FAUNUS UND DIE ISARNYMPHE SOPHIE

Deutsch-lateinische Talkshow (zur Einführung in die Theologie der Halbgötter)
von und mit Wilfried Stroh und Sonja Gibis

Sophie: Hochverehrtes Publikum! Ich stamme zwar nicht aus dem klassischen Altertum wie die anderen Damen und Herrn, die Sie hier ringsherum in Gips sehen; ich bin nur eine ordinäre bayrische Nymphe von der Isar, namens Sophie (sophía ist immerhin altgriechisch und heißt die "Weisheit"), habe aber die große Ehre, Sie hier heute zum Internationalen Museumstag (zu den Ludi museales et internationales) herzlich zu begrüßen. Salvete, pueri et puellae, adulti et adultae! Leider gehöre ich nicht zu den richtigen Göttern, die bekanntlich im Olymp sitzen und dort etwas olympisch entrückt sind, so wie Jupiter, Venus oder Apoll; als Wassernymphe bin ich nur eine Halbgöttin, und so möchte Sie heute zunächst in die Welt von uns Halbgöttern einführen. Damit wir uns recht verstehen, ich spreche jetzt nicht von den "Halbgöttern in Weiß", sondern von den Halbgöttern im Wald bzw. auf der Heide. Wir alle haben gemeinsam, dass wir in der sogenannten Natur wohnen – ich meine also so etwas mit HaZweiO und Chlorophyll - , jedenfalls auf der Erde und dass wir somit zum Teil leider auch ein bisschen sterblich sind.

Aber viel besser als ich kann Ihnen das alles mein prominenter italienischer Kollege erklären. Wir haben nämlich heute als Stargast bei uns den berühmtesten aller Halbgötter, einen echt römischen, aus Latium stammenden Faun, lateinisch genannt Faunus. Bitte geben Sie Applaus, wenn er auftritt! Ich begrüße unseren Ehrengast Faunus deus. Salve Faune, Faun, sei gegrüßt!

Alle [applaudieren]

Faunus [kommt nicht]

Sophie: Ach du lieber Halbgott! Er ziert sich offenbar mal wieder, tut so, als wäre er menschenscheu – und dabei weiß ich, dass er insgeheim ganz publikumslüstern ist. Also, ich fürchte, Sie müssen ihn mit mir zusammen rufen – und weil er sich auch so stellt, als ob er nur Latein könnte, auf lateinisch: Adveni, Faune! (Komm herbei, Faunus!)

Alle: Adveni, Faune!

Faunus [kommt nicht]

Sophie: Sie müssen schon etwas lauter rufen; sonst ist das zwecklos bei einem Faun!

Alle: Adveni, Faune! Adveni, Faune!

Faunus [kommt nicht]

Sophie: Da hilft nur eines: Der Nymphenchor muss das Faunuslied von Horaz singen. Liebe Mitnymphen, wie zu fürchten war, ihr müsst wieder einmal ran. Das Publikum soll natürlich auch mitsingen. Texte sind im manuale, auf Deutsch: dem Handout (falls Sie Ihren eigenen Horaz dabei haben: Carmen drei, achtzehn.)

Nymphenchor:
Faune nympharum fugientum amator,
per meos finis et aprica rura
lenis incedas abeasque parvis
aequus alumnis.

Sophie: Bitte nochmals die erste Strophe, alle zusammen!

Nymphenchor (mit Publikum): Faune, nympharum etc.

Sophie: Bitte auch noch die zweite Strophe (die wirkt noch besser, weil ihm da ein Opfer mit Wein und Böcklein versprochen wird)!

Nymphenchor:
Si tener pleno cadit haedus anno
larga nec desunt Veneris sodali
vina creterrae, vetus ara multo
fumat odore.

Faunus [kommt]:
Carmen dulce nostras pepulit ad aures,
canunt bonae puellae, virgines pulchellae.
Faunus adest, advenit cantico captatus.
Salvete, spectatores! Salve, Sophia!

