Wilfried Stroh
Antikes Politmarketing: zum Wahlkampf im Alten Rom
Festvortrag von Wilfried Stroh zum zehnjährigen Bestehen der
Gesellschaft
für innovatives Marketing e.V.,
Nürnberg, 9. Oktober 2003
Quod bonum felix fortunatumque sit. Saluto vos omnes, qui sodales
huc
convenistis eius sodalitatis, quae in naturam commutationis mercium via
ac
ratione inquirit, eamque iam decem per annos novis praeceptis adiuvare
et
augere conatur, gratulorque vobis hoc quasi die natali ex animo.
Auf deutsch: Ich begrüße und beglückwünsche alle
Mitglieder
der Wissenschaftliches Gesellschaft für innovatives Marketing e.V.
zu
deren zehntem Geburtstag.
Es ist mir eine große Freude, vor Ihnen, auf Einladung Ihres
Präsidenten,
Hermann Diller, einen Vortrag über Marketing halten und damit
über
Dinge sprechen zu dürfen, von denen ich als klassischer Philologe
und
Lateiner keinerlei Ahnung habe, getreu dem Grundsatz Ciceros, dass der
humanistische
Redner bereit sein müsse, immer und über jedes Thema mit
solchem
Wortschwall zu sprechen, dass selbst die Fachleute auf ihn
hereinfallen.
Eine noch viel größere Genugtuung bereitet es mir aber, dass
ich
dies gerade in Nürnberg tun darf, war doch diese freie Reichsstadt
in
ihren größten Zeiten nicht nur eine europäisches
Zentrum
von Handel und Marketing, sondern auch eine Hochburg des
Lateinhumanismus:
Hier lebte als Politiker und Gelehrter der große Willibald
Pirckheimer;
hier wirkte auch der Mann, der vor allem als Freund Albrecht
Dürers
noch heute weithin bekannt ist und der mehr für die literarische
Bildung
in Deutschand getan hat als ein anderer: der Erzhumanist Conrad Celtis,
als
zeitweiliger Professor unserer Universität mein mittelbarer
Amtsvorgänger
und mein unmittelbares persönliches Vorbild. Dieser Mann, der hier
auf
der Nürnberger Burg 1487 als erster Deutscher vom Kaiser zum
Dichter
gekrönt wurde, zum ersten poeta laureatus, hat beides, Lateinertum
und
Marketingforschung, vereinigt, als er in seiner lateinischen Schrift
über
Nürnberg, „Norimberga“, diese Stadt gerade wegen ihres
einzigartigen
Produktangebots (commeatus abundantia) gepriesen hat, wobei er
hervorhob,
dass auch die Preise, als zweiter Teil der Marketingpolitik, richtig
und
legitim seien (iusto et legitimo pretio), Preise, von denen er
im
übrigen fachmännisch feststellt, dass sie aus dem
Zusammenspiel
von „Angebot und Nachfrage“ hervorgehen (quod inter licentem
vendentemque
conveniat). Somit könnten sich die Nürnberger, sagt er,
dank
ihres kommerziellen Reichtums alles leisten und – ich zitiere nach der
Übersetzung
meines Kollegen, des hier anwesenden Nürnbergers Gerhard Fink –
„so
leben sie, wie sie selbst sagen, nicht von der Erde, dem Himmel oder
der
Luft, sondern allein vom Geld (solo nummo)“. Kein Wunder, dass
der
Wahlnürnberger Celtis auch einen lateinischen Ausdruck für
Marketing
zu bieten hat; es heißt bei ihm mercium commutatio,
„Austausch
von Waren“ – was, wie Sie sehen, gar nicht so weit entfernt ist von
Hermann
Dillers Definition des Marketing: „Austausch von Werten“.
So läge es für den klassischen Philologen tatsächlich
nahe,
in dieser Stadt des Markts und Mammons vom kommerziellen Marketing der
alten
Römer zu sprechen, umso mehr als ja nicht nur das Wort „Marketing“
vom
römischen „mercatus“ kommt – Ihrem Vereins-Epitheton „innovativ“
sieht
man den lateinischen Ursprung sowieso gleich an der Nase an -, sondern
die
Römer zum Geld immer eine ganz besonders unverkrampfte Einstellung
gehabt
haben (und dies obwohl ihrer Oberschicht, dem senatorischen Adel,
eigentliche
Handelsgeschäfte verboten waren): rem facias, rem (zu
deutsch:
„Make money!“) ist laut Horaz die erste Regel, die ein römischer
Vater
seinem Sprössling auf den Lebensweg mitgibt; sogar der
hochgeistige
Cicero rühmt das Geld als nervus rerum („Muskelkraft der
Welt“),
und noch berühmter ist der Spruch, mit dem der knauserige Kaiser
Vespasian
den aus seiner berüchtigten Urinsteuer eingenommenen Gewinn zu
rechtfertigen
suchte: Non olet, „Geld stinkt nicht“ (übrigens eine
Anregung
für Hans Eichel, denn von allen menschlichen Tätigkeiten ist
ja
das Pinkeln eine der regelmäßigsten und notwendigsten). So
ist
es klar, dass es für den großen Markt Rom und seine
Lieferanten
auch große Marketingstrategien gegeben haben muss; nicht nur Rom,
das
ganze Imperium wurde ja von mächtigen Firmen bzw. Fabriken
beliefert,
mit Utensilien und Viktualien, wie, um nur irgend ein Beispiel zu
nennen,
der schwer herzustellenden, aber für die römische Küche
unentbehrlichen
Fischsauce, namens garum, die vor allem von Spanien aus
weltweit verbreitet
wurde. Aber über alle hierher gehörigen
Marketingunternehmungen
haben wir kaum unmittelbare Quellen, wie nur durch Zufall einmal ein
paar
Reklameinschriften aus Pompeii (wo etwa ein Kneipenwirt für seine
Weine
wirbt und die Preise mitteilt) oder Ciceros lichtvolle Darlegungen
über
das Zustandekommen des Getreidepreises in Sizilien (was aber wohl eher
in
einen Teil der Nationalökonomie gehört). So finden wir in den
an
sich durchaus vorhandenen Wirtschaftsgeschichten Roms bzw. der alten
Welt
fast gar nichts über Marketing im eigentlichen Sinne; diese Dinge
müssten
allererst einmal durch umfängliche Studien an Hand minuziöser
literarischer,
inschriftlicher und vor allem auch archäologischer Dokumente
rekonstruiert
werden – eine Forschungsaufgabe also, kein Thema für einen
Festvortrag.
Dagegen gibt es nun aber einen Spezialbereich des Marketing, wo gerade
in
Rom die Quellen reichlich fließen, weil es sich hier, im
Gegensatz
zum kommerziellen Handel, um eine Tätigkeit der regierenden und
literarisch
interessierten Oberschicht handelt, nämlich denjenigen Bereich des
„social
marketing“, den man auch in Deutschland seit genau zwanzig Jahren, als
Übersetzung
aus dem Amerikanischen, „politisches Marketing“ oder (seltener)
abgekürzt
„Politmarketing“ nennt. Gerade in den allerletzten Jahren hat der
Gebrauch
der Vokabel stark zugenommen, so dass etwa die Suchmaschine Google
bereits
etwa 13.000 deutschsprachige Eintragungen aufweist. Schuld daran
dürften
vor allem diejenigen neueren Persönlichkeiten sein, die in
besonders
erfolgreicher Weise Politik mit Geschäftstüchtigkeit,
Mediengewandtheit
und vor allem Schauspielerei vereinen; hier denke ich natürlich
weniger
an unseren Edmund Stoiber, der schon vor ebenfalls zwanzig Jahren in
einem
noch immer interessanten Aufsatz über „Marketing und Politik“
darzutun
versucht hat, dass die beiden ganz verschiedene Ziele hätten (und
seine
biedere Homepage unter dem Motto „Handeln statt Reden“ könnte dies
in
der Tat bestätigen), als vielmehr an so farbig schillernde
Männer
wie Silvio Berlusconi oder Arnold Schwarzenegger, dessen kalifornischer
Wahlkampf
soeben im Österreichischen Fernsehen von einer Runde aus
Meinungsforschern
und Politmarketing-Experten ausführlichst analysiert wurde. Dort
waren
sich immerhin alle einig in diesem Punkt: Die Bedeutung von
Politmarketing
ist gar nicht zu überschätzen. Denn es gilt, was schon vor
fast
einem halben Jahrhundert Richard Nixon feststellte: Wie jedes andere
Produkt,
so muss auch ein Politiker vermarktet werden.
