AVDITE FAVNVM
oder
GOTT FAUNUS IN DILLINGEN
Deutsch-lateinische Talkshow von und mit Wilfried Stroh und Sonja
Gibis
(20. Februar 2003)
Sophie: Hochverehrtes Publikum! Ich bin leider weder Lateinerin
noch
Italienerin, stamme nicht aus dem Land, wo die Zitronen blühn,
sondern
bin nur eine ordinäre bayrische Nymphe, bald an der Isar, bald
hier
an der Donau. Als Nymphe, das heißt als ortsansässige
Halbgöttin,
ist mir immerhin die Ehre zuteil geworden, diese Veranstaltung
moderieren
zu dürfen. Wegen meiner internationalen Beziehungen – wir
Halbgötter
sind mittlerweile inzwischen auch durch elektronische Chatclubs
miteinander
verbunden – hat mich das Sailergymnasium gebeten, doch diese spielen zu
lassen
und den heutigen Römerabend durch den Auftritt eines
echtlateinischen
Römers zu krönen. Und diese meine Bemühungen sind, um es
ganz
bescheiden zu sagen, vom stolzestmöglichen Erfolg gekrönt
worden.
Wir haben nämlich heute als Stargast bei uns den ältesten
Vertreter
italienisch-italischer Lateinkultur, einen echt römischen, aus
Latium
stammenden Faun, lateinisch genannt Faunus. Bitte geben Sie Applaus,
wenn
er auftritt! Ich begrüße unseren Ehrengast Faunus deus.
Salve
Faune, Faun, sei gegrüßt!
Alle [applaudieren]
Faunus [kommt nicht]
Sophie: Ach du lieber Halbgott! Er ziert sich offenbar mal
wieder,
tut so, als wäre er menschenscheu – und dabei weiß ich, dass
er
insgeheim ganz publikumslüstern ist. Also, ich fürchte, Sie
müssen
ihn mit mir zusammen rufen – und weil er sich auch so stellt, als ob er
nur
Latein könnte, auf lateinisch: Adveni, Faune! (Komm herbei,
Faunus!)
Alle: Adveni, Faune!
Faunus [kommt nicht]
Sophie: Sie müssen schon etwas lauter rufen; sonst ist das
zwecklos
bei einem Faun!
Alle: Adveni, Faune! Adveni, Faune!
Faunus [kommt nicht]
Sophie: Da hilft nur eines: Ich muss das Faunuslied von Horaz
singen.
Liebes Publikum, wenn Sie wollen, dürfen Sie mitsingen. Immerhin
ist
der Pianist schon vorbereitet. Sie finden Texte und Noten im manuale,
auf
Deutsch: dem Handout (oder, falls Sie Ihren eigenen Horaz dabei haben:
Carmen
drei, achtzehn.)
Sophie (mit Publikum?)
Faune nympharum fugientum amator,
per meos finis et aprica rura
lenis incedas abeasque parvis
aequus alumnis.
Sophie: Jetzt kommt die zweite Strophe. Die wirkt noch besser,
weil
ihm da ein Opfer mit Wein und Böcklein versprochen wird!
Si tener pleno cadit haedus anno
larga nec desunt Veneris sodali
vina creterrae, vetus ara multo
fumat odore eqs.
Faunus [kommt]:
Carmen dulce nostras pepulit ad aures,
canunt bonae puellae, virgines pulchellae.
Faunus adest, advenit cantico captatus.
Salvete, spectatores! Salve, Sophia!
Sophie: Salve iterum, Faune! Was Sie jetzt von Faunus
gehört
haben, waren, wie bei ihm üblich, lateinische Saturnier, so ein
altes
Runkelrübenversmaß aus der grauen italischen Vorzeit. Der
Sinn
war nicht gerade umwerfend: Er sei gekommen, weil er einem so
süßen
Lied aus schönem Munde nicht widerstehen könne. Na ja.-
Lieber
Faunus, sehr verehrter Gast aus Rom, es wäre nett, wenn du nun
selber
den Zuhörern erläutern würdest, wer du bist, woher du
kommst
und was du so treibst. Die meisten kennen dich nämlich, wenn
überhaupt,
nur aus der Münchner Glyptothek nur als Barberinischen Faun, und
der
sieht doch ziemlich anders aus. Qualis et unde venis?
Faunus: O di boni! Qui illum Faunum effinxit, Faunum
Barberinianum,
adulescuntulum cultum ac venustulum, is sane mente captus erat ac ne
umbram
quidem umquam veri Fauni viderat. Neque id mirum est. Nam nos Fauni
Latini
raro admodum manifesti apparere hominumque in oculos venire solemus,
timidum
genus deorum, qui in occultis silvis habitamus, unde vox tantum nostra
auscultari
potest.
