts, die durch ein von M.O. Lee ("Horace, Odes 1.4: a sonic circle", CQ 59, 1965, 286-288) nachgewiesenes symmetrisches Klangmuster hervorgehoben wird.

65 Eventuell könnte auch hier schon an einen besonders von griechischen Hirten verehrten Pan gedacht sein; vgl. die Frühlingsode 4,12,11 f. (und oben Anm. 55). Das Lamm bzw. Schaf scheint für ihn das übliche Opfertier (s. Borgeaud [wie Anm. 4] 243, unter Beziehung auf Menander, Dysk. 393 ff.); in Athen wurde ihm ein Bock geopfert (Lukian, Bis acc. 10; Borgeaud 231 f.).

66 Abwegig ist der Gedanke von Ch. L. Babcock ("The role of Faunus in Horace, Carmina 1.4", TAPhA 92, 1961, 13-19), Faunus sei hier vor allem Prophet und die Verse 13 f. (pallida mors ...) müßten als "response of the oracular Faunus to the sacrificant of 11-12" (a.O. 17) verstanden werden.Vgl. dagegen auch T. Oksala, Religion und Mythologie bei Horaz, Helsinki 1973, 74 f., der Faunus zu Recht als "Gott der frühlingshaften Natur" deutet, sonderbarerweise aber den Gedanken "der vom Frühling gebrachten dichterischen Inspiration" hereinbringt.

67 Der Zeitpunkt, der sich aus dem "Föhn" in V. 1 ergibt (grata uice ueris et Fauoni; vgl. W. Barr, "Horace, Odes 1.4", CR 76, 1962, 5-11) deckt sich ungefähr mit dem des am 13. Februar stattfindenden staatlichen Opfers für Faunus (der mit Fauonius volksetymologisch verbunden sein könnte); vgl. Otto, "Faunus" (wie Anm. 5) 2057. Hier handelt es sich um ein privates Opfer, das sonst nicht bezeugt ist, aber von Horaz tatsächlich praktiziert worden sein mag (vgl. unten). Vgl. Parker 1990 (wie Anm. 3) 131.

68 In einer diffizilen Neudeutung des Gedichts hat Ernst A. Schmidt ("Das horazische Sabinum als Dichterlandschaft", A & A 23, 1977, 97-112) zeigen wollen, daß nicht Faunus (wie seit Porphyrio zu V. 10 angenommen), sondern Horaz selbst auf der fistula spiele (dies immerhin auch schon A.W.J. Holleman, "Horace and Faunus: portrait of a 'nympharum fugientum amator' ", AC 41, 1972, 563-572, dort 566; vgl. auch G.L. Hendrickson CPh 26, 1931, 9), ja das ganze Gedicht ein auf diesem Instrument erklingendes Liebeslied für Tyndaris sei. Nur so verstehe man, "warum Faunus oft mit dem Lykaios den Lucretilis vertauscht" (S. 99). Hierauf geben aber zunächst die V. 13 f. die Antwort (di me tuentur, dis pietas mea / et musa cordi est); und wenn Schmidt dagegen fragt, "warum er [sc. Faunus] dann 'oft' ('saepe') kommt, nicht immer da ist", muß man daran erinnern, daß Arkadien sozusagen immer noch sein erster Wohnsitz ist, wie der Gott auch noch unter dem Namen Faunus eben Pan bleibt (irreführend ist, bes. auch wegen carm. 4,12,11 f., Schmidt, a.O. 102: "Zu Pan hat Horaz kein Verhältnis"). Schmidts Deutung, wonach Faunus wegen Horazens Lied zu dessen Grundstück komme, um dann, weil er schon einmal da ist, "seinen Segen und seinen Schutz" zu gewähren (S. 100), widerspricht dem sukzessiven Leseverständnis und scheint mir unnötig mühsam. Der Leser, der wegen der ersten Strophe auch die zweite auf das Wirken des Gottes bezogen hat, wird dann, wenn er liest, daß diese Wirkung mit einer fistula zusammenhängt (V. 10), diese doch als fistula des Gottes (der schon bei Lukrez und Vergil auf ihr spielt; zum literarischen Motiv der von der Flöte des Pan widerklingenden Berge s. Borgeaud [wie Anm. 4] 144 f.) verstehen, nicht als die fistula des Horaz, der den Gott allererst herbeigelockt hätte (anders jetzt z.St. H. Krasser, Horazische Denkfiguren: Theophilie und Theophanie als Medium der poetischen Selbstdarstellung des Odendichters, Göttingen 1996, 72 f.). Daß dem Horaz schon als Lyriker keine fistula zukommt, sieht Schmidt z.T. selber, glaubt aber den Einwand durch Hinweis auf carm. 1, 1, 32 (si neque tibias / Euterpe cohibet) entkräften zu können. Aber unmöglich kann die der vornehmen Lyrik zugeordnete tibia, ein Rohrblattinstrument (in Art der Oboe), mit der primitiven Hirtenflöte gleichgesetzt werden. So kann man schließlich auch der These von Schmidt, daß Horaz darum Faunus statt Pan sage, weil "der italische Faunus nicht von vornherein wie der arkadische Pan ein musizierender Gott" ist (S. 102) - was an sich völlig richtig ist -, nicht zustimmen.

69 Der Schutz gerade vor Wölfen ist sachlich geboten und durch die Erwähnung des Lycaeus sprachlich nahegelegt (nach Aelian. nat. an. 11,6 war Pans Wohnung auf dem Lykaios eine Zufluchtstätte für vom Wolf bedrohte Tiere); eine direkte Anspielung auf luperci und Lupercalia, wie von Kießling/Heinze (wie Anm. 8) auch für V. 1 erwogen (vgl. auch Schmidt [wie Anm. 68] 101, Oksala [wie Anm. 66] 72), scheint mir auch aus den unten genannten Gründen nicht gegeben. Doch ist andererseits auch klar, daß die zuerst bei Livius 1,5,2 (s. unten S. ) bezeugte Theorie, wonach Euander den Kult des Pan Lykaios nach Italien gebracht habe, die Phantasie des Horaz an dieser Stelle mitangeregt haben könnte.

70 Mercur ist wegen Erfindung der Lyra (carm. 1, 10, 5; vgl. 3, 11, 1) Schutzpatron des Lyrikers Horaz, steht ihm aber auch sonst nahe (vgl. Oksala [wie Anm. 66] 61-67; Chr. Neumeister, "Horaz und Merkur", A&A 22, 1976, 185-194; anders L. Voit, "Horaz - Merkur - Augustus [zu Horaz c. II 17 . I 10. I 2]", Gymnasium 89, 1982, 479-496). Der uates-Charakter der Fauni macht sie auch insofern dem Pan ähnlich, als dieser die Fähigkeit hat, Menschen in den Zustand der Verzückung zu versetzen. Vgl. unten Anm. 98.

71 Mercur rettet ihn bei Philippi (carm. 2, 7, 13), die Musen bei Philippi und Palinurus sowie vor dem Baum (3, 4, 25-28), Liber nur vor dem Baum (3, 8, 7 f.). Aus der Divergenz ergibt sich, daß sich Horaz über die Identität der rettenden Gottheit nicht ebenso klar ist wie über den Grund für die Rettung: Alle drei Gottheiten haben mit Poesie bzw. Lyrik zu tun; vgl. etwa in der Faunusode 1, 17, 13 f. di me tuentur, dis pietas mea / et musa cordi est. Weiteres Vergleichbares bei E. Zinn, "Erlebnis und Dichtung bei Horaz", in: H. Oppermann (Hg.), Wege zu Horaz, Darmstadt 1972, 369-388 (bes. 377) und ders., a.O. (zuerst 1961) 225-257; vgl. bes. 247 Anm. 37: glänzend zur gern bezweifelten "Faktizität der von Horaz erwähnten Ereignisse". Etwas anders sein Tübinger Nachfolger Ernst A. Schmidt ("Lyrische Wirklichkeit bei Horaz", Deutsche Vierteljahresschrift für Literaturwiss. u. Geistesgeschichte 56, 1982, 515-538 [explizit zu Zinn 528 f.], dort 523): "Es hat doch diese Götter in Wirklichkeit nie

gegeben. So konnten sie Horaz auch nicht retten. Und Horaz war doch viel zu aufgeklärt, als daß er wirklich selber geglaubt hätte, Götter hätten ihn errettet." Weiß man das?