Ich denke nun nicht daran, diesen Begriff des Politmarketing näher
zu
analysieren oder mich gar auf die sehr akademische Frage einzulassen,
ob
und wie weit sich Politik überhaupt als eine Form des Marketing
beschreiben
lasse, sondern halte fest, dass, wiederum nach übereinstimmender
Meinung
der Fachleute, das von Nixon Behauptete, von tausend anderen
Wiederholte,
vor allem in Bezug auf e i n e fundamentale Institution der
modernen
Demokratien gilt: die Wahlen bzw. den Wahlkampf (lateinisch: petitio).
Keineswegs sind ja Wahlen, wie Stoiber annahm, in erster Linie dazu da,
dass
der Wähler, dem er den Bundesrechnungshof zur Seite stellt,
rückblickend
über die Effizienz einer bestimmten Politik urteilt – allenfalls
das
bayerische Wählerverhalten kann einen CSU-Politiker auf diese Idee
oder
Wunschvorstellung bringen -, sondern bei Wahlen findet eben das statt,
was
nach Hermann Dillers schon zitierter Definition das Wesen des Marketing
ausmacht:
der „Austausch von Werten“. Der Wähler gibt dem Kandidaten Macht
durch
seine Wählerstimme, der Kandidat verspricht ihm dafür die
Vertretung
seiner Interessen. Und der mit Wahlen verbundene Wahlkampf ist nichts
anderes
als die Summe aller einschlägigen Marketingunternehmungen, den man
also
wohl „Politmarketingmix“ zu nennen hätte.
Somit ist klar, dass Politmarketing ein
Phänomen
auch schon des Alten Rom gewesen sein muss, nicht etwa wegen des
Schlagworts
„Brot und Spiele“ (panem et circenses), wie soeben der
Marketingforscher
Thomas Butter gemeint hat – dieses berühmte Dictum war jedenfalls
nie
ein politischer Wahlslogan, sondern drückt nach dem Satiriker
Juvenal
gerade die unpolitische Haltung des an Wahlen nicht mehr interessierten
römischen
Spießbürgers in der Kaiserzeit aus –, vielmehr darum, weil
die
Römer, was mir erst bei der Vorbereitung dieses Vortrags so
richtig
klar geworden ist, überhaupt die Erfinder des Wahlkampfs waren und
weil
sie als erste (und, wenn ich recht sehe, fast zweitausend Jahre lang
als
einzige) Wahl und Wahlkampf auch theoretisch durchdrungen haben: Das
kleine
Handbuch von Ciceros Bruder Quintus über den Wahlkampf (Commentariolum
petitionis) gibt eine z.T. noch heute gültige Anleitung
für
effektives Marketing im politischen Bereich. - Ich erwähne nur
nebenbei
als eine auffallende Parallele dazu, dass gerade die Römer auch
das
erste Lehrbuch des erotischen Marketing hervorgebracht haben: Ovids
Liebeskunst,
die berühmte Ars amatoria, die ja keine Anweisung zur
Liebe à
la Romeo und Julia gibt, sondern, vor allem im dritten Buch für
leichtere
Damen, Ratschläge, wie man sich im Rahmen des erotischen Angebots
erfolgreich
vermarktet (leider würde uns die nähere Erläuterung
dieser
Dinge, die von den Feministen oft missverstanden werden, jetzt etwas zu
weit
führen).
Aber wie kann es sein, dass gerade die Römer als Erfinder des
Politmarketing
zu gelten haben? Haben wir nicht in der Schule gelernt, dass die Wiege
der
Demokratie in Athen steht? Und ist das nicht einer der Gründe,
warum
man noch heute, z.B. in Nürnberg, im Gymnasium Griechisch lernen
kann?
Ich antworte darauf: Demokratie erfordert nicht unbedingt Wahlkampf;
Wahlkampf
ist umgekehrt nicht einmal notwendig an Demokratie gebunden. In Athen
wurde
das demokratische Prinzip der bürgerlichen Gleichheit (égalité)
so weit ins Extrem getrieben, dass sogar die wichtigsten Ämter und
politischen
Machtstellen nicht durch Wahlen, sondern durch Losentscheid vergeben
wurden.
Fast nur bei den militärischen Führungsposten, den zehn strategoí,
stellte man das Prinzip des Sachverstands über das der Gleichheit
und
ließ sie nach Vorschlag der zehn Stadtbezirke, der Phylen, vom
Volk
wählen; aber hier war offenbar jeweils die Kompetenz so eindeutig,
dass
wir, soweit ich sehe, aus der Überlieferung nichts von
irgendwelchen
Wahlkämpfen erfahren.
Völlig anders in Rom. Hier gibt es zwar keine eigentliche
Demokratie,
sondern, wie Cicero meinte, eine gemischte Verfassung oder, wie heute
die
meisten sagen würden, eine Oligarchie bzw. Aristokratie, bei der
die
politische Entscheidung im wesentlichen bei einer kleinen Schicht
reicher
Grundbesitzer lag, die dank ihrer Einkünfte aus der Landwirtschaft
weder
auf Handel noch sonst ein Gewerbe angewiesen waren, so dass sie
allesamt
quasi Berufspolitiker sein konnten. Aus ihnen rekrutierten sich, als
Regierungsspitze,
die zwei Oberbeamten, consules bzw. Consuln; aus ihnen bildete
sich
vor allem der Senat, der sämtliche gewesenen Beamten in sich
vereinte
und die höchste Autorität (auctoritas) hatte. Aber
diese
Oberschicht der Nobilität verzichtete darauf, Beamte bzw. Senat
durch
selbstherrliche Kooptation zu ergänzen (was bei der Rivalität
der
vermögenden Adelsfamilien vielleicht zur Selbstzerfleischung
geführt
hätte), sondern sie ließen, um auch das Volk in wenig
schädlicher
Weise an der Machtvergabe teilhaben zu lassen, sämtliche
höheren
Beamten durch die Versammlung eben des Volks, d.h. der Idee nach von
allen
römischen Bürgern, wählen. Zwar ging damit noch nicht,
wie
in einer Demokratie, a l l e Macht vom Volke aus; wohl aber
wurde
dem einzelnen Politiker seine Macht in der Tat vom Volke verliehen
(natürlich
mit der Erwartung einer entsprechenden Gegenleistung, so dass also das
völlige
Schema des Marketing gegeben ist). Da nun jedes Jahr, neben den
Consuln,
auch noch eine ganze Reihe weiterer Beamter (magistratus) zu
wählen
war - in aufsteigender Folge: Quaestoren, Aedilen,Volkstribunen und
Praetoren
-, so war in Rom praktisch immer Wahlkampf. Gelegentlich schon bevor
die
Consuln im Sommer eines Jahres für das jeweils nächste Jahr
gewählt
wurden, begannen vorsorgliche Consulkandidaten bereits für das
übernächste
Jahr mit der Vorbereitung ihrer Kampagne, die dann schließlich
einige
Wochen vor der aktuellen Wahl bei den Betroffenen und ihren Freunden
ein
förmliches und sichtbares Wahlfieber auslöste. Allmorgendlich
spie
dann das Haus des Kandidaten ganze Heerscharen von sogenannten salutatores,
„Grüßgottsagern“ aus, die ihm zur Bekundung ihrer
Solidarität
in aller Frühe die Aufwartung gemacht hatten. Ein Teil von ihnen
begleitete
ihn auf dem Weg zum Forum als „Geleiter“, deductores; manche
blieben
bei ihm sogar den ganzen Tag als unzertrennliche assectatores (man
könnte sie nach Analogie der berühmten Kurschatten die
„Wahlschatten“
nennen). Auf dem Forum versuchte der Kandidat, als solcher ausgewiesen
durch
eine toga candida, eine speziell mit Kreide geweißte Toga
–
unser Wort „Kandidat“ kommt ja von eben dieser toga candida der
römischen
candidati -, möglichst viele Personen anzusprechen, sie
mit Namen
zu grüßen (nomenclatio), ihre Hände zu
schütteln
(prensatio) und dabei leutselige Worte zu finden. Dieses
Herumgehen
bei den Leuten, die „face to face communication“ (als Teil des noch zu
besprechenden
„Kommunikationsmix“), wurde von den Römern als so charakteristisch
für
den Wahlkampf empfunden, dass danach das ganze Bemühen um
Wählerstimmen
ambitio (von ambire, „herumgehen“) genannt wurde. (Auch
das
hat sich übrigens noch im modernen Sprachgebrauch
niedergeschlagen:
„ambition“ bezeichnet im Englischen und anderen Sprachen den Ehrgeiz,
wir
Deutsche sprechen in ähnlichem Sinn von „Ambitionen“ und
„ambitiös“.)
