Introitus |
Einzug |
En in cothurnis prodit Aesopus nouis, Aesopus, Aesopus uenit. Fit ludus, adest iocus, huc agit suum pecus. Facite uiam! uacet hic locus! In scaenam iam mittit pedem, amplum secum ducit gregem, ducit secum bestias magnas, paruas, medias. Bestiae sunt naturales, mores habent bestiales, legibus uiuunt suis magnis, paruis, mediis. Bestiarum sub personis demonstrantur cantu, sonis hominum stulta uitia magna, parua, media. Haec semper mouebunt risum, agnum ni fleat occisum nostra misericordia magna, parua, media. |
Seht her! Aesopus kommt auf neuen Stelzenschuhn. Aesopus, Aesopus ist da! Da gibt's immer Spiel und Spaß, trabt er mit dem Vieh fürbaß. Bitte, Platz gemacht! Machet frei die Straß! Schon zeucht er auf der Bühne ein zusamt dem ganzen Tierverein. Was mögen das für Bestien sein? Groß und klein und mittelklein. Ach, wie sind sie so natürlich, gar so tierlich und possierlich und so gar nicht stubenrein – groß und klein und mittelklein. Homo Sapiens entfaltet mit Musik sich tiergestaltet zu diversen Viecherein – groß und klein und mittelklein. Da gibt's immer was zu lächeln. Nur, hörn wir das Lamm verröcheln stellt sich wohl auch Mitleid ein, groß und klein und mittelklein. |
Lupus et agnus |
Der Wolf und das Lamm |
Ad riuum eundem lupus et agnus uenerant siti compulsi. Superior stabat lupus longeque inferior agnus. Tum fauce improba latro incitatus iurgii causam intulit. "Cur" inquit "turbulentam fecisti mihi aquam bibenti?" Laniger contra timens: "Qui possum, quaeso, facere quod quereris lupe? A te decurrit ad meos haustus liquor." Repulsus ille ueritatis uiribus: Ante hos sex menses male, ait, dixisti mihi." Respondit agnus: "Equidem natus non eram." "Pater hercle tuus ibi, inquit, male dixit mihi." Atque ita correptum lacerat iniusta nece. Haec propter illos scriptast homines fabula, qui fictis causis innocentes opprimunt. |
Zum selben Bach gekommen waren Wolf und Lamm, vom Durst getrieben. Höher oben stand der Wolf, das Lamm viel weiter unten. Doch mit frechem Schlund sucht da der wilde Räuber Grund zu Streiterein. "Warum", so spricht er, "hast du mir mein Wässerchen getrübt beim Trinken?" Drauf das Wollschaf voller Furcht: "Wie könnt ich dieses tun, Herr Wolf, was Ihr beklagt? Von Euch zu meinem Trunke läuft das edle Nass." Doch der, zurückgeschlagen von der Wahrheit Macht: "Du hast vor einem halben Jahre mich geschmäht!" Das Lämmlein: "Damals war ich doch noch nicht geborn." "Dann wars dein Vater, Sapperment, der mich geschmäht." Er packt das Lämmlein und zerfleischt's, dem Recht zum Trotz. Die Fabel gilt den Leuten, die mit Lügenmaul Unschuldigen zum Schaden falsche Klage führn. |
Graculus superbus et pauo |
Die hochmütige Dohle und
der Pfau |
Ne gloriari libeat alienis bonis suoque potius habitu uitam degere, Aesopus nobis hoc exemplum prodidit. Tumens inani graculus superbia pennas, pauoni quae deciderant, sustulit. Sese exornauit; deinde contemnens suos se inmiscuit pauonum formoso gregi. (pauonum tripudium) Illi impudenti pennas eripiunt aui fugantque rostris. Male mulcatus graculus redire maerens coepit ad proprium genus. A quo repulsus tristem sustinuit notam. Tum quidam ex illis, quos prius despexerat: "Contentus nostris si fuisses legibus et quod natura dederat uoluisses pati, nec illam expertus esses contumeliam nec hanc repulsam tua sentiret calamitas. |