72 Liebeslust und sogar Liebesschmerz ( ; vgl. Borgeaud [wie

Anm. 4] 122 f., Brommer [wie Anm. 4] 957), aber auch Flatterhaftigkeit (Longos, Daphn. 2, 39 , vgl. Aelian. epist. 15) gehören grundlegend zur Eigenart des griechischen Pan (s. bes. Borgeaud 115-135), der, wiewohl oft mit erigiertem Phallus und sogar als Beischläfer der Ziegen, ja Hunde (Herbig [wie Anm. 4] 33 f., Borgeaud 123) dargestellt (nach Hesych s.v. hießen "Panes" Menschen, die "besonders stark auf den Geschlechtsverkehr aus sind"), nicht wie Priapus nur die schiere Sexualität verkörpert (Menanders 'Dyskolos' hat gezeigt, daß er sogar wie ein Eros Menschen verliebt machen kann). Seit dem Hymnus Homers (19, 3) erscheint er in Gesellschaft der Nymphen, mit denen zusammen er auch verehrt und dargestellt wird (Herbig 19 f.; Brommer 1000); gerne bildet man ihn auch mit Eros (Herbig 32, Brommer 1002) oder Aphrodite (Herbig 38 f., Brommer 1000, Borgeaud 117-119) ab; sonst werden von ihm Liebesabenteuer (Borgeaud 123 ff.) mit Syrinx (Ov. met. 1, 689-712; vgl. die Panes als Verfolger Pomonas: met. 14, 638), Echo und sogar Selene erzählt (Herbig 34-36; vgl. Stat. silv. 2,3: Pholoe; Longus 2, 39: Pitys); auch schönen Knaben ist er nicht abgeneigt (Herbig 37 f., Borgeaud 115-117). Erst spät wird der notorische Ehefeind (Borgeaud 130 f.) ein Familienvater (Herbig 37). Ganz anders ist von Haus aus Faunus, der zugleich als Faunus und Fauna, d.h. geradezu geschlechtslos auftritt (vgl. oben Anm. 15); erst in sehr spät bezeugter Version ist Fauna seine eigene Tochter, in die er verliebt ist (Macrob. sat. 1, 12, 24). Wenn ihn jetzt Wiseman (wie unten Anm. 101) 6 als "dweller in the wild with strong sexual appetites" charakterisiert, beruht das zugegebenermaßen auf Ovids Darstellung im 2. Buch der Fasti.

73 Aus diesen Versen ergibt sich schwerlich, daß, wie schon Porphyrio meinte (Faunum ... quem aiunt inferum ac pestilentem deum esse, vgl. auch Ps. Acro zu V.4 pueris uernulis quos maxime Fauni laedere dicuntur, Serv. Aen. 7, 91 eum Horatius inducit nocentem und Isidor s. unten S. ) und seitdem andere vermutet haben (vgl. bes. auch Oksala [wie Anm. 66] 70), Faunus als bedrohlicher Gott beschwichtigt würde (dagegen bes. Syndikus [wie Anm. 10] Bd. 2, 174 Anm. 16). Die Auslegung scheint herausgesponnen einmal aus der Verbindung des (von Porphyrio angeführten) vergilischen Faunusorakels mit dem Acheron (Aen. 7, 91), zum andern aus der volkstümlichen Vorstellung von Fauni, die besonders nachts die Menschen foppen (s. oben S. mit Anm. 22).

74 Zum Wein im Pankult vgl. Borgeaud (wie Anm.4) 240

75 Die drei im Abstand von je 2 Moren folgenden Akzente der drei Wörter tér péde térram malen den gleichmäßigen Tritt des Arbeiters, der sich im tripudium stampfend an der "verhaßten" Erde rächt: Faunus, Gott der Wälder und der Dichter, wird so im Schlußbild des Gedichts noch einmal dem otium zugeordnet.

76 Vgl. oben Anm. 55

77 Pane mit Satyrn u.a. erscheinen literarisch seit Platon (oben Anm. 31); Pane in dionysischem Gefolge auf attischen Vasen des 4. Jhdts.: Brommer (wie Anm. 4) 971. Hier aber bei Horaz, wo ja die Dichter neben den Satyrn und Fauni für Bacchus "rekrutiert" werden (3 f. ut male sanos / adscripsit Liber Satyris Faunisque poetas), liegt es vielleicht näher, unter den Fauni die in Versen wahrsagenden Waldgötter bei Ennius und Varro zu verstehen.

78 Fauni werden sie (nach V. 226 satyros, 235 satyrorum scriptor) dort genannt, wo es auf ihre Herkunft aus dem Walde ankommt (244 ff.): siluis deducti caueant ... Fauni / ne uelut innati triuiis ... / ... nimium teneris iuuenentur uersibus ... Schwerlich meint Horaz, daß ein eventuelles römisches Satyrspiel, für das er ja Vorschriften gibt, italische Fauni statt der traditionellen Satyrn präsentieren sollte.

79 Er ist in seinen rhetorischen Anschauungen stark von Cicero beeinflußt und bekannt etwa mit dem Juristen und Historiker Q. Aelius Tubero; vgl. jetzt zu seinem geistigen Umfeld Th. Hidber, Das klassizistische Manifest des Dionys von Halikarnass, Stuttgart/Leipzig 1996, 1-8.

80 Vgl. oben S. mit Anm. 19

81 Gerade diese Art spukhafter Erscheinung scheint allerdings für Faunus oder Fauni sonst nicht bezeugt.

82 Zum bis heute sprichwörtlichen "panischen" Schreck, der Pan auch zu einem für das Militär wichtigen Gott macht, s. bes. Borgeaud (wie Anm.4) 137 ff. und schon Roscher (wie Anm.5) 70-72. Auch dieser wird für die Fauni so eigentlich nicht bezeugt; vgl. immerhin, was Plinius, nat. 8,151 über Hündinnen sagt (s. oben).

83 Selbstverständlich ist mit der Möglichkeit zu rechnen, daß Dionysios, dessen erstes Buch i. J. 8 oder 7 v. Chr. erschien, Oden des Horaz gekannt hat (vgl. oben Anm. 79). Eventuell könnte darauf auch zurückgehen, was er über römische "Lieder" für Faunus sagt (s. oben S. mit Anm. 41), denn von den sakralen Chorliedern für Faunus, wie sie Günther Wille postuliert (Musica Romana, Amsterdam 1967, 47) postuliert, ist sonst keine Spur zu finden; er müßte dann allerdings den horazischen Faunus mit dem Aboriginerkönig verwechselt oder absichtlich identifiziert haben.

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Dies überbietend sagt Ovid sogar, wenn auch in etwas anderem Sinn (Pont. 4, 8, 55 f.): di quoque carminibus, si fas est dicere, fiunt / tantaque maiestas ore canentis eget; so will er selber zu Vergottung von Kaiser Augustus beigetragen haben (V. 63 f.).

85 Vgl. W. Stroh, "Horaz und Vergil in ihren prophetischen Gedichten", Gymnasium 100, 1993, 289-322 (wo auch carm. 1, 2 hätte behandelt werden können).

86 Horaz war hier nicht kühner und selbständiger als etwa in der 7. Epode, wo er, wie von Hans Joachim Krämer ("Die Sage von Romulus und Remus in der lateinischen Literatur", in: Synusia [Festg. W. Schadewaldt], Pfullingen 1965, 355-402) gezeigt, als erster und einziger den frevelhaften Brudermord des Romulus "mit visionärer Kraft

[ ... ] als Ursprung der römischen Geschichte" (S. 364) und Ursache der dauernden Bürgerkriege "begriffen" hat.
 
 

87 Gerade diese erste Faunusode enthält bezeichnenderweise auch eine Darstellung von Horazens uates-Dichtertum mit der Vereinigung von Musischem und Religiösem: dis pietas mea / et musa cordi est (V.13 f.).

88 So H.H. Scullard, Römische Feste: Kalender und Kult (zuerst engl. 1981), Mainz 1985, 282. Vgl. etwa schon Preller/Jordan (wie Anm. 5) 1, 379 f. und Warde Fowler (wie Anm. 5) 257: "the heart and mind of ancient Italy".

89 A.W.J. Hollemans Meinung, hier sei überhaupt von keinem eigentlichen Fest, sondern einer Frühlingsphantasie im Winter die Rede ("Horace, Odes 3. 18 ['mitten im Winter der Frühling beginnend']", Latomus 31, 1972, 492-496), zwingt ihn u.a., in V. 12 pardus statt (was wesentlich besser bezeugt ist) pagus zu lesen; aber festus ... uacat ... pardus ist recht sinnlos. Übrigens scheint der 5. Dezember (nach V. 5 si, V. 10 cum) nicht das dramatische Datum des Gedichts zu sein; die aprica rura in V.2 sind somit unanstößig.

90 Damit muß nicht gesagt sein, daß der Altar schon immer ein Faunusaltar gewesen wäre. Horaz könnte einen unbestimmten Altar übernommen und für seine Zwecke funktionalisiert haben.