Sophie: Wie Sie hören, spricht er eisern nur Latein, obwohl
er
Deutsch zumindest vom Hören her ganz gut versteht (zum Glück
hab
ich mein Latein auf einem bayrischen Gymnasium lernen dürfen, als
einzige
Wassernymphe unter lauter trockenen Strebern). Er sagt also, dass er
von
dem Barberinischen Faun gar nichts hält, weil der überhaupt
kein
echter Faun sei – viel zu hübsch und geschniegelt -; der wahre
latinische
Faun, meint er (und er muss es ja nun wirklich wissen), meide die
Menschen,
vergrabe sich in tiefen Wäldern, von wo man nur seine Stimme
hören
könne. Und was sagst du dann so? Quid dicere soles?
Faunus: Operae pretium feceritis, me si diligenter audiveritis:
futura
enim praedicere soleo, oracula edo versibus concepta Saturniis. Quam
artem
nemo e ceteris semideis exercere didicit, ego dudum novi neque umquam
vates
falsus fui. Quin etiam amplius mille annis ante Christum vestrum, a quo
vos
numerare soletis, multis saeculis ante urbe conditam ipsam urbem Romam
imperiumque
Romanum in Latii silvis vaticinatus sum.
Sophie: Das war mir jetzt selber neu, weil es so etwas
jedenfalls
unter den bayrischen Halbgöttern nicht gibt. Der Faunus ist ein
Orakelgott,
der den Leuten die Zukunft vorhersagt und, wie er behauptet, ohne dabei
zu
irren. Er will sogar in den Wäldern Latiums mehr als tausend Jahre
vor
Christi Geburt, Jahrhunderte vor der Stadtgründung Roms, eben die
Gründung
Roms und das ganze römische Reich prophezeit haben. Hast du etwa
auch
die Europäische Union vorausgesehen? Num etiam Europam unitam?
Faunus: Praevidi hercle illam idque versibus cecini:
Taurum fugit
Europa,
veneratur Euronem.
Sophie: Sein Vers hieß etwa so:
Europa lässt den Stier im Stich,
sie widmet nur dem Euro sich.
Sophie: Und hattest du etwa auch einen Tipp für die letzte
deutsche
Bundestagswahl? Quid de proximis comitiis Germanorum?
Faunus: Ea quoque Saturnio dixi :
Sordet Edmundus bellis prae Gerardo
puellis
Sophie: O weh! Das heißt, wenn ich recht verstehe:
Die Weiber stehn auf Schröder; der Edmund ist viel öder.
Faunus: Non satis hoc:
Iosepho viso danunt dacrumas decoras.
Sophie: Jetzt wird’s schon fast sexistisch:
Und
Joschka lässt den Süßen sogar die
Tränen
fließen.
Als würden wir Frauen bei so etwas den Ausschlag geben! Gerade bei
den
Römern haben die Frauen doch überhaupt nichts zu sagen
gehabt,
hatten nicht einmal Wahlrecht und waren immer unter männlicher
Vormundschaft.
Num tanti vos Romani feminas facitis ?
Faunus: De ipsis Romanis nunc non dico, neque urbem hic nimium
curo.
At certe in silvis Latinis, i.e. in ipso Latio, nimium quantum valent
et
tamquam regnant Nymphae.
Sophie: Das ist interessant. Der Faunus macht hier eine
Unterscheidung
zwischen der Stadt Rom und dem Land Latium. In den latinischen
Wäldern,
behauptet er, regieren die Nymphen. Aber vielleicht kommt das nur ihm
so
vor, wegen seiner persönlichen Schwäche. Jeder weiß
doch,
wie ein Faun hinter den Frauen her ist, so richtig faunisch und
bocksmäßig
lüstern. Nonne omnes sciunt te, Faune, libibidinosum Nymphisque
nimis
deditum esse?
Faunus: A desine! fabulae istae vetustae et malignae! sed tu
potius
nuntia spectatoribus me hoc loco edicere quae et gravissima sint et
latissime
pateant.
Sophie: Der Faunus protestiert und bittet darum eine
Grundsatzerklärung
von außerordentlicher Tragweite machen zu dürfen. Dic.
