Fußnoten:
1 Das vom (sonst sehr verdienten) Vatikanlateiner Carolus Egger
herausgegebene Lexicon recentis Latinitatis, Bd. 2, 1997, 13
übersetzt
in der Tat it. „sessualità“ mit „sexualitas, atis, f“ und
fügt
die nicht minder barbarische Erläuterung bei: „phaenomena et notae
[= „Erscheinungen und Begriffe“?] ad sexum pertinentia“. Immerhin ist
sexualis
(wenn auch in ziemlich anderem Sinn) schon bei einem antiken Mediziner
belegt, wie die Lexika nachweisen
2 M. F., Sexualität und Wahrheit, Bd. 2: Der Gebrauch der
Lüste, dt. Frankfurt/M. 1986, 9 ff. (zuerst franz.: L‘ usage des
plaisirs,
1984): Der dort alles andere als klar formulierte Gedanke wird in
neueren
Abhandlungen recht verschieden praphrasiert; oft versteht man darunter
kaum mehr, als dass die Sexualität des Menschen in sehr
verschiedenen
kulturell bedingten Ausprägungen erscheinen kann.
3 Sicher scheint, dass Foucault die Vokabel „Sexualität“
in einer gegenüber dem üblichen Sprachgebrauch sehr
eingeschränkten
Bedeutung verwendet. Weithin durchgesetzt hat sich sein im Kern
richtiger
Gedanke, dass die Antike weniger zwischen Homosexuellen und
Heterosexuellen
unterscheide als zwischen solchen, die sexuell aktiv sind (d. h.
penetrieren)
und solchen, die passiv sind; das geht zurück auf einen
berühmten
Aufsatz von Foucaults altertumskundlichem Gewährsmann Paul Veyne
(zuerst
1978), dt. in: P. V., Die römische Gesellschaft, München
1995,
81-123 (dort S. 104 ff.): Dass es aber falsch ist, aus dieser vor allem
die moralische Wertung betreffenden Unterscheidung zu
schließen,
die Antike kenne überhaupt keine homosexuelle Veranlagung, zeigt
schon
der berühmte Aristophanesmythos in Platons Symposion, den etwa der
orthodoxe Foucaultanhänger David M. Halperin (One hundred years of
homosexuality and other essays on Greek love, New York / London 1990,
18
ff.: gegen John Boswell) ebenso gedankenreich wie vergebens
wegzudisputieren
versucht. Vgl. zu der durch Foucault ausgelösten, insgesamt recht
verworrenen, Diskussion jetzt etwa den nützlichen Überblick
bei
Hans Peter Obermayer, Martial und der Diskurs über männliche
‚Homosexualität‘ in der Literatur der frühen Kaiserzeit,
Tübingen
1998, 1-8 ; informativ auch die Einleitung zur „revised edition“ von
Amy
Richlin, The garden of Priapus: Sexuality and aggression in Roman
humour
(zuerst 1983), New York / Oxford ²1992, p. xiii-xxxii
und
die Einleitung zu David H. J. Larmour / Paul Allen Miller / Charles
Platter
(Hg.), Rethinking sexuality: Foucault and classical antiquity,
Princeton
N. J. 1998, 3 ff., bes. 20 ff.
4 Dies unterscheidet ihn prinzipiell von anderen Göttern,
die selber jeweils das treiben, wozu sie die Menschen anleiten:
Ares/Mars
kämpft, Artemis/Diana jagt, Athene/Minerva webt, Aphrodite/Venus
liebt
...
5 Vgl. bes. zum metonymischen Sprachgebrauch das unten zitierte
Werk von Adams (Anm. 12) 188 f.
6 Eine vergleichende Betrachtung für die frühe
griechische
Literatur gibt jetzt ansatzweise Barbara Breitenberger, Aphrodite &
Eros, Diss. (ungedr.) Oxford 1999. Sie weist daraufhin, dass sich eine
eigentliche Kontrastierung der beiden Liebesgottheiten zuerst beim
hellenistischen
Epiker Apollonios von Rhodos findet. Im übrigen ist das
Verhältnis
der beiden sonderbarerweise noch nie systematisch behandelt worden.