Während diese ambitio ein korrektes, ja vom Kandidaten geradezu
erwartetes
Verhalten darstellt, ist das ähnlich aussehende, ebenfalls von
ambire
abgeleitete, Wort ambitus die Bezeichnung einer ordnungswidrigen, ja
kriminellen
Wählerbeeinflussung, vor allem der Wahlbestechung, also einer sehr
unerfreulichen
Form des Marketing. Es gab in Rom einen eigenen Schwurgerichtshof, der
speziell
für dieses Delikt des ambitus eingerichtet war und dem es
alljährlich
an Beschäftigung nicht mangelte. Auch eine solche Institution
dürfte
zumindest in der alten Welt einmalig gewesen sein.
Wenn wir diesen Wahlkampf des republikanischen Rom so genau kennen,
dass
wir über ihn ohne weiteres ein ganzes Buch schreiben könnten,
das
es sonderbarerweise noch nicht gibt – viel Anschauungsmaterial finden
Sie
etwas in dem klassischen Werk der amerikanischen Historikerin Lily Ross
Taylor
über „Party politics in the age of Caesar“, und zum
Grundsätzlichen
sagt viel Wichtiges unser emeritierter Münchner Kollege Christian
Meier
in seiner „Res publica amissa“ -, dann verdanken wir das neben
unzähligen
kleineren Zeugnissen in Geschichtswerken, Briefen und auch Gedichten,
vor
allem drei Schriften, die in Zusammenhang mit dem heute immer wieder zu
nennenden
Namen Cicero stehen, also dem Mann, der für römisches
Empfinden
(und sein eigenes) die freie römische Republik geradezu
verkörperte.
Denken Sie nur: Als Brutus an den Iden des März nach Cäsars
Ermordung,
den blutigen Dolch aus der Curie aufs Forum trug, tat er dies mit dem
Ruf
„Cicero“, denn Cicero stand für die von Cäsar
unterminierte
römische Republik, er stand für die vor allem auch in freien
Wahlen
verkörperte „Freiheit“, libertas, des römischen
Volkes.
Ich möchte Ihnen diese drei Dokumente wenigstens kurz vorstellen.
Zweimal
hat Cicero in ambitus-Prozessen, also Kriminalverfahren wegen
angeblicher
Wählerbestechung, den gewählten Kandidaten und damit auch die
Entscheidung
des römischen Volks verteidigt. Einmal, in seinem eigenen
Konsulatsjahr
63 v.Chr., dem Jahr der berühmten Catilinarischen
Verschwörung,
sprach er für seinen Nachfolger, einen gewissen Murena, der vor
allem
als Militär populär geworden und bei der Wahl siegreich
gewesen
war, gegen seinen eigenen Freund, den bei der Wahl durchgefallenen
Ankläger
Sulpicius Rufus, der bis heute vor allem als Jurist namhaft ist, was
aber
damals zum Wahlsieg nicht ausgereicht hatte. (Klar, dass bei solchen
Prozessen,
der Verlierer dasjenige nachträglich vor Gericht zu erstreiten
sucht,
was ihm an der Wahlurne versagt geblieben ist.) Hier hatte Cicero vor
allem
zu zeigen, dass Murena auf Bestechung gar nicht angewiesen war, da ihm
bei
seinen kriegerischen Erfolgen in Kleinasien die Herzen und
Wählerstimmen
ohnehin zugefallen seien, wogegen die Juristerei doch ein viel weniger
attraktives,
eher kleinkariertes Geschäft für Stubenhocker darstelle.
Diese
Rede, die Cicero von den Juristen bis heute so übel genommen wird,
dass
sie gelegentlich das Gerücht verbreiten, Cicero habe vom
römischen
Recht nichts verstanden - diese Rede ist so köstlich und für
das
römische Volksempfinden aufschlussreich, dass man sie zur
Lektüre
nur dringend empfehlen kann. Als ich vor fünfzehn Jahren den
mittlerweilen
verstorbenen Staatschef der afrikanischen Republik Malawi, Dr. Kamuzu
Banda,
neben Harry S. Truman und Franz Josef Strauß wohl der beste
Lateiner
unter den Politikern des zwanzigsten Jahrhunderts, fragte, ob ich zu
Recht
aus seinen gedruckten Reden auf ein besonderes Studium Ciceros bei ihm
geschlossen
hätte, da antwortete er mir: „I always have a copy of Cicero with
me;
especially I like Pro Murena.“ Folgen Sie dieser Leseempfehlung aus
Afrika!
Kaum minder aufschlussreich, wenn auch weniger bekannt, ist die zweite
Rede,
Pro Plancio, in der Cicero Plancius, den gewählten Ädil von
54
v.Chr. gegen seinen durchgefallenen Rivalen verteidigt, und zwar wegen
einer
besonders widerlichen Form von Wählerbestechung. Dieser Prozess
gibt
uns Einblicke nicht nur in die finstersten Details der
Bestechungstechniken,
sondern auch in die römische Wählerpsychologie. Cicero macht
nämlich
glaubhaft, dass es vor allem sein, Ciceros, persönlicher Einsatz
für
den jetzt angeklagten Plancius gewesen sei, der diesen zum Wahlsieg
geführt
habe und dass er dabei weniger auf dessen Leistungen für den Staat
als
vielmehr auf seine Verdienste um ihn, Cicero selber, abgehoben habe.
Er,
der prominente Politiker, hatte somit im Wahlkampf als Freund für
den
Freund, dem er förmlich sein Leben verdanke, gesprochen – eine
Konstellation,
die Römern unwiderstehlich zu Herzen ging, war doch nach ihrem
Empfinden
die Dankbarkeit (gratia), wie Cicero einmal sagt, die Mutter
aller
Tugenden. Wie in Pro Murena der Humor, so ist hier die Rührung
bzw.
das Mitleid der tragende Affekt, dem der große Redner, weil er
ihn
auch im Prozess für den armen, bedrohten Angeklagten einsetzt,
seinen
Erfolg verdankt.