Man blähe niemals sich mit fremden Gütern nicht; viel besser lebt sich's sittsam nach der eignen Art. Des zum Exempel sprach Aesop das Folgende. Einst lebte eine Dohle, voll von eitlem Stolz, die stahl sich Federn, die dem Pfau entfallen warn und putzte sich damit. Das eigne Dohlenvolk verachtend trat sie in der schönen Pfauen Reihn. (folgt der Pfauenwalzer) Der Unverschämten reißt man hier die Federn aus, jagt sie mit Schnäbeln. Und die Dohle, bös verbleit will wieder nun betrübt zu ihrem Volk zurück. Die aber stoßen sie von sich, mit herbem Schimpf. Und eine derer, die zuvor verachtet, sprach zu ihr "Hätt'unsre Lebensart dir vormals conveniert, hätt'st du, was die Natur dir schenkte, akzeptiert, dann wär dir weder jene Schande widerfahrn noch müsstest du zum Unglück jetzt verstoßen sein." |
Cicada et noctua |
Zikade und Eule |
Humanitati qui se non accommodat, plerumque poenas oppetit superbiae. Cicada acerbum noctuae conuicium faciebat solitae uictum in tenebris quaerere cauoque ramo capere somnum interdiu. Rogatast ut taceret. Multo ualidius clamare coepit. Rursus admota prece accensa magis est. Noctua ut uidit sibi nullum esse auxilium et uerba contemni sua, hac est adgressa garrulam fallacia: "Dormire quia me non sinunt cantus tui, sonare citharam quos putes Apollinis, potarest animus nectar, quod Pallas mihi nuper donauit. Si non fastidis, ueni: Vna bibamus!" Illa, quae ardebat siti, simul cognouit uocem laudari suam, cupide aduolauit. Noctua egressa e cauo trepidantem consectatast et leto dedit. Sic uiua quod negarat tribuit mortua. |
Wer dem Humanitätsideal sich nicht bequemt, büßt meistens bitter für den schlimmen Übermut. Einst schmähte die Zikade voller Spott und Hohn die Eule, dass sie sich im Dunkeln Nahrung sucht und dann bei Tag in hohlem Ast den Schlaf genießt. Man bat sie, still zu schweigen. Nur viel heftiger zirpt diese weiter. Wieder bringt man Bitten vor, doch die erhitzt sich nur noch mehr. Die Eule sieht: Vergebens sind die Worte, keine Hilfe gibt's. So greift sie denn zur List und spricht zur Schwätzerin: „Da mich zum Schlafe nicht gelangen lässt dein Sang, der wie Apollons Saitenspiel so lieblich tönt, will ich vom Nektar kosten, den Minerva mir kürzlich spendiert hat. Ist dir's recht, so komm: Zu zweit lasset uns trinken!" Die, von heißem Durst gequält, kommt gierig an. Da fährt die Eule aus dem Loch und packt die Zappelnde und bringt sie eilend um. Was sie im Leben weigerte, jetzt sie's gibt – tot. |
Rana rupta et bos |
Der geplatzte Frosch und der Ochse |
Inops, potentem dum uult imitari, perit. Brecececex coax coax In prato rana quondam conspexit bouem et tacta inuidia tantae magnitudinis rugosam inflauit pellem. Tum natos suos interrogauit, an boue esset latior. Illi negarunt. Rursus intendit cutem maiore nisu et simili quaesiuit modo, quis maior esset. Illi dixerunt bouem. Nouissime indignata dum uult ualidius inflare sese, rupto iacuit corpore. |
Schlecht geht's dem Kleinen, der's dem Mächtgen gleichtun will. Brecececex coax coax Ein Frosch sah einst auf grüner Au ein Rindvieh stehn. Da packte ihn der Neid ob solcher Leibespracht. Er blies die Runzelhaut sich auf und fragte dann die Söhne, ob er größer als der Ochs schon sei. "Nein", sagten diese. Wieder spannt er nun sein Fell und müht sich stärker. Und er fragt zum zweiten Mal, wer jetzt der größre wäre. Die darauf: "Der Ochs." Empörung spürt der Frosch, dass noch gewaltiger er nun sich aufbläst – schon ist ihm der Leib geplatzt. |
