Wilfried Stroh

Sexualität und Obszönität in römischer "Lyrik"


in: Theo Stemmler / Stephan Horlacher (Hrsg.), Sexualität in der Lyrik, Mannheim 2000, 11-49

Amorem deorum potentissimum esse Romanum, sodales, vel ex eo cognoscitur, quod ipsa ROMA, cum inverso ordine litterarum legatur, AMOR fiat. quid igitur aptius, quid iucundius quam de Romanorum rebus amatoriis disputare? quamquam hodie, si diligentius quaerimus, non tam de Amore nobis dicere licebit quam de matre eius, Venere scilicet. sed hanc differentiam vobis verbis paucissimis explicabo.

Mein Thema bedarf an drei Stellen einer Begriffsklärung: 1. Was ist Sexualität? 2. Was ist Obszönität? 3. Was ist römische Lyrik? Zum ersten: Die Sexualität scheint einen gut lateinischen Namen zu haben, aber der Schein trügt: Weder gibt es ein Wort sexualitas – jedenfalls in anständigem, vorvatikanischem Latein (1) -, noch entspricht etwa das Wort sexus ("Geschlecht"), demjenigen, was wir, neuerdings sogar wir Wissenschaftler (in schönem Einklang mit dem Sprachgebrauch der Bildzeitung), seit einiger Zeit als "Sex" bezeichnen. Schlimmer als das: In den vergangenen fünfzehn Jahren ist sogar die Ansicht aufgekommen, es gebe in der Antike nicht einmal die Sexualität als solche, vielmehr sei dieselbe ein "Konstrukt" erst des 19. Jahrhunderts, das man nicht in frühere Jahrhunderte zurücktragen dürfe. Was mit dieser auf den berühmten Michel Foucault (2) zurückgeführten These genau gemeint ist und wie weit sie als richtig gelten kann (3), können wir zum Glück dahingestellt sein lassen; denn für das, was in unserem Zusammenhang unter Sexualität verstanden sein soll, nämlich der Inbegriff aller Handlungen und Vorstellungen, die mit der körperlichen Geschlechtsliebe zusammenhängen, gibt es einen lateinischen Namen: den der Göttin Venus. Ihn gebraucht man etwa, wenn man vom Vollzug der physischen Liebe spricht als Venerem (bzw. uenerem) iungere (oder committere). Wer dazu keine Lust hat, heißt frigidus in Venerem; wer dazu immer aufgelegt ist, ist ein homo Venereus, und seine Freuden sind die uoluptates Venereae: So bezeichnet der noch allgemeinere Begriff res Venereae, entsprechend dem griechischen Aphrodisia, so ziemlich genau das, was wir landläufig unter Sexualität verstehen; denn die Göttin Venus ist nun einmal für diesen ebenso wichtigen, wie doch auch etwas genanten, Bereich der Menschlichkeit zuständig: Bei Ovid sagt sie ja (ars 3, 770): praecipue nostrum est, quod pudet .... opus ("Das, wofür man sich geniert, ist in besonderer Weise mein Gebiet").

Dieser Bereich der Venus ist zwar nicht scharf, aber doch fühlbar abgegrenzt von dem ihres Sohnes Amor oder Cupido (griech. Eros): Während er, selber ein Kind (das die Liebe noch nicht erfahren bzw. erlitten hat (4)), mit seinem berühmten Pfeil und Bogen in den Herzen der Menschen Verwirrung stiftet – als Liebesgott vor allem ein Gott des V e r liebens -, ist seine Mutter mehr für das Körperliche, d. h. für Lust und Harmonie zuständig.(5) So können beide sogar gegeneinander ausgespielt werden. (6) Der Epikureer Lucrez, der in den Fünfzigerjahren v. Chr. sein großes philosophisches Lehrgedicht De rerum natura schreibt und darin auch die Liebe behandelt, (7) empfiehlt zur Erhaltung des vernünftigen Seelenfriedens sinnigerweise die geschlechtliche Promiskuität, die er mit dem Namen Venus signiert - einer Göttin, die er sonst von ihm als die der Lust und des Werdens gefeiert wird -, während das schädliche Verliebtsein mit Amor in Zusammenhang steht. Zentralsatz (4, 1073: nec Veneris fructu caret is qui uitat Amorem - "Nicht entbehrt der den Genuss der Geschlechtsfreuden (Venus), der die Liebe (Amor) vermeidet", also: Make sex, not love! Und in ähnlicher Weise lässt sich Ovid zu Beginn seiner berühmten "Liebeskunst", Ars amatoria, von Frau Venus zum Lehrer ihres Sohnes einsetzen (ars 1, 7): me Venus artificem tenero praefecit Amori ("Mich hat Venus zum sachverständigen Lehrer des zarten Amor gemacht") – ein sinnreicher Gedanke! Ovid sorgt ja in diesem Werk dafür, dass der Mensch, der den Verliebten nur spielen soll (ars 1, 611 est tibi agendus amans ...), Herr über die Liebe (amor) bleibt und so vor allem zum Liebesgenuss (uenus) kommt: Beide Teile dieses Werks (das die wohl originellste Leistung der literarischen Erotik in Rom darstellt), der für die Männer (Buch 1 und 2) wie der für die Mädchen (Buch 3), gipfeln in der Darstellung und Verherrlichung der munera Veneris, d. h. der körperlichen Liebe, auf die letztlich alles hinauslaufen soll. So sind sogar in Vergils Aeneis die Aufgaben verteilt: Venus muss ihren Sohn Amor bitten, dass er die karthagische Königin Dido in den Titelhelden verliebt macht (Aen. 1, 657 ff.; 712 ff.); (8) damit es dann zur schicksalsträchtigen Liebesvereinigung und Quasihochzeit in der Grotte kommen kann, ist ihr, der Venus, eigenes Einverständnis gefordert (Aen. 4, 125). Nicht überall sind die Dinge so klar wie in diesen Fällen; aber insgesamt lassen sich für die römische Antike Erotik und Sexualität den Gottheiten Amor und Venus zuordnen. Heute soll es also vor allem um letztere gehen.

Leichter ist mit dem Begriff der Obszönität klarzukommen. Nicht nur ist obscaenus bzw. obscenus ein altehrwürdiges römisches Wort; es bezeichnet auch – obschon seine Bedeutung noch weiter geht (9) – all das, was auch wir unter obszön verstehen, also, was durch seinen Bezug auf das Sexuelle – wir denken an die oben zitierten Worte der Venus - als unanständig, unschicklich empfunden wird, vor allem in der Sprache: (10) etwa futuere für den Verkehr von Mann und Frau, pedicare für den von Mann und Mann (bzw. ‚Knaben‘),(11) mentula und cunnus für das weibliche und männliche Sexualorgan usw. Das vorzügliche Werk des Linguisten James N. Adams über das sexuelle Vokabular der Römer (12) gibt fast alle gewünschte Auskunft zu diesen Wörtern, die, wie ihre deutschen oder englischen Aequivalente, die sog. "four-letter-words", als anstößig (inhonestus), hässlich (turpis), schmutzig (spurcus) oder eben "obszön" empfunden werden und die man darum im normalen, literarischen wie umgangssprachlichen, Gebrauch entweder ganz zu meiden oder euphemistisch zu umschreiben hat. So verwendet man etwa für den Sexualverkehr statt des erwähnten derben futuere Umschreibungen wie coire ("zusammenkommen"), amplecti ("umarmen"), dormire cum ("schlafen mit") oder das besonders hübsche (schon fast römisch-katholische) liberis operam dare ("sich um Kinder bemühen").(13)

Kein Geringerer als Ovid, selber ein Meister eleganter Verhüllung, hat diesem sprachlich-literarischen Phänomen ein eigenes Gedicht gewidmet, das er allerdings, wegen der am Schluss dann doch gebrauchten ‚eigentlichen‘ Vokabel (pedicare für den Analverkehr), nicht in seine sozusagen offiziellen Werke aufgenommen hat; überliefert ist es in der für ihre Unverblümtheit berühmten Sammlung der (dem unanständigsten der Götter, Priapus, (14) gewidmeten) Carmina Priapea (dort Nr. 3) (15).