Eine
solche Untersuchung wäre auch für die bildende Kunst der
Neuzeit
aufschlussreich.
7 Genaue Erläuterungen findet man bei Robert D. Brown,
Lucretius on love and sex, Leiden u. a. 1987
8 Dazu Antonie Wlosok, Die Göttin Venus in Vergils Aeneis,
Heidelberg 1967, 101-104, die mit Apollonios [s. oben Anm. 6]
vergleicht
(und im übrigen zu Recht darauf hinweist, dass Venus in der Aeneis
kaum als eigentliche Liebesgöttin in Erscheinung tritt).
9 Der Urbedeutung nach scheint obscaenus als Terminus der
Auguralsprache
das „Unheilvolle, Ominöse“ zu bedeuten; da ‚Obszönes‘ (in
unserem
Sinn) bei heiligen Handlungen ein böses Omen hat, legte sich die
Übertragung
nahe. Im weitesten Sinn wird dann mit obscaenus alles Hässliche
bezeichnet
(vgl. den Artikel im Thesaurus linguae Latinae von Kuhlmann [IX 2,
158-161]
und bes. Andreas Thierfelder, „Obscaenus“, in: Navicula Chiloniensis
(Festschr.
F. Jacoby), Leiden 1956, 98-106)
10 Im lateinischen Sprachgebrauch können daneben auch die
Dinge selber (wie die Genitalien) oder die Vorgänge (wie etwa der
Geschlechtsverkehr) „obszön“ genannt werden.
11 Auch in Rom erscheint ja die Homosexualität vor allem
in der griechischen Form der Knabenliebe; s. dazu Wilfried Stroh, in:
„Musa
puerilis: Die Knabenliebe in der klassischen Dichtung der Römer“,
in: Theo Stemmler (Hg.), Homoerotische Lyrik, Tübingen 1992, 69-87
(jetzt in: W. S., Apocrypha: Entlegene Schriften, Stuttgart 2000,
28-42).
Was Obermayer (wie oben Anm. 3) 8 f. dagegen geltend macht, wird durch
seine Ausführungen auf S. 146-149 nicht bewiesen.
12 J. N. A., The Latin sexual vocabulary, London 1982.
13 Von Cicero, fam. 9, 22, 3 (vgl. zum ganzen,
aufschlussreichen
Brief Amy Richlin, The garden of Priapus: Sexuality and aggression in
Romen
humor, New York / Oxford [1983] ²1992, 18-26) ausdrücklich
als
Euphemismus bezeichnet (dafür häufig auch liberos quaerere);
auch das noch handfestere operam dare alicui ist sprachüblich.
14 Dass Priap hier selber spräche, wie meist angenommen,
ist nicht sicher (Eugene Michael O’Connor: Symbolum salacitatis: A
study
of the god Priapus as aliterary character, Frankfurt/M. u. a.
1989,
104); der verführerische Ton, bes. in V. 3 f., spricht eher
dagegen:
Sexuelle Attacken des als Gartenwächter eingesetzten Priaps haben
strafenden Charakter.
15 Das Gedicht wird höchst kundig erläutert von
Christiane
Goldberg (Hg.), Carmina Priapea, Heidelberg 1992, 67-72; dort S.
70 f. auch zur ovidischen Verfasserschaft, die von Vinzenz Buchheit
(„Priapeum
3 und Ovid“, RhM 131, 1988, 157-161) mit doch ungenügenden
Gründen
bestritten wurde: Die außerordentliche Bekanntheit und
Beliebtheit
gerade dieses Gedichts wird beleuchtet durch die Tatsache, dass der
ältere
Seneca es nur mit den (für sich sinnlosen) Worten Ouidianum illud
‚inepta loci‘ (= V. 8) anführen konnte (contr. 1, 2, 22;
dazu
gut Richlin [wie Anm. 13] 246 Anm. 1). Buchheits Erklärung, dass
das
Priapeum durch eben diese Senecastelle angeregt wäre, ist
phantastisch.
16 Gemeint ist natürlich der im Auftrag des verliebten
Zeus/Jupiter geraubte troianische Prinz Ganymed, an dem auch Goethe die
Gewalt der Liebe zum Knaben darzustellen gewagt hat.