Aber noch weit bedeutender hinsichtlich des Quellenwerts ist die dritte
Schrift,
die wir zu betrachten haben: das schon erwähnte Commentariolum
petitionis
(Handbüchlein zum Wahlkampf), das Ciceros Bruder Quintus ihm,
Marcus
Cicero, für seinen eigenen Wahlkampf im Jahr 64 v.Chr. geschrieben
hat.
Dieses Büchlein zeigt, dass Quintus, selber ein nicht ganz
unwichtiger
Politiker, für seinen natürlich weit bedeutenderen Bruder so
etwas
wie ein Wahlkampf- oder zumindest Imageberater gewesen sein
dürfte.
Er war der erste uns bekannte „spin doctor“ der Geschichte, also ein
Mann,
der die Funktion erfüllte, die Dick Morris für Bill Clinton
(„Behind
the Oval Office“) oder Michael Spreng vor einem guten Jahr im
Bundestagswahlkampf
für Edmund Stoiber gehabt hat. Tag und Nacht denke er darüber
nach,
wie er seinem Bruder zum Sieg verhelfen könne, sagt Quintus
Ciceros
und was er schreibe, sei zwar nichts, worauf Marcus Cicero nicht auch
selber
kommen könne, doch habe er die Dinge, die sonst
unübersichtlich
und konfus seien, „mit Überlegung und Systematik“ (ratione et
distributione)
geordnet und zusammengefasst, um hierdurch dem im Wahlkampf
überbeschäftigten
(occupatissimus) Bruder einen Dienst zu tun. Das ist höchst
realistisch
und vernünftig; und um so törichter scheint mir die
Behauptung
einiger moderner Althistoriker, diese Schrift müsse darum unecht
sein,
weil sich der berühmte und fast schon arrivierte Cicero doch nicht
von
seinem jüngeren, politisch weniger bewährten Bruder
hätte
belehren lassen. Als wäre etwa der heute schon wieder fast
vergessene
Journalist Michael Spreng, der den Alpen- und Aktenkönig Stoiber
zum
Weltmann stilisieren wollte, jemals bekannter und erfolgreicher gewesen
als
dieser von ihm beratene Staatsmann - der ihn aber dennoch heranzog,
weil
er eben, neben Spürsinn und gesundem Menschenverstand, vor allem
die
dem Politiker fehlende Zeit und Muße für umfassendere
strategische
Überlegungen hatte!
Im übrigen sagt Quintus zwar mit Recht, dass seine Schrift
speziell
auf den Wahlkampf von Bruder Marcus zugeschnitten sei, sich also nicht
an
jedem Punkt verallgemeinern ließe; dennoch ist er sich bewusst,
ein
größtenteils doch auch generell gültiges Lehrbuch
verfasst
zu haben, denn er bittet am Schluss seinen Bruder, falls er, Quintus
etwas
übersehen habe, ihm dieses doch mitzuteilen und nachzutragen,
damit
das Werk in jeder Hinsicht vollkommen sei. Dieser verhaltene Stolz ist
berechtigt.
Das Handbüchlein konnte zwar im Jahr 64 oder in der darauf
folgenden
Zeit unmöglich veröffentlicht werden, da Quintus dafür
viel
zu offenherzig quasi aus dem politischen Nähkästchen
geplaudert
hatte; aber die späteren Herausgeber von Ciceros Korrespondenz
haben
sich ein großes Verdienst erworben, als sie auch dieses kleine
Meisterwerk
des Bruders der Nachwelt überliefert haben. Bevor wir den
römischen
Wahlkampf abschließend unter Marketinggesichtspunkten
analysieren,
müssen wir uns zunächst mit Inhalt und Aufbau dieser
wichtigsten
Quellenschrift vertraut machen. (Falls Sie sie selber studieren wollen,
empfehle
ich die alte zweisprachige Heimeranausgabe mit der freien, aber
geistreichen
Übersetzung von Helmut Kasten; die neue Übersetzung bei der
Wissenschaftlichen
Buchgesellschaft ist hässlich und fehlerhaft, der Kommentar
manchmal
geradezu unverständig. Diese Schrift harrt noch ihres wirklichen
Erklärers.)
Quintus gliedert nach drei Gesichtspunkten bzw. drei Überlegungen,
die
sein Bruder täglich im Wahlkampf meditieren solle: I. Wer bin ich?
II.
Was will ich? III. In welchem Staat bin ich? Und er antwortet: I. Ich
bin
ein homo novus (dazu sofort). II. Ich will das Consulat. III. Mein
Staat
ist Rom. Die Gliederung nach I und II klingt höchst modern und
marketingmäßig,
als solle hier zwischen Produktpolitik (der Kandidat) und Preis- bzw.
Gegenleistungspolitik
(das Consulat) unterschieden werden. Aber dieser Schein trügt. Die
zwei
Labels, die Quintus den ersten beiden Teilen seiner Schrift verpasst,
decken
sich weder mit diesen modernen Kategorien noch mit dem eigentlichen
Inhalt
der Schrift, sind vielmehr eine Art bestechender Fassade, die eine
Einfachheit
vortäuscht, die nicht gegeben ist..
I. „Wer bin ich?“ „Ein homo novus“, soll Cicero sich sagen, das
heißt:
einer von denen, die keinen Consul unter ihren Vorfahren haben, einer,
der
also nicht zur Nobilität gehört, ein Newcomer, Selfmademan,
böser
ausgedrückt: ein Emporkömmling. Das war in der Tat Ciceros
schwerstes
Handicap bei dieser Amtsbewerbung. Denn obwohl die Römer wie wir
durchaus
Leute bewunderten, die aus kleinen Verhältnissen stammend etwas
aus
sich gemacht hatten, so wollte doch auch das einfache Volk seine
Consuln
am liebsten aus den uralt bewährten, vornehmen Familien
wählen,
wo man sozusagen wusste, was man hatte und wo man dran war. Weder ein
Gerhard
Schröder noch ein Edmund Stoiber oder Franz Josef Strauß
hätte
in Rom den Hauch einer Chance gehabt. Cicero war immerhin ein
wohlbetuchter
römischer Ritter, aber auch das reichte kaum: Seit 33 Jahren war
kein
homo novus mehr zum Consulat gekommen. Quintus nennt hier also
den
Hauptnachteil, mit dem Cicero zu kämpfen hat; aber nur um den
Bruder
sogleich auf seine Stärken aufmerksam zu machen: Er hat für
sich,
um dieses Manko wettzumachen: 1. seinen rednerischen Ruhm und sein
Talent,
2. die aus eben diesem rednerischen Einsatz vor allem als Prozessanwalt
resultierenden
Freundschaften, die es zu mobilisieren gilt, 3. die Sympathien der
Nobilität
selber, die zu erhalten und durch geschickte Propaganda zu
verstärken
sind (hier gibt Quintus sofort einige Argumentationshilfen); und er hat
4.
ganz besonders Sympathisanten unter der aristokratischen Jugend, die
ihn
(wie Cicero weiß, wir uns dazu denken müssen) als Meister
der
Rede und Vorbild verehren. Hauptwahlschlager für ihn aber ist der
miese,
z.T. geradezu verbrecherische Charakter seiner beiden Kontrahenten,
Antonius
und Catilina: Indem Quintus mit der entsprechenden rhetorischen
Stilisierung
seinem Bruder deren Schandtaten aufzählt, gibt er ihm wiederum
Formulierungshilfen
für entsprechende Auseinandersetzungen. (Einige besonders
gelungene
Wendungen seines Bruders hat Cicero tatsächlich in eine Rede
dieses
Jahres effektvoll eingebaut.) Wir sehen also, dass Quintus nicht nur
Theoretiker
des Wahlkampfs, sondern auch praktischer Berater und seelische
Stütze
für Bruder Marcus sein will, Wissenschaftler und Psychotrainer.
