Jan Novák: Schola cantans

Singende Schule: Ernste lateinische Autoren, flott zu singen für Gesang und Klavier (1973)
Texte und Übersetzungen (Wilfried Stroh) nach dem Beiheft zur CD 2001; Reihenfolge der Lieder nach der Ausgabe im Verlag G. Zanibon Padua
 
 

SCHOLA CANTANS: graves auctores Latini leviter decantandi. Cantus ad claves
 
Singende Schule: Ernste lateinische Autoren, flott zu singen. Gesang und Klavier
 
I. DIANAE SVMVS IN FIDE
(Catullus 34)

Dianae sumus in fide
puellae et pueri integri:
Dianam pueri integri
puellaeque canamus.

o Latonia, maximi
magna progenies Iovis,
quam mater prope Deliam
deposivit olivam,

montium domina ut fores
silvarumque virentium
saltuumque reconditorum
amniumque sonantum.

tu Lucina dolentibus
Iuno dicta puerperis
tu potens Trivia et notho es
dicta lumine Luna.

tu cursu, dea, menstruo
metiens iter annuum
rustica agricolae bonis
tecta frugibus exples.

sis quocumque tibi placet
sancta nomine, Romulique
antique ut solita es, bona
sospites ope gentem!
 
I. Hymnus auf Diana
 
 
In Dianas Obhut sind wir,
Mädchen und unberührte Knaben:
Auf Diana wollen wir, unberührte Knaben
und Mädchen, ein Lied singen.

O du Kind der Latona, du große Tochter
des Jupiter, der der Allergrößte ist!
Dich hat Deine Mutter auf Delos beim Olivenbaum
in die Welt gesetzt –

denn du solltest ja die Herrin der Berge sein,
der grünenden Wälder,
der entlegenen Täler,
und der tönenden Ströme.

Dich rufen Juno Lucina die Frauen,
wenn sie mit Schmerzen gebären;
du heißt auch die mächtige Trivia und – nach dem Licht,
das du dir ermogelt hast – Frau Luna.

Du durcheilst Monat für Monat
das Jahr auf deiner Reise
und stopfst dabei den Bauern
schönes Getreide in die Scheuern.

Welchen Namen du auch bevorzugst,
sei uns heilig! Und des Romulus Volk
fördere, wie du seit eh und je zu tun pflegst,
mit gütigem Segen!
 
II. COLLIS O HELICONEI
(Catullus 61, str. 1-3, 12)

Collis o Heliconii
cultor, Uraniae genus,
qui rapis teneram ad virum
virginem, o Hymenaee Hymen,
o Hymen Hymenaee,

cinge tempora floribus
suave olentis amaraci,
flammeum cape, laetus huc
huc veni niveo gerens
luteum pede soccum!

excitusque hilari die
nuptialia concinens
voce carmina tinnula
pelle humum pedibus, manu
pineam quate taedam!

tu fero iuveni in manus
floridam ipse puellulam
dedis a gremio suae
matris, o Hymenaee Hymen,
o Hymen Hymenaee.
 
II. An den Hochzeitsgott
 
 
O du, des Helikonbergs
Bewohner, Sohn der Muse Urania!
Du reißt zum Manne das zarte
Mädchen, o Hymenaeus Hymen,
o Hymen Hymenaeus!

Bekränze deine Schläfen mit den Blüten
des aromatischen Majoran!
Nimm das rote Kopftuch und komm hierher –
hierher, sage ich, deinen weißen Fuß
in den safranfarbenen Schuh gesteckt!

Lass dich rufen am Tag der Freude
und singe die Hochzeitslieder
mit hell schmetternder Stimme!
Stampfe mit dem Fuß auf den Boden und in der Hand
schwinge die Pinienfackel!

Dem wilden Jüngling in die Hände
legst du selber das blühende
Mädchen, gerissen aus dem Schoß
seiner Mutter, o Hymenaeus Hymen,
o Hymen Hymenaeus!
 
III. IAM SATIS TERRIS
(Horatius, carm. 1, 2, str. 1-3)
 
Iam satis terris nivis atque dirae
grandinis misit Pater et rubente
dextera sacras iaculatus arces
   terruit urbem,

terruit gentis, grave ne rediret
saeculum Pyrrhae nova monstra questae,
omne cum Proteus pecus egit altos
   visere montis,

piscium et summa genus haesit ulmo,
nota quae sedes fuerat columbis,
et superiecto pavidae natarunt
   aequore dammae.
 