91 Oben Anm. 8. Ein gutes Gegengift bietet J. Griffin, Latin poets and Roman life, London 1985.

92 S. bes. Att. 12, 36, 1: Fanum fieri uolo ... ... ut maxime adsequar . ... mihi uideor adsequi posse ut posteritas habeat religionem.

93 Gegen sie protestiert Horaz in den heute, wie mir scheint, nicht mehr verstandenen Versen carm. 1, 3, 38 ff. caelum ipsum petimus stultitia ...; zumindest scheint sie Ovid so aufgefaßt zu haben (am. 3, 8, 51 f. qua licet adfectas [sc. hominum natura] caelum quoque: templa Quirinus, / Liber et Alcides et modo Caesar habent; diese Verse werden, unter Berufung auf Ehwald, zu Unrecht getilgt von E. J. Kenney [Ausg. Oxford 21994]).

94 Vgl. zur Vita Ambrosiana (p.2 Drachmann) Krasser (wie Anm. 68) 43 f., der mit Recht eine Einwirkung der Pindarbiographie auch auf Hor. carm. 1,17 für möglich hält (S. 73).

95 Nach dem Scholiasten z.St. der sich auf Aristodemos beruft, erlebte Pindar gelegentlich einer im Gebirge gehaltenen Musikstunde Donner und Blitz (vgl. Hor. carm. 1, 34!): Er sah ein steinernes Standbild der großen Mutter und des Pan auf den Füßen zu sich herankommen (anders versteht R.W.B. Burton, Pindar's Pythian Odes, Oxford 1962, 86) und beschloß darum, beiden bei seinem Haus ein Bildnis (bzw. Heiligtum) zu errichten. Zu vergleichbaren Ereignissen in Pindars Leben s. C. M. Bowra, Pindar, Oxford 1964, 49-52; Borgeaud (wie Anm.4) 254, mit Verweis auf J.A.Haldane, "Pindar and Pan", Phoenix 22, 1968, 18-31.

96 Vgl. U.v. Wilamowitz-Moellendorff, Pindaros, Berlin 1922, 270-272. Beim Epigrammatiker Antipatros (Anth. Pal. 16, 305) singt Pan selber Pindars Hymnus auf ihn.

97 Dies auf den Weinkrug zu beziehen (V. 7 creterrae) wienach anderen Kießling und Heinze im Komm. (wie oben Anm. 8) z.St. wollen, scheint mir unnatürlich: Keineswegs muß ja creterrae Dativ sein, vielmehr läßt sich larga uina creterrae mit geringfügiger Enallage als largae uina creterrae auffassen. Pan als sodalis Veneris ist ein beliebtes Motiv der Kunst, vgl. oben Anm. 72 und G. Pasquali, Orazio lirico, Florenz 1920, 561 f.

98 Von beiden Gottheiten wird dort gesagt, daß sie die Menschen verzücken bzw. besessen machen (V. 50 numine ... attonuere suo). Vgl. zu Pan bzw. den (den entsprechenden) Borgeaud (wie Anm.4) 156 ff. und schon Roscher (wie Anm.5) 77 ff.; ähnliches legt sich für die Fauni nahe durch ihr Prophetentum, vgl. Calp. ecl. 1,89 f. (s. unten S. mit Anm. 149) und Roscher (wie Anm. 5) 88 f.

99 Vgl. oben Lucr. 4, 587.

100 Erst hier, als er nach Italien kommt, heißt Pan "Faunus" (V.268); im 1. Buch wurde er ohne Namensnennung apostrophiert (V.412 tibi qui pinu tempora nexa geris). Umgekehrt heißt der römische Faunus zunächst (bezüglich des 13. Februars, wo seine Identität mit Pan unaufgeklärt bleibt und der römische Leser noch an den Latinerkönig denken dürfte) nur "ländlich" (2,193 agrestis ... Fauni); "gehörnt" wird er erst (zum 15. Februar) bei der Identifizierung mit Pan (2,269 Fauni sacra bicornis).

101 Dies ist die bis heute vorherrschende Ansicht und die gemeinsame Überzeugung von Forschern, die bezüglich des Faunus so divergenter Meinung sind wie Wissowa auf der einen, Otto und Altheim auf der anderen Seite (vgl. oben Anm. 5). Vgl. als neuere Deutungen der Lupercalia als Faunusfest etwa G. Binder (wie Anm. 17) 100; Liou-Gille (wie Anm. 5) 191-194; Dumézil (wie Anm. 5) 341; Chr. Ulf, Das römische Lupercalienfest, Darmstadt 1982, bes. S. 9 ( mit der grundsätzlich wichtigen Rezension von U.W. Scholz, GGA 236, 1984, 172-187); W. Pötscher, "Die Lupercalia - eine Strukturanalyse", GB 11, 1984, 221-249, dort 232; Sabbatucci (wie Anm. 38) 53-60 (56: "La 'faunità' dei Lupercalia [...] non è certamente in discussione"). Einen Überblick über neuere Forschungen und Ansichten gibt W. Fauth, "Römische Religion im Spiegel der 'Fasti' des Ovid", ANRW II 16.1 (1978) 104-186 (dort

S. 132 ff. zu Faunus und Lupercalia); Älteres bei Marbach, "Lupercalia", RE XIII 2 (1927) 1816-1830, bes. 1822 (zu Faunus); die reichsten Literaturhinweise gibt Alföldi (wie unten Anm. 102) 86 f. Anm. 1; zuletzt bes. T.P. Wiseman, "The god of the Lupercal", JRS 85, 1995, 1-22 (S. 1 f.: zur neueren Forschung; leider wurde mir diese hochspekulative, aber geist- und materialreiche Arbeit erst bei Abschluß meiner Arbeit bekannt).

102 So bes. L. Deubner, "Lupercalia", Archiv f. Religionswiss. 13, 1910, 481-508 (= L.D., Kl. Schriften z. klassischen Altertumskunde., 1982, 73 ff.), dort 488: "Die Lupercalia waren in historischer Zeit ein Fest des Faunus [...], dies ist über jeden Zweifel erhaben." Warde Fowler (wie Anm. 5) 257 f. vermutete, sie seien zugleich mit der Tempelstiftung auf der Tiberinsel in einen Zusammenhang mit Faunus gebracht worden; U. W. Scholz glaubt an die Umgestaltung eines alten Gemeindefestes des Mars zu einem Hirtenfest des Faunus ("Zur Erforschung der römischen Opfer [Beispiel: die Lupercalia]", in: Le sacrifice dans l'antiquité, Entretiens de la Fondation Hardt 27, 1981, 289-328), vgl. unten Anm. 111; nach A. Alföldi (Die Struktur des voretruskischen Römerstaates, Heidelberg 1974, 86 ff., hier bes. 91) wären dagegen die Komplexe von Mars und Faunus schon in vorrömischer Zeit verschmolzen worden. Völlig anders rekonstruiert jetzt Wiseman (wie Anm. 101) die Geschichte der Lupercalia; auch er rechnet aber mit einer alten Beziehung zu Faunus (bes. S. 13, vgl. aber auch S. 2), der schon bei einer Reform des Jahres 304 v.Chr. seine Funktion verändert hätte. Am weitesten von der üblichen Ansicht entfernte sich G.F. Unger in dem noch immer wertvollen Aufsatz "Die Lupercalien", RhM 36, 1881, 50-86: Er betrachtete Inuus als alten Gott der Lupercalia, die erst von C. Acilius mit Faunus verbunden worden seien.

