SERVATO PEDE ET POLLICIS ICTV IX carmina Horati choro IV vocum mixtarum concinenda |
NACH VERSFUSS UND DAUMENSCHLAG Horazmotette aus neun Oden für vierstimmigen gemischten Chor in freier Übersetzung |
1, 7, 1-14 (Archilochium primum) Laudabunt alii claram Rhodon aut Mytilenen aut Epheson bimarisve Corinthi moenia vel Baccho Thebas vel Apolline Delphos insignis aut Thessala Tempe; sunt quibus unum opus est intactae Palladis urbem carmine perpetuo celebrare et undique decerptam fronti praeponere olivam; plurimus in Iunonis honorem aptum dicet equis Argos ditisque Mycenas: me nec tam patiens Lacedaemon nec tam Larisae percussit campus opimae quam domus Albuneae resonantis et praeceps Anio ac Tiburni lucus et uda mobilibus pomaria rivis. |
I. Klar, andere werden das berühmte Rhodos preisen oder Mytilene oder Ephesus oder die Mauern von Korinth mit dem Meer links und rechts; auch Theben bietet sich an dank Bacchus oder Delphi mit seinem Apoll oder in Thessalien das sehenswerte Tempetal. Manche Leute haben ja nichts zu tun, als im Dauerepos Athen, die Stadt der göttlichen Jungfrau, zu feiern, sich überall deren Ölzweige zu pflücken und vor die Stirn zu heften. Besonders viele singen auch zu Ehren der Juno von Argos, wo die Rösser gedeihen, und vom reichen Mykene. Nicht ich! Nicht einmal das strapazenfreudige Sparta oder die fetten Felder von Larissa können mir so imponieren wie mein Tibur: die tönende Grotte der Nymphe Albunea und Anio, der reißende Fluss, der Hain des Tiburnus und die Apfelgärten mit ihrer rieselnden Bewässerung. |
1, 5 (Asclepiadeum tertium) Quis multa gracilis te puer in rosa perfusus liquidis urget odoribus grato, Pyrrha, sub antro? cui flavam religas comam simplex munditiis? heu quotiens fidem mutatosque deos flebit et aspera nigris aequora ventis emirabitur insolens, qui nunc te fruitur credulus aurea, qui semper vacuam, semper amabilem sperat, nescius aurae fallacis. miseri, quibus intemptata nites: me tabula sacer votiva paries indicat uvida suspendisse potenti vestimenta maris deo. |
II. Wer ist mit dichtem Rosenkranz, in duftender Parfümwolke der schlanke junge Mann, der dir so zusetzt tief in der schönen Grotte? Wer ist er, für den du dir so schlicht das Haar nach hinten bindest und raffiniert zugleich? O weh! Wie oft wird er noch jammern, dass die Treue dahin ist, die Götter wetterwendisch! Staunen wird er, der Übermütige, wie auf dem Meer der Liebe plötzlich der Sturm bläst und die Wogen schwärzt! Jetzt genießt er dich noch naiv als pures Gold, jetzt meint er, du hättest immer Zeit für ihn, wärest immer liebenswürdig. Keine Ahnung hat er, wie der Wind umschlägt. Wahrhaft, die Armen tun mir alle leid, die dich noch kennenlernen werden, Opfer deines Glanzes! Von mir hängt zum Glück schon ex voto ein Bild im Tempel, das zeigt, wie ich, dem Meer entronnen, dem Gott Neptun zum Dank die triefenden Kleider aufgehängt habe. |
1, 9 (Alcaicum) Vides ut alta stet nive candidum Soracte nec iam sustineant onus silvae laborantes geluque flumina constiterint acuto. dissolve frigus ligna super foco large reponens atque benignius deprome quadrimum Sabina, o Thaliarche, merum diota. permitte divis cetera, qui simul stravere ventos aequore fervido deproeliantis, nec cupressi nec veteres agitantur orni. quid sit futurum cras, fuge quaerere, et quem Fors dierum cumque dabit, lucro adpone, nec dulcis amores sperne puer neque tu choreas, donec virenti canities abest morosa. nunc et campus et areae lenesque sub noctem susurri composita repetantur hora, nunc et latentis proditor intumo gratus puellae risus ab angulo pignusque dereptum lacertis aut digito male pertinaci. |