Erst der zweite Teil fasst die Größe der anstehenden
Aufgabe,
die zunächst eher bagatellisiert wurde, voll ins Auge: II. „Was
will
ich?“ „Das Consulat.“ Nun erst ist von der Fülle des Neids (invidia)
die Rede, die Cicero, den homo novus, bedroht. Nicht nur die
Vornehmen,
die das Consulat wie ein Stück Erbpacht verteidigen, sind neidisch
auf
ihn, zumal die vielen, die selber auf der zu durchlaufenden
Ämterkarriere
schon vor dem Consulat stecken geblieben sind; auch im Volk wirkt die
Gewohnheit
so vieler Jahre, dass man denkt, der Schuster solle bei seinem Leisten
bleiben.
Dazu gesellt sich natürlich auch ziemlich viel Zorn und
Verstimmung
(ira) derer, denen Cicero als Prozessanwalt oder politischer
Redner
in die Quere gekommen ist. (Welch glänzende negative
Marktsegmentierung!)
Da diese Nachteile großenteils eben aus Ciceros rednerischen
Erfolgen
resultieren, kann der „spin doctor“ hier nicht wieder die Rhetorik als
Medizin
anpreisen. Er fordert statt dessen von seinem geforderten Bruder zwar
nicht
gerade Blut, Schweiß und Tränen, aber doch omnem
rationem et
curam et laborem et diligentiam, „alle rationale Planung,
Engagement,
Anstrengung, Präzision“. Und Quintus geht, was Rationalität
und
Präzision angeht, sogleich mit gutem Beispiel voran, indem er alle
Unternehmungen
des Wahlkampfmarketing in zwei Hauptgruppen einteilt: erstens (II 1)
den
Einsatz der (zu mobilisierenden) Freunde, amicorum studia,
zweitens
(II 2) die Sympathie des (zu gewinnenden) Volkes, popularis voluntas.
Eine höchst praktische Einteilung (Freunde – Volk, indirekte und
direkte
Wählerbeeinflussung), durch die ein unübersichtlicher Stoff
auch
mit Hilfe weiterer Unterteilungen in den Griff gebracht wird. (Ich
erwähne
nur in Parenthese, dass sowohl Quintus wie Marcus Cicero bei Lehrern
der
sogenannten Akademie, also der philosophischen Schule Platons, studiert
haben
und dass gerade für Platon solche Einteilungen nach Genus und
Species,
wie wir heute sagen, höchst charakteristisch sind; und da er die
Zweiteilung
bevorzugt: „Alle Dinge sind entweder nicht beseelt oder beseelt, alle
Beseelten
entweder Götter oder Lebewesen, alle Lebewesen entweder Tiere oder
Menschen“
usw., darum kann Platon geradezu als der Erfinder der digitalen
Datenverarbeitung
gelten, die ja ebenfalls mit solchen Zweiteilungen arbeitet. Cicero
hat,
wie hier sein Bruder Quintus, viel dafür getan, diese Kunst der
platonischen
Dichotomie in Europa populär zu machen.)
Also zum ersten Abschnitt dieses großen zweiten Hauptteils (II 1):
amicorum studia, „Einsatz der Freunde“. Damit sind natürlich
nicht
die Wähler selber gemeint, die ja unmöglich alle Freunde, amici,
sein können (obwohl das Wort amici, wie Q. lichtvoll sagt,
hier
in einem weiteren Sinn gebraucht werde als sonst); es sind alle, die
irgendwie
Ciceros Wahlkampf unterstützen sollen, modern gesprochen: seine
Wahlkampfhelfer,
die von den eigenen (relativ vornehmen) Verwandten bis hinunter zu
Freigelassenen
und Sklaven reichen können. Quintus unterteilt sie
zweckmäßigerweise
nicht nach Ständen, sondern nach zwei Affinitätsgraden (also
wieder
eine platonische Dichotomie). Die einen sind schon gewonnen durch
irgendwelche
Wohltaten, die ihnen der Kandidat bzw. Cicero erwiesen hat: Ihnen muss
klar
gemacht werden, das sie jetzt die einmalige Chance haben, sich bei
Cicero,
der z.B. als Prozessanwalt kein Honorar nehmen durfte, zu revanchieren,
und
dass dies von ihnen nunmehr auch erwartet wird. Die anderen sind
natürlich
diejenigen Freunde, die erst noch gewonnen werden müssen, entweder
durch
Wohltaten, die erwiesen oder in Aussicht gestellt werden, oder durch
natürliche
Sympathie (wie Sie gemerkt haben, sind hier zwei weitere Dichotomien
vorgenommen
worden). Großer Vorteil des Wahlkämpfers: Während es
sonst
als unschicklich oder geradezu albern gilt, irgendwelchen Leuten so
ohne
weiteres die Freundschaft anzutragen, wird dies von einem Kandidaten
geradezu
erwartet. Besonderen Nachdruck legt Quintus darauf, dass jeder
sogenannte
Freund im Wahlkampf seine klar umrissene Aufgabe bekommt; und dies gilt
nicht
nur für den Bereich von Rom, sondern für ganz Italien, dessen
Einwohner
ja seit einigen Jahrzehnten römische Bürger mit Wahlrecht
sind
und die dieses Wahlrecht, soweit möglich, auch tatsächlich
wahrnehmen,
indem sie zum Wahltag nach Rom reisen (was zu Unrecht gelegentlich
bestritten
wird). In allen italischen Städten, Munizipien, Kolonien usw.,
muss
der Kandidat seine Leute haben, auf die er sich verlassen kann und die,
als
wären sie selber Kandidaten – Quintus sagt „als quasi candidati“
– sich für ihn einsetzen, d.h. in seinem Sinn die öffentliche
Stimmung,
jedenfalls bei bestimmten ihnen zugeteilten Personengruppen,
bearbeiten.
So verfügt, wie wir hiermit erfahren, Cicero dank seiner
weitgespannten
Beziehungen gewissermaßen über eine kleine Armee von
Freunden
in allen Gegenden des italischen Staatsgebiets; und sein Bruder mahnt
ihn
vor allem, diese amici nicht ihrer eigenen Initiative und
Impetus
zu überlassen, sondern sie möglichst zielgerichtet nach
einheitlichem
Plan für sich kämpfen zu lassen. Welch eine strategische
Aufgabe!
Man sieht Cicero förmlich wie einen modernen Wahlkampfmanager vor
der
Landkarte der Apenninhalbinsel sitzen und allerorts Fähnchen mit
kleinen
Namensschildern einpflanzen.
Eine andere Aufgabe haben, wie wir hören, z.T. die amici in
Rom.
Sie sollen nicht nur gezielt Überzeugungsarbeit leisten (vor allem
in
den einzelnen tribus, den Verwaltungseinheiten Roms und
Italiens,
die beim Abstimmungsverfahren, das ich jetzt nicht erläutern kann,
eine
wichtige Rolle spielen), sondern vor allem auch durch ihre physische
Präsenz
beim Kandidaten, dessen großen Einfluss und Beliebtheit sie
gewissermaßen
symbolisch verkörpern, den Eindruck erwecken, als sei dieser Mann
unwiderstehlich;
hier ist die Rede von den salutatores, deductores, assectatores,
die
wir schon früher kennen gelernt haben. Quintus schließt
diesen
ersten Hauptteil (II 1) ab mit der Warnung vor falschen Freunden,
Wölfen
im Schafspelz, und gibt ausgezeichnete Tipps zur Behandlung von
„Gegnern“,
inimici.