Faunus: Eheu, pessime factum est, quod mortales libidinosum me
Venerisque
nimis cupidum existimant, cum tamen deus sim castissimus, pudicitiae
studeam
ac morum severitati. Neque ulla umquam nympha aut matrona sese a me vim
passam
esse questa est, sed maximam partem Fauna mea contentus vivo. Nata est
autem
haec falsa opinio ex eo quod me Italum ac Latinum Pani Graeco
adaequant,
eundem me putant ac Panem, collegam Arcadem, cuius caprina lascivia
notissima
est, ut sunt caprina cornua pedesque, quibus ipse careo. A! quam mala
fama
hunc errorem secuta est! Doce hoc spectatores.
Sophie: Ja, das ist nun wirklich hochinteressant, und sogar mir
als
Halbgöttin völlig neu. Obwohl wir heute alle lüsternen
und
weibsgeilen Kerle als "Faune" oder als "faunisch" bezeichnen, ist der
Gott
Faunus offenbar selber gar nicht so, sondern er sei, so behauptet er
jedenfalls,
ein höchst sittsamer und geradezu sittenstrenger Gott, über
den
sich keine Nymphenbeauftragte wegen sexueller Belästigung beklagen
könne
und der immerhin größtenteils mit seiner
Lebensgefährtin
namens Fauna zufrieden sei. Sein ganzer schlechter Ruf komme einzig und
allein
daher, dass man ihn, den Italer und Latiner, mit seinem griechischen
Kollegen,
dem arkadischen Gott Pan verwechsle, der ja in der Tat
bocksmäßig
geil ist. Jetzt wird mir doch einiges klar. Deswegen hat dieser Faunus
ja
offenbar auch keine Bockshörner und Bocksfüße, wie ich
immer
annahm. Aber trotzdem könnte uns der Faunus einmal ein
altlateinisches
Liebeslied singen; musikalisch soll er ja sein. Quid est, Faune? Nonne
habes,
quamquam te pudicissimum credimus, aliquod canticum lascivius atque
amatorium,
quod nobis decantes?
Faunus: Habeo vero ac, si vultis, Plautinum.
Sophie: Ein Lied von Plautus, dem altlateinischen
Komödiendichter,
hätte er auf Lager. Et quod est argumentum?
Faunus: Est paraclausithyrum, urbanum genus carminis, non
rusticum:
adulescens quidam post convivium amore captus et vino ad amicae fores
venit,
ubi, quoniam admitti percupit, ipsos pessulos incantat atque obsecrat
ut
subsiliendo viam sibi ad illam patefaciant.
Sophie: Also, es geht um ein Lied mehr aus dem städtischen
als
dem ländlichen Bereich, ein sogenanntes Paraklausithyron. Ein
angesäuselter
Liebhaber kommt des Nachts vor die Tür seiner Liebsten, die er
aber
verschlossen findet. Statt es nun, wie jeder vernünftige Bayer,
mit
dem Fensterln zu probieren, versucht er, mit einer Art Zauberlied die
Türriegel
zu beschwatzen, dass sie ihm den Weg frei machen.
Faunus: Ceterum amicae male dicit, quasi quae etiam sanguinem
suum
sugat.
Sophie: Die Freundin, sagt er, sei im übrigen ein
ziemlicher
Vamp und Blutsauger.
Fauni canticum:
PESSVLI HEVS PESSVLI
Sophie: Das war also ein echter lateinischer Liebhaber, „Latin
lover“.
Was mich auf ein Problem bringt: Wie kommen eigentlich die Römer
aufs
Lateinische? Die Engländer reden englisch, die Franzosen
französisch,
die Schwaben schwäbisch – warum sprechen eigentlich die Römer
nicht
römisch, sondern lateinisch? Dic nobis, Faune: cur Romani non
Romane,
sed Latine loquuntur?
Faunus: Nempe quia Latium multo uetustius est
quam
Roma Latiique incolae iam per saecula plurima lingua Latina i.e. lingua
Latii
utebamur, antequam Roma condita est.
Sophie: Latein ist die alte Sprache von Latium, sagt er, bei
ihnen,
den Ureinwohnern schon seit Ewigkeiten in Gebrauch, bevor noch Rom
gegründet
wurde.
Faunus: Romanorum autem maiores, qui fuerunt ante urbem
conditam,
quoniam originem e Troia (quae est in Asia) ducebant, Turcice
loquebantur,
agglutinabant. hosce ego Faunus primus Latine docui, nomina declinare,
verba
coniugare coegi.