III. Siehst du? Weiß steht von tiefem Schnee der Berg Soracte da, und die Wälder sind kaum mehr der Last gewachsen. Spitz klirrt der Frost und hat die Flüsse zum Stillstand gebracht. Tau auf die Kälte, indem du reichlich Holz auf dem Herd häufst! O Thaliarch, sei splendid und lass deinen vierjährigen Sabinerwein aus der Amphore fließen! Den Rest überlass den Göttern! Wenn sie erst einmal den Kampf der Winde auf dem brausenden Meer beigelegt haben, rührt sich keine Zypresse und keine alte Esche hat mehr das Zittern. Frag nicht danach, was morgen sein wird, und buche jeden Tag, den das Glück dir schenkt, als Gewinn! Und, mein Junge, du darfst nicht die süße Liebe verachten und das Tanzvergnügen, solange du noch grün bist, kein Silberhaar auf dem Kopf dich verdrießlich macht. Jetzt geht's zu Sport- und anderen Plätzen, wo's gegen Abend beim pünktlich eingehaltnen Rendezvous immer wieder das zärtlichste Geflüster gibt. Jetzt versteckt sich wohl auch einmal das Mädchen im hinteren Winkel, aber süß ist's, wenn (verräterisch!) du sie lachen hörst, ihr ein Pfand von den Armen streifst oder vom Finger, der sich (pfui doch!) weigert. |
1, 11 (Asclepiadei maiores) Tu ne quaesieris, scire nefas, quem mihi, quem tibi finem di dederint, Leuconoe, nec Babylonios temptaris numeros. ut melius, quidquid erit, pati. seu pluris hiemes seu tribuit Iuppiter ultimam, quae nunc oppositis debilitat pumicibus mare Tyrrhenum: sapias, vina liques, et spatio brevi spem longam reseces, dum loquimur, fugerit invida aetas: carpe diem quam minimum credula postero. |
IV. Frag nicht, Leuconoe, was man nicht wissen darf: welches Ende mir, welches dir die Götter gesetzt haben. Und die Horoskope von Babylon lass ganz aus dem Spiel! Besser ist, man nimmt's, wie's kommt. Vielleicht gibt uns Jupiter noch ein paar Winter, vielleicht ist dies schon der letzte, der jetzt gegen den Bimsstein am Ufer des Tyrrhener Meers so mächtig anstürmt. Sei schlau! Filtre den Wein und beschneide deine Hoffnung, dass sie nicht in die Weite wuchert. Schon während wir reden, flieht die Zeit, die uns nichts gönnt. Pflücke den Tag! Jetzt! Den morgigen kannst du vergessen. |
1, 22 (Sapphicum) Integer vitae scelerisque purus non eget Mauris iaculis neque arcu nec venenatis gravida sagittis Fusce, pharetra, sive per Syrtis iter aestuosas sive facturus per inhospitalem Caucasum vel quae loca fabulosus lambit Hydaspes. namque me silva lupus in Sabina, dum meam canto Lalagen et ultra terminum curis vagor expeditis, fugit inermem, quale portentum neque militaris Daunias latis alit aesculetis nec Iubae tellus generat, leonum arida nutrix. pone me pigris ubi nulla campis arbor aestiva recreatur aura, quod latus mundi nebulae malusque Iuppiter urget, pone sub curru nimium propinqui solis, in terra domibus negata: dulce ridentem Lalagen amabo dulce loquentem. |
V. Wer brav sein Leben führt, von Verbrechen sich rein hält, der braucht keine maurischen Spieße, mein lieber Fuscus, keine Bogen und keinen Köcher, der mit Giftpfeilen schwanger geht. Er kann getrost durch die tropenheißen Syrten reisen oder über den unwirtlichen Kaukasus oder durch die Gegend, die der sagenhafte Fluss Hydaspes abschleckt. Denn mir erschien ein Wolf im Sabinerwald, als ich gerade meine Lalage besang und, ganz ohne Sorgen, über die Grenzen meines Grundstücks hinaus schlenderte – und obwohl ich keine Waffen hatte: riss er aus! Aber d a s war ein Monster! So etwas wächst nicht in den weiten Eichenwäldern vom Daunusland Apulien; nicht einmal in König Jubas trockener Wüste, die ohne Milch die Löwen säugt. Ja, jetzt könnte ich sogar in die Gegend gehen, wo gar nichts wächst, wo kein Baum sich im Sommerwind erholt, in den Teil der Welt, wo Jupiter böse ist und mit Nebel die Welt bedrückt, oder auch dorthin, wo einem der Sonnenwagen schon allzu nah kommt, dass man keine Häuser mehr bauen mag: Wo ich auch bin, ich werde Lalage lieben, die so süß lacht, die so süß plaudert. |