Im zweiten Hauptteil des zentralen Abschnitts (II 2) geht es nun, wie
angekündigt,
um die Behandlung des Volkes selber, also der eigentlichen Wähler,
die
bisher nur indirekt über die Wahlhilfe der „Freunde“, amici,
angesprochen waren. Wir kommen also in den Bereich der erwähnten
„face
to face communication“ und hören über die Wichtigkeit der
schon
erwähnten nomenclatio, der namentlichen
Begrüßung
(notfalls bediente man sich eines dafür ausgebildeten nomenclator,
eines Gedächtniskünstlers, der sozusagen das ganze
Einwohnerverzeichnis
abgespeichert hatte), und über die Kunst der unaufrichtigen
Schmeichelei
(blanditia), die sonst verpönt, im Wahlkampf aber
nötig
sei; auch dass man einzelnen Leuten mehr verspricht, als man halten
kann,
ist nach Quintus eine Notwendigkeit, die er freilich seinem ernsthaft
philosophisch
gebildeten Bruder, einem homo Platonicus, so formuliert er, nur
schwer
vermitteln könne. Dass Allerwichtigste aber sei die assiduitas,
von der auch in Ciceros Prozessreden viel die Rede war, das
ständige
Anwesend- und Sichtbarsein des Kandidaten, der sich seinen Wählern
geradezu
aufdrängt; ganz wichtig auch das Ausstreuen von rumores,
„Gerüchten“,
die ja bekanntlich das älteste Massenmedium der Welt sind und in
Rom
Presse, Funk und Fernsehen vertreten.
Dies alles galt soweit für die Wähler überhaupt, das
Volk
im allgemeinen. Nun macht Quintus wieder eine Einteilung, diesmal eine
eigentliche
Marktsegmentierung: Das niedere Volk, das sich auf Volksversammlungen
herumtreibt,
habe Cicero durch diverse populäre, wenn nicht populistische Reden
schon
auf seine Seite gezogen; jetzt gelte es das Kunststück fertig zu
bringen,
auch noch die splendidi homines (womit jetzt offenbar nicht
die Nobilität,
sondern das gehobene Bürgertum gemeint ist) für sich zu
gewinnen.
Als Integrationsfigur bietet sich der damals vielfach beliebte Pompeius
an,
der gerade noch in Kleinasien den Mithridates bekriegt: Cicero solle
den
Leuten vor allem suggerieren, dass er, Pompeius, ihn schätze und
seine
Kandidatur unterstütze. (Wieder durchdringen sich, wie Sie sehen,
theoretische
Analyse und praktische Argumentationshilfe.)
Am weitaus interessantesten für die Eigenart des römischen
Wahlkampfs
ist aber der kurze letzte Abschnitt im zweiten Hauptteil dieses zweiten
Teils
(II 2). Hier spricht Quintus endlich von dem, was nach unserer
Auffassung
eigentlich Zentrum des Wahlkampfs sein sollte, der spes rei publicae,
d.h. den politischen Hoffnungen, die der Kandidat erweckt, dem, was er
für
die Allgemeinheit, die res publica, die dem Römer doch
angeblich
über alles gehen soll, zu leisten verspricht. Hier warnt Quintus
seinen
Bruder davor, irgendwelche eindeutigen programmatischen Aussagen zu
machen,
sich auf eine bestimmte Politik festzulegen, vielmehr müsse er
versuchen,
es verbal jedem recht zu machen: Der Senatsnobilität solle er als
Verteidiger
ihrer auctoritas erscheinen, den Rittern, also den
Businessleuten,
als Verfechter des otium, „Ruhe und Ordnung“ (die sie für
ihre
Geschäfte brauchen), dem Volk schließlich als der Wahrer
seiner
Interessen (commoda). Ein Glück, dass Jürgen Habermas
und
andere Kritiker von Politmarketing und Gefälligkeitsdemokratie,
diesen
Text noch nicht in die Hände bekommen haben: Sie würden an
den
Gebrüdern Cicero kein gutes Haar lassen! Denn unser Cicero hat
eben
diese Ratschläge höchst wirkungsvoll praktiziert, nicht nur
im
Wahlkampf, sondern sogar im Consulat selber, wo er dem Volk immer
wieder
die Wünsche des Senats als dessen eigenen Interessen verkauft hat,
ein
consul popularis, so sagt er selbst, wie es ihn noch nie gegeben
habe.
Was aber keineswegs heißt, dass Cicero eine Schaukelpolitik „ohne
Einsicht,
Ansicht und Absicht“, wie Theodor Mommsen ihm unterstellte, betrieben
hätte.
Er wusste schon, was er wollte, und ging dabei sehr weit; er verstand
es
nur eben auch, seine Politik möglichst allen schmackhaft zu
machen,
dank seiner Rhetorik eben, die so viel Verwandtschaft mit dem Marketing
hat.
Auf die Redekunst Ciceros kommt Quintus dann im letzten, dritten Teil
des
Werks, der nur kurz ist, zurück: III. „In welcher Stadt bin ich?“
„In
Rom“, einer Bürgerschaft voller Laster und Perversitäten, wo
der
erfolgreiche Kandidat ein wandlungsfähiger Proteus sein
müsse,
um es scheinbar allen Schuften recht zu machen. Kein Problem auch dies
für
Ciceros Redekunst. Vor allem dank ihr, gemeint ist: dank der latenten
Drohung
mit Prozessen, werde er auch die Bestechungsversuche seiner Gegner
zumindest
so weit in Schach halten, dass sie seinen Wahlsieg nicht gefährden
könnten.
Und so kam es denn auch. Cicero wurde, was ungewöhnlich war, mit
der
Stimmenmehrheit sämtlicher 193 Centurien, d.h. etwa Wahlkreisen,
zum
Consul gewählt; die Anstrengungen des Wahlkampfs, cura, labor,
diligentia,
hatten sich ausgezahlt.
Ich habe dieses Handbüchlein des Quintus nun schon so viel gelobt,
dass
ich dem nur noch eines hinzufügen möchte: Es ist
wissenschaftlich
vorbildlich, wie Quintus seinen Gegenstand ohne unnötiges Werten
angeht,
also etwa kein Wort darüber verliert, wie wichtig es doch sei,
dass
sein Bruder den gefährdeten Staat rette und die Verfassung der
Väter
gegen alle Umsturzpläne behaupte usw. Nur als Argumentationshilfen
erscheinen
gelegentlich vergleichbare, wertende Äußerungen; in der
Hauptsache
aber analysiert Quintus die Dinge mit der emotionslosen Sachlichkeit
eines
Schachlehrbuchs: Wie kann ich, Cicero, mit meinen Ressourcen als homo
novus eine Wahl gewinnen? Das heißt aber auch nicht,
dass,
wie der neueste Kommentator meint, die Botschaft des Werkes wäre:
Cicero
müsse alle, auch die unanständigsten, Tricks anwenden, um
Consul
zu werden. Quintus bleibt nicht nur selbstverständlich im Rahmen
des
Legalen und Üblichen - an Bestechung auch nur durch Bewirtungen an
der
Grenze des Gesetzlichen wird nirgendwo gedacht -; er will seinen Bruder
auch
gar nicht so sehr dazu überreden, irgendwelche Tricks anzuwenden,
vielmehr
sieht er seine Aufgabe darin, eben die Methoden und auch Tricks
überhaupt
erst aufzuzeigen und zu systematisieren, mit denen man bei einer
solchen
Consulwahl erfolgreich sein kann.