Sophie: Salve iterum, Faune! Was Sie jetzt von Faunus gehört haben, waren, wie bei ihm üblich, lateinische Saturnier, so ein altes Runkelrübenversmaß aus der grauen italischen Vorzeit. Der Sinn war nicht gerade umwerfend: Er sei gekommen, weil er einem so süßen Lied aus schönem Munde nicht widerstehen könne. Na ja.- Lieber Faunus, sehr verehrter Gast aus Rom, es wäre nett, wenn du nun selber den Zuhörern erläutern würdest, wer du bist, woher du kommst und was du so treibst. Die meisten kennen dich nämlich aus der Glyptothek nur als Barberinischen Faun, und der sieht doch ziemlich anders aus (Sie sehen ihn, wenn auch nicht ganz deutlich, auf ihrem manuale) . Qualis et unde venis?

Faunus: O di boni! Qui illum Faunum effinxit, Faunum Barberinianum, adulescuntulum cultum ac venustulum, is sane mente captus erat ac ne umbram quidem umquam veri Fauni viderat. Neque id mirum est. Nam nos Fauni Latini raro admodum manifesti apparere hominumque in oculos venire solemus, timidum genus numinum, qui in occultis silvis habitamus, unde vox tantum nostra auscultari potest. Quod si quis vestrum quoque saltus silvasque remotiores perambulans susurros forte in virgultis et voculas sentire sibi videtur, is scito me audivisse, Faunum ipsum!

Sophie: Wie Sie hören, spricht er eisern nur Latein, obwohl er Deutsch zumindest vom Hören her ganz gut versteht (zum Glück hab ich mein Latein auf einem Münchner Gymnasium lernen dürfen, als einzige Wassernymphe unter lauter trockenen Strebern). Er sagt also, dass er von dem Barberinischen Faun gar nichts hält, weil der überhaupt kein echter Faun sei – viel zu hübsch und geschniegelt -; der wahre latinische Faun, meint er (und er muss es ja nun wirklich wissen), meide die Menschen, vergrabe sich in tiefen Wäldern, von wo man nur seine Stimme hören könne. Wenn also auch Sie bei einsamen Waldspaziergängen ein Flüstern oder so etwas Stimmenartiges aus dem Gebüsch hören, dann war das der Faun, er selber!

Und was sagst du dann so? Quid dicere soles?

Faunus: Operae pretium feceritis, me si diligenter audiveritis: futura enim praedicere soleo, oracula edo versibus concepta Saturniis. Quam artem nemo e ceteris semideis exercere didicit, ego dudum novi neque umquam vates falsus fui. Quin etiam amplius mille annis ante Christum vestrum, a quo vos numerare soletis, multis saeculis ante urbe conditam ipsam urbem Romam imperiumque Romanum in Latii silvis vaticinatus sum.

Sophie: Das war mir jetzt selber neu, weil es so etwas jedenfalls unter den bayrischen Halbgöttern nicht gibt. Der Faunus ist ein Orakelgott, der den Leuten die Zukunft vorhersagt und, wie er behauptet, ohne dabei zu irren. Er will sogar in den Wäldern Latiums mehr als tausend Jahre vor Christi Geburt, Jahrhunderte vor der Stadtgründung Roms, eben die Gründung Roms und das ganze römische Reich prophezeit haben.

Hast du etwa auch die Europäische Union vorausgesehen. Num etiam Europam unitam?

Faunus:
Praevidi hercle illam idque versibus cecini:
Taurum fugit Europa, veneratur Euronem.

Sophie: Sein Vers hieß etwa so:

"Europa lässt den Stier im Stich,
sie widmet nur dem Euro sich."
Aber ich glaube, das führt uns jetzt ab von der Sache. Ich habe nämlich mit unserem Stargast Faunus schon vorweg abgesprochen, dass er uns als Experte auch etwas über die sonstigen Halbgötter sagen soll, die hier herumstehen und häufig mit ihm, dem Faun, verwechselt werden. Qui sunt ceteri semidei?