17 Auch Ovid dürfte bewusst sein, dass pedicare, wie viele
termini technici des homosexuellen Bereichs, aus dem griechischen Wort
für den Geliebten (paidiká) abzuleiten ist (Adams [wie oben
Anm. 12] 123, vgl. aber auch Goldberg [wie Anm. 15] z. St.): So ergibt
sich eine besondere Pointe, die der Kommentatorin Goldberg entgeht;
Latine
dicere („grob, unverblümt reden“) erläutert sie im
übrigen
richtig durch Verweis auf ähnliches bei Martial.
18 crassa Minerua ist sprichwörtlich für den groben
Hausmannsverstand.
19 Vgl. James A. Brundage, Law, sex, and Christian society in
medieval Europe, Chicago 1987, 15.
20 So (mit gelehrter Begründung) noch Wayland Young, Eros
denied, New York 1964 (dt. München 1966).
21 orator 154 ; das Beispiel begegnet ähnlich in dem ganz
der sprachlichen Obszönität gewidmeten, scherzhaften Brief an
Paetus (fam. 9, 22, dort § 2), der ausführlich behandelt ist
bei Richlin (wie Anm. 13) 18-26 (in dem auch sonst ertragreichen
Kapitel
„Romen concepts of obscenity“, S. 1-31); vgl. auch Quintilian, inst. 8,
3, 45. (Späteres zu diesem sog. cacemphaton bei Heinrich Lausberg,
Handbuch der literarischen Rhetorik, Stuttgart ³1990, 474, §
964.)
22 In fam. 2, 29, 4 heißt es in diesem Zusammenhang: ego
seruo et seruabo (sic enim adsueui) Platonis uerecundiam.
23 fam. 9, 22, 1; vgl. off. 1, 128 und bes. Andrew Erskine,
The Hellenistic Stoa: Political thought and action, Ithaca, New York
1990,
14 (zu Zenon und sogar Chrysipp).
24 Die genaue Herkunft des einschlägigen Sprichworts
scheint
noch nicht geklärt.
25 John N. Hough: „Miscellanea Plautina: Vulgarity, extra
dramatic
speeches, Roman allusions“, TAPhA 71, 1940, 186-198
26 Plaut. Cas. 875 ff.: Die vielfache Unleserlichkeit des
überlieferten
Texts gerade an den obszönsten Stellen dürfte
möglicherweise
einem literarischen Zensor zu verdanken sein.
27 Plaut. Mil. 1394 ff.
28 So Konrad Gaiser: „Zur Eigenart der römischen
Komödie:
Plautus und Terenz gegenüber ihren griechischen Vorbildern“,
Aufstieg
und Niedergang der römischen Welt I 2 (1972) 1027-1113 (dort S.
1089,
Anm. 296)
29 Einen Überblick gibt bes. Eckard Lefèvre (Hg.):
Das römische Drama, Darmstadt 1978.
30 Nach Macrobius, sat. 6, 5, 6 (= Afranius 404 f. Daviault)
31 Die Entstehung des Begriffs erläutert lichtvoll Herwig
Görgemanns, „“Zum Ursprung des Begriffs ‚Lyrik‘“, in: Musik und
Dichtung
(Festschr. V. Pöschl), Frankfurt/M. u. a. 1990, 51-61 (mit Verweis
auf die grundlegende Arbeit von Hans Färber).
32 Die heute übliche Versicherung, dass in einem
subjektiven
Gedicht nicht der Autor selbst, sondern nur die persona eines
„Sprecher-Ichs“
oder dgl. rede – übrigens schon den Philologen vor hundert Jahren
eine Selbstverständlichkeit -, verdeckt, obschon richtig, die
Tatsache,
dass subjektive Gedichte wie ganz besonders die der römischen
Elegie
(mit ihren provokanten Aussagen), ihre Wirkung zu einem großen
Teil
daraus ziehen, dass der Autor eben in der Tat mit seiner Person und
bürgerlichem
Namen für das Gesagte einsteht.
33 Seit August Wilhelm von Schlegel wird dies bes. für
Horaz meist bestritten.