Obscure poteram tibi dicere: "da mihi, quod tu
    des licet assidue, nil tamen inde perit.
da mihi quod cupies frustra dare forsitan olim,
    cum tenet obsessas inuida barba genas.
quodque Ioui dederat qui raptus ab alite sacra
    miscet amatori pocula grata suo.
quod uirgo prima cupido dat nocte marito,
    dum timet alterius uulnus inepta loci."
simplicius multo est "da pedicare" Latine
    dicere. quid faciam? crassa Minerua mea est.

Dunkel könnte ich dir es erklären: "O schenke mir jenes,
    Das, soviel du auch schenkst, nimmer dir weniger wird!
Schenke mir, was du dereinst mir schenken wirst wollen – vergebens!
    Denn dir verargt’s dann der Bart, der deine Wangen besetzt.
Schenk‘ was dem Jupiter einst, vom heiligen Adler erbeutetet,
    der gab, der dem Galan süffige Becher serviert.
Was die alberne Maid in der Hochzeitsnacht dem verliebten
    Gatten gewährt, voller Furcht, dass er sie anderwärts stößt ...
Besser und einfacher sagt man es doch auf Latein: "Pedicare
    lass mich!" Was soll’s? Primitiv ist die Minerva bei mir.

Es ist eine naheliegende und populär beliebte Ansicht, dass die Antike gemäß Goethes Diktum:

Zwar sind wir auch von Herzen unanständig,
Doch das Antike ist mir zu lebendig ... –
in diesen Dingen ganz natürlich und ungeniert gewesen wäre (19) und dass dann etwa erst das (seit Heine und Nietzsche) als leibfeindlich beschimpfte Christentum die Tabuisierung des Sexuellen (20) gebracht hätte: In Wirklichkeit war die Zimperlichkeit zumindest der Römer hier eher noch größer als die der christlichen Neuzeit: So erklärt etwa Cicero die sonderbare Vertauschung von Präposition und Nomen in nobiscum damit, dass die reguläre Folge cum nobis (wegen Angleichung des auslautenden m an das nachfolgende n)einen obszönen Nebensinn ergäbe (cunno wäre Dativ/Ablativ von cunnus dem weiblichen Genitale) (21). Und die von Cicero dezidiert gemiedenen "four-letter-words" (22) sind streng auf subliterarische Graffiti und, wie wir sehen werden, ganz bestimmte Formen bzw. Gattungen der Literatur beschränkt. Gerade nur die Kyniker, bzw. ihnen nahe stehende Stoiker, huldigen, laut Cicero, dem Prinzip des suo quamque rem nomine appellare (23); der gesittete Römer weiß, dass auch bestimmte naturalia, in den Mund genommen, turpia sein können.(24)

Aufschlussreich ist hier die von Varro, dem größten Sprachwissenschaftler der Römer, approbierte (obschon sicherlich unrichtige) Etymologie von obscaenus (ling. 7, 96): turpe ideo obscaenum, quod nisi in scaena palam dici non debet ("Das Schimpfliche heißt darum obscaenum, weil es nur auf der Bühne öffentlich gesagt werden darf"). Danach gäbe also das Theater der Unanständigkeit einen freieren Raum als das bürgerliche Leben. Das wird zu einem guten Stück durch den Befund bestätigt. Zumindest in den Komödien des Plautus, die, um 200 v. Chr. entstanden, die frühesten uns ganz erhaltenen Stücke lateinischer Literatur darstellen, spielt die verbale Obszönität eine beträchtlich größere Rolle als in den zahmen, das Sexuelle allenfalls andeutenden Lustspielen der sog. "Neuen" Komödie der Griechen (die vor allem durch Menander repräsentiert wird). Plautus ist zwar weit entfernt von den deftigen Ferkeleien der "Alten", in Aristophanes gipfelnden, Komödie (die sich schon darum bei manchen heutigen Regisseuren einer gewissen Beliebtheit erfreut); aber, wie ein fleißiger Amerikaner abgezählt hat, (25) arbeitet er doch im Schnitt etwa fünf Zoten in seine Stücke ein, um sein römisches Publikum zum Lachen zu bringen. Und zwei seiner Komödien kulminieren geradezu in Szenen höchster Anzüglichkeit: In der Casina wird einem lüsternen Mann statt des ersehnten jungen Mädchens ein haariger Sklave zur präsumptiven Entjungferung ins Bett gelegt (die auf der Bühne undarstellbare Szene wird immerhin vom Betroffenen detailliert erzählt) (26); und im Miles gloriosus soll der angeblich im Ehebruch ertappte Titelheld, der ruhmredige Soldat, gar auf offener Szene seiner edelsten Waffe beraubt werden (27): Schon schleift ein Koch das gewaltige Messer zur Kastration des Gefesselten – bis dieser sich dann doch noch freikauft. (Da die Kastration eine römische, nicht griechische, Strafe für den Ehebrecher ist, hat man mit Recht vermutet, dass die Ausgestaltung dieser schaurig schönen Szene auf die römische Bearbeitung durch Plautus zurückgeht.(28)) Was für diese im griechischen Gewand dargebotenen künstlerisch gehobenen Komödien (die sog. palliatae) gilt, dürfte noch mehr für die niedrigeren Spielformen des römischen Theaters (29) zutreffen: für die Atellane, eine rustikale, ursprünglich oskische Posse, und den Mimus mit seinen derb realistischen Alltagsszenen; offenbar auch für die Togata (die Komödie im römischen Bürgergewand): Bezeugt ist, dass hier in einem Stück der berüchtigte Gartenwächter Priapus mit seinem überdimensionalen Mannesglied als Prologgott erschien. (30) Das sind obscaena, die nur oder fast nur auf der Bühne, d. h. in der Ausnahmesituation öffentlicher Feste, bei denen gespielt wurde, durchgehen durften.