Caluus et musca |
Der Glatzkopf und die Mücke |
Calui momordit musca nudatum caput; quam opprimere captans alapam sibi duxit grauem. Tunc illa inridens: „Punctum uolucris paruulae uoluisti morte ulcisci, quid facies tibi, iniuriae qui addideris contumeliam?" Respondit: "Mecum facile redeo in gratiam, quia non fuisse mentem laedenti scio. Sed te, contempti generis animal improbum, quae delectaris bibere humanum sanguinem, optem necare uel maiore incommodo." Hoc argumentum uenia donari docet qui casu peccat. Nam qui consiliost nocens, illum esse quauis dignum poena iudico. |
In einen kahlen Schädel stach ein Mücklein einst. Den Glatzkopf, der sie schlagen will, trifft selbst der Klaps. Da spottet jene: "Wolltest du den kleinen Stich schon mit dem Tode rächen, sag, was tust du dir, wo du dir zum Weh die Schmach noch beigesellt?" Sprach dieser: "Mit mir selber werd' ich schnell versöhnt, da, wie ich weiß, kein Wille war zur Schädigung. Doch wehe dir, du böses Biest aus schlechtem Haus, das du der Menschheit Blut mit solcher Wonne schlürfst: Dich töt ich gerne – wär mein Schad' auch größer noch." Hier lässt sich lernen: Der nur ist der Gnade wert, der ohne Absicht sündigt. Den Arglistigen trifft, mein ich, jede Strafe ganz zu Recht. |
Asinus et leo uenantes |
Esel und Löwe auf der Jagd |
Virtutis expers, uerbis iactans gloriam, ignotos fallit, notis est derisui. Venari asello comite cum uellet leo, contexit illum frutice et admonuit simul, ut insueta uoce terreret feras, fugientes ipse exciperet. Hic auritulus clamorem subito totis tollit uiribus nouoque turbat bestias miraculo. Quae dum pauentes exitus notos petunt, leonis adfliguntur horrendo impetu. Qui postquam caede fessus est, asinum euocat iubetque uocem premere. Tunc ille insolens: "Qualis uidetur opera tibi uocis meae?" "Insignis" inquit "sic ut, nisi nossem tuum animum genusque, simili fugissem metu." |
Wer Tapferkeit nicht wirklich hat, nur nichtig prahlt, täuscht wohl die Dummen, doch der Kenner lacht ihn aus. Ein Löwe wollte mit dem Esel jagen gehn. Er deckte ihn mit Buschwerk zu und hieß ihn so das Wild erschrecken, das nicht kannte sein Organ, dass selber er's abfange auf der Flucht. Es brüllt das Langohr mächtig und aus voller Leibeskraft, so dass die Tiere vor dem Schaudertone fliehn. Sie eilen zitternd auf gewohntem Rettungspfad, da kommt der Löwe schrecklich wütend über sie. Als er das Morden satt hat, ruft den Esel er und bittet ihn zu schweigen. Der, voll Keckheit, fragt: "Nun, wie gefällt dir meiner Stimme Tätigkeit?" "Vortrefflich", sagt der Löwe, „kennt' ich nicht dein Herz und all dein Wesen, flöh' ich selber voller Furcht." |
Exitus |
Auszug |
En in cothurnis exit Aesopus nouis. Finitus est noster ludus: gaudeat, qui non est nudus, quem non mordent bestiae magnae, paruae, mediae. Bestiae sunt naturales, mores habent bestiales, legibus uiuunt suis magnis, paruis, mediis. Bestiarum sub personis demonstrantur cantu, sonis hominum stulta uitia magna, parua, media. |
Seht her! Aesopus zieht auf neuen Stelzenschuhn ab. Schluss ist mit dem heitern Reihen, wer nicht nackt ist, darf sich freuen. Bestienstich macht ihn nicht schrein, groß und klein und mittelklein. Ach wie sind sie so natürlich, gar so tierlich und possierlich und so gar nicht stubenrein – groß und klein und mittelklein. Homo Sapiens entfaltet mit Musik sich tiergestaltet zu diversen Viecherein – groß und klein und mittelklein. |