34 Dass dieser Vortrag nur bis Ovid führt (somit so
wichtige
Autoren wie Juvenal und Martial ausklammert) ist darin begründet,
dass mit Ovid die wichtigsten Spielarten obszöner Poesie in die
römische
Literatur eingeführt scheinen. Vielleicht nur der Vergil
parodierende
Cento nuptialis des Ausonius bringt wieder etwas wirklich Neues.
35 Sein Gesamtwerk umfasste schätzungsweise 20.000 Verse.
Die Fragmente sind deutschen Lesern bequem zugänglich in der
zweisprachigen
Ausgabe von Werner Krenkel, Lucilius: Satiren, 2 Teile, Leiden 1970.
36 Richtig stellt Michael von Albrecht (Geschichte der
römischen
Literatur, München u. a. ²1994, 212) fest, dass dabei
„weniger
an die Biographie als an die Lebensführung zu denken“ ist.
37 Zur Tradition dieser wohl von Aristoxenos stammenden
Vorstellung
vgl. Wilfried Stroh, „Tröstende Musen [...]“, Aufstieg und
Niedergang
der römischen Welt II 31.4 (1980), 2638-2684, dort 2654 ff.
38 Porphyrio zu Hor. Epist. 1, 19, 34 ; die antiken Zeugnisse
zu Lucilius sind in deutscher Übersetzung zusammengestellt bei
Krenkel
(wie Anm. 35) Bd. 1, 46-62 (Zitat dort Nr. 164).
39 Trebonius in Cic. fam. 12, 16, 3.
40 Was Amy Richlin (wie Anm. 13) auf S. 165 dafür
anführt,
dass „he occasionally heaped sexual ridicule on his victims“ (worunter
sie die prominenten Opfer versteht), ist kaum wirklich
einschlägig.
Im Folgenden tendiert sie dazu, jede Derbheit als Verhöhnung zu
interpretieren,
was entschieden übertrieben sein dürfte. Und aus dem
gelegentlichen
Spott über cinaedi sollte nicht geschlossen werden, dass Lucilius
durch seine Obszönitäten vor allem die eigene
Männlichkeit
beweisen (und etwa gar sein Dichtertum verteidigen) wolle (Richlin 170
f., mit recht willkürlicher Interpretation von 1022 f. M. = 1069
f.
Kr., vgl. Krenkel z. St.). Im übrigen gibt Richlins Kapitel
über
Lucilius eine wertvolle Zusammenstellung des Materials mit vielen
feinen
Bemerkungen.
41 Generell Adams (wie Anm. 12) 221: „one cannot be certain
that Lucilius employed basic obscenities“.
42 Zur Wortgeschichte s. Adams (wie Anm. ) 62 f.;
das Wort erscheint auch 1096 Kr. (und 966 Kr. in der Form
muttonium),
vgl. 64 Kr. moetino ... signo.
43 Anders und vielleicht richtig Marx (bei ihm 307), der amica
adjektivisch zu laeua zieht, wonach an Masturbation zu denken
wäre.
Auf jeden Fall wird durch die prächtige Metapher lacrimae die
Personifikation
des fast selber redenden mutto bei Horaz, sat. 1, 2, 68-71 vorbereitet.
44 Der Grammatiker Nonius merkt zur Vokabel an: fingere est
lingere, wobei freilich an ein intensives, „gestaltendes“ Lecken
gedacht
sein muss (wie an der von ihm ebenfalls zitierten Stelle Verg. Aen. 8,
634 fingere lingua, wo die Wölfin ihre Milchkinder Romulus und
Remus
„zurechtschleckt“).
45 sat. 1, 2, 118; psolós ist der, dessen Penis von der
Vorhaut entblößt ist, kopûsthai bezeichnet das
Erschöpftwerden
(einen Papyrusbeleg für die aktive Verwendung der Vokabel gibt E.
A. Barbers Supplement zum Griechischlexikon von Liddell / Scott, Oxford
1968).
46 Vgl. zum gleichbedeutenden supinus Adams (wie Anm. 12) 192;
suggerere (sonst „unterlegen“) in dieser Verwendung scheint kühn.
47 crisare ist t. t. für die Bewegung der Frau beim
Geschlechtsverkehr,
s. Adams (wie Anm. 12) 136 f.