Aber nicht die Bühne ist heute mein Hauptthema, sondern – und damit kommen wir endlich zum dritten Punkt der Vorbemerkungen – die römische "Lyrik". An dieser Stelle entferne ich mich am entschiedensten vom lateinischen bzw. antiken Sprachgebrauch, wonach ja "Lyrik" (31) all diejenige Dichtung ist, die gesungen wird (oder doch zumindest in Versmaßen geschrieben ist, die für den Gesang bestimmt sind). Dies wären z. B. die Komödienlieder von Plautus, die Chorlieder des Tragikers Seneca, ein Teil der Gedichte von Catull und Horaz– ein höchst disparates, für unsere Zwecke ungeeignetes Corpus. Darum verstehe ich unter "Lyrik", ungefähr dem heutigen landläufigen Usus folgend, diejenigen Gedichte, in denen der Dichter in eigener Person und über sich selber spricht (natürlich unabhängig davon, ob das Gesagte wahr ist oder als die nur einem "lyrischen Ich" zuzuschreibende Fiktion zu gelten hat (32)). Dazu gehört neben einem großen Teil der sozusagen echten "Lyrik" des Catull und Horaz (die, wie ich meine, in der Tat gesungen werden sollte und z. T. auch wurde(33)) vor allem die sogenannte "subjektive" römische Liebeselegie von Tibull, Properz, Ovid, das Epigramm, der Jambus und – zu einem Teil - auch die Satire. (34)

Mit ihr, der Satire (satura), der römischsten aller Gattungen, beginnt nun auch – und damit sind wir endlich beim gestellten Thema – die Geschichte der obszönen "Lyrik", d. h. persönlichen Dichtung der Römer. Ein römischer Ritter, C. Lucilius (gest. 102 v. Chr.), der ein Freund der vornehmsten Männer war, wagte es in seinen Satiren, von denen leider nur Fragmente, immerhin im Umfang von rund 1400 Versen,(35) erhalten sind, prominente Römer öffentlich und namentlich anzugreifen und dabei auch das eigene Leben in einer bisher nicht üblichen Weise zum Gegenstand der Dichtung zu machen: In seinen Büchern, denen er sich wie Freunden anvertraut habe, sehe man, so empfand später sein Nachfolger Horaz, das persönliche Leben (36) wie auf einer Votivtafel dargestellt (sat. 2, 1, 30-34).(37) Der Kühnheit dieses Vorgehens entsprach eine partielle Obszönität der Sprache, wie sie die römische Literatur offenbar noch nicht gekannt hatte. Er habe, sagt ein späterer Horazkommentator, (38) "vieles geschrieben, was einzigartig schmutzig war" (multa unice spurca composuit); ein Freund Ciceros spricht von seiner diesbezüglichen "Freiheit" (libertas bzw. libertas uerborum) und nimmt sie sich in einer eigenen dichterischen Invektive zum Vorbild (39): Wenn also Horaz in riskanter gattungsgeschichtlicher Konstruktion die satirische Polemik des Lucilius unmittelbar von der aggresiven "Alten" attischen Komödie abhängen lässt (sat. 1, 4, 1 ff.), so dürfte er wahrscheinlich auch deren notorische Unanständigkeit im Auge haben.

Überraschenderweise können wir gerade diese für Lucilius gut bezeugte Funktion der Obszönität als eines Mittels persönlicher Aggression und Invektive (wie von Catull und besonders auch Cicero bekannt) aus den erhaltenen Fragmenten nicht richtig nachweisen. (40) Dagegen sehen wir, wie er in andersartigen Satiren – die Gattung ist ja auf das Polemische nicht völlig festgelegt – über Probleme der Erotik disputiert: ob Knaben- oder Frauenliebe vorzuziehen sein, welche Gefahren dem Ehebrecher drohen usw., alles in recht unverblümter Sprache. So stellte er auch das eigene Liebesleben, mit Hetären und schönen Knaben, dar, wobei ihm schon in der Antike vorgehalten wurde, dass er seine männlichen Geliebten, wie Macedo und Gentius, unter deren eigenem Namen (wie es heißt) "prostituiert" habe, statt sie unter einem Pseudonym zu verstecken: wiederum ein Beleg für die Wirklichkeitsnähe seiner Gedichte. In seiner phantasievollen Darstellung des Sexuellen vermeidet Lucilius offenbar die ganz ordinären termini technici (41)(die sich in der Sprachgeschichte freilich auch z. T. gewandelt haben könnten). So erscheint für die übliche mentula des Manns der auch sonst erwähnte, vielleicht altertümliche, mutto (42)– suggestiv (308 Kr.): at laeua lacrimas muttoni absterget amica ("Doch die Freundin wischt mit der Linken dem mutto die Tränen ab") offenbar das höchlichst poetisch stilisierte Ergebnis eines Petting.(43) Singulär ist, im homosexuellen Bereich, die von den Hinterbacken (nates) inspirierte "Wasserschlange" (natrix, 69 Kr.): si natibus natricem inpressit crassam et capitatam ("wenn er den Backen seine fette und großkopfige Wasserschlange eingedrückt hat"). Für die Erektion weicht Lucilius überraschend ins Griechische aus (302 f. Kr.): cum poclo bibo eodem, amplector, labra labellis / fictricis compono, hoc est cum - ‘ psolokopûmai‘ ("wenn ich aus demselben Becher trinke, sie umarme, die Lippen auf die Lippen der Leckerin (44) lege, das heißt, wenn ich - ‚psolokopûmai‘", was Horaz später gut lateinisch paraphrasiert mit tentigine rumpi, "vor Spannung platzen": Die lateinische Sprache hätte ein so expressives verbum compositum (45) nicht bilden können). Direkter und ganz besonders liebevoll werden die machtvoll herabhängenden Hoden eines Widders geschildert (535-537 Kr.).

Auch für den Geschlechtsverkehr fehlt die vox propria. Im übrigen ist wiederum Anschaulichkeit angestrebt, etwa (1313 Kr.): si uero das, quod rogat, et si suggeris suppus (46) ... ("Gibst du aber, was sie verlangt, und trägst sie von unten, rücklings ..."). Oder in landwirtschaftlicher Terminologie (340 Kr.): crisabit ut si frumentum clunibus uannat ("sie wird wackeln, (47) wie wenn sie mit dem Hintern Getreide worfeln würde"(48)); welches frappante Gleichnis Lucilius so gut gefallen hat, dass er es noch einmal gebraucht (280 Kr.): hunc molere, illam autem ut frumentum uannere lumbis ("... dass er mahlt, sie aber mit den Lenden worfelt, wie das Getreide"). Auch der Sport gibt einmal eine Metapher, um, sehr derb (49), den Analverkehr zu empfehlen (1285 Kr.): podicis, Hortensi, est ad eam rem nata palaestra ("Der Ringplatz des Hintern ist für diese Sache wie geschaffen"). Weniger suggestiv ist (339 Kr., wenn der Text richtig hergestellt ist): opus fit ("Man kommt zur Sache") (50) oder, im Einklang mit dem sprachüblichen Euphemismus (643 Kr.): ...cupidi officium fungor liberum ("Ich erfülle die Aufgabe eines der Kinder möchte"). Nach einer Eposparodie klingt der prahlerische Triumphvers (1339 Kr.): uicimus, o socii, et magnam pugnauimus pugnam, was nicht zu verstehen wäre, wenn nicht der Grammatiker Donat, der den Vers zitiert, die Erläuterung gäbe, dass mit pugna hier stuprum, also der mit Gewalt erzwungene Beischlaf, gemeint sei. Lucilius war wohl in keiner Hinsicht zimperlich.