103 Dem griechischen Pan entsprach vor allem die Kostümierung der luperci mit dem Bocksfell als Lendenschurz (so eindeutig nach der unten zitierten Stelle Just. 43,1,7; falsch, nach vorgefaßter Meinung, Binder [wie Anm. 17] 111: "Wir haben uns die 'luperci' als Wölfe, nicht als Ziegen oder Böcke vorzustellen ") - schon die relative Nacktheit (Ov. fast. 2, 267 nudos ... lupercos) konnte als unrömisch empfunden werden (vgl. N.B. Crowther, "Nudity and morality: athletics in Italy", CJ 76, 1980/81, 119-123) - und ihr schnelles Laufen per lusum atque lasciuiam; dazu kam der Gleichklang - lupercus (vgl. z. B. Ov. fast. 2, 423 f.), aus dem die bekannte Etymologie (Serv. Aen. 8, 343 quod praesidio ipsius numinis lupi a pecudibus arcerentur) herausgesponnen wurde. Nichts davon führte auf Faunus, der ursprünglich gestaltlos war (vgl. oben Anm. 37).- Im übrigen wird diese antike Theorie, wie die ganze Euanderüberlieferung, seit Schwegler (wie Anm. 5) fast durchweg verworfen; doch denkt jetzt immerhin Wiseman (wie Anm. 101) an eine Wirkung des griechischen Pan auf die Lupercalia schon am Ende des 5. bzw. Anfang des 4. Jahrhunderts, und Peruzzi (wie Anm. 5) 7 ff. (nach ihm Liou-Gille [wie Anm. 5] 182) glaubte gar an arkadischen Einfluß auf das frühe Latium: Die Beschränkung des Faunuskults auf Rom bzw. Latium lasse sich erklären aus dem "fatto che gli arcadi abbiano introdotto i riti di Pan sul Palatino e identificato quel dio con Fauno, re degli aborigeni" (S. 36; vgl. S. 37: "adattamento dei culti arcadici alla religione del luogo"); aber gerade diese Gleichsetzung von Pan und König Faunus wird von niemanden, nicht einmal von Ovid, vollzogen, und sie ist ja auch gar nicht wirklich vorstellbar. Kaum richtig kann sein, daß Euander überhaupt nur erfunden worden wäre, um als Aition der Lupercalia zu dienen (so nach Schwegler [wie Anm. 5] 356 etwa H.J. Rose, Griechische Mythologie: ein Handbuch, München 1955 [= engl. 51953] 315); denn Euander als solcher scheint älter als diese Herleitung, und die Lupercalia wurden spätestens seit Acilius (s. unten S. ) von der Romulussage abgeleitet. Ganz haltlos ist schließlich die manchmal zu lesende Behauptung, Euander und Faunus (die Schwegler 357 u.a. für letztlich wesensidentisch hielten - nach Radke [wie Anm. 5] 120 wäre ihre Identität sogar schon den Lesern des Fabius Pictor selbstverständlich gewesen!) würden in den Quellen häufig verwechselt (richtig Peruzzi 38 Anm. 56). - Die Quellen zu den von Euander gestifteten Lupercalia sind übersichtlich ausgeschrieben bei Peruzzi 8-11; zu den Zeugen dürfte auch Tibull gehören (vgl. oben Anm. 62), eine deutliche Anspielung darauf macht Silius Italicus 13, 329 f. (wo Pan wie ein lupercus mit dem Riemen schlägt).

104 Die Stelle wird gelegentlich als Beleg für eine bei Livius gegebene Gleichsetzung von Pan und Faunus zitiert: Latte, RE IX 2 (1916) 1732; H.Hunger, Lexikon der griechischen und römischen Mythologie, Wien 81988, 166 f.; Bömer (wie Anm. 5) zu Ov. fast. 2, 271.

105 Serv. Aen. 6, 775 castrum Inui, id est Panos ... appellatur ... item Graece, Latine Incubo: idem Faunus, idem Fatuus, Fatuclus ...; Prob. georg. 1, 10 eundem Pana, eundem Inuum, eundem Faunum quidam interpretantur ...; vgl. zu l, 16. Die Stellen (vgl. auch Ps. Aur. Vict. orig. 4,6 und unten S. zu Rut. Nam. 1, 233 ff.) zeigen mit wünschenswerter Deutlichkeit, daß Inuus nur über Pan auch mit Faunus identisch wird; die ursprüngliche Selbständigkeit des Inuus betont auch Latte (wie Anm. 104) 1731. Vielleicht hat sich die Vorstellung von einem (sonst nur im alten Namen Castrum Inui bezeugten) Gott "Inuus", wie "Triumphus" aus io triumpe, aus einer Formel des Lupercalienritus entwickelt; auf einen Zusammenhang mit (sexuellem) inire (vgl. Wiseman [wie Anm.101] 6 Anm. 49) scheint bekanntlich Ovid, der Inuus selber nicht nennt, in fast. 2, 441 anzuspielen. Nur gerade noch hinweisen kann ich auf Wiseman a.O., der jetzt in Inuus einen alten, schon früh mit Pan identifizierten italischen Fruchtbarkeitsgott sieht (deutlich bes. S. 10), den er sogar auf einem etruskischen Spiegel des 4./3. Jahrhunderts in der Gestalt Pans nachweisen will (S. 9 f.): Aber warum sollte hier nicht Pan selbst dargestellt sein?

106 Irreführend wie viele andere Liou-Gille (wie Anm. 5) 190: "les [!] Anciens admettent le patronage de Faunus aux Lupercales".

107 So unrichtig D.M.Cosi, "Pan", Enciclopedia Virgiliana III (1987) 948-951, dort 950.

108 Treffend schon A.K.Michels "The topography and interpretation of the Lupercalia", TAPhA 84, 1953, 35-59, dort 57: "It seems obvious that the Romans simply did not know who the god in question was [...]"; Warde Fowler (wie Anm. 5) 313 dachte an bewußte Geheimhaltung.

109 Frazer (wie oben Anm. 6) Bd. 2, 335 (z.T. unter Berufung auf WardeFowler): "a magical rather than a religious rite"; ähnlich Rose (wie Anm.10) 10 und Latte (wie Anm. 5) 87.

110 Nach Dion. Hal. 1, 80, 1. Demnach kann die Theorie nicht erst, wie Rose (wie Anm. 10) 10 f. wollte, auf Verrius Flaccus (den Rose auch für Ovids Quelle hält) zurückgehen. Ein hohes Alter der Lupercalia (das zu dem vorrömischen Euander passen könnte) scheint auch schon Cicero anzusetzen, wenn er (i.J. 56), halb scherzhaft, die sodalitas lupercorum vor der Etablierung von humanitas atque leges gegründet sein läßt (Cael. 26).

111 Nach Unger (wie Anm. 102) 50 und Bayet (wie Anm. 5) 183 jetzt Scholz (wie Anm. 102) 307, der hier "eine weithin gültige Deutung des 2. Jhs. v. Chr." erschließen will. Aber die Quellenangabe des Dionysios (ant. 1, 79, 4) könnte für Fabius Pictor allenfalls besagen, daß schon nach ihm die Säuglinge Romulus und Remus von der Wölfin in der Nähe des von Euander errichteten Panaltars gestillt worden wären. Von den Lupercalia ist nicht hier, sondern an der von Scholz stillschweigend miteinbezogenen Stelle ant. 1, 32 (s. oben) die Rede, wo aber weder Fabius Pictor noch sonst eine Quelle genannt wird. Damit erledigt sich auch Scholzens aus umständlicher Kombination gewonnene These, die Lupercalia hätten dem zweiten Jahrhundert als "Stammesfest für den göttlichen Vater der Gründerzwillinge, für Mars," gegolten (a.O. 308; ähnlich schon Alföldi, oben Anm. 102).

112 Wiseman (wie Anm. 101) 3: Er sieht darin den Reflex eines wirklichen historischen Vorgangs, allerdings erst wesentlich späterer Zeit (vgl. oben Anm. 103).

113
 
 

(Plat. Phaedr., Ausg. v. I. C. Vollgraff, 1912, S. 109). In der Parallelstelle (Clem. Alex. strom. 1, 108, 3) fehlt die Nennung des Eratosthenes.

114 Schon R. Heinze hat dies gesehen; vgl. "Ovids elegische Erzählung" (zuerst 1919), in: R.H., Vom Geist des Römertums: Ausgewählte Aufsätze, Darmstadt 1960, 308-403, dort 328 Anm. 28.

115 Sonderbar an dieser Nachricht sind allerdings zwei Dinge: (1) Varro scheint sich hier nach Augustins Referat speziell auf die für die arkadischen Lykaia berichteten Werwolfgeschichten (s. bes. W. Burkert, Homo necans, Berlin/New York 1972, 98-108) bezogen haben (vorher: der Name Lycaeus sei gegeben propter hanc in lupos hominum mutationem); nach Alföldi (wie Anm. 102) 129 hätte er demnach "die Luperci als Werwolf-Brüderschaft arkadischen Stils empfunden". Diese Deutung stünde aber innerhalb der antiken Zeugnisse zu den Lupercalia völlig vereinzelt da. (2) Während Varro hier Lupercus etymologisch von herzuleiten scheint, hat er an anderer Stelle die von ihm angesetzte Göttin Luperca - die ja doch von Lupercus usw. sprachlich nicht ablösbar ist - als wölfische Nährmutter des Romulus ganz anders etymologisiert (Arnob. 4, 3 = Varro rer. div. 221 Cardauns): quod abiectis infantibus pepercit lupa ... , Luperca ... dea est auctore appellata Varrone. Sollte er, wie Ovid (fast. 2, 421-424), beide Etymologien zur Auswahl gestellt haben? Hier bleibt vieles unklar, was aber in unserem Zusammenhang nicht diskutiert werden muß. Vgl. zu Varros Auffassung der Lupercalia: B. Riposati, "I 'Lupercali' in Varrone", in: J. Collart (Hg.), Varron: grammaire antique et stylistique latine, Paris 1978, 57-70 und zuletzt Th. Baier, Werk und Wirkung Varros im Spiegel seiner Zeitgenossen von Cicero bis Ovid, Diss. Freiburg 1995 (noch ungedr.), 82-87.