48 Anders interpretiert Amy Richlin (wie Anm. 13) 278, die hunc
und illam jeweils zum Objekt der Verbalhandlung macht (so dass Knaben-
und Frauenliebe einander gegenübergestellt wären); schon die
Parallele macht das ganz unwahrscheinlich.
49 Man vergleiche nur die sonstigen bei Adams (wie Anm.12) 157
ff. angeführten Belege für die Metapher vom Ringkampf.
50 Vgl. Adams (wie Anm. 12) 157.
51 Einschlägig, nicht erschöpfend, zum Thema: Brian
Arkins, Sexuality in Catullus, Hildesheim u. a. 1982.
52 Diese Form ist ungewöhnlich, da in der römischen
Lyrik – das Wort jetzt im antiken Sinn genommen – ein unmittelbares
Reden
zu der angesprochenen Person fingiert wird.
53 Der etwas schwerfällige, fast unbeholfene Ausdruck
(illud
adiuuato – die etwa von Gustav Friedrich im Kommentar [Leipzig / Berlin
1908] z. St. beigebrachten Parallelstelen sind interessant, aber nicht
völlig zutreffend – markiert trefflich das improvisiert
Umgangssprachliche
des Gedichts.
54 S. Adams (wie Anm. ) 118-122.
55 Vgl. Wilhelm Kroll im Kommentar (1922, Stuttgart ³1958)
zur Erläuterung des umgangssprachlichen Ausdrucks.
56 Gut dazu Hans Peter Syndikus, Catull: Eine Interpretation,
1. Teil, Darmstadt 1984, 191 f., der auch nachdrücklich auf die
Selbstironie
im ganzen Gedicht hinweist.- Amy Richlins (wie Anm. 13, dort 151
f.) Auffassung, dass Catull hier eine priapusartige Drohhaltung
einnehme
–sie meint übrigens fälschlich, er hole das Mädchen zu
sich
-, ist nicht ganz nachzuvollziehen.
57 Vgl. Wilfried Stroh, Apocrypha (wie Anm. 11) 28-42,
dort 34-36, mit Verweis auf eine ältere Arbeit (1990), jetzt in:
Apocrypha
79-99.
58 Nach meiner Auffassung (Apocrypha [wie Anm. 11] 79 ff.)
handelt
es sich um den zweiten Teil einer Lyriksammlung, die einen Lesbia- und
Juventiuszyklus umfasste; Jan Wilhelm Beck (‚Lesbia‘ und ‚Juventius‘:
Zwei
libelli im Corpus Catullianum, Göttingen 1996) rechnet jetzt, wie
schon der Titel anzeigt, mit zwei Büchlein (dort ist vor allem auf
S. 41 ff. die Forschung ausführlich und kundig referiert).
59 Der Zweifel daran, dass es sich um den allerdings erst in
carm. 24 genannten Juventius handelt (Beck [wie Anm. 58] 98 ff.), ist
mir
kaum verständlich: Wenn in carm. 24 die Eifersucht nicht
schärfer
ausgedrückt ist (Beck 97.: „wo bleibt hier [...] ein c. 8 und 11
des
‚Lesbia‘-Zyklus vergleichbares Gedicht?“), entspricht das eben der eher
leichtfertig oberflächlichen Haltung, die er Juventius
gegenüber
einnimmt.
60 Vgl. zu Bedeutung des Adverbs die Anm. von Kroll (wie Anm.
55).
61 Die clevere Junktur metuo tuoque verstärkt spielerisch
den Begriff tuo. Auch sonst lebt die Partie von Klangwiederholungen:
mod(o)
huc mod(o) illuc; bonis malisque; qua iubet, ut lubet.
62 Dass qua iubet möglich ist, hat schon Friedrich (wie
oben Anm. 53)mit Parallelen (z. B. aus einer pompeianischen Inschrift)
gezeigt, ohne es in den Text aufzunehmen. Diese überlieferte
Lesart
wird empfohlen dadurch, dass schon Lucilius (s. oben), wie später
Horaz,den mutto personifiziert hat (Hor. sat 1, 2, 69 sagt er, mit
eigenem
Willen ausgestattet: deposco; vgl. auch Ovid, am. 1, 7, 68 [membra]
nunc
opus exposcunt militiamque suam).