Wüssten wir nur immer den Kontext, in den solche isolierten Zitate gehören! Gern erführen wir z. B. mehr von der Satire, in der Lucilius schilderte, wie er mit seinen Freunden (nach Art eines griechischen Komödienjünglings) zum Raub seiner Geliebten ein Haus gestürmt hat (778 ff. Kr.) ... Deutlich scheint jedenfalls, dass er auch sein Geschlechtsleben mit einer Offenheit dargestellt hat die schockierte und schockieren sollte. Der Mann, der von sich sagte, dass er die größten Einkünfte als Steuerpächter nicht wolle, wenn er dafür auf den Genuss verzichten müsste, Lucilius zu sein (656 f. Kr.)– der Mann, der ein solches Behagen an der eigenen Individualität zeigte und zeigen wollte, gab zu verstehen, dass es ihm nichts ausmachte, wenn man über den ‚Schmutz‘ solcher Gedichte die Nase rümpfte: "Höchstes Glück der Erdenkinder ist nur die Persönlichkeit" – man sollte und musste ihn nehmen, wie er war. Für uns aber ist der Verlust seiner Satiren eine der schmerzlichsten Leerstellen in der lateinischen Literaturgeschichte: Erst wieder mit Ovid erschien ein Dichter mit vergleichbar stolzem Selbstbewusstsein – und unvergleichbar schwererem Schicksal.

Die berühmte Lucilii libertas findet ihre Fortsetzung und Steigerung zwei Generationen später bei Catull, sicherlich einem der obszönsten Dichter der Literatur. (51) In kaum mehr als 2, 3 Jahren, vor allem von 56 bis 54 v. Chr., hat er ein Werk von etwa 2000 Versen geschaffen, das bis heute die Welt den Atem anhalten lässt, sowohl im Hinblick auf diezum Teil extreme Künstlichkeit der Form, wie auf die unmittelbar packende Lebendigkeit des Inhalts - zumindest in der Antike etwas Einzigartiges. Auch bei ihm kann, wie wohl bei Lucilius, die Obszönität, die er (soweit wir sehen) zum ersten Mal bis hin zu den elementaren "four-letter-words" kultiviert, einfach Ausdruck einer jugendlich vitalen Lebensfreude sein. So, wenn er, nach dem Mittagessen im Bett liegend, sich allein fühlt – und gleich ein lyrisches Billetchen (52) an die schöne Ipsitilla, das leichte Mädchen aus der Nachbarschaft, expediert (32, 1-8):

Amabo, mea dulcis Ipsitilla,
meae deliciae, mei lepores,
iube ad te ueniam meridiatum.
et si iusseris, illud adiuuato,
ne quis liminis obseret tabellam,
neu tibi lubeat foras abire,
sed domi maneas paresque nobis
nouem continuas fututiones.

Sei so gut, meine süße Ipsitilla, du, mein Schätzchen, meine Wonne, befiehl, dass ich zu dir zur Siesta komme, und wenn du’s befohlen hast, sorge dafür, (53) dass keiner das Brett an der Türschwelle verriegelt und du nicht etwa Miene machst fortzugehen, sondern im Hause bleibst und uns vorbereitest neun ununterbrochene fututiones.

Aus futuere, dem schon erwähnten urrömischen Terminus für das (männliche (54)) Vögeln, hat Catull sprachschöpferisch (wie er das gerne tut) das Substantiv fututio entwickelt, das mit plötzlicher Wucht – denn die ersten sieben Verse waren denkbar zahm -, schon durch seine schiere Ausdehnung die Menge des sexuellen Tatendursts veranschaulicht: nouem continuas fututiones – ein Vers aus nur drei Wörtern, die nach Behaghels Prinzip im Umfang anschwellen: von 2 zu 4 zu 5 Silben (bzw. von 3 zu 6 zu 8 Moren, d. h. prosodischen Zeiteinheiten). Das Gedicht könnte, wie andere, mit dieser linguistischen Pointe effektvoll zu Ende sein, aber Catull - ich meine natürlich sein lyrisch-lüsternes Ich – setzt noch einen drauf, um das Mädchen, wie er wohl wähnt, recht scharf zu machen:

uerum, si quid ages, statim iubeto:
nam pransus iaceo et satur supinus
pertundo tunicamque palliumque.

Aber wenn schon, (55) dann befiehl es sofort! Denn ich liege vollgegessen da, und, satt auf dem Rücken, durchstoße ich Tunica und Pallium [das römische Untergewand und das griechische Oberteil, das hier, wie oft, als Bettdecke dient].

Jetzt oder nie! Kann man schöner und reinlicher die Sexualität von der Erotik trennen? (56) Das krud anschauliche Autorenporträt am Ende, ein pornografischer Schnappschuss, fungiert gewissermaßen als Bildunterschriftunter der unzweideutigen Selbsteinladung.

Ganz auf diesen heiteren Ton gestimmt sind die homoerotischen Gedichte, die Catull vor allem an einen schönen Knaben richtet, den er – wahrscheinlich ein Pseudonym – mit dem hochtrabenden römischen Gentilnamen Juventius versieht.(57) Er wird in dem ihm gewidmeten Zyklus (58) mit einem Gedicht eingeführt (59), das mit seiner Unanständigkeit in der römischen Literatur, soweit wir sehen, neue Maßstäbe setzt (c. 15). Catull empfiehlt dort den geliebten Knaben (V. 1 meos amores)– vielleicht, so kann man sich ausmalen, weil er selber verreist - der Obhut seines Freunds Aurelius, wohl einer dem Leser seiner Kreise fassbaren Person. In einer höchst umständlichen und gezierten, geradezu übertrieben höflichen Einleitung bittet er diesen, ihm seinen Knaben als ein Tugendwächter rein und keusch zu erhalten (5 conserues puerum mihi pudice (60)), aber nicht, wie man denken sollte, weil diesem von den Leuten auf der Straße Gefahr drohen würde – eben dafür gäbe man ja sonst römischen Knaben einen paedagogus bei -, viel mehr ist zu fürchten, dass hier der Schäfer selber zum Wolf wird (9 ff.; die obszöne Vokabel, penis, sitzt wieder wie ein plötzlicher Hieb):

uerum a te, metuo tuoque (61) pene
infesto pueris bonis malisque.
quem tu qua iubet, ut lubet, (62) moueto
quantum uis, ubi erit foris paratum:
hunc unum excipio, ut puto, pudenter.

... vielmehr vor dir habe ich Angst und deinem Schwanz,
der den Buben gefährlich ist, den guten und den bösen.
Ihn magst du, wie er befiehlt, wie’s ihm beliebt, bewegen,
so viel du willst, so bald sich außerhalb eine Gelegenheit bietet.
Nur diesen einen bitt‘ ich mir, wie ich meine, höflichst aus.

Die Drastik, mit der hier – wenn auch im zumindest halben Scherz – die rastlose sexuelle Gier eines doch noblen jungen Römers beschrieben wird, ist einzig: Das uns Heutigen ja wohlvertraute Wort penis war zwar ursprünglich als Euphemismus für das unaussprechliche mentula erfunden worden – dieses wird an anderer Stelle von Catull, ohne größeren Dauererfolg, (63) in die Literatur eingeführt -, aber Cicero bezeugt, dass die Anstößigkeit längst von der Urvokabel auf ihr Substitut durchgeschlagen hatte. (64) Fast noch toller ist der Schluss, wo Catull seinem Freund höchst drastisch und mehr als anschaulich die für den griechischen Ehebrecher vorgesehene Strafe der hinterwärtigen Durchbohrung mit Rettich und Fisch androht: Sein Knabe, so soll man die komische Übertreibung verstehen, ist ihm so heilig wie sonst einem Römer die teure Gattin.