116 (Romulus) constituit Romanis deos Ianum, Iouem, Martem, Picum, Faunum ... (Varro als Quelle hier nicht genannt, aber vgl. 4, 22). Wie die Reihe zeigt, ist Faunus hier der von Varro auch sonst (s. oben Anm. 45) erwähnte vergöttlichte Latinerkönig.

117 Völlig anders Franklin (wie Anm.5) 56 f., die die annalistische Euanderüberlieferung gerade aus der Identifikation von Pan und Faunus entstanden sein lassen möchte.

118 Konträr und verkehrt etwa Marbach (wie Anm. 101) 1822, der meint, auf Faunus, den "König Latiums", als alten Gott der Lupercalia wiesen "auch alle diejenigen Geschichten hin, die mit der Einsetzung der Feier durch Euandros zusammenhängen".

119 Vgl. schon Unger (wie Anm. 102) 66, Marbach (wie Anm. 101) 1822, Scholz (unten Anm. 120), zuletzt Wiseman (wie Anm. 101) 6; dagegen vernünftig schon Franklin (wie Anm. 5) 55 f.

120 Scholz (wie Anm. 102) 310 meint, weil Acilius sonst (fr. 1 Peter) von Euander spreche, sei auch bei ihm, wie bei Fabius (s. dagegen oben Anm. 111), "der alte Arkaderkult noch gegeben; Pan jedoch wird hier mit Faunus gleichgesetzt". Davon kann m. E. keine Rede sein; Acilius deutet nichts von Pan an, sondern gibt eine völlig andere, auf Romulus zurückführende, Erklärung des Fests.

121 Wie offenbar Scholz (oben Anm. 120) annimmt: Sonderbar ist, daß H. Peter bei der Wiedergabe des Plutarchtexts nach in Klammern lupercos beischreibt - so zitiert auch etwa Bömer, Fasten, Bd. 2 (wie Anm. 5) 108 - , wodurch der Sinn ganz verfälscht wird. Das Versehen beruht offenbar auf einer Verwechslung mit der von Aelius Tubero (bei Dion. Hal. ant. 1, 80, 1) und Livius 1, 5, 3 (vgl. oben) berichteten Geschichte, wonach Romulus und Remus bei der Lupercalienfeier überfallen wurden. In dieser, gegenüber Acilius neueren, Erzählung, wird ausdrücklich vorausgesetzt, daß Euander die Lupercalia eingerichtet hat.

122 Wäre der Lauf bei den Lupercalia mit einer Anrufung des Faunus eröffnet worden, wie etwa Deubner (wie Anm. 102) 489 vermutet hat, hätte es keinen Dissens über die Gottheit des Festes geben können.

123 Dies meinte freilich Heinze (wie Anm. 114) 328, der die Gegensätzlichkeit der Fassungen richtig erkannte, aber behauptete, nach Ovids ausgleichender Darstellung habe eben das von Euander gestiftete Fest auch zur Zeit des Romulus bestanden (skeptisch dazu Bömer [wie Anm.5] 108). Nun ist zwar richtig, daß in fast. 2, 359 adde peregrinis causas, mea Musa, Latinas ... sich die causae streng genommen nur auf die Nacktheit beim Lauf (vgl. 283 f., 379 f.), nicht die Lupercalia als ganzes beziehen - aber was wären die Lupercalia noch ohne diesen für sie geradezu konstitutiven (Livius!), so ganz aus römischer Gewohnheit herausfallenden Brauch? So dürfte Ovid doch meinen, daß, nach seiner zweiten, römischen Ätiologie, Euander den bloßen Faunuskult eingeführt, Romulus dagegen die eigentlichen Lupercalia initiiert habe. (Auf jeden Fall gilt, daß das Riemenschlagen, fast.2, 425 ff., von Romulus erst nach der Stadtgründung den schon bestehenden Lupercalia zugefügt wurde; vgl. auch Porte [wie Anm. 17] 119.) Diese Deutung des Ovidtextes wird m. E. bestätigt auch durch Servius bzw. Servius auctus zu Aen. 8, 343: Er bezieht zwar die Tracht der luperci auf Pan, dem Euander das Lupercal errichtet habe, leitet dagegen die Lupercaliavom geraubten Vieh und nackten Lauf des Romulus und Remus her (id in morem uersum ut hodieque nudi currant). Die (zweite) Version von Ovid (und Servius) ist offenbar ein Kompromiß zwischen der älteren, wonach die Lupercalia schlechtweg von Romulus stammten (Acilius), und der neuen, wonach sie als Pankult von Euander gestiftet wurden (Varro?, Livius usw.).

124 Die Wiederholung von dabant am Ende des Pentameters ist kaum erträglich; vielleicht ist das ganze, vom Sinn her unnötige, Distichon hier interpoliert.

125 In Umkehrung dieser Abfolge haben Bömer (wie Anm. 5) 101 und Binder (wie Anm. 17) 84 angenommen, die Gleichsetzung von Faunus - Pan habe sich über die Herleitung der Lupercalia von Pan Lykaios vollzogen (womit sie ebenfalls ziemlich spät datiert wäre). Dies wäre zwar an sich durchaus denkbar; ihm widerspricht aber die Tatsache, daß weder die Zeugnisse für den arkadischen Ursprung der Lupercalia (Varro, Aelius Tubero, Livius usw.) etwas von Faunus sagen, noch die frühesten Zeugnisse für Faunus als Pan (bei Horaz) sich auf die Lupercalia beziehen.

126 An sich könnte die Integrierung eines griechischen Gottes durchaus im Sinne der (nicht nur auf Wiederbelebung altrömischer Kulte bedachten) augusteischen Religionspolitik gewesen sein: So wurden ja etwa bei den Ludi saeculares 17 v.Chr. wohl zum ersten Mal die griechischen Moirai und Eileithyia sowie Terra Mater (= Gaia) kultisch verehrt. Besondere Nähe gerade zu Pan hatte Augustus wohl dadurch, daß er im Zeichen des Steinbocks (Capricornus = Aigikeros), der auch als vergotteter Pan erklärt wurde (Hyg. astr. 2, 28; fab. 196), geboren bzw. gezeugt war (so jedenfalls E. Simon, Die Portlandvase, Mainz 1957, 26-29; vgl. jetzt T. Barton, "Augustus and Capricorn: astrological polyvalency and imperial rhetoric", JRS 85, 1995, 33-51: nicht speziell zu Pan). Bekannt ist, daß die Lupercalia von Augustus, vielleicht erst als pontifex maximus (seit 12 v.Chr.), erneuert wurden (Suet. Aug. 31,4; mehr phantasievoll als erhellend dazu A.W.J. Holleman, "Ovid and the Lupercalia", Historia 22, 1973, 260-268).

127 Trotz dieser Andeutung höheren Alters könnte die Erzählung von Ovid selbst nach Analogie ähnlicher Geschichten (wie fast.1, 393 ff.; 6 ,319 ff.; zur Strukturähnlichkeit A. Richlin, "Reading Ovid's rapes", in: A.R .[Hg.], Pornography and representation in Greece and Rome, New York / Oxford 1992, 158-179, dort 169 ff.) erfunden worden sein (vgl. N. Horsfall, "Mythological invention and poetica licentia", in: F. Graf [Hg.], Mythos in mythenloser Gesellschaft: das Paradigma Roms, Stuttgart / Leipzig 1993, 131 -141, dort 139). An ein Satyrspiel als mögliche Quelle dachte R.J. Littlewood, "Ovid's Lupercalia (Fasti 2. 267-452): a study in the artistry of the Fasti", Latomus 34, 1975, 1060-1072, dort 1064, an ein alexandrinisches Vorbild Borgeaud (wie Anm. 4) 120. Mit feinem Empfinden hat E.Fantham ("Sexual comedy in Ovid's Fasti: sources and motivation", HSPh 87, 1983, 185-216, dort 196-201) auf eine mögliche Beziehung der auffallend dialoglosen Erzählung zum römischen Pantomimus hingewiesen; da diesem aber regelmäßig ein (gesungener) Text unterlegt ist, dürfte Ovid doch eher für eine potentielle pantomimische Aufführung schreiben als, wie Fantham lieber möchte, aus einem Pantomimus schöpfen. - Vgl. sonst zur Interpretation: Parker 1990 (wie Anm.3) 142-147 bzw. 1993, 203-206; M.Kötzle, Weibliche Gottheiten in Ovids 'Fasten', Frankfurt/M. u.a. 1991, bs. 95-97. Zur (problematischen) These von R. Turcan über den religionsgeschichtlichen Hintergrund s. die Hinweise im Komm. zu Fast. II (Paris 1969) von H. le Bonniec.

