Römisches Kochen ist fast schon Mode geworden. Seit die treffliche Elisabeth Alföldi-Rosenbaum unter dem Titel Das Kochbuch der Römer (Artemis, zuerst Zürich 1970, 101993) ausgewählte Rezepte des Apicius mit praktischen Hinweisen in humanistische Haushalte brachte und Rosemarie Gracher, wohl davon angeregt, ihr nicht minder zu rühmendes Römerrestaurant unter dem Trierer Dom eröffnete, nimmt die Zahl derjenigen, die sich antike Leckereien wie Schweinebraten mit Honig, Hirsch in Pflaumensauce oder auch nur schlichtes Mulsum mit Mostbrötchen gönnen, ständig zu. Und mit Grund machen auch Antikenmuseen etwa bei Ausstellungseröffnungen und besonders die Gymnasien bei Schul- und Lateinfesten Gebrauch von diesem Römischen Küchenerbe, um Eltern und Schülern ihr Latein noch schmackhafter zu machen. Viele Hilfen stehen zur Verfügung. Für den besonders Gründlichen, der mit einem Gang ad fontes beginnen will, gibt es Robert Maiers zweisprachige und kommentierte Reclamausgabe des Apicius (neben den kritischen Ausgaben, versteht sich); wer für erste Experimente praktische und preiswerte Hilfe sucht, findet sie etwa bei Elisabeth Nerl, Den alten Römern in den Kochtopf geschaut (Rudolf Spann Verlag, Herrsching); wenn jemand die Freude am Kochen mit tieferem Interesse am kulturhistorischen Hintergrund vereint, wird er aufs beste bedient mit Andrew Dalby / Sally Granger, Küchengeheimnisse der Antike (Stürtz Verlag, Würzburg 1996, a. d. Engl.), aber auch mit Marcus Junkelmanns zu Recht preisgekröntem Panis militaris (Zabern Verlag, Mainz 1998), wo in einem Anhang 34 Rezepte eindringlich erläutert und z.T. opulent abgebildet sind (dieses Kapitel ist unter dem Titel Aus dem Füllhorn Roms auch separat erhältlich), usw. usw.
Marcus Junkelmann, seit anderthalb Jahrzehnten bekannt als Pionier "experimenteller Archäologie", ist auch wissenschaftlicher Berater des hier vorzustellenden Videofilms, der aus Materialien zu Werner Teufls in Zusammenarbeit mit Junkelmann gedrehtem Fernsehfilm Gerichte mit Geschichte: Römische Küche im Alten Bayern (im Bayerischen Fernsehen ausgestrahlt am 15. August 2000) entstanden ist. Weniger auf Publikumsunterhaltung angelegt als diese Schwesterproduktion, gibt Lynn Spiegels Film einen lehrhaft systematischen, durch Untertitel gegliederten Überblick über das römische Küchenwesen, wobei sie, indem sie den Zuschauer vom elementar Einfachen (Brot) zum Komplexen (Festmahl) fortschreiten lässt, damit implizit auch einen Eindruck von der historischen Entwicklung der römischen Gastronomie vermittelt. Auch für diese galt ja nach den ersten beiden punischen Kriegen und besonders nach Pydna Horazens Feststellung Graecia capta ferum victorem cepit et artes / intulit agresti Latio: Griechische Köche eroberten mit ihrer haute cuisine das noch nach Getreidebrei, Schinken und Knoblauch duftende Rom; und das altrömische convivium wurde vom griechischen Symposion mit seinen Speisesofas und dem ganzen dazugehörigen Komment überformt, so dass der Weg frei war für schließlich so exzentrische Gastmähler wie die des Nasidienus (Horaz, sat. 2, 8) oder des Trimalchio (Petron).