Faunus: Omnes Graeculi, numina levia ac frivola, ne humana quidem specie conspicua, sed e parte bestialia, semiferi potius dicendi quam semidei. Pudet talibus adnumerari!

Sophie: Jetzt bricht aus ihm der alte Römerhochmut aus. Alle anderen Halbgötter außer ihm seien läppische Griechen, "Griechlein" sagt er, nicht einmal anständig menschengestaltig, sondern zum Teil tierisch, also eher Halbbiester als Halbgötter zu nennen. Sed enumera singulos!

Faunus: Maxime mihi displicent Satyri, cum aetate provectiores sunt, dicti etiam Sileni - istic videtis Papposilenum vetulum saetosum -, qui semper Bacchum sequuntur - conspicite adulescentem formosum ac viro paene molliorem! -, di ebrii, inutiles, numquam sani. Quos facile cognoscetis e gressu titubante, nisi plane humi iacent (ut iste nimio mero devictus), vultibus violentis ac vinolentis, sed praesertim ex acutis auriculis, quae equorum similiores videntur, et e cauda plane equina, etsi eam interdum - pudet enim - occultare conantur. Huc oculos intendite: nonne caudiculam videtis?

Sophie: Besonders verachtet Faunus, wie es scheint, die Satyrn oder Waldteufel (die man, wenn sie älter sind, auch Silene nennt, einer davon ist hier der zottige Papposilen) aus dem Gefolge des Weingotts Dionysos oder Bacchus - hier ist er, ein bedenklich hübscher junger Mann -; er nennt sie immer besoffen und unnütz. Man erkennt sie leicht an dem schwankenden Gang (wenn sie nicht gleich, wie der hier, am Boden liegen), dem alkoholisierten Blick, ganz untrüglich aber an den spitzen Ohren, die etwas Pferdeartiges haben, und am unvermeidlichen Pferdeschwanz, der ihnen manchmal selber peinlich ist. (Ein solches Schwänzlein hat übrigens ansatzweise auch der Barberinische Faun, der also streng genommen ein Barberinischer Satyr ist.)

Faunus hat in seinem Eifer vergessen, dass die Satyrn auch viel von der Musik verstehen: Nonne optimi sunt musici?

Faunus: Sunt musici quidem, non nego, sed quam superbi! Quod sua cymbala quatere, tympana pulsare, carmina rustica inter pocula eructare didicerunt, iam se novem Musis similes existimant.

Sophie: Faunus warnt vor Überschätzung der Musikalität bei den Satyrn; das meiste sei Einbildung. Wenn sie ein bisschen mit Schlagzeug hantieren können – bitteschön, das hier sind cymbala, kleine Metallbecken – und ein paar unflätige Sauflieder beherrschen, meinen sie, sagt der Faunus, schon den neun Musen zu gleichen. – Dabei verstehen sie sich aber doch auch auf die tibia oder den aulós. (Das ist so eine klarinettenartige Flöte.) Num nescis eos etiam tibia canere?

Faunus: Tibia mehercules dum canunt, plurimum sibi arrogant. Ut Marsyas Satyrus olim, qui tibiam a Minerva inventam, sed abiectam et humi iacentem, ut suum inventum prae se ferebat, iactabat et gloriabatur; quin etiam Apollinem ipsum, citharoedum divinum ad certamen musicum provocavit – tristi sane eventu. propter nimiam superbiam vivo illi pellis sive corium detractum est, crudeliter id quidem neque omnino immerito!

Sophie: Nun wird’s grausam. Um den Hochmut der Satyrn als Musiker zu zeigen, erzählt Faunus die alte Geschichte vom Satyrn Marsyas, der einen Aulos, also eine solche Flöte am Boden liegend fand, die die Göttin Athene erst erfunden, aber dann weggeworfen hatte. Er gab sie als seine eigene große Erfindung aus und forderte keinen Geringeren als den größten aller Musiker, den Gott Apollo mit der Cithara, zum musikalischen Wettkampf heraus – mit katastrophalem Resultat für ihn: Als er unterlag – das war zu erwarten – wurde ihm zur Strafe für seinen Übermut die Haut abgezogen. Halbgott, bleib bei deinem Leisten! Aber dem Faunus scheint das sogar noch ganz recht zu sein.