128 Man kann an den Beginn der ersten Elegie des Properz denken: Cynthia erobert ihn quasi auf den ersten Blick (1, 1, 1), so daß er nun allen andersartigen Mädchen gegenüber gleichgültig wird (V. 5 castas odisse puellas - diese m. E. klare Deutung ist allerdings nicht unumstritten); auch hier wirkt der Amor ... improbus (V.4.6).

129 Darin ist sie das Gegenstück zu Ovids berühmtester (ebenfalls wortloser) Schlafzimmerszene am. 1,5, die, in gedämpftem Mittagslicht spielend, fast ganz auf dem ästhetischen Entzücken des Auges, nur gelegentlich auch der Hand, beruht. Die motivähnliche Priapuserzählung (fast. 1, 415 ff.) lebt dagegen vom akustischen Gegensatz zwischen (wiederum) lautlosem Vergewaltigungsversuch und gellendem Eselsschrei.

130 Selbst bei Priapus war Ovid hier periphrastischer (fast. 1, 437 obscena nimium quoque parte paratus), damit freilich auch suggestiver.

131 Scholz (wie Anm. 102) 321 f.; vgl. auch den oben (Anm. 126) zitierten Aufsatz von Holleman, der mir hier wie in anderen Fällen Ovids antiaugusteische Haltung zu übertreiben scheint.

132 Nach der 2. Dekade des Livius (zu beziehen also auf die Jahre 292 bis 218 v. Chr.) sollen die Lupercalia propter sterilitatem ... mulierumquae tunc acciderat veranstaltet worden sein (so Papst Gelasius, epist. 100, 12; kommentierte Einzelausg. v. G. Pomarès, Paris 1959, S. 170); dem entspricht Ovids Deutung des Riemenschlagens (fast. 2, 425 ff.). So überzeugt nicht die Ansicht von Scholz (wie Anm. 102) bes. 321, dies sei erst eine augusteische Neudeutung; vgl. gegen Scholz

W. Burkert in der Diskussion (a. O.) 329.

133 S. oben Anm. 3. Sehr summarisch ist die Kontrastierung vonVergils und Ovids Faunus bei R. Schilling (Hg.), Ovide, Les Fastes, t.1, Paris 1992, Einl. S.XLIX-LI.

134 Od. 4,351 ff.; ecl. 6, 13 ff.; sonstige Parallelen nennt etwa Parker 1990 (wie Anm.3) 176 f. Anm. 45.

135 Richtig Parker 1990 (wie Anm. 3) 149 ff., bes. 160 bzw. 1993, 209-211

136 V. 303 siluestria numina, 309 di nemorum, 315 f. disumus agrestes et qui dominemur in altis / montibus: arbitrium est in sua tecta Ioui. Die Abgrenzung erinnert an met. 1, 192 ff. (s. unten).

137 Porte (wie Anm. 17) 160-163 zeigt, wie Ovid hier einerseits Vergil, andererseits seiner eigenen Numa-Faunus-Erzählung im dritten Buch folgt.

138 Parker 1990 (wie Anm. 3) 157 f., 161 (vgl. 1993, 212-214): Hervorgehoben wird besonders auch die rituelle Keuschheit, die Numa beobachtet, während Faunus sie bei Omphale in brutaler Weise verletzen wollte.

139 Darum dürfte auch V. 663 pede ... duro auf den Bocksfuß gehen.

140 Theocr. 1, 15 ff.: Dort will Pan in seinem Mittagsschlaf allerdings nicht durch Flötenspiel gestört werden. Vgl. zum Motiv bes. Roscher (wie Anm.4) 1395 f. - Vgl. auch fast. 4, 751 f. si nemus intraui uetitum nostrisue fugatae / sunt oculis nymphae semicaperque deus ...

141 Die auch in lateinischer Literatur (vgl. oben Anm. 31) nicht ganz seltenen Panes erscheinen nach Properz (oben Anm. 62) zusammen mit Satyrn in Ov. epist. 4, 171 (wo kein rechter Unterschied zu den vorher erwähnten Fauni erkennbar ist), dann, wieder mit Satyrn, met. 14, 638; Ps. Verg. Cul. 115; Colum. 10, 427; Pomp. Mel. 3, 95; Stat. silv. 2, 2, 106 (s. unten Anm. 154). Als Liebesobjekte (sic) der Dryaden: Sen. Phaedr. 784; als Waldgötter (mit Siluani, Nymphae): Lucan. 3, 402; als Hirtengötter: Ps.Verg. Cul. 94. Fauni und Panes sind fast gleichbedeutend in einem panflöten-förmigen Figurengedicht des Optatianus Porfyrius (carm. 27, dort V. 2 und 4), offenbar aber verschieden von dem einen Pan.

142 Es ist vielleicht kein schierer Zufall, daß den (auf drei Bücher verteilten) drei horazischen Faunusoden wiederum drei ovidische Faunuserzählungen in drei aufeinanderfolgenden Büchern entsprechen.

143 Damit gemeint ist natürlich nur die Theorie von Pan als Lupercaliengott (die auch schon auf Horaz gewirkt haben könnte, s. oben Anm. 69), nicht die Zuschreibung der Lupercalia an den als Pan gedeuteten Faunus. Daß Ovid hier etwa, wie Rose annahm (oben Anm. 110), einem zeitgenössischen Theologen folgen würde, scheint mir schon auf Grund der späteren gelehrten Tradition, die Ovids Aufassung ja ganz unbeachtet läßt, äußerst unwahrscheinlich.

144 Bestärkt werden konnte Ovid in seiner Ansicht auch dadurch, daß der größte Historiker seiner Zeit, Livius, sowohl Faunus als auch die älteren Könige aus der Vorgeschichte Roms (offenbar als zu sagenhaft) eliminiert hatte.

145 Mit semidei übersetzt Ovid (schon in epist. 4, 49), wohl als erster (F. Bömer im Komm. zu met. I-III, Heidelberg 1969, S. 85), (Hesiod op. 160 usw.), womit im Griechischen aber die zur Hälfte von einem Gott abstammenden Heroen gemeint waren (vgl. M. L. West im Komm. z. St., Oxford 1978, S. 191): Unser heutiger Sprachgebrauch (z.B. "Halbgötter in Weiß") folgt also eher Ovid. Seine Unterscheidung zwischen himmlischen Voll- und irdischen Halbgöttern (vielleicht schon von Aristoteles bezüglich der Nymphen und Pane gemacht, fr. 679 Rose = Serv. Aen. 1, 372; vgl. H. Herter, "Nymphai", RE XVII 2 [1937] 1527-1581, dort 1530; vgl. auch Cic. nat. deor. 3,43) weist voraus auf die bescheidene Selbsteinschätzung des Faunus in den Fasti (3, 315f., s.oben Anm. 136). Wie schon plebs (Ibis) zeigt, wird dabei in den römischen Kategorien von Stände- und Klientelwesen gedacht: Die plebeischen Götter können ja auch, wie homines noui, aufrücken (V. 194 nondum!). Ovids ganz humoristische Konzeption - sicherlich ist er nicht "ungewollt komisch", wie Bömer a. O. (nach Heinze) will - wirkt im selben Geiste nach bei Statius, Martial und Claudian, s. unten.
 
 

146 Text nach eigenen Ergänzungen (anders die Editoren), auf die hier nichts ankommt. Die Zusammenstellung der Götter erinnert natürlich an das Prooemium von Vergils Georgica.

147 Außer Horaz und "Probus" (oben Anm. 35) ist dies, wie Smits (wie Anm. 5) 40 bemerkt, das einzige Zeugnis für eine kultische Faunusverehrung.

148 Schon lesende Götter gibt es vielleicht erst bei Ovid: Amor liest den Titel der 'Remedia amoris' (rem.1, vgl. am. 1, 1, 3 ff.!); Jupiter konsultiert die metallenen Bücher des Schicksals met. 15, 814). Was das förmliche Schreiben angeht, scheint der Faunus des Calpurnius bahnbrechend, denn jedenfalls die Inschrift der Eris auf dem berühmten Zankapfel wird offenbar erst bei Lukian und Späteren erwähnt; immerhin hatte auf der Heiligen Inschrift des Euhemeros (fr. 37 Winiarczyk) der vergöttlichte Hermes selber einen Zusatz gemacht, und schon die Melanippe des Euripides spielt mit dem, alsbald verworfenen, Gedanken, Zeus könnte als Weltenrichter die Untaten der Menschen aufschreiben (fr. 506 N.; für diese Hinweise danke ich Peter von Möllendorff und Herwig Aulehla). Immerhin sind dem alten Orient schreibende Götter (wie z. B. auch Schicksalsbücher) wohlvertraut: Gott Ninuruda schreibt in einem um 2100 zu datierenden sumerischen Text (Th. Jacobsen, The harps that once ..., New Haven / London 1987, 395); akkadische Belege gibt The Assyrian dictionary, Bd. 17, T. 2, Glückstadt 1992, S. 229 (freundliche Hinweise von Michael Streck).