 
III. Erinnerungen an die Sintflut
 
 
Schon hat Vater Jupiter der Erde genügend Schnee
und scheußlichen Hagel geschickt und, als er
mit rotblitzender Hand auf die heiligen Burgen schoss,
die Stadt erschreckt,

ja, die Völker erschreckt mit der Angst: es könne wiederkehren
die schlimme Zeit der Pyrrha, als diese neue Monster zu beklagen hatte.
Da trieb ja Proteus all sein Meervieh hinauf, die hohen
Berge zu besichtigen,

das gesamte Fischvolk hing im Wipfel der Ulme,
der doch normalerweise Wohnsitz der Tauben war,
und, übergossen vom Meer, mussten die schreckhaften
Rehe schwimmen.
IV. VVLPES ET CORVVS
(Phaedrus 1, 13)

Qui se laudari gaudet verbis subdolis,
sera dat poenas turpes paenitentia.
cum de fenestra corvus raptum caseum
comesse vellet celsa residens arbore,
vulpes hunc vidit deinde sic coepit loqui:
"o qui tuarum, corve, pennarum est nitor!
quantum decorem corpore et vultu geris!
si vocem haberes, nulla prior ales foret."
at ille stultus dum vult vocem ostendere,
emisit ore caseum, quem celeriter
dolosa vulpes avidis rapuit dentibus.
tum demum ingemuit corvi deceptus stupor.
 
IV. Fuchs und Rabe
 
 
Wer sich gern loben lässt mit trügerischen Worten,
bereut nur allzu spät und muss dann schmählich büßen.
Einst hatte sich ein Rabe ein Stück Käse aus dem Fenster geraubt
und wollte ihn verzehren, auf hohem Baume thronend;
ihn sah ein Fuchs und hub an folgendermaßen zu reden:
"O wie herrlich glänzt dein Gefieder, Rabe!
Wie groß ist deine Anmut in Körper und Antlitz!
Wenn du noch eine Stimme hättest, wäre kein Vogel dir über."
Da will der Narr seine Stimme vorführen,
verliert den Käse aus dem Maul, den aber schnappt sich
rasch der listige Fuchs mit hungrigen Zähnen.
Da endlich seufzt der blöde Rabe, dass er sich hat täuschen lassen.
 
 
V. NAVTARVM CARMEN
(Anthologia Latina 388a R, 1-9, 14-16)

Heia, viri, nostrum reboans echo sonet heia
arbiter effusi late maris ore sereno
placatum stravit pelagus posuitque procellam.
edomitique vago sederunt pondere fluctus.

Heia, viri, nostrum reboans echo sonet heia!
annisu parili tremat ictibus acta carina.
nunc dabit arridens pelago concordia caeli
ventorum motu praegnanti currere velo.

Heia, viri, nostrum reboans echo sonet heia!
aequoreos volvens fluctus ratis audiat heia!
convulsum remis spumet mare, nos tamen: heia!
vocibus adsiduis litus reduci sonet heia!
 
V. Ruderlied
 
 
Heia, ihr Männer, im Widerhall töne das Echo von unserem Heia!
Der Herr des Meeres, das sich weithin ergießt, hat heiteren Gesichts
die See zu friedlicher Ruhe gebettet und den Sturm beschwichtigt.
Die hier und dort geballten Fluten sind besänftigt und haben sich gelegt.

Heia, ihr Männer, im Widerhall töne das Echo von unserem Heia!
Von Ruderschlägen im gleichmäßigen Takt getrieben erzittre das Schiff!
Jetzt lacht der Himmel im Einverständnis zur Erde und lässt uns
im brausenden Wind mit geblähten Segeln dahinjagen.

Heia, ihr Männer, im Widerhall töne das Echo von unserem Heia!
Das Schiff, das die Meeresfluten wirbelt, höre den Ruf Heia!
Aufgewühlt von den Rudern schäume das Meer – wir aber: Heia!
Für den Heimkehrer töne das Ufer in ständigem Rufen: Heia!
 