Sophie: Jetzt schlägt’s dem Fass den Boden aus! Die
Vorfahren
der Römer sollen, weil sie aus Troia in Kleinasien kamen
Türkisch
gesprochen haben – heilige Hagia Sophia! -; und erst er, der Faunus,
habe
ihnen das lateinische Deklinieren und Konjugieren beigebracht. Also:
amó
amás amát amámus amátis amánt...
Faunus: Vae mihi! Non dicendum est: amó amás
amát,
sed ámo ámas ámat!
Sophie: áamo áamas áamat ...
Faunus: Vae miserae linguae! Corripe primam syllabam:
ámo ámas
ámat. Accentus non mutat quantitatem. Hoc, mea Sophia, doce
spectatores!
Sophie: Auf ausdrücklichen Wusch des Faunus soll ich Ihnen
miteilen,
dass im Lateinischen die betonte Silbe deswegen nicht gelängt
werden
darf. Tune es igitur grammaticus?
Faunus: Sum vero grammaticorum summus!
Sophie: Der Faunus behauptet jetzt auch noch allen Ernstes, der
größte
Philologe zu sein.
Faunus: Nec solum grammaticus, qui Latine doceam; sed ego ipse,
Faunus
deus, linguae Latina etiam inventor sum.
Sophie: Das habe ich mir inzwischen schon halb gedacht: Gott
Faunus
selber will nun auch noch der Erfinder der lateinischen Sprache sein.
Faunus: Ut Ceres frumenta dedit hominibus, ut vina Bacchus
largitus
est, de mortalibus numina bene merita, sic ego Latinum eos sermonem
docui,
quo nihil melius, nihil utilius, nihil iucundius umquam munus humano
generi
miserrimo datum est.
Sophie: Wie Gott Bacchus den Menschen den Wein geschenkt hat,
Göttin
Ceres das Getreide, so habe er mit der allerschönsten und
herrlichsten
Gabe die darbende Menschheit beglückt: der lateinischen Sprache.
Faunus: At vos mecum cantate carmen vetustissimum, quod ego
primum
Troianos sive Romanos docui, ut melius Latine discerent. Quo in carmine
ut
homines scholas Latinas adirent libenter, non scholas eas, sed
gratiore
nomine ludos appellavi: Ludi sunt Latini.
Sophie: Jetzt wird mir manches klar. Immer habe ich schon
gewundert,
warum im Lateinischen die Schule ludus heißt, was doch „Spiel“
bedeutet.
Das hat sich also der Faunus ausgedacht, damit die Troianer bzw.
Römer
lieber Latein lernen; und darum hat er ihnen auch als erstes sein Lied
Ludi
sunt Latini beigebracht. Das sollen wir jetzt mit ihm singen, bitte
auch
das Publikum.
Sophie (samt Publikum):
Ludi sunt Latini Latini,
Latinum carmen cani-
canimus;
fecit non Rossini
Rossini,
sed laetus noster ani-
animus.
o Latinitas,
quot et quanta das
gaudia et carmina
cum fidi- fidibus.
Sophie: Da möchte ich nur wissen, wie der Faunus im alten
Latium
auf Giachino Rossini gekommen ist! Unde Rossini nomen tibi venit in
mentem?
Faunus: Nonne tibi dixi me dudum vatem fuisse ac prophetam?
Sophie: Richtig, der Faunus ja schon immer in die Zukunft
geblickt.
Die zweite Strophe kommt mir aber noch sonderbarer vor: Da distanziert
ausgerechnet
er sich von den Lateinlehrern und Philologen. Cur in secunda stropha
vale
dicis magistris grammaticis?
Faunus: Fallaciae sunt ac doli, ut pia fraude discipulos
decipiam.
Ceterum multi magistri nimium severi sunt in vitiis mendisque
corrigendis.
Quam ob rem hodieque e vobis vix quisquam audet Latine aliquid dicere.
Sophie: Das sei vor allem ein pädagogischer Trick und
gewissermaßen
frommer Betrug an den Schülern. Aber man solle auch nicht so
streng
sein beim Fehleranstreichen; sonst traut sich kein Mensch mehr Latein
zu
sprechen.
Faunus: Sed tandem aliquando cantemus!
Sophie (samt Publikum):
Dicimus magistris magistris
grammaticis ut vale- valeant,
duris qui capistris capistris
et os et fauces colli- colligant.
o Latinitas eqs.
Faunus: Nunc sequitur stropha gravissima, scilicet theologica,
in
qua Amor deus ut magistrorum optimus inducitur. Nam vetus est
proverbium:
Amor docet musicam, etiam melius quam ego.