Den Anstoß, den Gedichte dieser keck obszönen Art in Rom erregt haben, bezeugt Catull selbst im folgenden Gedicht, das zu den berühmtesten, aber auch am meisten missverstandenen, ja missbrauchten Gedichten der lateinischen Literatur gehört. Es beginnt (c. 16, 1-4):

Pedicabo ego uos et irrumabo,
Aureli pathice et cinaede Furi,
qui me ex uersiculis meis putastis,
quod sunt molliculi, parum pudicum.

Das erste müssen wir, weil uns im Deutschen die ganz prägnanten Termini fehlen, umschreiben: "Ich will euch im Hintern (pedicare) und Mund (irrumare) Gewalt antun, Tunte Aurelius und Schwuchtel Furius ...". Bezeichnet ist also die jeweils aktive Tätigkeit beim Anal- bzw. Oralverkehr. Dieser Part ist nach zumindest antikem Empfinden unanstößig; einen Makel dagegen trifft, wer so etwas mit sich passiv geschehen lässt und darum (vor allem im Hinblick auf seine anale Empfänglichkeit) als pathicus oder cinaedus beschimpft wird. (65) Die von Catull formulierte Drohung muss dabei im Kern zunächst einmal so wenig wörtlich gemeint sein wie bei uns etwa die berühmte Aufforderung des Götz von Berlichingen; denn, wie vor allem Detlev Fehling (66) gezeigt hat, gehen solche scherzhaften Drohgebärden darauf zurück, dass pedicare und irrumare nicht nur (oder nicht so sehr) Praktiken zum sexuellen Lustgewinn, sondern vor allem Mittel der Erniedrigung und Bestrafung (damit auch der Rangdemostration) sind. Dies sieht man am deutlichsten an den Carmina Pripapea, wo der Gott Priap mit seinem Riesenphallus, zum Wächter des Gartens bestellt, den Obstdieben eben die pedicatio und irrumatio als erniedigendste Strafe androht. Wenn sich Catull also etwa über den Proprätor Memmius, dessen Reisebegleiter er war, beschwert (c. 28, 9 f.): o Memmi! bene me ac diu supinum / tota ista trabe lentus irrumasti! ("O Memmius, du hast mich gut und lang auf dem Rücken liegend / mit diesem deinem ganzen [!] Balken im Mund gevögelt!"), sollen wir uns trotz aller Plastizität des Ausdrucks weniger schweinische Schäferstündchen in der Provinz Bithynien ausmalen, als vielmehr verstehen, dass Memmius die Erwartungen seines Freunds und Clienten, indem er diesem nichts zukommen ließ, aufs schändlichste und demütigendste betrogen, dass er ihn, wie wir analog etwa sagen könnten, "von oben bis unten beschissen" hat. (67)

Das Folgende zeigt nun aber, dass hier an dem übertrieben maskulinen Drohen doch noch etwas mehr dran sein dürfte. Was erzürnt denn Catull gegen die Freunde? "Dass ihr auf Grund meiner Verse, die schlüpfrig sind, geglaubt habt, ich selber sei parum pudicus ("zu wenig keusch, sittsam") – woran ist dabei konkret gedacht? Nach lateinischem Sprachgebrauch kann mit impudicus bzw. parum pudicus, auf einen jungen Mann angewendet, kaum etwas anderes gemeint sein, als dass er sich selber als pathicus und cinaedus betätigt, dass er ‚es mit sich machen‘ lässt. (68) Offenbar haben dies Aurelius und Furius aus der schieren Unanständigkeit von Catulls Gedichten geschlossen (wie der Schluss zustande kommt, wird später noch klarer werden). Wenn diese Auffassung richtig ist, dann ist also mit Pedicabo ego uos et irrumabo ... offenbar doch auch gemeint, dass er seinen Freunden, wie viele Erklärer längst verstanden haben, (69) "den Beweis seiner Männlichkeit zu liefern verspricht" (Kroll), wir fügen hinzu: in der für sie kränkendsten, beleidigendsten Weise (wenn man jedenfalls die Drohung ganz ernst nehmen wollte).

Welche Verse Catulls haben diesen Schluss veranlasst? Doch wohl am ehesten die des unmittelbar vorhergehenden Gedichts, das Catull ja an einen der beiden Freunde, Aurelius, gerichtet hatte und in denen dessen penis in voller Aktion dargestellt worden war: Wer solche Ferkeleien schreibe, mochte der pikierte Adressat meinen, der sei wohl selber parum pudicus. Oder ist dieser Bezug nicht möglich, weil sich Catull im vorhergehenden Gedicht ja durchaus nicht in der Rolle des pathicus, die eher die des Juventius wäre, vorgestellt hat? So hat man jetzt begreiflicherweise argumentiert, (70) aber dabei ist nicht damit gerechnet, dass die unanständig zotige Sprache eo ipso die Wirkung haben kann, erotisch zu stimulieren und auf den Sprecher als mögliches Lustobjekt aufmerksam zu machen. So singt etwa der männersüchtige cinaedus bei Petron (23) ein schlüpfriges, sotadeisches Lied; und die Mädchen im dritten Buch von Ovids Ars amatoria tragen, wenn auch harmlosere, erotische Dichtungen vor, (71) um sich bei den Männern interessant zu machen (329 ff.).(72) Könnte etwa gar Aurelius die Aufforderung quem (sc. penem) tu qua iubet, ut lubet, moueto scherzhafterweise so interpretiert haben, als deute Catull hier insgeheim eigene Gelüste nach einem uir an, der es ihm besorgen solle?

Wenn diese Auffassung zu schwierig oder gesucht scheint, muss man parum pudicus allgemeiner nur im Sinn einer sexuellen Hemmungslosigkeit verstehen (73) (und die Drohung mit Pedicabo etc. dann ganz von diesem Vorwurf lösen (74)). Aber auch dann kann nur ein Gedicht wie das vorhergehende mit den uersus molliculi gemeint sein. Was denn sonst? Etwa Catulls Kussgedichte (c. 5 und 7), auf die in der Tat später im Gedicht (V. 12) angespielt wird? So meinen unglaublicherweise die meisten Erklärer. Aber diese ja noch gar nicht erwähnten Gedichte sind zwar schwungvoll und leidenschaftlich, aber durchaus wohlanständig und doch in keinem Sinn molliculi (75) oder gar, wie es vier Verse später ausdrücklich heißt (V. 8), parum pudici, so dass man aus ihnen auf einen poeta parum pudicus (76) schließen könnte. Der Rest des Gedichts wird unsere Auffassung bestätigen.

Catull antwortet auf den Vorwurf mit der berühmten Formulierung, dass man zwischen Leben und Dichtung trennen müsse (5-11):

nam castum esse decet pium poetam
ipsum, uersiculos nihil necesse est,
qui tum denique habent salem ac leporem,
si sunt molliculi ac parum pudici
et quod pruriat incitare possunt,
non dico pueris, sed his pilosis,
qui duros nequeunt mouere lumbos.