Bekannt aus Platons Phaidros (274 C ff.) ist als "Vater der Buchstaben" der ägyptische Gott Theuth, ein Gegenstück zum griechischen Prometheus (Aesch. Prom. 460): Beide werden aber nicht selber deutlich als schreibend vorgestellt. Interessant in unserem Zusammenhang ist die Überlieferung, die wohl auf Varro zurückgeht (H. Dahlmann, RE Suppl. VI [1935] 1219), daß der ja von Faunus aufgenommene Euander in Italien zuerst die Schrift eingeführt habe (so bes. Ps. Aur. Vict. orig. 5, 3; vgl. schon, ohne Erwähnung des Faunus, Liv. 1, 7, 8 u.a.). Aber ob Calpurnius daran gedacht hat?

149 Der Sprecher stellt sich offenbar als dar, vgl. oben Anm. 98; auch terror soll wohl auf weisen. - Als in prophetisch-dichterische Verzückung setzend nennt Fronto, neben andern für eloquentia zuständigen Göttern, Fauni uaticinantium incitatores (p. 141, 8 v. d. H.), wohl im Hinblick auf das berühmte Enniuszitat.

150 Vgl.die Hinweise bei D.Korzeniewski (Hg.), Hirtengedichte aus neronischer Zeit, Darmstadt 1971, S. 87 (z. St.). Daran, daß König Faunus über Picus und Saturnus vom "Himmel" (Uranos) abstammt, soll man schwerlich denken: Er spielt ja bei den Dichtern, trotz Vergil, so gut wie keine Rolle.

151 Unter Beziehung auf ihn heißen die Rutuler Faunigenae (8, 356), wie der unmittelbare Faunussohn Arnus (5, 7).

152 Wobei auf den panischen Schrecken angespielt wird (V.33): patriumque agitare tumultus.

153 Die Formulierung allerdings genau nach Ov. met. 13, 750 Fauno nymphaque Symaethide cretus (vgl. auch Verg. Aen. 10, 551 und oben Anm. 25), wo ein Faunus, nicht Pan, gemeint war.

154 Vgl. die in silv. 2, 3, 8 ff. nachfolgende Erzählung von Pans Liebe zu Pholoe. Ein griechischer Pan wird auch erwähnt in silv. 1, 2, 78, lüsterne Panes (nicht Fauni, wie in der Thebais) in silv. 2, 2, 106 (oben Anm. 141). Insgesamt scheint Statius der Name Faunus wohl besser zur Stilhöhe des Epos zu passen (Pan dort sonst nur noch in Theb. 3, 480).

155 Die leichte Deklassierung zusammen mit den Nymphen erinnert an Ovids ständische Vorstellungen (oben Anm. 145). Inspirierende Fauni auch bei Fronto (oben Anm. 149).

156 Priap. 75, 7 Faunus Maenalon Arcadumque siluas (sc. tuetur),36, 5 ... Arcadas <uides> Faunos

157 Oreadas Faunis iungant .../.../ saltet et imparibus calamis Pan corniger ...

158 In 1, 13 ff. wird den Fauni die Liebe der Dryaden, den vom Mainalos kommenden Panes die Hirtenflöte zugesprochen. Vgl. auch noch das 'Carmen contra paganos' = Anth. 3, 69 f. (p. 20 Sh. B.): Fauni neben Satyrn und Panes.

159 Zu Inuus vgl. oben Anm. 105. Umstritten ist, ob Rutilius hier Castrum Nouum mit Castrum Inui verwechselt (vgl. die kommentierte Ausg. von E. Doblhofer, Heidelberg 1972 / 1977, Bd. 2, S. 121 und F. della Corte, "Castrum Inui", Enciclopedia Virgiliana, Bd. 1 [1984] 696).

160 Die Überlegung entspricht Serv. Aen. 6, 775, vgl. oben Anm. 105.

161 Richtig vergleicht Doblhofer (wie Anm. 159) Bd. 2, 122 mit Hor. carm. 1, 17, 1 f.

162 Offenbar mit Anspielung auf die Etymologie (Serv. Aen. 6, 775 Inuus ab ineundo passim cum omnibus animalibus, vgl. Ov. fast. 2, 441), die aber hier verharmlosend aufgefaßt wird.

163 Anders interpungiert etwa Doblhofer (wie Anm. 159): Komma vor seu, Punkt nach init; auch dabei bleibt Inuus Subjekt von 235 f.

164 Man denkt an ityphallische Pandarstellungen (s. oben Anm.72); aber diese Auslegung ist unsicher, da fingitur auch nur auf eine verbale, nicht bildliche, Deutung bezogen werden kann.

165 Gut erfaßt jetzt von C. Gruzelier in der kommentierten Ausgabe, Oxford 1993, z. St. - Von griechischen Dichtern kennt m. W. nur Nonnos einen "Phaunos", der, als Sohn sonderbarerweise von Kirke und Zeus (13, 330), in Etrurien zu Hause ist

(37, 56 f.): Daß er unter den Mitstreitern des Dionysos erscheint, dürfte auf die Einreihung der Fauni ins Gefolge des Bacchus (seit Hor. epist. 1,19, 4, s. oben) bzw. ihre Zuordnung zu Satyrn (seit Lucrez) zurückgehen.

166 Faunus: nat. 17, 50; Pan: nat. 3, 8; 35, 62 usw. (regelmäßig bei der Beschreibung von Kunstwerken).

167 Bei Derkyllos, der Faunus zum menschenopfernden, von Herakles selber getöteten Sohn des Hermes (!) macht (Ps. Plut. parall. min 38 B = FrGrHist III A 288 F 2 Jacoby) - sein Zeugnis galt noch Bayet (wie Anm. 5) 164 ff. als entscheidend wichtig für die Ausbildung der Faunussage - handelt es sich nach Jacobys Darlegungen um einen von Ps. Plutarch erfundenen "Schwindelautor": Immerhin scheint seine Genealogie eine Wirkung der Gleichsetzung Faunus - Pan auf einen griechischen Schriftsteller zu bezeugen. Der echte Plutarch kennt den "Seher Phaunos" als Mann der von den Römern mit Fauna gleichgesetzten Bona Dea: quaest. Rom. 20 (268 D), Caes. 9; von Picus und Faunus weiß er immerhin, daß sie in manchem den Satyrn und Panes zu vergleichen seien (Num. 15, 3).

168 hunc Faunum plerique eundem Siluanum ..., quidam etiam Pana esse dixerunt.

169 Martianus Capella (2, 167) nennt unter den halbgöttlichen, auf der Erde lebenden Wesen auch Panes, Fauni (vgl. 5, 425); an anderer Stelle (9, 906) unterscheidet er zwischen Pan, Silvanus und Faunus.

170 Tertullian schreibt, nat. 2, 9, 21 (= Varro rer. div. 217 Cardauns): si Faunus Pici filius in ius agitabatur mente ictus, curari eum magis quam consecrari decebat (so alle Herausgeber). Offenkundiger Unsinn: Weder dürfte der alte Latinerkönig noch sonst jemand je "wegen Geistesverwirrung" vor Gericht gezogen worden sein - im Fall des Faunus: vor wessen Gericht? -; und schwerlich hieße das (trotz Hey, ThlL I 1330, 70) in ius agitare. Man streiche in ius, das offenbar aus Dittographie von filius entstanden ist: Faunus wurde, als prophetischer uates, versteht sich (vgl. auch Cardauns z. St.), enthusiastisch verrückt (zu vergleichbarem agitare Hey a.O. 1332, 34-38 u. a.); auch die Fauni bzw. Fatui sollen ja nach Serv. Aen. 8, 314 per stuporem (was zweideutig ist) wahrsagen.

171 Neben dem Referat von Valerius Antias (5, 1 ff., s. oben) vgl. 1, 28 (Fauni); 1, 36; 2, 71 (Königsliste); 5, 18.

172 Vgl. auch inst. 1, 15, 8; 1, 22, 17; zu 1, 22 s. oben Anm. 20

173 In der Weltchronik (101 F, p. 62 b Helm) gibt er die alte Königsliste (mit Ianus beginnend) nach Verg.Aen. 7, 45 ff. (so erscheint sie auch in der Chronik des Iordanes p.5, 31; 6, 5 ed. Mommsen). Dagegen bezeugt er einen Volksglauben an Fatui (= Fauni) ficarii (vgl. oben Anm. 22) im Komm. zu Is. 13, 21 (CCL 73, p. 166) quodque sequitur 'pilosi saltabunt ibi' uel Incubones uel Satyros uel siluestres quosdam homines, quos nonnulli Fatuos ficarios uocant, aut daemonum genera intellegunt. Einen solchen läßt er sogar leibhaftig (mit Hörnern und Ziegenfüßen) in der romanhaften Vita Pauli 8 (Migne PL 23, Sp. 23B) auftreten: "mortalis ego sum et unus ex accolis eremi, quos uario delusa errore gentilitas Faunos Satyrosque et Incubos uocans colit ... " . Vor allem durch Isidor (vgl. unten Anm. 187) kommen diese Vorstellungen ins Mittelalter.