Sophie: Zum ersten Mal gibt der Faunus eine gewisse
Schwäche
zu. Als Didaktiker sei ihm der Liebesgott Amor doch noch
überlegen,
gemäß dem alten Sprichwort: Amor docet musicam – die Liebe
ist
die beste Musiklehrerin. Probieren wir es aus! Singen wir stropham
tertiam!
Sophie (samt Publikum):
Amor nos docebit docebit
qui regnat inter numi- numina;
illi qui studebit studebit,
et discet stili lumi- lumina.
o Latinitas eqs.
Faunus: Non eget commendatione aut explicatione stropha vinosa
sive
alcoholica.
Sophie: Die folgende alkoholische Strophe versteht man von
allein.
Sophie (samt Publikum):
Bibimus frequenter frequenter
de Bacchicis liquori- quoribus:
verba sic decenter decenter
ex udis fluent ori- oribus.
o Latinitas eqs.
Sophie: Aber was sollen wir armen bayerischen Nymphen machen?
Müssen
wir uns völlig von Bier auf Wein umstellen? nonne licet et
cerevesiam
bibere.
Faunus: Licet. Novam vobis stropham pangere atque addere libet:
...
Sophie: Der Gott will uns eine neue Strophe extemporieren!
Faunus:
Deficit si vinum si vinum,
succedat cerevesi-
vesia:
nomen sit Latinum Latinum
in Cereris ecclesi- clesia.
Sophie: Welch ein Wunder! miraculum ac portentum! Die soeben
gedichtete
Strophe steht schon im Handout!
Faunus: ... in facili est omnia posse deo.
Sophie: Ja, Götter können halt alles.
Sophie samt Publikum [singt die zugedichtete Strophe]:
Deficit si vinum eqs.
Sophie: Latinität und Bayerntum, Bavarität – was
für
ein schönes Lied! Aber wie kommt’s eigentlich überhaupt, dass
man
heute auch in Bayern Latein lernt. Der Faunus weiß alles, soll er
uns
auch das noch sagen. Quare hodieque in Bavaria Latine discitur?
Faunus: Longa est fabula. Eamne omnem vobis enarrem?
Sophie: Nein, bitte nicht zu ausführlich: corripe, si
potes!
Faunus: Ergo brevissimus ero. Olim Latina lingua Romae Latiique
finibus
contenta erat, una ex multis linguis quae tum in Italia vigebant; erat
enim
et Osca et Casca et Falisca et Etrusca et Graeca et mille aliae.
Sophie: Also, Latein war ursprünglich, beschränkt auf
Rom
und Latium, nur eine von hundert Sprachen in Italien, neben Oskisch,
Faliskisch,
Etruskisch und weiß der Teufel was.
Faunus: Sed crescente Romanorum potentia primum finitimae
gentes,
ut Sabini aut Samnites, non solum iugum Romanum pati, sed etiam
Romanorum
liguam discere cogebantur, donec temporibus Caesaris et Augusti paene
tota
Italia Latine loquebatur: quanta victoria mei inventi!
Sophie: Ich glaube, das ist uns allen irgendwie klar. Je
mächtiger
die Römer durch ihre Eroberungen wurden, um so mehr Völker
mussten
auch deren Sprache lernen (wie zuerst die Sabiner und die Samniten),
bis
zur Zeit von Caesar und Augustus praktisch schon ganz Italien Latein
sprach.
Faunus: Tum accedebant provinciae, quae Latine instituendae
erant:
Sardinia prima addita est imperio Romano iam bellis Punicis; Galliam
denique
subegit Caesar bello Gallico, quod tam diligenter gessit quam scripsit.
Sophie: Die nächsten Kandidaten für den
Lateinunterricht
waren natürlich die Provinzen: zunächst Sardinien, dann die
anderen;
Gallien wurde bekanntlich erst von Caesar unterworfen, der seinen
Gallischen
Krieg ebenso brillant geführt wie beschrieben hat.
Faunus: Audite me cantantem! Sed tu me adiuva!
Faunus und Sophie [singen in der Vertonung von Jan Novák
Caes.
Gall. 1,1]:
Gallia est omnis divisa in partes tres
[...]
legibus inter se differunt.
Sophie: Also, wenn das die römische Militärmusik war,
kann
ich mir nicht vorstellen, dass sie auf die Feinde besonders
einschüchternd
gewirkt hat. Hosne modos satis terribiles fuisse putas?
Faunus : Non fuerunt nec necesse erat. Nam ego ipse Faunus deus
curavi,
ut arma Romana fere semper victricia essent. Duces exercitusque
comitatus
usque ad ipsas pugnas et nostris profui vaticinia dando et nocui
hostibus,
dum eos voce horrida terreo. Atque haec omnia ad maiorem linguae
Latinae
gloriam.