Satis superque, Faune, dic de Pane! (Er soll uns jetzt lieber noch etwas vom Gott Pan erzählen.)

Faunus: Panem equidem pluris facio, quem hic suavissime gypso expressum videmus. Deus aut semideus habitat in Arcadia, non iners aut ignavus, sed fautor benivolus pastorum, quorum pecora servat, imprimis caprarum amicus oviumque. Ipse, ut ego, nec saepe nec facile in hominum conspectum manifestus venit. Quod si quando fit, eheu! quantum terrorem ac pavorem ille mortalibus ipso vultu, etiam si non vult, inicit! Mone, mea Sophia, spectatoes, ut Panem caveant!

Sophie: Faciam. Wie ich erwartet habe, ist der Gott Pan aus Arkadien – hier sehen Sie ihn in einem besonders schönen Exemplar – dem Faunus wesentlich sympathischer. Er ist kein Faulenzer, sondern ein brauchbarer Hirtengott, der hilft, auf die Herden aufzupassen, besonders gern auf Ziegen und Schafe. Mit dem Faunus hat er gemeinsam, dass er sich von Menschen nicht leicht erblicken lässt. Passiert das doch einmal, erscheint der Pan den Menschen in Person, dann jagt er ihnen durch den bloßen Anblick, ohne böse Absicht, schreckliche Angst ein, den "panischen" Schrecken (der also eigentlich vom Gott Pan kommt). Faunus warnt euch vor dem Pan!

Perge, Faune! Bitte mehr, vor allem auch über das Aussehn, de forma.

Faunus: E magna parte caper est, fateor. Videtis crura saetis horrida pedesque caprinos, neque ipsi capiti desunt sua cornua. Sed tamen quam comis est et benignus, quam, si in deo dicere id fas est, humanus! Summus est etiam artifex musicus, qui syringe sua, quam semper secum habet, dulcissime cantat, homines bestiasque demulcet.

Sophie: Faunus gibt zu, was ja nun wirklich jeder sieht, dass Pan zum großen Teil eine Bocksnatur hat: Bocksbeine, Bocksfüße, ja auf dem Kopf sogar Bockshörner. Dennoch hält er ihn für ein im Grunde gütiges, freundliches, ja geradezu humanes Wesen (wenn man das bei einem Gott überhaupt sagen darf). Und in der Musik soll er ein wirklicher Könner sein, der immer seine Syrinx oder Panflöte bei sich hat, mit deren Spiel der Menschen und Bestien bezaubert.

Meines Wissens ist diese Flöte sogar seine eigene Erfindung. Nonne ipse invenit?

Faunus: Invenit sane, causa tamen tristi. Nempe unum vitium est in Pane: semper pronus est ad Venerem – ut semicaprum decet -, quare etiam saepissime in amorem incidit. Atque olim cum Syringem nympham venustissimam – tibi similem, o mea Sophia! – adamavisset, illa autem (neque id mirum) hispidum numen exosa fugeret, eam cursu quoque persecutus est, donec ad flumen aliquod venerunt. Ubi nympha deum ipsum eius fluvii precibus rogavit, ut se a proco semicaprino liberaret: qui tamen sic puellam servavit, ut ipsam in harundinem commutaret. Tum eam harundinem Pan nimio amore inflammatus pro amica sibi arripuit, instrumentum flatile e variis calamis compegit, eam, quae nunc et ipsa syrinx appellatur, Latine etiam fistula. Qua dum canit, amorem et vetustum et recentem, si qui forte ei venit, consolari solet. Inde illa dulcedo cantus. Narra, mea Sophia, id spectatoribus!