1, 4 (Archilochium tertium) Solvitur acris hiems grata vice veris et Favoni trahuntque siccas machinae carinas, ac neque iam stabulis gaudet pecus aut arator igni nec prata canis albicant pruinis. iam Cytherea choros ducit Venus imminente luna, iunctaeque Nymphis Gratiae decentes alterno terram quatiunt pede, dum gravis Cyclopum Volcanus ardens visit officinas. nunc decet aut viridi nitidum caput impedire myrto aut flore, terrae quem ferunt solutae. nunc et in umbrosis Fauno decet immolare lucis, seu poscat agna sive malit haedo. pallida Mors aequo pulsat pede pauperum tabernas regumque turris, o beate Sesti, vitae summa brevis spem nos vetat inchoare longam; iam te premet nox fabulae que Manes et domus exilis Plutonia; quo simul mearis, nec regna vini sortiere talis nec tenerum Lycidan mirabere, quo calet iuventus nunc omnis et mox virgines tepebunt. |
VI. Es taut der strenge Winter, es kehrt der liebe Frühling wieder und der Föhn, und dank technischer Hilfen rollen die eingetrockneten Schiffe ins Meer. Schon hält's das Vieh nicht mehr im Stall aus, der Bauer strebt vom Herd zum Pflug, und es glitzert kein Silberreif mehr auf den Wiesen. Schon leitet Frau Venus von Cythera bei Mondenschein den Tanzreigen, und die Nymphen mit den schönen Grazien hüpfen links, rechts, auf die Erde, während Schmiedegott Vulcanus die Werkstatt seiner Zyklopen aufsucht und zur Arbeit einheizt. Jetzt muss man den grünen Myrtenkranz ins wohlgesalbte Haar winden oder die ersten Blumen aus der aufgetauten Erde, jetzt dem Faunus ein Opfer bringen im dunklen Wald, ein Lamm oder, falls ihm lieber, ein Böckchen. Der Tod macht ja keinen Unterschied: Er stößt mit seinem Stiefel gegen die Tür an den Hütten der Armen wie an der Könige Paläste. Ja, mein glücklicher Sestius, um langfristige Projekte anzufangen ist das Leben zu kurz. Bald bist du gefangen in der ewigen Nacht, bei den schrecklichen Toten und im öden Haus des Pluto. Bist du dort einmal, dann wird nicht mehr um den Vorsitz beim Symposion gewürfelt, dann kannst du nicht mehr den schlanken Lycidas bewundern. Ja! Der macht zur Zeit alle jungen Männer heiß, und bald werden sich auch die Mädchen für ihn erwärmen. |
3, 21 (Alcaicum) O nata mecum consule Manlio, seu tu querellas sive geris iocos seu rixam et insanos amores seu facilem, pia testa, somnum, quocumque lectum nomine Massicum servas, moveri digna bono die descende Corvino iubente promere languidiora vina. non ille, quamquam Socraticis madet sermonibus, te neglegit horridus: narratur et prisci Catonis saepe mero caluisse virtus. tu lene tormentum ingenio admoves plerumque duro, tu sapientium curas et arcanum iocoso consilium retegis Lyaeo, tu spem reducis mentibus anxiis virisque et addis cornua pauperi post te neque iratos trementi regum apices neque militum arma. te Liber et si laeta aderit Venus segnesque nodum solvere Gratiae vivaeque producent lucernae, dum rediens fugat astra Phoebus. |