63 Ihm folgen nur Martial und die Carmina Priapea, vgl. Adams
(wie Anm. 12) 9-12.
64 Cic. fam. 9, 22, 2; vgl. Adams (wie Anm. 12) 35 f. – So
empfindet
man heute etwa „Gastarbeiter“ als abwertend, obwohl es
ursprünglich
als freundlicher Euphemismus für „Fremdarbeiter“ geschaffen wurde.
65 Vor allem durch Foucault (s. oben Anm. 2) ist allgemeiner
bekannt geworden, dass in der Antike, im Hinblick auf die moralische
Wertung,
der wichtigste Unterschied zwischen aktiver und passiver
Sexualbetätigung
gemacht wird. Die einschlägige Terminologie wird am
übersichtlichsten
erläutert bei Holt N. Parker, „The teratogenic grid“, in: Judith
P.
Hallett / Marilyn Skinner (Hg.), Roman sexualities, Princeton, N. J.
1997,
47-65, dort bes. die Matrix auf S. 49. Ziemlich
irreführend
ist dagegen etwa Kroll (wie Anm. 55) zu V. 1 des Gedichts.
66 Ethologische Überlegungen auf dem Gebiet der
Altertumskunde,
München 1974, bes. 18 ff. Vgl. auch seine unten zitierte
Abhandlung
zu Catull.
67 Im selben Sinn nennt Catull ihn in 10, 12 irrumator. Die
philologischen Ausleger glauben im Ernst, dass Catull hier gegen seinen
Patron, mit dem er sich verfeindet habe, protestieren wolle; in
Wirklichkeit
stellt er ihm natürlich im Hinblick auf den üblichen Vorwurf
der Provinzausbeutung (und das über jedem Promagistrat schwebende
Damoklesschwert eines Repetundenprozesses) das bestmögliche
Leumundzeugnis
aus.
68 Ebenso ist pudice gebraucht in Catull. 15, 5 ( wie in V.
4 castum, integellum), und bes. in 21, 12 f. (ebenfalls an
Aurelius)
quare desine, dum licet pudico, / ne finem facias, sed irrumatus; so
auch
etwa Hor. epist. 1, 20, 3; allgemeiner allerdings Hor. carm. 4, 7, 25
pudicum
... Hippolytum (weil sein Sexualverhalten innerhalb von Recht und Sitte
bleibt) und wohl auch Cic. leg. 1, 51 possumus eos qui a stupro
arcentur
infamiae metu, pudicos dicere ...? In weiterem Sinn die sexuelle
Selbstbeherrschung
scheint gemeint in Ter. Hec. 152 pium ac pudicum ingenium narras
Pamphili.
Eindeutiger ist offenbar impudicus (nach den Belegen bei O. Prinz, ThlL
VII 1, 711, 36 ff.) bei Männern auf die passive
Homosexualität
festgelegt; bei Catull ist sprechend 29, 1 f. Quis hoc potest uidere,
quis
potest pati [!], / nisi impudicus et uorax et aleo ...? (wo impudicus
keineswegs
„Wüstling“ heißt, wie Syndikus [wie Anm. ] 144
Anm.
6 möchte). Bes. ähnlich unserer Stelle ist Cic. de or. 2, 256
„si tu et aduersus et auersus impudicus es“; Ulp. Dig. 47, 10, 9, 4 si
quis tam feminam quam masculum ... impudicos facere adtemptauit,
iniuriarum
tenebitur; vgl. Ps. Cic in Sall. 13 (erst Augustin civ. 4, 25
nennt
Jupiter als Verführer Ganymeds impudicus). Dasselbe gilt für
impudicitia (Prinz a. O. 710, 59 ff.). Gegen meine (s. jetzt Apocrypha
[wie Anm. 56] 90 Anm. 49), auch von vielen anderen (bes. seit dem
Kommentar
von Emil Baehrens, Leipzig 1885), vertretene Auffassung hat jetzt Beck
(wie Anm. 58) 136 behauptet, impudicus bezeichne allgemeiner den
„libidinosus in erotischen Dingen“; aber gerade die beiden von ihm als
Gegeninstanz genannten Stellen sind nicht beweiskräftig: Cic.