"Denn ein frommer (77)  Dichter muss selber keusch sein, bei seinen Verslein ist das nicht nötig." Damit sagt Catull nicht, wie man ihn gerne versteht, dass das in seinen Gedichten Gesagte nicht wirklich erlebt, sondern etwa (im Sinne der heutigen Literaturwissenschaft) einem lyrischen Ich zuzuschreiben sei, (78) sondern nur: Aus der Schlüpfrigkeit seiner Verse dürfe man nicht auf seine laxe Sexualmoral schließen (ein Gedanke, der von späteren Dichtern, wie man weiß, gerne wiederholt wurde), er verhalte sich vielmehr Recht und Sitte gemäß. (79) Damit ist sein (zumindest für ihn selber unanstößiges) Liebesverhältnis zu dem Knaben des vorhergehenden Gedichts natürlich nicht widerrufen; und auch zu der Pedicabo-Drohung, die Catull immerhin in sozusagen ehrbar aktiver Haltung zeigt, muss keine Spannung bestehen.(80) - Aber warum, so stellt sich die Frage, gilt für Catull nicht das übliche "Le style c’est l’homme même" bzw. qualis uita, talis oratio? Darauf antwortet das Folgende (7 ff.): "Verse haben ja dann erst Salz und Witz, wenn sie schlüpfrig und ein bisschen unanständig sind..." – das leuchtet, trotz Übertreibung ,ein: Obszönität gibt Pfeffer; aber Catull geht weiter: "... und das aufreizen können, was juckt". Hier ist klar, dass Catull scherzt: Seine Gedichte sollten, wie heute ein Pornoheftchen, als aphrodisisches Stimulans wirken! Wie sollte das ernst gemeint und gar auf vorausgegangene Lesbiagedichte zu beziehen sein? Und Catull übertreibt diese seine angebliche Wirkungsabsicht noch weiter: "Ich meine nicht bei jungen Burschen, sondern bei diesen" - er stellt sie sich anwesend vor – "behaarten Herrn, die ihre harten Lenden nicht (mehr) bewegen können." Also: Catulls Gedichte ein Viagra für betagte römische Lebemänner, die sonst nichts mehr hinbringen! Hier ist die Beziehung auf das vorausgehende Gedicht vollends klar: Die Beschreibung des beweglichen penis (15, 11 moueto) wäre wohl in der Tat geeignet, die lumbi der Senioren in Schwung zu bringen (16, 11 mouere). - Und dann mit einer kühnen Assoziation von der Impotenz der Alten zur eigenen in Frage gestellten Virilität: Glaube man etwa, Catull könne die eingangs geäußerte Drohung selber nicht wahr machen? (12-14)

uos, quod milia multa basiorum
legistis, male me marem putatis?
pedicabo ego uos et irrumabo.

"Meint ihr, weil ihr [in c. 5 und 7] von vielen tausend Küssen gelesen habt, ich sei kein rechter Mann? Ich werde es euch von hinten und von oben besorgen!" Erst hier kommen endlich die (von den Erklärern zu früh bemühten) Kussgedichte ins Spiel. Nachdem Catull die Unanständigkeit des vorigen Gedichts befriedigend erläutert hat, tut er nun so, als müsse gerade die sprachliche Dezenz der früheren Lesbiagedichte, in denen ja über das Küssen nicht hinausgegangen wurde, seine Freunde auf die Idee gebracht haben, ihm fehle es an der männlichen Potenz und so könne man mit ihm beliebig umspringen: Das kann er durch die Tat widerlegen! – Dieses burleske, in der Forschung wie kaum ein anderes umstrittene Gedicht Catulls gibt sicherlich keine ernstliche Theorie der Dichtung (81), auch keine der Obszönität. Es bezeugt aber, bei aller Scherzhaftigkeit, dass Catulls Unanständigkeit nicht nur uns überrascht, sondern offenbar auch auf die Zeitgenossen erregend gewirkt hat.

Dies gilt interessanterweise zwar etwa für die Juventiusverse, nicht aber für die Gedichte, die, heute wie im Altertum, Catulls größten Ruhm ausmachen: die einzigartigen Liebesgedichte auf Lesbia, in denen Catull als erster römischer Dichter, vielleicht als erster antiker Dichter überhaupt, sich als einen der Liebe zu einer bestimmten Frau völlig hingegebenen Menschen dargestellt hat. (82) Diese Gedichte, die das ganze Corpus der erhaltenen Gedichte durchziehen, sind auffallenderweise fast frei von Sinnlichkeit und expliziter Sexualität, worauf, wenn wir richtig interpretiert haben, im 16. Gedicht (V. 12 f.) geradezu hingewiesen wurde. Obwohl Lesbia einen besonders anzüglichen Namen zu haben scheint – Frauen von Lesbos, Heimat ja auch der ‚Lesbe‘ Sappho, galten als lasziv, und griech. lesbízein heißt so viel wie fellare (es mit dem Mund machen) – trotzdem sind diese Gedichte fast rein sentimental: Selbst Lesbias Schönheit wird nur gefeiert, nicht körperlich beschrieben; was die erwähnten Küsse überschreitet, wird markiert, aber ohne große Anzüglichkeit verhüllt, etwa (8, 6 f.): multa ... iocosa ..../ quae tu uolebas nec puella nolebat ("das viele Heitere..., das du [Catull] wolltest und das Mädchen nicht ablehnte"). Erst als das Verhältnis in die Brüche gegangen ist, kommen auch in die Lesbiagedichte grelle Farbtöne aus der obzönen Palette: Sie "zerreißt die Leisten" ihrer Liebhaber (11, 20), denen in einem besonders unanständigen Gedicht auch mentulae zugeschrieben werden (37, 3) – diese Grundvokabel der Unanständigkeit feiert hier und in c. 29 zusammen mit futuere (37, 5 confutuere; vgl. schon 29, 13 diffututa) ihren Einstand in der römischen Literatur -: Nur wieder die Verse auf Lesbia selber setzen hier einen gefühlvollen Kontrast zu dem sie umringenden Unflat (11 f. quae meo sinu fugit / amata tantum quantum amabitur nulla). Hier ist das Obszöne nicht Ausdruck jugendlicher Lebensfreude wie in den Juventiusgedichten und den Ipsitillaversen, es ist der Schmerzenslaut eines leidenden Gemüts (c. 58):

Caeli, Lesbia nostra, Lesbia illa,
illa Lesbia, quam Catullus unam
plus quam se atque suos amauit omnes,
nunc in quadriuiis et angiportis
glubit magnanimi Remi nepotes.

Caelius! Unsere Lesbia, jene Lesbia, die Lesbia, die Catull, wie keine andere, mehr als sich selbst und all die Seinen liebte – auf Straßenkreuzungen und in Häuserwinkeln ‚schält‘ sie nun des großgesinnten Remus Enkel.

