Wilfried Stroh

Abschied von Werner Suerbaum
(eine Enthüllungsrede)

Ex abundantia cordis os loquitur.
Wenn Suerbaum redet, weiß man nicht was kommt;
bei Stroh weiß man’s: Er spricht Latein.
Diesmal nicht.
Ex abundantia cordis will ich die deutsche Muttersprache verwenden,
um in den vereinbarten fünf Minuten –
mein Vorredner hat sein Maß spontan vervielfacht –
die Empfindungen auszudrücken, die mich bewegen,
wenn mich der verlässt, der nun genau fünfundzwanzig Jahre
mein engster und wichtigster Kollege gewesen ist: Werner Suerbaum.
(Eigentlich hatte ich ja insgeheim gehofft, Herr Suerbaum,
Ihr „Lob des Zweiten“ würde ein bisschen auf mich,
als den Zweiten an Ihrer Seite, hinauslaufen –
aber man kann nicht alles haben.)
Es waren bewegte fünfundzwanzig Jahre,
denn nicht leicht konnten zwei verschiedenere Temperamente,
auch verschiedenere Grundauffassungen aufeinander treffen,
als wir beide sie darstellen;
und so blieb es nicht aus, dass oft im bildlichen Sinn die Fetzen,
im wörtlichen mitunter sogar die Türen flogen,
als sicht- und hörbarer Ausdruck sachlicher Differenzen.
In all diesen Auseinandersetzungen blieb zwischen uns immer eine tiefe Verbundenheit
und eine gegenseitige Achtung, die wurzelte
in der gemeinsamen Liebe zu Römertum und Latinität,
von denen Sie sicherlich mehr das erste –
auf die Römertugenden komme ich sogleich noch -,
ich vielleicht mehr das zweite vertreten habe,
vor allem aber in der Liebe zu Wahrheit und Wissenschaft.
Immer habe ich Ihre sachliche Kompetenz, Ihre Erkenntnisfreude
und Ihren durchdringenden kritischen Verstand bewundert.
Und ich betone es immer wieder gerne,
wie viel ich besonders auch aus Ihren Schriften gelernt habe,
aus dem kaum auszuschöpfenden Buch über die älteren römischen Dichter,
aber auch aus dem über den römischen Staatsbegriff und aus vielem anderen.
Gar nicht zu sagen, wie sehr ich mich auf Ihr neues Handbuch der lateinischen Literatur freue.
Und so war mir auch heute an Ihrem Vortrag
neben all dem Lustigen und Besinnlichen, das Sie uns so geboten haben,
das Wichtigste eigentlich die für mich neue Einsicht in den Grund, an dem es liegt,
warum denn nicht Appius Claudius Caecus,
der große Dichter, Redner und Straßenbauer, dessen Bedeutung ich wie Sie einschätze,
als der Vater der römischen Literatur anerkannt wird:
Er war, so habe ich heute endlich gelernt, zu groß für seine Zeit,
er hatte keinen Zweiten bei und nach sich,
ein Vorläufer, Herold, ein Großvater allenfalls, aber eben kein Vater.

Die Stunden des Abschiednehmens haben es so an sich,
dass die persönlichen und moralischen Qualitäten eines Geehrten
mehr in den Vordergrund rücken als seine intellektuellen und wissenschaftlichen.
Die gilt nun ganz besonders für das Geschenk,
das ich Ihnen heute im Namen und Auftrag meiner und Ihrer Kollegen –
nicht zu überreichen, sondern per apocalypsin zu enthüllen habe:
ein Geschenk, mit dessen Auswahl wir es uns –
ich denke jetzt besonders an Herrn Patzer als meinen Mitsucher,– nicht leicht gemacht haben,
sollte es doch möglichst ganz in die Mitte Ihrer Persönlichkeit treffen.
Sie merken, jetzt geht es um die Römertugenden.
Es stammt aber gerade nicht aus Rom oder römischem Staatsgebiet,
sondern ausgerechnet aus dem Land, von dem Cicero sagt,
dass die Natur selber es zum geborenen Feind Roms gemacht habe:
novi aliquid ex Africa!
Und dennoch verkörpert dieses afrikanische Tier –
denn es ist eine echte Bestie, mit der wir sie beschenken wollen –
wie kein zweites die Römertugenden von gravitas und constantia.
Sehen Sie her!

    RHINOCEROTIS APOCALYPSIS

Es ist ein Nashorn, bei den Römern mit griechischem Namen genannt rhinoceros,
die einzige Bestie, die, wie die alten Naturkundigen wissen,
in der Lage ist, es mit dem Elefanten aufzunehmen –
noch der Brockhaus lehrt, das Rhinozeros sei beweglicher als sein Aussehen vermuten ließe -,
ein Tier, dessen impenetrables Pachyderm
es zur wichtigsten aller römischen virtutes befähigt:
zur patientia, der Fähigkeit, einzustecken, durchzuhalten
und immer legionärsmäßig seinen Mann zu stehen.
Aber es sind nicht nur diese sittlichen Eigenschaften,
warum wir Ihnen heute dieses Kunstwerk verehren
(das übrigens die Münchner Tonkünstlerin Angelika Stiegler geschaffen hat,
die heute nicht hier sein kann, aber Sie herzlich zu grüßen bittet) –
es ist vor allem seine schiere Schönheit, die uns in den Bann geschlagen hat:
Wie keiner von uns lieben Sie ja das Schöne gerade in den Werken der bildenden Kunst;
und mit großer Dankbarkeit denken wir daran,
was Sie auch durch Ihre herrlichen Ausstellungen zu Ovid, Horaz und besonders Vergil
für unser Fach Latein geleistet haben.
Gratias agimus. Bene tibi. Vale.