Catil.
2, 23 in his gregibus omnes aleatores, omnes adulteri impuri
impudicique
uersantur (mitnichten sind hier die zusammengehörigen impuri
impudicique,
wie Beck suggeriert, mit den adulteri gleichzusetzen; die
Zusammenstellung
von impudicus und adulter auch in Sall. Cat. 14, 2); Cic. Cat. p.
red. in sen. 12 ad lenonis impudicissimi pedes: ein leno an sich
wäre
nicht impudicus, hier aber handelt sich um Gabinius mit seinen
gebrannten
Ringellöckchen (12 cincinnatus ganeo, 13 huius calamistrati
saltatoris),
den Cicero soeben als homosexuell passiven fellator gegeißelt hat
(11): qui ne a sanctissima quidem parte corporis potuisset hominum
impuram
intemperantiam propulsare. qui ... egestatem et luxuriem domestico
lenocinio
[!] sustentauit. Dies Stelle zeigt also das schiere Gegenteil von dem,
was sie soll.- Auch der entschiedenste Widersacher unserer
Interpretation
von parum pudicum, Detlev Fehling („De Catulli carmine sexto decimo“,
Rheinisches
Museum 117, 1974, 103-108) – er versteht unter uersus molliculi,
wie ich, obszöne Verse, unter parum pudicus aber denjenigen, „qui
facit, quae in illis dicuntur“ [S. 104], was schon sachlich doch nicht
angeht -, macht keinen Versuch, seine Auffassung sprachlich
abzusichern.
69 Vgl. zuletzt bes. Richlin (wie Anm. 13) 13; bes. 146.
70 Mit Nachdruck Beck (wie Anm. 58) 136 f.
71 Neben notorischen Erotikern nennt Ovid allerdings auch
Vergil
und Varro Atacinus.
72 So heißt in Catull. 10, 24 ein Mädchen cinaedior,
weil es eine keckere Bitte äußert, als es sonst weiblicher
Dezenz
entspricht.
73 So jetzt bes. Beck (s. oben Anm. 68).
74 So mit besonderer Entschiedenheit Fehling (s. oben Anm. 68).
75 Die nächste Parallele zu dieser Verwendung von
molliculus
bietet Ovid, trist. 2, 349 f. sic ego delicias et mollia carmina feci,
/ strinxerit ut nomen fabula nulla meum. (Bei fabula nulla ist hier
jedoch
an Ehebruch gedacht.) Sonst bezeichnet allerdings das im Hinblick auf
Liebesdichtung
vielfach schillernde mollis (Wilfried Stroh, Die römische
Liebeselegie
als werbende Dichtung, Amsterdam 1971, s. Index S. 263)
nicht
gerade die Anstößigkeit durch Obszönität.
76 In der Tat versucht Beck (wie Anm. 58) 140 darzutun, dass
ein „zärtliches, aber hemmungsloses Verhalten in der
Öffentlichkeit“,
wie in den basia-Gedichten dargestellt, „durchaus als parum pudicus
verstanden
werden“ könne, „weil es aufrichtig und echt und eben sehr
zärtlich
gemeint ist“.; ähnlich schon Syndikus (wie Anm. 56) 143 f.
Der
Sprachgebrauch lässt zumindest dies nicht zu.
77 Nicht als „Priester der Musen“, wie Kroll (wie Anm. 55) z.
St. meint (vgl. auch Syndikus [wie Anm. 56] 145 Anm. 12), eine
Vorstellung,
die erst nach Catull aufkommt (und die nicht, wie häufig,
mit
der älteren des „Dichter als Sprachrohr der Musen“ verwechselt
werden
darf). Mit pius ist, wie oft, nur die Rechtschaffenheit bezeichnet.
78 So wohl zuerst Ulrich Knoche, „Erlebnis und
dichterischer
Ausdruck in der lateinischen Poesie, Gymnasium 65, 1958, 146-158, dort
154 f.
79 Dies wird von den Gedichten, in denen Catull – auch bei
höchster
Anstößigkeit der Formulierung – immer einen konservativen
moralischen
Standpunkt einnimmt (richtig Arkins [wie Anm. 51] 1), durchaus
bestätigt.