Sophie: Und schon gibt es wieder neue Aufschlüsse über
die
römische Geschichte. Er, der Faun, will den entscheidenden
Beitrag
zu den militärischen Siegen der Römer geleistet haben, indem
er
dem Heer bis in die Schlacht folgte, wo er den Seinen gute Tipps und
Orakel
gab, die Feinde aber mit spukhaften Schreien in panischen Schrecken
setzte
– alles, wie er sagt, letztlich zur Verherrlichung der lateinischen
Sprache.
So sind wir schließlich auch dran gekommen.- Jetzt möchte
ich
nur noch wissen, wann Caesar den Freistaat Bayern bekriegt hat. Quando
Caesar
Bavaris bellum intulit?
Faunus: Non Caesar ipse id fecit, sed quasi nepotes eius,
Tiberius
ac Drusus, Augusti privigni. Nec verissimos Bavaros primum
impugnaverunt,
sed vos Suebos, qui tum dicebamini Raeti aut Vindelici. Eratis
autem
gens valde ferox ac rebellis, donec quidam vestrum Latine didicerunt et
Augustam
Vindelicum condiderunt.
Sophie: Also, die Eroberung Bayerns begann mit Ihnen, den
Schwaben,
und zwar erst durch die Stiefsöhne des Kaisers Augustus: Tiberius
und
Drusus, die die Vindeliker oder Raeter bekriegt haben. Sie waren ja ein
höchst
wildes und rebellisches Volk– bis endlich einige von Ihnen Latein
gelernt
und Augsburg gegründet haben.
Faunus: Feliciter accidit quod omnis haec historia continetur
in carmine
quodam in honorem Augustae Vindelicum facto, quod ego olim condidi, non
Saturniis
meis, sed Germanicis rhythmis.
Sophie: Wenn ich recht verstehe, gibt es wieder etwas zu
singen. Die
ganze Geschichte sei enthalten in einem von ihm verfassten Lied, zum
Glück
nicht in Saturniern, sondern in Reimen nach Art des Deutschen: einem
Augsburghymnus.
Ich hoffe, man darf so etwas singen in Dillingen?
Publikum: Ja, ja, wenn es sein muss.
Faunus mit Publikum:
HYMNUS IN AUGUSTAM VINDELICUM
Bavarorum genus dum
in gremio temporum
iacet absconditum,
nemini cognitum,
iamiam Vindam incolebat
Licum et frigidum
fortis fortis
turba Vindelicum.-
Quo vetustior,
hoc venustior.
cresces urbs Augusta
usqu(e) augustior:
o Suebiae, o Bavariae
flore gemma bella,
margarita dulcis patriae.
Geminos Augustus misit
iuvenes filios
milites et bonos
visum Vindelicos:
tremit, gemit Romanorum
legio barbaros,
eheu, eheu,
viribus maximos.-
Quo
vetustior
eqs.
Discere Latine tamen
mavult quam proelium
turba Vindelicum:
Drusum, Tiberium
sponte subditi precantur,
ut litterarium
Roma, Roma
mittant
grammaticum.-
Quo vetustior eqs.
Gaudent hoc Romani, et iam
terra in barbara
gerit Scientia
sceptra potentia:
puer et puella Sueba,
iuvenis, femina
currunt, currunt
eius ad pulpita.-
Quo vetustior eqs.
Ibat ad Augustam vana
fama victoriae
magno de splendidae
populo Suebiae.
sic et urbs Augusta facta
decus in gloriae
falsum, falsum
gens Iuliae.-
Quo vetustior eqs.
Sophie: Aber wie kommt es eigentlich, dass sich zwar das
Imperium
Romanum aufgelöst hat, man aber trotzdem weiterhin Latein gelernt
und
gesprochen hat? Heus, Faune, cur post imperium Romanum dissolutum
Latinus
sermo non exstinctus est?
Faunus: Quia deorum opera interire non possunt, praesertim mea.
neque
enim ulla est lingua tam fortis ac robusta, simul tam mollis ac uenusta
quam
haec Latina – quamquam id non omnes sentiunt, qui perperam pronuntiant.
Sophie: Götterwerk vergeht nicht, meint er, besonders wenn
es
sich um das seine handelt. Und keine Sprache sei zugleich so kraftvoll
und
zugleich so melodisch wie die seine – sofern man sie nur richtig
ausspreche
(was ihm aber nicht immer der Fall zu sein scheint). Dic exempla!