Die ungewöhnliche, semantisch nicht recht durchsichtige Vokabel glubit,(83) stellt mit ihren zwei stimmhaften Konsonanten, ebenso suggestiv wie obskur, Lesbias Hurentreiben vor Augen. Am deutlichsten wird diese Funktion des Obszönen in den Epigrammen auf Gellius, die wohl das Wüsteste sind, was Catull geschrieben hat. Nicht nur erniedrigende Sexualpraktiken, sondern vor allem auch der Inzest mit Mutter, Schwester und Tante wird ihm in übelsten Versen angehängt (c. 74; 80; 88; 89; 90) – wozu das alles? Erst das letzte Epigramm (c. 91) bringt die Auflösung, die den Zyklus überhaupt verständlich macht: Catull habe geglaubt, sagt er, seine Geliebte müsse vor dem Schweinehund sicher sein, da dieser ja - erster bitterer Sarkasmus – mit ihr nicht blutsverwandt war; dennoch habe er sich auch an ihr vergriffen, einzig darum, weil –zweiter, noch ärgerer Sarkasmus – ihn mit Catull alte Freundschaft verband! Gellius ist ein (echt römischer) Verbrecher, der das Böse um seiner selbst willen tut (84) und dem es dabei nicht böse genug sein kann. Gerade in den ihm gewidmeten "fast durchweg witz- und geschmacklosen Angriffe[n]" (Kroll) soll die ganz und gar nicht mehr heitere Obszönität als ein Aufschrei aus verwundetem Herzen wirken.

Auch die politische Empörung kann sich bei Catull, wenn auch minder schwarz, in dieser Weise äußern. Vor allem ist es ein gewisser Mamurra, ein neureicher Ritter und Günstling Caesars, dem Catull in obszönen Versen versucht, die Ehre abzuschneiden, indem er ihn vor allem als Ehebrecher (daneben auch als Bankrotteur) beschimpft. Einmal hat er sogar die Frechheit, Caesar selbst mit Mamurra zusammen zu attackieren (carm. 57):

Pulcre conuenit improbis cinaedis,
Mamurrae pathicoque Caesarique.
nec mirum: maculae pares utrisque,
urbana altera et illa Formiana,
impressae resident nec eluentur:
morbosi pariter, gemelli utrique,
uno in lectulo erudituli ambo,
non hic quam illa magis uorax adulter,
riuales socii puellularum.
pulcre conuenit improbis cinaedis.

Prächtig verstehn sich die beiden üblen Kinäden, Mamurra, die Tunte, und Caesar! Kein Wunder: Das gleiche Schandmal tragen beide, der eine in der Stadt, der andere in Formiae, eingeprägte Schandmäler, die sich nicht werden abwaschen lassen [gemeint: der Bankrott]. Beide sind morbosi [noch ein Ausdruck für passive, ehrenrührige Homosexualität], beide, einer wie der andere, sind in e i n e m Bettchen zu Fachmännchen geworden [dazu sogleich], der eine so gut wie der andere ein gefräßiger Ehebrecher, verbündete Rivalen bei den Mägdlein [bei denen sie offenbar halbpart machen]. Prächtig verstehn sich die beiden üblen Kinäden!

Wie die häuslebauenden Schwaben so liebt Catull das Deminutiv, das hier auf die beiden nur halbmännlichen Opfer der Attacke ja auch besonders gut passt. In dem Vers vom "Bettchen" ist aber kaum gemeint, dass, wie die Kommentare glauben, Caesar und Mamurra es miteinander treiben bzw. dass sie "von einander und an einander die ars paedicandi gelernt haben" (Kroll) – ein Vorwurf, der so m. W. in der Invektive der Römer nie erhoben wird und der hier durch keinen sprachlichen Ausdruck der Reciprocität angedeutet ist -, vielmehr doch eher: dass sie einmal denselben Lehrmeister gehabt haben. Vielleicht war Mamurra, von dessen früher Karriere wir nichts wissen, mit dem jungen Caesar schon in Bithynien, wo dieser Bettschatz des Königs Nikomedes gewesen sein soll. Caesar verstand Spaß, aber solche Verse sah er als ernste Gefährdung seines guten Rufes an: Er stellte den jungen Dichter zur Rede, und dieser musste sich entschuldigen ...(Sueton, Caes. 73). Auch im alten Rom waren Obszönitäten durchaus nicht immer harmlos.

Ich überspringe neben vielem anderen Catulls virtuoses Meisterwerk, den Attis (c. 63), das galliambische Gedicht über die religiöse Selbstentmannung eines jungen Atheners - zur Zeit, wie man sich vorstellen kann, ein beliebter Tummelplatz philologischer Allegorese – und sage auch nur kurz ein Wort zu den späteren Liebeselegikern, Gallus (desen Werk praktisch verloren, aber doch nicht unkenntlich ist), Properz und Tibull. Sie haben den unobszönen, sentimentalen Gedichttyp von Catulls Lesbiapoesie weiter gepflegt, die Darstellung einer über Catull hinausgehenden Liebesverfallenheit, in der die Sexualität verbal nur eine eingeschränkte Rolle spielt, die Obszönität so gut wie ganz ausgeklammert ist. Ein sprechendes Symbol dieser leidenschaftlichen, aber eigentümlich reduzierten Erotik ist es, dass Tibull in einer Elegie (1, 4) ausgerechnet dem Gott Priapus eine höchst zahme, auf Ovids bürgerliche Ars amatoria vorausweisende, "Liebeskunst" in den Mund legt und dabei den sonst mit seinem Phallus drohenden Gartenwächter als ordinär Verliebten erscheinen lässt, einen Liebhaber, der auf treue Hingabe und sogar edle Gedichte setzt! (85) Ein feines Stück Selbstironie: Der gar so schmachtende Tibull kann auch im obscenissimus deorum nur den Schicksalsgenossen im Reiche des Amor sehen.

Die Obszönität des Lucilius und Catull wird dagegen von Horaz wieder aufgenommen. In seinen Satiren behandelt er Sexuelles noch unverblümter als das große Vorbild, wobei die kynische Offenheit des Tons, besonders in der berüchtigten Ehebrechersatire (sat. 1, 2) der vermittelten Botschaft eines kynisch akzentuierten Epikureismus (86) entspricht. Horaz lehrt ja, dass man die natürlichen Begierden des Menschen – den Geschlechtstrieb ebenso wie Hunger und Durst – so leicht, ungefährlich und kostengünstig wie möglich befriedigen solle: Wer eine nette Sklavin im Bett hat, braucht nicht fremden Matronen nachzusteigen. Hier kann die Sprache so direkt sein wie das empfohlene Verhalten, und zum zweiten Mal darf futuere in die gehobene Literatur aufsteigen.

Etwas anders ist es in den Epoden des Horaz, (87) wo die Obszönität durch die Gattungstradition (des Archilochos) geradezu vorgeschrieben war (88) und wo, jedenfalls in zwei Gedichten, ihre schmutzige, widerwärtige Seite auf die Spitze getrieben wird. Grund dafür ist, wie oft bei Catull, die Wut, die auch zur Gattung des Jambus gehört, allerdings – von der Forschung meist übersehen (89) – die Wut des dichtenden Liebhabers auf sich selbst. In beiden Gedichten (epod. 8 und 12) beschimpft er nämlich eine Frau jeweils auf das ärgste als widerwärtig abstoßende Vettel; in beiden wird bei näherem Zusehen klar, dass er damit sich für eigenes Versagen zu exkulpieren sucht: Das eine Mal ist er akut impotent (und muss am Schluss kläglich um "Zuarbeit" mit dem Mund bitten: 8, 20 ore adlaborandum est tibi), das andere Mal fehlt es ihm chronisch am Durchhaltevermögen (12, 8 f. cum pene soluto / indomitam properat rabiem sedare, "immer wenn sie, nachdem mein Penis schon erschlafft ist, (90) ihre unbezwingliche Liebeswut eilends zu stillen sucht"). Die Selbstkritik ist ebenso versteckt wie gnadenlos.

