Interview für das ZEIT Magazin Wissen, Juni 2007


Professor Stroh, was heißen Internet, Laptop und Handy auf Lateinisch?

Das „World Wide Web“ heißt seit längerem „Tela Totius Terrae“ oder schlicht „interrete“. Die anderen Begriffe haben sich unter Lateinfreunden noch nicht eingebürgert: Für Laptop sage ich „computatrum gremiale“ oder einfach nur „gremiale“, also ein Computer auf dem Schoß (gremium), und das Handy ist nichts anderes als ein „telephonum manuale“ oder kurz „manuale“, also ein Telefon, das in die Hand (manus) passt.

Sie machen sich für ein lebendiges Latein stark. Ist das nicht etwas zuviel verlangt von einer toten Sprache?

Latein ist immer nur so tot, wie wir es sein lassen. Sprachwissenschaftlich gesehen ist es schon seit 2000 Jahren gestorben, seit Cicero, aber das hat die größten Geister nicht daran gehindert, ihre Gedanken dieser ewigen und übernationalen Sprache anzuvertrauen. Im übrigen ist Latein wieder im Aufwind: Letztes Jahr meldeten sich in Deutschland neun Prozent mehr Schüler zum Lateinunterricht an; die humanistischen Gymnasien haben Zulauf wie seit langem nicht mehr; unsere Institute haben Mühe, genügend Lehrer auszubilden. Und gerade das lebendige Latein floriert: Es gibt lateinische Internetforen, und die Finnen haben während ihrer EU-Ratspräsidentschaft die Newsletters auch auf Latein versandt (conspectus rerum). Falls Latein wirklich einmal die zweite Amtsprache der EU werden sollte, wie manche wünschen, hoffe ich nur, dass sich die Redner in Brüssel (oratores Bruxellenses) an Ciceros Stil orientieren.

Was finden Lateiner überhaupt an Cicero?

Cicero war ein begnadeter Redner. Selbst die damals noch hochnäsigen Griechen beeindruckte er: Und zwar sowohl mit seiner Ausdrucksfülle (copia) als auch mit seiner für das Latein typischen Kürze (brevitas). Cicero besaß auch ein einzigartiges menschliches  Einfühlungsvermögen (humanitas), und er war ein feinsinniger, juristischer wie philosophischer, Denker. Darum wurden seine Werke bald als schlechtweg vorbildlich empfunden, und seine Grammatik wurde die für alle Zeiten verbindliche. Andere haben zwar versucht, in einem unciceronischen Stil zu schreiben – etwa Sallust, Seneca, Tacitus, zum Teil auch Augustin. Sie hatten literarischen Erfolg; aber den Kern der Sprache änderten sie nicht mehr. Ich denke, dass sich der Genius einer Sprache nie so sehr in einem Menschen manifestiert hat wie der des Lateinischen in Cicero.

Aber die Geschichte des Lateinischen beginnt lange vor Cicero.

Über ihren Ursprung gibt es eine schöne religiöse Vorstellung: Die Bewohner von Latium, also die Latiner, verehrten als Nationalgötter die Faune. Das waren so eine Art göttlicher Waldschrate, die sich in Gebüschen versteckten und nur gelegentlich ihre Stimme vernehmen ließen – auf jeden Fall in Latein. Von ihnen dürften die Latiner ihre Sprache gelernt haben. Als später nach dem Fall Trojas, noch im zweiten Jahrtausend vor Christus, Aeneas, der Urvater Roms, mit Gefolge nach Latium kam, wurde er jedenfalls von einem König Latinus empfangen, der sicherlich so sprach, wie er hieß. So berichtet es zumindest Vergil.

Sind Schüler, die Latein lernen, schlauer?

Keinesfalls ist Latein logischer als andere Sprachen. Es ist sogar eher weniger präzise, weil die Ausdrucksmittel so vieldeutig sein können. Was kann ein Ablativus oder ein ut-Satz nicht alles bedeuten! Aber eben dadurch schult Latein: Es zwingt uns, schärfer auf den Inhalt eines Gedankens zu achten. Und wenn man sich lateinisch ausdrücken will, muss man seine Gedanken ganz anders transformieren, als wenn man eine neuere Sprache benutzt, wo man für fast jedes Wort ja eine Entsprechung findet. Schopenhauer, der Latein fast so brillant beherrschte wie Deutsch, meinte, man müsse beim Lateinschreiben seine Gedanken in Atome zerlegen. Erst dann könne man sie wieder ganz neu zusammensetzen. Aber zum Glück gibt es auch den kinderleichten lateinischen small talk (usus cottidianus).

Für wie gut halten Sie das Latein Papst Benedikts XVI.?

Es scheint besser zu sein als das so mancher Vatikanverlautbarungen der letzten Jahrzehnte. Ich denke etwa an die schrecklich verfasste Pillenenzyklika von Paul VI., „Humanae vitae“. Aber auch Papst Benedikt lässt leider Fehler zu, die wehtun: In der Enzyklika „Deus est caritas“ schrieb er über den Unterschied von Liebe und Sex. Ein wichtiges Thema. Doch er übersetzte Sex mit „sexus“, was aber Geschlecht heißt.

Was wäre die richtige Übersetzung?

Für unseren Sex ist im Lateinischen Frau Venus zuständig, also: „res venereae“.
 

Interview: Dirk Schneider