Wilfried Stroh
Geschichten vom Niemandsland
Ne signare quidem
aut partiri limite campum
Fas erat: in
medium quaerebant ...
Streng war’s den Menschen verwehrt, das Feld mit dem
Grenzstein zu teilen:
Allen gehörte ja das, was alle erwarben ...
So beschreibt Vergil im Gedicht vom Landbau die goldenen Zeiten, als
noch Saturn regierte und ein Kommunismus herrschte, wie ihn kaum Marx
und Lenin erträumt haben. Denn was ist die Vergesellschaftung nur der
Produktionsmittel gegen diese große, gottgewollte, weltumfassende
Glückskolchose, das paradiesische Niemandsland?
Heute, unter Jupiter, wo alles zerteilt ist und das Grundbuch jeder
Parzelle den Eigentümer zuweist, gibt es ein solches Land, eine terra nullius, wie die Juristen es
ausdrücken, nur noch vielleicht auf der hohen See, im Weltraum – und im
Reich der Träume: Die Phantasie des Dichters findet ja überall ein
Niemandsland, wo sie sein kann – nicht um allein zu besitzen, sondern
mit anderen frei zu schwärmen. Dorthin, dorthin rief Anna Fabra vom
Parnass des literareon die
deutschen Musensöhne, und viele Hunderte sind ihrem Ruf gefolgt.
Was die Tüchtigsten von ihnen dort entdeckt, was sie mitgebracht haben,
das, lieber Leser, finden Sie hier: Geschichten vom Niemandsland.
Vielleicht geben sie Ihnen auch einen kleinen Vorgeschmack auf die Zeit,
wo ja nach Hoffnung der Frommen jene alten Zustände wiederkehren sollen,
wo die Tür aufspringt zum Paradeis und, wie der Heilige Chrysostomos
gesagt hat, "nicht mehr sein wird 'Mein und Dein' – dieses frostige
Wort": die ganze Welt ein Niemandsland.