80 Amy Richlin (wie Anm. 13) 13 sieht eben hierin ein von
Catull
gesuchtes Paradox
81 Bes. weit ging in diese Richtung Leonidas Tromaras
(Catullinterpretationen
[...], Thessalonike 1984, 38-46), der das Gedicht als Programmgedicht
einer
„neoterischen Ästhetik“ (S. 46) deutet und dabei etwa unter den
pilosi
von V. 10 diejenigen versteht, die „reife Erfahrung und ästhetisch
waches Urteil [besitzen]“ (S. 45).
82 Vgl. dazu meinen Aufsatz in Apocrypha (wie Anm. 11) 79 ff.,
bes. 90 f. (mit einer wichtigen Einschränkung des oben Gesagten).
83 Vgl.Adams (wie Anm. 12) 168 mit Lit. in Anm. 2.
84 Cicero, beginnend mit Verres und Catilina, bietet dazu die
ersten Parallelen, die bei Sallust und besonders dem Tragiker Seneca
fortgesetzt
werden.
85 Diese Sonderbarkeit scheint in der Forschung noch nicht
richtig
konstatiert und gewürdigt zu sein. Aber Tibull, der scheinbar so
leichte,
ist überhaupt „einer der schwierigsten und rätselhaftesten
lateinischen
Autoren“ (v. Albrecht [wie Anm. 36] 605).
86 Näheres in Apocrypha (wie Anm. 11) 100 ff. : „De
Horatio
uitae praeceptore Epicureo“. Zur obszönen Sprache der
römischen
Satire überhaupt: Adams (wie Anm. 12) 221 f.
87 Aus den Oden ist dagegen die Obszönität auch schon
aus Gründen der (im eigentlichen Sinn) lyrischen Gattungstradition
(bes. Sappho, Anakreon) ausgeschlossen. Wenn neuere Philologen auch
diese
Gedichte gelegentlich als Sexualallegorien lesen, so ist das abwegig.
88 Einschlägig ist Victor Grassmann, Die erotischen Epoden
des Horaz, München 1966
89 Vgl. Wilfried Stroh, „De amore senili quid ueteres poetae
senserint“, Gymnasium 98, 1991, 264-276, dort 273 f. und Alberto
Cavarzere (Hrsg.), Orazio: Il libro degli Epodi, Venedig 1992, 168 f.
90 Also nach dem (für sie entweder verfrühten oder
nicht ausreichenden) Orgasmus; zur sprachlichen Erklärung:
Grassmann
(wie Anm. 88) 77 f. und David Mankin (Hrsg.), Horace: Epodes, Cambridge
UP 1995, z. St.
91 Z. T. brillant ist die Übersetzung in der
zweisprachigen
Ausgabe von Richard Harder / Walter Marg, München ³1968; vgl.
jetzt auch (in derselben Tusculum-Sammlung) die Ausgabe von Niklas
Holzberg
(Düsseldorf / Zürich 1999), die mustergültig die neuere
Literatur erschließt.
92 Im „Laokoon“ , Kap. 21. Die neuerdings herrschende
poetologische
Allegorese sieht in der nackten Corinna ein Abbild von Ovids
makelloser
elegischer Dichtkunst.
93 Vgl. oben Anm. 43 und 62.
94 Das Gedicht war bekanntlich Vorbild für Goethes
berühmtes
„Tagebuch“, das im Ton und einzelnen Wendungen ganz ähnlich, in
der
Idee aber um einiges ernster und durch psychologische Vertiefung
bedeutungsvoller
ist: Bei Ovid ist die Impotenz ja ein schierer Betriebsunfall (weil das
dem Liebhabertyp entspricht, den er in seinen Amores darstellt).
95 Auch hier ist wieder die feine Differenzierung der
Liebesgötter
zu beachten. In den Remedia amoris (Amoris) wird, dem Titel
gemäß,
Amor bekämpft, das (unglückliche) Verliebtsein; der durch
Venus
repräsentierte physische Liebesvollzug muss dazu nicht gemieden
(aber
richtig gestaltet) werden.