Nach einer anschaulichen Vorführung des Getreidemahlens und Brotbackens (Untertitel 1: Panis) führt der Film auf eine Villa rustica (2) und stellt dort - wir befinden uns noch etwa in der Welt von Catos 'De agri cultura' - die beliebtesten Schlachttiere und Hülsenfrüchte, nebenbei auch das Tongeschirr, vor. Gezeigt wird vor allem die Herstellung höchst appetitlicher Lucanicae, "lucanischer Würstchen" (ein immerhin auch schon apicianisches Rezept), die mit ihrem hohen Anteil an Kräutern zum Thema des nächsten Abschnitts (3) überleiten. Besonders hier, wo bei den Römern neben anderen Koriander, Liebstöckel und Weinraute dominieren, wogegen etwa Rosmarin und Basilikum zurücktreten, wird die, eigentlich überraschende, Diskontinuität zwischen antiker und moderner italienischer Küche deutlich. Zwei Gerichte stehen im Vordergrund: das vor allem aus dem Meisterwerk der Appendix Vergiliana bekannte Moretum, das mit Käse, Kräutern und viel, viel Knoblauch schmackhafteste ländliche Hausmannskost verkörpert - der ironiegewürzte Wutschrei des Horaz über eine einschlägige Brotzeit (o dura messorum ilia!, epod. 3, 4) darf unbefangenes Urteil nicht trüben - und die ganz auf Liebstöckel basierenden gefüllten Ova hapala, die schon durch den zweiten Teil ihres Namens feine griechische Provenienz verraten. (Nebenbei: Eigene Experimente legen es mir nahe, hier, gegen das im Film gezeigte Verfahren, das noch wachsweiche Eigelb in die Pinienkernfüllung miteinzubeziehen, obschon dies zugegebenermaßen im Rezept nicht ausdrücklich gesagt ist.) Dem zitierten Sprichwort gemäß geht es dann Ab ovo ad mala, wobei das Obst bzw. die Früchte (4) vor allem durch eine aufregend gewürzte Birnen-Patina und die mit pikanter Sauce beträufelten Melones et pepones vertreten sind.
Im Abschnitt über Fische und Meeresgetier (5), der uns endgültig in die Penetralia der Feinschmeckerei führt (hatte doch etwa der zeitkritische Cato gesagt, dass diejenige Stadt untergehen müsse, in der ein Fisch teurer verkauft werde als ein Ochse), hebt sich auch akustisch der Ton: Zur Hintergrundsmusik von Walter Maiolis authentisch römischem Musikensemble Synaulia, das von nun an, vielfach auch sichtbar, den Film begleitet, werden vor allem Aale gegrillt und mit einer hinreißend aromatischen Sauce serviert (schon wegen dieses Teils empfiehlt es sich für Nichtmasochisten, den Film mit schon gefülltem Magen zu betrachten). Etwas überraschend - aber die Römer waren nun einmal religiosissumi mortalium - fällt dann ein Blick auf die römische Götterwelt (6), aus der als hier einschlägig Ceres, Bacchus und der häusliche Lar vorgestellt werden. Letzterem (bzw. letzteren im Plural) wird von einem schön in Toga drapierten Hausvater capite obvoluto ein pflichtgemäß langweiliges, aber didaktisch instruktives Opfer dargebracht (das nach Horaz, carm. 4, 5, 34 allerdings erst beim Nachtisch stattfinden sollte).
Bevor man dann endgültig zum Festmahl (8) als der integrierenden Summa des Gezeigten kommt, wird sinnvollerweise die Krone aller Aperitifs, der aus Mulsum abgeleitete "Gewürzwein à la surprise", Conditum paradoxum (7), vorgeführt (wobei ich freilich die Erwähnung der für den Geschmack wichtigen Mastix vermisse); auch ohne ihn selber nachgekocht zu haben, ahnt der Zuschauer, warum Apicius gerade dieses (sogar stilistisch ausgefeilte) Rezept als ein Paradestück an den Eingang von 'De re coquinaria' gesetzt hat. Das Festmahl selber macht dann auch mit den feineren römischen Tischsitten, außerdem mit Silbergeschirr und Gläsern vertraut. Gegen älteren Römerbrauch (Valerius Maximus 2, 1, 2) muss hier auch die Hausfrau nach Griechenart zu Tische liegen; vielleicht stochert sie aus konservativer Verärgerung darüber etwas verdrossen in ihrem Essen, was sonst bei dem doch deliziösen Porcellus laureatus - ein Triumph der Kochkunst, der seinen Lorbeer verdient hat - ebenso verwunderlich wäre wie angesichts der zum Finale des Films besonders hingebungsvoll aufspielenden und tanzenden Synaulia. Aber so warn's halt, die alten Römers- und Weibersleut' (matronae Romanae).
Der Film gibt keine unmittelbare Anleitung zum Kochen (die kann man
sich für alle vorgeführten Gerichte aus Junkelmanns Buch
holen);
aber mit seinen wirklich prächtigen Bildern müsste er auch
den
letzten Lateiner dazu motivieren, Humanismus in der Küche zu
verwirklichen.
Auf jeden Fall erfährt er, geschickt und verständlich
dargeboten,
in einer knappen halben Stunde viel Wissenswertes über ein
interessantes
Stück der Kulturgeschichte. Die Produzenten, die, auf Junkelmanns
Spuren, schon früher mit Filmen über römisches
Militär
und Reiterwesen hervorgetreten sind und, wie der Beizettel verrät,
ein neues Werk über die Gladiatur vorbereiten, verdienen dankbare
Anerkennung und Ermunterung.