Sophia: Conabor. Das war nun also eine lange und traurige Geschichte über den Ursprung der Panflöte bzw. der Syrinx, wie die Griechen sagen. Man muss dazu wissen, dass Gott Pan eine sehr venerische Natur hat, er hat, wie man heute sagt, fast nichts als Sex im Kopf - ein scheußliches Wort, das wir Münchner Nymphen sonst gar nicht gerne gebrauchen –, und aus diesem Grund ist Pan auch praktisch ständig verliebt. Eine seiner liebsten Lieben war die Syrinx, eine schöne Nymphe – das nette Kompliment, das Faunus an dieser Stelle für mich einflicht, lasse ich jetzt weg -, die aber vor dem garstigen Gott, wie sie meinte, davonlief, worauf er ihr nachrannte, bis beide an einen Fluss kamen. Die Nymphe in ihrer Angst bittet den Gott des Flusses, sie vor dem Bocksfreier zu retten und zu erlösen; und der macht das auch tatsächlich, aber so, dass er sie in Schilf verwandelt. Pan, immer noch verliebt, nimmt sich das Schilf und bastelt sich daraus als Ersatz für die Freundin die Panflöte, die eben, wie gesagt, auf griechisch, nach der Nymphe, "Syrinx" heißt (auf Latein auch fistula). So tröstet er sich mit seinem Spiel auf der Panflöte über seinen Liebeskummer, den alten wie jeden neuen, je nach Bedarf.

Offenbar hat er es ja auch mit den schönen Knaben; jedenfalls scheint er seinen Musikunterricht hier mit ziemlicher Hingabe zu treiben. Nonne hunc quoque puerum amat?

Faunus: Amat: quis non videt? Erat autem hic puer Daphnis postea summus poeta carminum bucolicorum futurus. Cui hic praeceptor minime nocuit.

Sophie: Faunus belehrt mich, dass dieser schöne Knabe Daphnis hieß, der später ein großer Hirtendichter werden sollte. Er meint, der Unterricht bei Pan hätte ihm nichts geschadet.

Aber das weiß ich sicher, dass mich meine Mutter zu keinem solchen Musiklehrer geschickt hätte. Zum Faunus wahrscheinlich aber auch nicht, der Name "Faun" lässt ja nicht viel Gutes erwarten. Ergo quid de te, Faune?

Faunus: Nuntia spectatoribus me hoc loco quaedam edicere quae et gravissima sint et latissime pateant.

Sophie: An dieser Stelle soll ich von Faunus eine Grundsatzerklärung von außerordentlicher Tragweite ankündigen. Dic.

Faunus: Eheu! male audio apud mortales, qui me libidinosum ac Veneris nimis cupidum existimant, cum tamen deus sim castissimus, pudicitiae studeam ac morum severitati. Neque ulla umquam nympha aut matrona sese a me vim passam esse questa est, sed maximam partem Fauna mea contentus vivo. Nata est autem haec falsa opinio ex eo quod me Italum ac Latinum Pani Graeco adaequant, eundem me putant ac Panem, cuius caprina lascivia notissima est. A! quam mala fama hunc errorem secuta est! Doce hoc spectatores.

Sophie: Ja, das ist nun wirklich hochinteressant, und sogar mir als Halbgöttin völlig neu. Obwohl wir heute alle lüsternen und weibsgeilen Kerle als "Faune" oder als "faunisch" bezeichnen, ist der Gott Faunus offenbar selber gar nicht so, sondern er sei, so behauptet er jedenfalls, ein höchst sittsamer und geradezu sittenstrenger Gott, über den sich keine Nymphe oder Frauenbeauftragte wegen sexueller Belästigung beklagen könne und der immerhin größtenteils mit seiner Lebensgefährtin namens Fauna zufrieden sei. Sein ganzer schlechter Ruf komme einzig und allein daher, dass man ihn, den Italer und Latiner, mit dem Griechen Pan verwechsle, der ja in der Tat bocksmäßig geil ist. - Aber bist du denn wirklich so verschieden vom Pan? Du hast doch auch ziemlich zottige Beine und spielst auf der Pansflöte. Unde iste error?