Faunus [imitiert Sprecher verschiedener Nationalitäten]:
Quo
usque tandem abutere, Catilina, patientia nostra....
Sophie: In der Tat, scheußlich! Jeder spricht wie ihm der
ungewaschene
Schnabel gewachsen ist. Hofentlich ist jemand da, der diese Talkshow
mitschneidet,
damit uns doch der Originalsound des italischen Faunus erhalten bleibt.
Gib
uns wenigstens noch ein paar Beispiele, wie Latein wirklich klingt: am
besten
Verse! Dic aliquot versus, ut veram dulcedinem Latinam gustemus.
Faunus Audite vel unum Vergilium quam suaviter canat hexametros!
Sophie: Er gibt ein Beispiel zunächst für den
Hexameter,
aus Vergil.
Faunus:
Tityre tu patulae eqs. [= Verg. ecl. 1,1-5]
Atque haec erant tranquilla et placida. Nunc cantabo fera ac
perturbata!
Audite quam numerose ac furiose in Galliambis Catullus cultum Cybeles
describat!
Sophie: Es folgt aus die ekstatische Beschreibung des
Cybelekults
in sogenannten Galljamben (ein ganz verrücktes Stück).
Faunus: Super alta vectus Attis eqs. [= Catull. 63, 1-5]
Sed quoniam de poesi agimus, audiamus etiam vates vestros, qui
nisi
fallor, nostros saepe etiam metris imitati sunt. Quod eorum carmen
tibi,
mea Sophia, gratissimum est?
Sophie: Faunus fragt nach deutschen Dichtern, die versucht
haben,
es den Römern gleichzutun. Da fallen mir gleich meine
Lieblingsgedichte,
die Römischen Elegien von Goethe ein: Goethii elegos Romanos amo
maxime?
Faunus: Dic, sodes.
Sophie reziert aus Goethes
RÖMISCHEN ELEGIEN
Faunus: Euge! sophos! Nisi quid subsit barbari, Propertium
audire
mihi uidear.
Sophie: Faunus schmeichelt unseren deutschen Klassikern.
Jetzt
möchte ich eigentlich nur noch wissen, warum und wann man
eigentlich
in Europa aufgehört hat, Latein zu sprechen. Denn jetzt lernt man
es
zwar noch, spricht es aber kaum mehr. Dic nobis, Faune, cur desierint
Latine
loqui!
Faunus: Carolus Magnus primus sapienter instituit, ut omnes qui
cultiores
vel eruditiores haberi vellent duas linguas in dicendo adhiberent: et
suam
paternam et Latinam, quae commune omnium vinculum esset.
Sophie: Ds geht also offenbar auf Karl den Großen
zurück,
dass alle Gebildeten in Europa zweisprachig waren, sowohl ihre
Muttersprache
sprachen als auch Latein, als gemeinsames Band für alle. Aber ich
habe
nach dem Ende gefragt. Dic de fine.
Faunus: Abhinc duo aut tria saecula populi Europae nimio quodam
amore
sui et superbia elati illam linguae communionem abiecerunt, ut
vernaculis
tantum sermonibus ueterentur : Itali Italico, Germani Germanico,
Francogalli
Francogallico ... unde eheu etiam aucta est illa gentium discordia,
quae
in bella evasit, cum ne docti quidem viri iam colerent illam veterem
rem
publicam litterarum, quae Latino quasi fundamento condita erat.
Sophie: Also erst vor zwei oder drei Jahrhunderten, behauptet
der
Faunus, hätten die Gebildeten in Europa die lateinische
Sprachgemeinschaft
und damit die alte Gelehrtenrepublik aufgegeben und zwar aus schierem
Nationalismus,
weil sich jeder nur noch in der eigenen Fraumuttersprache
ausdrücken
wollte: die Italiener in Italienisch, die Deutschen in Deutsch usw. Er
behauptet
sogar, dass dieser nationalen Sprachenegoismus Krieg und Zwietracht
gefördert
hätten.
Faunus: Inde ira exarsimus di semideique omnes quod homines
donum
tam caeleste ac divinum repudiavissent eosque etiam graviore poena
damnoque
afficere constituimus. Scisne quid sentiam?
Sophie: Jetzt weiß ich tatsächlich nicht mehr, was
er meint.
Er sagt nämlich, alle Götter und Halbgötter seien
ergrimmt
über die Menschen, weil sie das himmlische Göttergeschenk der
lateinischen
Sprache missachtet hätten, und so sei ihr Beschluss ergangen, die
Menschen
müssten dafür noch eine viel schrecklichere Strafe erhalten.