Hätte Quintus ein besseres Werk geschrieben, wenn er heutiges
Marketing
studiert oder bei modernen Politmarketing-Experten in die Lehre
gegangen
wäre? Ich traue mich nicht, diese Frage zu beantworten, obwohl ich
sie
eher bejahen würde. Auf jeden Fall möchte ich zum Schluss
doch
noch versuchen, unter Zuhilfenahme von Marketingkategorien unser Wissen
vom
römischen Wahlkampf zusammenzufassen und, im Interesse auch der
politischen
Bildung, seine Unterschiede zu den Wahlkämpfen in der modernen,
repräsentativen
Demokratie darzutun.
Wahlkampf beginnt heute wohl in der Regel mit einer Analyse der Lage,
vor
allem der demoskopisch ermittelten Wählerbedürfnisse, die mit
dem
Parteiprogramm irgendwie in Übereinstimmung gebracht werden
müssen,
so dass man dann die für die Vermittlung des Programms
geeignetsten
Kandidaten bestimmen kann. Nichts von alledem in Rom! Es fehlen nicht
nur,
das versteht sich, die Demoskopen, es gibt vor allem keine Parteien –
die
öfter so genannten „Parteien“ der Optimaten und Popularen sind
etwas
wesensmäßig anderes, was auch nie zu irgend einer
Organisation
führen konnte -; es gibt also, um ein Wort von Kaiser Wilhelm II.
abzuwandeln,
keine Parteien, sondern nur Römer (die ab und zu für ein Amt
kandidieren).
Und diese einzelnen Römer haben in der Regel auch kein Programm:
Dass
ein Kandidat etwa ankündigt, er werde sich im kommenden Jahr
für
ein bestimmtes Gesetz stark machen, ist eine gelegentliche Ausnahme,
die
nur die Regel bestätigt.
Ist dann also der Kandidat selbst das Produkt das auf dem Politmarkt
angeboten
wird? (Das wird ja sogar heute oft angenommen.) Ich meine: nein.
Produkt
im Sinne des Marketing kann logischerweise immer nur die versprochene
Dienstleistung
sein; und diese besteht für den römischen Kandidaten in zwei
Dingen:
einmal in der Zusage individueller Hilfe für einzelne Wähler
(was
mit Politik dann nichts zu tun hat und wobei man, laut „spin doctor“
Quintus,
auch mogeln darf), zum andern in der vagen Aussicht, irgendwie die
spezifischen
Standesinteressen, vor allem aber das Wohl der Allgemeinheit, salus
rei
publicae, zu fördern. Die Persönlichkeit des Kandidaten
ist
dann freilich der Garant für die Erfüllung dieser
versprochenen
Dienstleistungen, und insofern ist sie allerdings von der
größten
Wichtigkeit. Es zählen neben der sympathischen Ausstrahlung (die
auch
Quintus erwähnt) und den individuellen Leistungen, die der
Kandidat
im privaten und politischen Vorleben erbracht hat, unter anderem als
Redner
und Militär, ganz besonders auch seine Familie und die Taten
seiner
Vorfahren, die in der traditionsbewussten römischen Gesellschaft
für
Qualität bürgen. (Darum hat es ja der homo novus so
viel
schwerer als soeben ein Arnold Schwarzenegger.) Moderne Kulturkritiker
pflegen
eine solche extreme Personalisierung des Wahlkampfs, wie sie in Rom
immer
vorhanden war, als Entartung abzutun – Sachargumente statt Personen
heißt
dann die Forderung -; aber zumindest in einer noch übersichtlichen
Gesellschaft
hat die Personalisierung doch auch entschiedene Vorteile, da man ein
bekanntes
Individuum für die unterlassene, nie einklagbare, Dienstleistung
eher
haftbar machen kann als eine anonyme Partei mit ihren
Verheißungen.
Was ist nun – Stichwort: Preismix - der Preis, die Gegenleistung des
Wählers?
Natürlich zunächst seine Stimme, durch die er dem Kandidaten
nicht
nur Macht, sondern vor allem auch Ansehen, dignitas, verleiht.
Die
immer unentgeltliche Beamtentätigkeit schenkt ja ihrem Träger
größtes
Sozialprestige, viel mehr als es der heutige mit Diäten dotierte
Abgeordnete,
ja sogar der Minister besitzt. Der Kandidat in Rom muss das nach dem
Gebot
der Sitte auch anerkennen; er darf nicht etwa die Gegenleistung seines
Wählers
als einen Schnäppchenpreis herunterspielen, sondern muss ihm
zutiefst
dankbar scheinen für das ihm erwiesene beneficium, die
Wohltat
gewählt zu werden. (Darin war Cicero ein Meister.) - Ich
erwähne
noch, dass manche modernen Theoretiker zu dieser Gegenleistung des
Wählers,
dem Preismix, neben der Stimmabgabe auch Leistungen wie Wahlkampfhilfe
und
Parteispenden rechnen; wir müssten dann die ganze römische
Organisation
der wahlunterstützenden amici, die wir kennen gelernt
haben,
hierher ziehen. Aber das scheint mir nicht korrekt. Die Anwerbung der
Wahlhelfer,
denen ja z.T. auch Leistungen versprochen oder die an solche erinnert
werden,
findet doch auf einem anderen Markt statt als dem der Wahlen.
Dagegen kann man diese Organisation der sich über Rom und ganz
Italien
erstreckenden amici, sowie gelegentliche Wahlkampfreisen der Kandidaten
selber,
von denen wir hören, eher, meine ich, zu dem rechnen, was man
heute
Distributionspolitik nennt. Es ist zwar natürlich richtig, dass
hier
nicht eigentlich das Produkt selber distribuiert wird, denn eine
versprochene
Dienstleistung kann man weder verteilen noch überhaupt
transportieren
(und so könnte man auch sagen, dass hier, wie bei meist bei
immateriellen
Produkten, die Distribution von der Kommunikation nicht zu trennen
ist);
aber es besteht doch zumindest eine starke Analogie zur heutigen
Verkaufsstrategie,
die ihr Produkt über Zwischenhändler und Vertreter physisch
unter
die Leute bringt. Im übrigen aber ist alle Fälle klar, dass
diese
amici römischer Politiker einen großen Teil genau der
Funktionen
übernehmen, die heute eine Partei mit ihrem Apparat und ihren
Wahlkampfbüros
hat. Insofern besitzt in Rom sozusagen jeder Kandidat seinen eigenen
Parteiapparat.
Damit kommen wir endlich zum spektakulärsten Teil des Marketing,
der
Kommunikationspolitik, die, was Quintus noch nicht wissen konnte, nach
der
heute üblichen Einteilung in 1. Werbung, 2.
Öffentlichkeitsarbeit,
3. Promotion bzw. verkaufsfördernde Maßnahmen und 4.
persönliche
Kommunikation zerfällt. All das ist selbstverständlich auch
in
Rom vorhanden.
1. Es gibt Plakatwerbung in Form von Graffiti, wie wir sie von den
Kommunalwahlen
in Pompeii kennen, z.B: „Die Friseure und Tuchhändler bitten euch,
den
Herrn Soundso einen guten und politisch tadellosen Mann (vir bonus
et
rei publicae dignus), zum Aedilen zu machen.“ Wenn Wähler zur
Wahl
nach Rom reisten, dürften sie am Rand der Straßen (die
bekanntlich
alle nach Rom führen) solche Inschriften, vielleicht auch auf
eigens
platzierten Schildern gelesen haben. Unserer Medienwerbung durch
Zeitung
usw. entspricht dann, wie schon gesagt, in Rom die gezielte Verbreitung
von
Gerüchten (rumores), an der sich vor allem auch die
Familienangehörigen,
bis zu den Sklaven, zu beteiligen haben. Dagegen gibt es in der Regel
keine
Reklame in Form von Wahlreden der Kandidaten; allenfalls werden solche
von
ihren amici gehalten (wohl eher formlos und vielleicht ein
bisschen
hydeparkmäßig). Der römische Kandidat umwirbt in der
Tat
seinen Wähler, sogar, wie wir hören, flehentlich, wenn eine
Wahl
verloren zu gehen droht; er hat aber offenbar doch Hemmungen, die
eigenen
Tugenden coram publico in gesetzter Rede anzupreisen.