VII. O die du mit mir im Konsulat des Manlius geboren warst, du Bringerin von Klagen wie von Scherzen, du Schöpferin von Streit und Liebeswahnsinn und sanftem Schlaf – dich, liebe Flasche, die du, unter welchem Ehrentitel auch immer, den edlen Massiker bewahrst, den man nur an einem Glückstag öffnen darf, jetzt steig herab vom Kamin: Corvinus gebietet's, der Freund eines milderen Tröpfleins. Wenn der ernste Mensch auch sonst nichts als Sokrates und Dialoge im Kopf hat, dich weiß er doch zu würdigen. (Es soll ja sogar die Tugend des alten Cato beim Wein erst so richtig in Hitze gekommen sein.) Du machst oft den Hartgesottenen weich mit deinen süßen Zwangsmaßnahmen; du bringst mit dem Frohsinn des Weingotts auch die weisen Philosophen ins Plaudern, dass Sorgen und verborgne Pläne sich enthüllen. Du schenkst den ängstlichen Herzen wieder neue Hoffnung, dem kleinen Mann besorgst du Kraft und Hörner: Mit dir zittert er vor keines Königs Wut samt Krone mehr und vor keinem Soldaten in Waffen. Bei dir ist Bacchus, bei dir die fröhliche Venus, wenn sie mag, und die Grazien, die so gern zusammenhalten, auch die Lampe, die nicht verlischt, dass wir mit dir die Nacht durchmachen können, bis die Sonne zurückkehrt und die Sterne verscheucht. |
1, 8 (Sapphicum maius) Lydia, dic, per omnis te deos oro, Sybarin cur properes amando perdere, cur apricum oderit campum patiens pulveris atque solis, cur neque militaris inter aequalis equitet, Gallica nec lupatis temperet ora frenis? cur timet flavum Tiberim tangere? cur olivum sanguine viperino cautius vitat neque iam livida gestat armis bracchia, saepe disco, saepe trans findem iaculo nobilis expedito? quid latet, ut marinae filium dicunt Thetidis sub lacrimosa Troiae funera, ne virilis cultus in caedem et Lycias proriperet catervas? |
VIII. Jetzt sag mir nur, Lydia, bei allen Göttern sag mir, warum du es so eilig hast, den Sybaris mit deiner Liebe ins Unglück zu bringen? Warum kommt er, früher ein Freund von Sand und Sonne, jetzt nicht mehr auf den Sportplatz Warum macht er keine Reitübungen mehr mit Freunden seines Jahrgangs, hat nicht mehr den Ehrgeiz, stolze Rösser aus Gallien mit dem Wolfsgebiss kleinzukriegen? Warum hat er plötzlich Angst, im blonden Tiber zu schwimmen? Warum meidet er Sonnenöl noch sorgsamer als Schlangenblut? Warum hat sein Arm keine blauen Flecken mehr vom Waffenkampf, wo er doch früher so berühmt war für seine Würfe mit Diskus und Speer, die noch übers gesteckte Ziel gingen? Jetzt versteckt er sich, wie (so die Sage) Achill, der Sohn der Meergöttin Thetis, bevor's zum tränenreichen Untergang von Troia ging: dass ihn bloß ja nicht ein Stück Mannskleid zum Morden verlocken könnte und zum Kampf mit dem lykischen Heer! |
1, 17, 1-16 (Alcaicum) Velox amoenum saepe Lucretilem mutat Lycaeo Faunus et igneam defendit aestatem capellis usque meis pluviosque ventos. inpune tutum per nemus arbutos quaerunt latentis et thyma deviae olentis uxores mariti nec viridis metuunt colubras nec Martialis haediliae lupos, utcumque dulci, Tyndari, fistula valles et Usticae cubantis levia personuere saxa. di me tuentur, dis pietas mea et musa cordi est. hic tibi copia manabit ad plenum benigno ruris honorem opulenta cornu. |
IX. Oft lässt der flinke Faunus in Arkadien seinen Lycaeus hinter sich und kommt zum lieblichen Lucretilis: Hier sorgt er dafür, dass meine Ziegen nicht immer an Sonnengluten oder an Wind und Regen leiden müssen. Dann können die Gemahlinnen des stinkenden Bocks gefahrlos durch den Wald spazieren und vom Feldweg abkommen, wenn sie Beerensträucher aufspüren und Thymian suchen: Sie brauchen dann keine grünen Schlangen mehr zu fürchten; und auch die Geißlein, liebe Tyndaris, haben keine Angst mehr vor den Wölfen des Mars, sobald von seiner süßen Flöte die Wälder tönen und die glatten Felsen am Abhang von Ustica. Ja, mich schützen die Götter; den Göttern ist meine Frömmigkeit und meine Musik nicht gleichgültig. Aus prallem Füllhorn wird sich mit allen guten Gaben der Segen herrlichster Landwirtschaft ergießen – für dich. |