Wilfried Stroh

Die Anfänge des lateinischen Münchner Schultheaters


Jeder Kenner des neulateinischen Dramas weiß von den großen 30 Jahren des Münchner Jesuitentheaters, beginnend mit dem opernhaften Samson, 1568, bis zum multimedialen Spektakel des Triumphus Michaelis, 1598. Wohl nie in der Welt hat ein Schultheater mehr geleistet. Aber auch in München, dem „zweiten Rom“, beginnt diese Tradition nicht erst mit dem Kommen der (hier von Herzog Albrecht V. protegierten) Jesuiten, 1559; schon Jahrzehnte zuvor haben die seit 1498 nachweisbaren „Stadtpoeten“, d.h. die Schulmeister der humanistischen Münchner Lateinschule, Dramen geschaffen, die gedruckt und überregional beachtet wurden.
Neben Hieronymus Ziegler, dem strengen Katholiken, der später Professor in Ingolstadt wurde, steht, alle anderen überragend, sein Nachfolger Martinus Balticus (1532-1600), den die evangelische Gemeinde von München noch heute als kleinen Märtyrer ihres Glaubens verehrt  - obwohl er sich ganz offen zum Protestantismus nie bekannt hat. Im Schicksalsjahr der Münchner Kulturgeschichte, 1559, musste dieser Melanchthonschüler gewissermaßen den Jesuiten das Feld räumen und seine Heimatstadt verlassen (um seine Arbeit dann in der freien Reichsstadt Ulm fortzusetzen). Seine meist als „tragicomisch“, genauer: „comicotragisch“ bezeichneten Dramen behandeln in der Regel biblische Stoffe, die frei nach klassischem Muster aufbereitet sind. Sie sind reich an Ethos und Pathos, wobei sie sich in der Darstellung des Erotischen manches gestatten, was im Jesuitentheater kaum mehr möglich gewesen wäre. (In der Schule der „Stadtpoeten“ wurden ja auch Plautus und Terenz gegeben.)
Vorgestellt werden soll besonders das Josephsdrama Adelphopolae (gedr. Augsburg 1556), das nicht nur im Titel an Terenz erinnert. An ihm sieht man, dass der nach München verschlagene Niederländer Samuel Quichelberger, Literat und herzoglicher Leibarzt, wohl nicht zu Unrecht über Balticus geurteilt hat: [...] sub hoc cœlo vnus inter suos ciues plurimum hæc literaria studia excolit, promouétque: vt merito decus suæ patriæ dici & haberi debeat. Sicherlich ließe sich auch an eine Wiederaufführung durch das heutige Schultheater denken, nicht nur in München.

Literatur:
Karl von Reinhardstöttner, Martinus Balticus: Ein Humanistenleben aus dem 16. Jahrhundert, Bamberg 1890.
Ders., „Zur Geschichte des Humanismus und der Gelehrsamkeit in München unter Albrecht dem Fünften“, Jahrbuch für Münchener Geschichte 4, 1890, 45-174.
Hans Pörnbacher, „Literatur und Theater von 1550-1800“, in: Max Spindler (Hg.), Handbuch der bayerischen Geschichte, Bd. 2: Das alte Bayern, hg. von Andreas Kraus, München ²1988, 978-1024 (Lit.).
Max Liedtke (Hg.), Handbuch der Geschichte des bayerischen Bildungswesens, Bd. 1, Bad Heilbrunn 1991, 163 ff., 189 ff. (Lit.).
Wilfried Stroh, „Lateinstadt München“, Gymnasium 113, 2006, 117-150