Aber
was kann denn wohl schrecklicher sein als Krieg und Zwietracht? Sed
quid,
Faune, bello discordiaque peius?
Faunus: Lingua Anglica ...
Sophie: Die englische Sprache!
Faunus: ... qua nunc omnes uti coguntur diversorum populi
homines
ut inter se intelligant. Est illa quidem per se tolerabilis nec
venustate
quadam caret, sed eam nullo merito suo ubique celebrari et dominari,
eam
inculcari pueris puellisque sive velint sive nolint – id est regnum
intolerabile
et abominabile liberis vix dignum viris. Hoc, mea Sophia, explica
spectatoribus!
Sophie: Ja, hier hat der Faunus wohl wirklich nicht ganz Unrecht.
Es
ist schon eine schlimme Götterstrafe, dass heute ausgerechnet das
Englische
die Nachfolge des Latein als internationaler Verständigungssprache
angetreten
hat. Für sich ist es ja ganz nett; aber dass überhaupt die
Sprache
eines einzelnen Volks ohne Verdienst und Würdigkeit zu solcher
Würden
gekommen ist, dass sie allen Kindern nolens volens eingetrichtert
werden
muss, ist eine Tyrannei, die empört!
Faunus: Quare ad vindicandos vos cantate stropham proximam!
Sophie: Als Lied zur Befreiung, meinte der Faunus, sollen wir
die
folgenden Strophe singen:
Anglico sermone sermone
qui puer nunc imbue- bueris,
miser anglophone -glophone,
quam foedo sono frue-
frueris!
o Latinitas eqs.
Sophie: Unsere Zeit geht zu Ende. Faunus weiß die
Zukunft: Ob
er uns davon etwas mitteilt? Ob er sein altes latinisches Orakel noch
einmal
sprechen lässt? Visne, Faune, praedicere futura?
Faunus: Si vos unam stropham adiunxeritis, ut melius oracula
comminisci
possiem.
Sophie: Wir müssen noch eine Strophe singen, damit er sich
besser
konzentrieren kann. Ich übrigens auch, denn wie sollte ich ohne
göttlichen
Anhauch die Worte des Gotts übersetzen können?
Faunum auscultate -cultate,
qui suadet utilissi- lissima
atque recusate –cusate
haec regna indignissi- nissima!
o Latinitas eqs.
Faunus: Fatu Faunus
profundet
voculas veraces:
Seris saeclis redibunt
tempora
aurata.
Sophie [wie in Trance]:
Vernehmet denn mit Staunen
des Faunus wahrhaft Raunen
und in des Äons Weiten
erahnet goldne Zeiten!
Faunus: Exuet en Europa
pessima
vinclorum:
Latii colet sermonem optumum vetustum.
Sophie: Europa wird sich
retten
aus neuer Sprachen Ketten:
Dann wie in alten Zeiten wird sich
Latein
verbreiten.
Faunus: Foedis carris carebit terra tunc
Boiorum,
novae silvae succedent foetidis portentis.
Sophie: Benzinfrei wird erneuern
sich auch der Freistaat Bayern;
und wo jetzt Autos rasen,
wächst
wieder Wald und Wasen.
Faunus: Faunus cedet
vetusto
Latio relicto: Suebos reget
Boiosque
vocibus Latinis.
[Geht während Sophies folgender Rede unauffällig ab.]
Sophie: Also das kann ich nicht mehr in Versen wiedergeben, das
ist
zu stark! Wenn ganz Europa Latein spricht und ganz Bayern und Schwaben
ein
autofreies Waldgebiet wird, dann will Gott Faunus hierherziehen und an
Isar
und Donau einen ökologisch-lateinischen Gottesstaat errichten. Und
was
wird aus den Arbeitsplätzen für die christlichen Pfarrer,
für
die Englischlehrer und die Arbeiter bei BMW! Ich kann mir nicht
vorstellen,
dass solche Halbgottorakel noch im Sinne des Sailergymnasiums sind.
Faunus,
widerrufe! Faune, recanta! Aber wo ist er hin? Davon wie Catilina:
abiit,
evasit, excessit, erupit.- Zum Glück hat er uns noch eine Strophe
auf
dem Handout hinterlassen. Mit der soll’s für heute genug sein.
Singen
Sie noch einmal mit! Cantate mecum!
Studia Latina Latina
qui colit non fideli-
deliter,
ima in latrina latrina
dispereat crudeli- deliter.
O Latinitas eqs.