VI. LVDI MAGISTER
(Martialis 10, 62)

Ludi magister, parce supplici turbae:
sic te frequentes audiant capillati
et delicatae diligat chorus mensae.
nec calculator nec notarius velox
maiore quisquam circulo coronetur.
albae leone flammeo calent luces
tostamque fervens Iulius coquit messem.
cirrata loris horridis Scythae pellis,
qua vapulavit Marsyas Celaenaeus,
ferulaeque tristes, sceptra paedagogorum
cessent et Idus dormiant in Octobres:
aestate pueri si valent, satis discunt.
 
VI. Bitte um Schulferien
 
 
Herr Lehrer, schonen Sie doch die Schar, die Sie demütig anfleht!
Dann wünschen wir Ihnen dafür eine stattliche Zahl von langhaarigen Zuhörern
und die Liebe der zarten Schar vom Schultisch;
dann wünschen wir, dass kein Rechen- und kein
Stenographielehrer vor größerem Publikum doziert.
Schon glühen die Tage hell von der Hitze des feurigen Löwen,
und der brennende Juli röstet das Getreide.
Schluss jetzt mit der schrecklich zottigen skythischen Riemenpeitsche,
mit der Marsyas bei Celaenae durchgewalkt wurde,
Schluss mit den Tatzenstöckchen, den Szeptern der Pädagogen!
Sie sollen ruhn und schlafen bis zu den Iden des Oktober!
Im Sommer lernen die Buben genug, wenn sie nur gesund sind.
 
 
VII. INTEGER VITAE
(Horatius, carm. 1, 22)

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sive per Syrtis iter aestuosas
sive facturus per inhospitalem
Caucasum vel quae loca fabulosus
   lambit Hydaspes.

namque me silva lupus in Sabina,
dum meam canto Lalagen et ultra
terminum curis vagor expeditis,
   fugit inermem.

quale portentum neque militaris
Daunias latis alit aesculetis
nec Iubae tellus generat, leonum
   arida nutrix.

pone me pigris ubi nulla campis
arbor aestiva recreatur aura,
quod latus mundi nebulae malusque
   Iuppiter urget,

pone sub curru nimium propinqui
solis, in terra domibus negata:
dulce ridentem Lalagen amabo,
   dulce loquentem.
 
VII. Reines Herz und Lalage
 
 
Wer ohne Fehl im Leben, wer rein ist von Verbrechen,
braucht keine maurischen Spieße und keinen Bogen,
braucht keinen Köcher, lieber Fuscus,
der mit Giftpfeilen schwanger geht,

ob er nun durch die Glut der Syrten reisen wird
oder über den unwirtlichen Kaukasus
oder durch die Gegend, die der sagenberühmte
Hydaspes abschleckt.

Denn es ist ein Wolf im Sabinerwald
– als meine Lalage ich sang und über
den Grenzstein schweifte, alle Sorgen abgeschüttelt –
vor mir geflohen, dem Mann ohne Waffen.

Und zwar ein Ungeheuer, wie es weder das kriegerische
Daunusland in seinen weiten Eichenwäldern nährt
noch auch die Gegend des Juba zeugt, der Löwen
trockene Amme.

Setz mich dorthin, wo faul die Felder liegen und
sich kein Baum am Hauch des Sommerwinds erquickt,
in die Gegend der Welt, der Nebel zusetzen
und ein garstiger Jupiter:

setz mich dort unter den Wagen der Sonne, wo sie
gar zu nah ist, in das Land, das keine Häuser duldet:
Ich werde Lalage, die so süß lacht, lieben,
die so süß plaudert.
 
 
VIII. NOX ERAT
(Horatius, epod. 15)
 
Nox erat et caelo fulgebat luna sereno
   inter minora sidera,
cum tu magnorum numen laesura deorum
   in verba iurabas mea,
artius atque hedera procera adstringitur ilex
   lentis adhaerens bracchiis,
dum pecori lupus et nautis infestus Orion
   turbaret hibernum mare
intonsosque agitaret Apollinis aura capillos,
   fore hunc amorem mutuum.
o dolitura mea multum virtute Neaera!
   nam si quid in Flacco viri est,
non feret adsiduas potiori te dare noctes,
   et quaeret iratus parem,
nec semel offensi cedet constantia formae,
   si certus intrarit dolor.
et tu, quicumque es felicior atque meo nunc
   superbus incedis malo,
sis pecore et multa dives tellure licebit
   tibique Pactolus fluat
nec te Pythagorae fallant arcana renati
   formaque vincas Nirea,
heu heu translatos alio maerebis amores:
   ast ego vicissim risero.
VIII. An die Ungetreue
 