174 Der König bzw. Gott Faunus: civ. 8, 5; 18, 15 f.; vgl. oben Anm. 116

175 S. oben Anm. 105

176 Im Corpus Glossariorum Latinorum findet man (II 71, 6): Faunus

177 Schon diese Feststellung genügt, um die gedankenlose Behauptung, "die" Römer hätten Faunus mit Pan gleichgesetzt, zu widerlegen. Manche Autoren kennen überhaupt nur Pan bzw. Panes, wie Manilius, Seneca, Columella, Pomponius Mela, Lucan, Apuleius, Minucius Felix u. a.

178 Servius zu Verg. georg. 1, 11 wundert sich geradezu über den Plural Fauni: cum unus Faunus sit, cur pluraliter posuit? , erläutert dann aber durch Hinweis auf Varro ling. 7, 36.

179 Eindrucksvoll rahmt er ja die italischen Bücher 7 - 12, wobei er durch sein Orakel (in VII) die Offenheit gegenüber der römischen Zukunft, durch seine vergebliche Hilfsaktion für Turnus (in XII) seine Pietatät gegenüber der Vergangenheit zeigt: Würde und Ohnmacht des alten Latium.

180 Wenn Vergil an berühmtester Stelle (georg. 2, 494) als d i e Götter des Landlebens nebeneinander nennt Panaque Siluanumque senem nymphasque sorores, so ist klar, daß er den römischen Silvanus, der ja auch in der 10. Ekloge neben dem griechischen Pan auftritt (V. 24 ff.), für den diesem zumindest an Gesamtbedeutung entsprechenden Gott hält. So denkt noch Isidor (s. unten).

181 Immer noch grundlegend hierzu H. Dahlmann, Vates, Philologus 97, 1948, 337- 353 (= H.D., Kleine Schriften, Hildesheim / New York 1970, 35-51); vgl. Stroh (wie Anm. 85) 296 f.

182 Warum ich dieses umstrittene Gedicht (vgl. jetzt bes. H. Krasser, "Büßer, Spötter oder Künstler: Zur Interpretationsgeschichte der Horazode 1, 34", in: H. Krasser / E. A. Schmidt (Hg.), Zeitgenosse Horaz, Tübingen 1996, 311-343) ernstnehmen möchte, habe ich angedeutet in "De Horatio uitae praeceptore Epicureo", Acta selecta Octavi Conventus Academiae Latinitati Fovendae, Rom 1995, 183-205, dort 196-198 (durch Druckfehler bzw. Auslassung enstellt). Zur Gesamtproblematik vgl. die oben Anm. 71 zitierte Abhandlung von Zinn.

183 Man denke, daß z. Bsp. Kaiser Vitellius den Ursprung seiner Familie von Faunus herleitete (Suet. Vit. 1,2): Hätte er von Pan abstammen sollen?

184 Isid. orig. 8, 11, 87 Fauni a fando uel dicti, quod uoce non signis ostendere uiderentur futura ... , fast wörtlich nach Serv. Aen. 7, 81.

185 Orig. 8, 11, 1 Quos pagani deos asserunt, homines olim fuisse produntur et pro uniuscuiusque uita uel meritis coli apud suos post mortem coeperunt, ut ... apud Latinos Faunus, apud Romanos Quirinus.

186 orig. 8, 11, 81 Pan dicunt Graeci, Latini Siluanum deum rusticorum ...

187 orig, 8, 11, 104 quem autem uulgo Incubonem uocant, hunc Romani Faunum ficarium dicunt. ad quem Horatius dicit ... [Zitat carm. 3, 18, 1-3], natürlich nach Ps. Acro (incubum neben Inuum als v.l. zu carm. 1, 17, 1) bzw. Servius, s. oben Anm. 73.

Vorher: ... Incubi dicuntur ab incumbendo, hoc est stuprando. In orig. 11, 3, 21 (De portentis) zitiert Isidor die Vita Pauli des Hieronymus und erläutert mit Hilfe von dessen Jesaiakommentar (s. oben Anm. 173): dicuntur quidam et siluestres homines, quos nonnulli Faunos ficarios uocant.

188 Nach Herbigs (wie Anm. 4) 73 allerdings sehr pauschaler Erhebung deckt seit der frühen Neuzeit der Name Faunus den "gesamten Schwarm jener antiken Naturwesen, die nun in der neuen literarischen Mythologie der Neuzeit ihr [...] vorzüglich auf erotische Lüsternheit gerichtetes Wesen treiben".

189 Zu Mallarmés "L' après-midi d' un Faune" vgl. G. Highet, The classical tradition, Oxford 1949 (21951, Ndr.), 507 f.; mehr bei Davidson Reid (oben Anm. 4) 982, dort auch zur Wirkung auf Debussy und Beardsley.

190 Das Mittelalter kennt Faunus als verdienten König (ein Beispiel bei J. Seznec, The survival of the pagan gods [franz. 1941], Princeton, N.J. 1953 [Ndr.], 22) und natürlich Teil der latinischen Königsliste (Paulus Diaconus, Hist. Rom. 1, 1; Migne PL 95, 743 f. ). Daneben erscheinen die pluralischen Fauni (einige Belege in den Carmina Burana) vor allem (nach Isidor, oben Anm. 187) als Fauni ficarii bzw. siluestres dei oft zusammen mit Satyrn (vgl.R. Bernheimer, Wild men in the middle ages: a study in art, sentiment and demonology, Cambridge 1952, 95 ff.; einige Belege im Material des Mittellateinischen Wörterbuchs, München; Fauni und Satyrn sind die göttlichen Patrone der Rüpelhaftigkeit noch in Friedrich Dedekinds köstlichem Lehrgedicht 'Grobianus', 1549 [Ausg. von B. Könneker, Darmstadt 1979, S. 10]); auch eine Erinnerung an prophetische Fauni bleibt erhalten (Hinweise bei Bouché-Leclercq [wie Anm. 5] 133). In Renaissancekompendien (wie Giraldi, De deis gentium, Basel 1548, 609 f.) scheinen sie von Pan unterschieden zu werden; identifiziert im horazischen Sinn ist Faunus mit Pan in den wirkungsreichen Emblemen des Andreas Alciatus, 1550 (A. Henkel / A. Schöne, Emblemata, Stuttgart 1967, 1835 f.: Faunus verbreitet Schrecken und verkörpert die Geilheit; zu Unrecht sprechen die Herausgeber jeweils von "Satyr"). Zur Abgrenzung von Faunus und Pan bei englischen Dichtern der Renaissance gibt einige Hinweise P. Merivale, Pan the goat-god: his myth in modern times, Harvard UP 1969 (aufschlußreich bes. zu Spenser und Tennyson). Die deutschsprachige Literatur scheint nach Grimms Wörterbuch (tanzende und lüsterne) "Faune" erst seit dem 18. Jahrhundert zu kennen. Als trotz Bockigkeit begehrte Tanzpartner erscheinen sie ja auch (völlig abgesetzt vom großen Pan) im Karneval von Goethes Faust II; Schiller reiht sie (nach Horaz u.a.) in den 'Göttern Griechenlands' ins Gefolge des Bacchus ein : "Faun und Satyr taumeln ihm voran". Sonst findet man jetzt eine Fülle von Material in Davidson Reids Oxford guide (wie Anm. 4) unter den Stichworten "Pan" und bes. "Satyrs and Fauns" (966-984), einiges auch bei Hunger (wie Anm. 104) 166 f. Leider nicht zustande kam der von Jan S. Kunstreich für das Reallexikon der Deutschen Kunstgeschichte projektierte Artikel "Faun", da der Verfasser, wie er in einem langen und geistreichen Brief vom 22. Februar 1971 (mir freundlicherweise zugänglich gemacht durch Sibylle Appuhn-Radtke) erläutert, sich außerstande sah, den "Vorstellungsknäuel" (Herbig [wie Anm. 4] 73) von Faunen, Pan, Satyrn und Silenen aufzudröseln; die Aufgabe bleibt jetzt am zukünftigen Verfasser des Artikels "Satyrn" hängen.