Noch fehlt ein Ton bisher in der obszönen Dichtung der Römer: die Unverblümtheit nicht nur als Ausdruck vitaler Lebensfreude, sondern als ein Abbild des sinnenfrohen, körperbetonten Genusses. Diese erfreulichste Spielart der Obszönität finden wir vor allem in griechischen erotischen Epigrammen der hellenistischen Zeit (ich denke besonders an Dioskorides); von den Römern hat sie als erster – und fast einziger – Ovid, der letzte unter den großen Klassikern. Seine Amores in denen er die traditionelle Liebeselegie von Properz und Tibull weiterführt und genial erneuert, (91) gelten mehr als die Gedichte seiner Vorgänger der körperlichen Liebe: Ein Hauch der sinnlich-physischen Begierde, eine edle Lüsternheit, durchzieht das ganze Werk, in dem – ein Novum in römischer Dichtung – die Geliebte, Corinna, schon bald nach Beginn der Sammlung entkleidet, geradezu in Teilen vorgestellt und so beschrieben wird, dass sogar der kritische Lessing entzückt war. (92) Hören wir ihn nur, wie er, der Geliebten einen Ring zuschickend, selber sich wünscht, der Ring zu sein - ein triviales Motiv, aber wie eigenartig abgewandelt! am. 2, 15, 21-26:

non ego dedecori tibi sim, mea uita, futurus,
quodque tener digitus ferre recuset onus.
me gere, cum gelidis pefundes imbribus artus,
damnaque sub gemma perfer euntis aquae.
sed, puto, te nuda mea membra libidine surgent,
et peragam partes anulus ille uiri.

Ich würde dir wohl keine Schande machen, mein Leben, und keine Last sein, die dein zarter Finger zu tragen sich weigern müsste. Trage mich, wenn du mit warmen Güssen deine Glieder überschüttest, und erdulde den Verlust, wenn das Wasser unter die Perle dringt. Allerdings, meine ich, wenn du nackt bist, werden mir die Glieder schwellen, und ich, eben jener Ring, werde an dir des Mannes Werk vollziehen ...

(Es folgt dann nach diesem libidinösen Tagtraum ein kurzer, Heine-artig desillusionierender Abschluss.) Wohl niemand und nichts dürfte für den physischen Liebesvollzug so ungeeignet sein wie ausgerechnet ein Ring, in dem selbst die ausschweifendste Philologenphantasie kein Phallussymbol erkennen könnte. Gleichwohl! Ovids lüsterne Vorstellungskraft überwindet alle natürlichen Schranken.

Dabei meidet Ovid, entschiedener als als die bisher behandelten Dichter, die "basic obscenities", die inkriminierten Vokabeln, ja sogar ihre landläufigen Umschreibungen. Er ist, jedenfalls in Rom der eigentliche Erfinder dessen, was man in der frühen Neuzeit schon die galante Sprache genannt hat, also der Kunst, das Unanständige durch eben seine Verhüllung nur um so lockender und reizvoller zu machen (wozu als weiterer Reiz bei ihm eine durchgängige, meist schon für das ‚elegische Ich‘ anzusetzende, Ironie kommt). Wie anders als etwa Horaz mit seinem kruden Vokabular (penis, fascinum usw.) beklagt er seine zeitweilige – ohne angebliches Fremdverschulden – zustande gekommene Impotenz! (Aber wieder, wie bei Lucilius und Horaz, (93) personifiziert sich zusehends das Geschlechtsglied, das diesmal wie ein böser Sklave auf die Anklagebank gesetzt bzw. gestellt wird.) orazpersonifiziert sichHoam. 3, 7, 65-72:

nostra tamen iacuere uelut praemortua membra
turpiter, hesterna languidiora rosa,
quae nunc ecce uigent intempestiua ualentque,
nunc opus exposcunt militiamque suam.
quin istic pudibunda iaces, pars pessima nostri?
sic sum pollicitis captus et ante tuis.
tu dominum fallis, per te deprensus inermis
tristia cum magno damna pudore tuli.

Meine Glieder aber lagen schmählicherweise wie frühverstorben da, noch schlapper als die Rose von gestern. Sieh nur, jetzt sind sie stark und gesund zur Unzeit, jetzt fordern sie ihr Werk und ihren Militärdienst! Warum liegst du nicht an deinem Platz voll Scham, du, schlimmster Teil von mir! So bin ich auch schon früher durch deine Versprechungen hereingelegt worden. Du betrügst deinen Herrn: So weit es an dir lag, hat es mich wehrlos erwischt, und zum Schaden kam mir noch die große Beschämung. (94)

Ovid hat diese Kunst des andeutend galanten Sprechens weitergeführt in der (eigentlich nicht mehr zu unserem Thema gehörigen) Ars amatoria, wo sie offenbar besonderen Anstoß erregte. Die später veröffentlichten Remedia amoris ("Heilmittel gegen die Liebe") bezeugen eindeutig, dass es gerade auch die – für die Gattung der Elegie ungewöhnliche -Behandlung des Sexuellen gewesen sein muss, die einige Leser befremdete. Als er dort nämlich auf die eigentlich prekären Themen zu sprechen kommt (das richtige, d. h. liebesschädliche Verhalten beim Beischlaf), sagt er ausdrücklich, er schäme sich, viel darüber zu sagen – warum? rem. 357-364:

nunc tibi, quae medio Veneris praestemus in usu,
eloquar: ex omni est parte fugandus Amor.
multa quidem ex illis pudor est mihi dicere, sed tu
ingenio uerbis concipe plura meis.
nuper enim nostros quidam carpsere libellos.
quorum censura Musa proterua mea est.
dummodo sic placeam, dum toto canter in orbe,
qui uolet, impugnent unus et alter opus.

Jetzt will ich dir darlegen, was wir mitten in der Praxis der Venus zu leisten haben: Amor (die Liebe) muss aus allen Teilen verscheucht werden. (95) Bei vielem davon schäme ich mich zwar, es zu sagen, aber du stelle dir kraft deiner Phantasie mehr vor, als meine Worte enthalten. Denn kürzlich haben gewisse Leute meine Bücher geschmäht, nach deren zensorischem Urteil meine Muse ungezogen ist. Solange ich so Erfolg habe, solange man mich auf der ganzen Welt singt, mag ruhig der eine oder andere das Werk bekritteln.

Also nicht nur, wie bezeugt und bekannt, Ovids Spitzen gegen Augustus und seine revolutionären Ehegesetze haben den Dichter in Ungnade fallen lassen (und später seine Verbannung verursacht); auch schon die schiere Unanständigkeit, die man in anderen Gattungen und anderer Sprache eher hinzunehmen oder gar zu goutieren bereit war, hat in seiner genialen elegischen Verskunst offenbar Aufsehen und Anstoß erregt. Aber die "Praxis der Venus" war in der Sprache Roms immer etwas Heikles.