 
Nacht war's, und am heiteren Himmel strahlte der Mond
inmitten der bescheideneren Gestirne.
Da sprachst du, um die großen heiligen Götter zu kränken,
nach meinen Worten den Schwur.
Enger als der schlanke Efeu sich um die Eiche schlingt,
hingst du an mir, die Arme um mich biegend:
Solange der Wolf den Schafen feind sei und Orion zum Schaden der
Seefahrer das Meer im Winter aufwühle,
solange der Wind im ungeschorenen Haar Apollons spielen könne,
werdest du meine Liebe erwidern.
O Neaera, mit vielem Schmerz wirst du mein Heldentum zu spüren bekommen!
Denn wenn Flaccus nur ein bisschen etwas von einem Mann hat,
wird er's nicht ertragen, dass du einen anderen bevorzugst, ihm ständig deine Nächte schenkst,
dann wird er sich im Zorne eine ebenbürtige Partnerin suchen.
Und ein für allemal beleidigt wird er, charakterstark, deiner Schönheit trotzen,
wenn ihn der rechte Schmerz befallen hat.
Und du, wer du auch bist, der du mehr Glück hast als ich und auf
meine Kosten dich jetzt großtust:
Magst du auch reich sein an Vieh und vielem Landbesitz,
mag für dich auch der Goldfluss Pactolus strömen,
magst du alle Geheimnisse des reinkarnierten Pythagoras verstehen
und an Schönheit noch den Nireus schlagen,
wehe dir, wehe! Du wirst einmal trauern, dass deine Liebe von dir fremdgeht.
Dann aber werde ich meinerseits lachen.
 
IX. VIVAMVS, MEA LESBIA
(Catullus 5)

Vivamus, mea Lesbia, atque amemus
rumoresque senum severiorum
omnes unius aestimemus assis!
soles occidere et redire possunt:
nobis cum semel occidit brevis lux,
nox est perpetua una dormienda.
da mihi basia mille, deinde centum,
dein mille altera, dein secunda centum,
deinde usque altera mille deinde centum.
dein, cum milia multa fecerimus,
conturbabimus illa, ne sciamus
aut ne quis malus invidere possit,
cum tantum sciat esse basiorum.
IX. Unbestimmte Kusszahl
 
 
Lasst uns leben, meine Lesbia, und lieben;
und um das Gerede der gestrengen Alten
wollen wir uns keinen Dreck kümmern!
Sonnen gehen unter und wieder auf:
Für uns, wenn einmal unser kurzes Licht untergegangen ist,
heißt es dann schlafen die eine ewige Nacht.
Gib mir tausend Küsse, dann hundert,
dann nochmal tausend, dann wieder hundert,
dann nochmal tausend und nochmal hundert.
Wenn wir dann viele tausend zustande gebracht haben,
verunklären wir die Zahl, dass wir sie nicht mehr wissen,
oder damit kein Böser uns schaden kann,
wie wenn er die genaue Kusszahl wüsste.
 
X. GALLIA EST OMNIS DIVISA
(Caesar, Bellum Gallicum 1, 1, 1-3)

Gallia est omnis divisa in partes tres,
quarum unam incolunt Belgae, alteram Aquitani,
tertiam qui ipsorum lingua Celtae,
nostra Galli appellantur.
hi omnes lingua, institutis, legibus inter se differunt.
Gallos ab Aquitanis Garunna flumen,
a Belgis Matrona et Sequana dividit.
horum omnium fortissimi sunt Belgae,
propterea quod a cultu atque humanitate provinciae
longissime absunt.
X. Römermarsch
 
 
Gallien ist insgesamt geteilt in drei Teile.
Den einen bewohnen die Belgier, den anderen die Aquitaner,
den dritten die, die in ihrer eigenen Sprache Kelten,
in der unseren Gallier heißen.
Diese alle sind nach Sprache, Lebensart und Gesetzen voneinander verschieden.
Die Gallier sind von den Aquitanern durch die Garonne,
von den Belgiern durch die Marne und die Seine getrennt.
Von allen diesen sind die Belgier die tapfersten,
weil sie von Bildung und Zivilisation der Provence
am weitesten entfernt sind.
 

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