Faunus: Saepius, ne nescias, factum est, ut Pan collega Arcadius, patriam relinquens visendi causa ad me in in Italiam veniret, vocatus etiam ab Horatio poeta lyrico nobilissimo. Cuius in fundo Sabino nos una eramus ac pro iure amicitiae artes nostras inter nos communicabamus. Sic ille vaticinari paululum, ego autem optime fistula canere didici. Quare Horatius utrumque nostrum communi nomine Faunum appellabat idque in carminibus, quae nun quoque in gymnasiis leguntur. Quid mirum igitur quod homines hoc tempore omnes Panes, Satyros quoque et Silenos, interdum nomine Faunorum nominant, ut summa sequatur conturbatio mentium. Sed veritatem hoc loco etiam grammatici Monacenses invenerunt.

Sophie: Bitte nicht zuviel Wissenschaft! Faunus zitiert jetzt nämlich offenar allen Ernstes die Forschungsergebnisse aus dem Institut für Klassische Philologie der Universität München. Danach war die Sache also so. Der Italiener Faunus wurde öfter von seinem Kollegen Pan aus Arkadien besucht, wobei sich die beiden mit Vorliebe auf dem sabinischen Grundstück des berühmten Lyrikers Horaz trafen. Bei diesem Zusammensein kam es dann zu einer Art Austausch der Künste: Pan lernte ein bisschen das Wahrsagen, und Faunus wurde ein tüchtiger Panflötenspieler - so dass schließlich Horaz in seinen Gedichten, die man ja noch heute im Gymnasium liest, beide Götter, die doch eigentlich verschieden waren, mit dem gemeinsamen Namen Faunus bezeichnete. So kam es also zu der Verwechslung und schließlich dazu, dass man heute alle Waldschrate, Pane wie Satyrn und Silene für Faune hält. Mein Gott, wie kompliziert!

Aber das können wir heute nicht mehr alles aufklären. Unsere Zeit geht zu Ende, und wir müssen unserem Gast die Gelegenheit zu einem Schlusswort geben. Lieber Faunus, was würdest du als deine größte Leistung für die Menschheit bezeichnen? Quae tua maxima virtus?

Faunus: Brevissime dicam. Optime equidem de humano genere sum meritus, quod eum sermonem inveni, quo nihil dulcius utiliusque hominibus a dis immortalibus et semideis datum est: linguam Latinam. Hac ego primus usus sum in versibus, unde Latini, Romani, Itali, Europae incolae, omnes denique homines humaniores acceperunt. Hanc qui didicit, eius animus non angustis sui temporis terminis circumscriptus est, sed vagatur per saecula saeculorum, is respicit aeque ac prospicit, ut ego Faunus. Discite Latine!

Sophie: Faunus, bleib doch noch einen Augenblick! Nein, nach diesem Schlusswort entfernt er sich würdevoll, offenbar um die Wucht seiner Worte zu steigern. Seine größte Leistung, hat er gesagt, sei die Erfindung der lateinischen Sprache, des schönsten Götter- bzw. Halbgöttergeschenks an die Menschheit . Er hat sie jedenfalls zuerst geprochen, von ihm haben sie die Latiner, die Römer, die Italer, die Europäer, schließlich alle gebildeten Menschen übernommen. Wer Latein gelernt hat, bleibt nicht in engen Grenzen seiner Zeit befangen, sondern schreitet durch die Jahrhunderte, rückblickend und vorwärtsblickend, wie er, der Faun.

Lieber Faunus, auch wenn du jetzt schon nicht mehr unter uns weilst, wir danken wir für deinen Auftritt in unserer Nymphenshow und ehren dich mit den letzten beiden Strophen deines Hymnus. Bitte bleiben Sie hier, das Programm geht nach dieser Lateinwerbung gleich weiter. Exspectate paulisper - at vos cantate!

Nymphenchor:
Ludit herboso pecus omne campo,
cum tibi Nonae redeunt Decembres;
festus in pratis vacat otioso
cum bove pagus.
inter audacis lupus errat agnos,
spargit agrestis tibi silva frondes,
gaudet invisam pepulisse fossor
ter pede terram.