2. Keine Schwierigkeiten hat er dagegen mit der
Öffentlichkeitsarbeit.
Alles, was er als Politiker, als Redner oder Militär tut, muss
immer
auch der Öffentlichkeit vermittelt, in Szene gesetzt werden
(insofern
ist er sozusagen pausenlos mit Public relations beschäftigt, und
vollends
muss sein Wahlkampf, wie Quintus schreibt, eine einzige große
Show
sein – tota petitio pompae plena sit); ganz besonders gilt dies
aber
von den Spielen, ludi, den Veranstaltungen zur
öffentlichen Unterhaltung,
die mit den religiösen Festen koinzidieren und die Schauspiel,
Zirkus
d.h. Wagenrennen, z.T. auch Gladiatoren, Tierhetzen und andere
Belustigungen
enthalten.Durch ihre Veranstaltung, die vor allem dem Aedilen obliegt,
aber
auch von Privatpersonen ausgehen kann, baut sich der römische
Politiker,
wie in Rom jedem bewusst ist, längerfristig sein Image auf, seine
existimatio
oder auch fama, wobei es hier vor allem darauf ankommt, als
großzügig
und freigiebig (benignus et liberalis) zu erscheinen. Wer etwa einen
Gladiator,
dessen Tötung das verärgerte Volk mit gesenktem Daumen
fordert,
durch Begnadigung am Leben erhält, der kann leicht – denn
Gladiatoren
waren sündhaft teuer – als knickerig gelten, nicht unbedingt als
besonders
human. Dagegen fällt die Erinnerung an besonders aufwändige
ludi,
etwa mit vielen exotischen Tieren, sogar auf der Schauspielbühne,
bei
Wahlen erheblich ins Gewicht.
3. Während solche Spiele wie andere Teile der
Öffentlichkeitsarbeit
(militärische Erfolge, wie bei Cäsar, oder spektakuläre
Prozesse,
wie bei Cicero) naturgemäß nicht genau in die Wahlkampfzeit
platziert
werden können, gibt es auch wahlfördernde Maßnahmen
einer
direkten Promotion, wozu vor allem die öffentlichen Bewirtungen
rechnen,
die weit wichtiger scheinen als unsere ungefähr entsprechenden
Wahlkampfparties.
Sie gliedern sich in schlichtere prandia, Mittagessen, und
kostspieligere
convivia, Abendessen mit Umtrunk. Der Kandidat selber darf sie
nur
für seine eigenen Tribusgenossen (das bedeutet: für nicht
mehr
als nur ein Fünfunddreißigstel der ganzen Wählerschaft)
veranstalten:
Auch darum ist es so wichtig, dass er Freunde, amici, hat, die
in
anderen Tribus einflussreiche Persönlichkeiten (viri gratiosi)
durch gute Menus mit Falernerwein günstig stimmen. Überhaupt
wird
man sich vorzustellen haben, dass die Stimmungsmache für den
Kandidaten,
wie sie von Quintus Cicero so ausführlich behandelt wird, vor
allem
auch beim Essen und Trinken stattfindet.
4. Nichts weiter sage ich zum Schluss über die persönliche
Kommunikation
besonders beim Handshaking, denn von diesem mit Abstand wichtigsten
Teil
der Wahlkommunikation war ja schon ständig die Rede. Aber
wenigstens
eine Anekdote soll Ihnen zeigen, was es gerade hier für Pannen
geben
kann. Ein vornehmer Herr, der Consul werden wollte, schüttelte
einmal
mit fein manikürten Fingern die besonders schwielige Hand eines
römischen
Kleinbauern. Da rutschte ihm der freundlich gemeinte Scherz heraus:
„Gehst
du denn auf deinen Händen spazieren?“ Der Mann war beleidigt, das
Wort
des Hochmütigen (superbus) machte die Runde, und der
Kandidat
war für diese Wahl von keinem „spin doctor“ mehr zu retten.
In dieser Weise ließe sich also wohl das meiste von dem, was
Quintus
Cicero in seinem Handbüchlein gesammelt hat, auch nach heutigen
Marketinggesichtspunkten
darstellen; ja die Struktur des Wahlkampfs käme dadurch in manchem
wohl
noch schärfer heraus. Bedenken wir aber doch noch eines zum
Schluss!
Gutes Politmarketing führt den Römer empor auf der
Ämterkarriere,
dem cursus honorum, und bringt ihn im glücklichsten Fall
wie
Cicero zum Consulat, der seinem Inhaber in Rom die größte
Ehre,
dignitas oder honos, verleiht: Mehr an Würde, sagt
Cicero
ausdrücklich, ist in Rom nicht zu bekommen. Aber diese dignitas
(für
die immerhin Caesar den Bürgerkrieg entfacht hat) ist selber doch
nicht
das Höchste, wie wiederum Cicero bekundet. Über dem Ansehen
steht
der Ruhm, gloria, und ihn gewinnt man nicht durchs Consulat,
sondern
allenfalls durch das, was man im Consulat leistet - was nach Ciceros
Schätzung
bedeutet, dass von zehn Consuln die gloria gerade nur einem zu
Teil
wird, dem, der eben noch etwas mehr als erfolgreiche Routinearbeit
geleistet
hat. Für Cicero selber, den wir von allen Römern am besten
kennen,
war eben die gloria, der er auch eine Schrift gewidmet hat, das
große
Ziel, und er hat es wie kein anderer römischer Politiker, mit
Ausnahme
von Cäsar und Augustus, erreicht: vor allem durch die Kunst seiner
herrlichen
Reden, in denen er noch heute zu uns wie ein Lebendiger spricht, und
durch
die gediegene Bildung, die er mit seinen bahnbrechenden rhetorischen
und
besonders philosophischen Schriften in Rom verbreitet hat. Aber auch
seine
politischen Taten haben zu diesem Ruhm einiges beigetragen. Als Consul
hat
er den Putschversuch Catilinas glanzvoll aufgedeckt und erstickt; als
Consular,
d.h. Ex-Consul, hat er zwanzig Jahre später, nach Cäsars Tod,
das
republikanische Rom, auch wenn das nicht unproblematisch war und ihn
selber
am Ende das Leben gekostet hat, in seinen letzten Krieg, mit Antonius,
geführt.
Seine dignitas als Consul und Consular war die Voraussetzung
solcher
Leistungen, die ihn berühmt gemacht haben; diese dignitas verdankte
er zum Teil auch seinem Bruder, der ihn mit seinem politischen
Marketing
seinerzeit so gut beraten hatte. Sein ewiger Ruhm aber hebt sich weit
über
solche dignitas; für ihn gilt, was das Lebensmotto des
eingangs
genannten Nürnberger Humanisten Willibald Pirckheimer gewesen ist:
vivitur
ingenio, cetera mortis erunt. „Leben gibt das Genie; das
übrige
ist des Todes“, sogar die Würde eines Consuls. Hier, wo es um
Unsterblichkeit
geht, ist, zum Glück, auch das innovativste Politmarketing am Ende
seines
Lateins.
Neque enim omnia posita sunt in illa mercium aliarumque rerum
commutatione,
quae nunc “marketing” nuncupatur. Dixi.