Evžen Zámečník

Die Rückkehr Jan Nováks

("Návrat Jana Nováka", in: Programmheft zur Aufführung von Jan Nováks "Dulcitius" und "Aesopia", Janáček-Theater Brünn, 6. Oktober 1990, ohne Pag. [S. 4-6]; aus dem Tschechischen übers. von Beate Minár)

Kaum einer der in Brünn wirkenden Komponisten wurde von unserer, der in den sechziger Jahren antretenden, Komponistengeneration so verehrt und geliebt wie Jan Novák. Jede seiner Premieren wurde mit Spannung erwartet, wir besuchten Konzerte der ehemaligen Komponistengruppe A, welche [uns] ein leitender Geist war (es gehörten hierher noch Josef Berg, Miloslav Ištvan, Alois Piňos und Zdeněk Pololáník), wir hörten Helena Blehárová und dem Orchester Gustav Broms mit der Darbietung seines lateinischen Schlagers zu, wir waren hingerissen von der Musik zu Kopeckýs KOMEDIE O UMUČENÍ (Komödie von der Passion), von den Songs zu Kunderas TOTÁLNÍ KUROPĚNÍ (Totaler Hahnenschrei) und von weiteren Kompositionen, welche die Vielseitigkeit von Nováks Talent und seine kompositorischen Fähigkeiten bewiesen (erinnern wir uns hier nur etwa an die Doppelfuge in seinen Variationen auf ein Thema Bohuslav Martinůs).

Honza Novák, wie wir ihn uns auf familiäre Art zu nennen erlaubten (ohne dass wir ihn vertrauter gekannt haben), war immer der Stolz der Brünner Musikwelt, aber nicht nur ihrer. Es zeigt sich, dass er zu den überhaupt bedeutendsten tschechischen Komponisten der zweiten Hälfte unseres Jahrhunderts gehört.

Schicksalhaft verbunden mit Mähren (er wurde am 8. April 1921 in Nová Říše geboren) blieb er diesem Land sein ganzes Leben lang treu. Sein Mährentum demonstrierte er auch während seiner Emigration (nach 1968) zum Beispiel durch den zweiteiligen Klavierzyklus RUSTICA MUSA, durch die wunderschönen "mährischen" langsamen Sätze in den Kammermusikwerken (stellvertretend für alle anderen nenne ich hier seine Sonatine für Flöte und Klavier) und durch seine schöne Beziehung zu seinen Brünner Kollegen ...

Nach den Gymnasialjahren in Velehrad und in Brünn studiert er am dortigen Konservatorium Komposition bei Prof. Vilém Petrželka. Während des Krieges verbrachte er zweieinhalb Jahre bei Zwangsarbeiteinsätzen in Deutschland. Sein Studium schließt er 1946 mit der Tanzsuite für Orchester ab. Ein Semester verbrachte er danach an der Akademie der musischen Künste (AMU) in Prag bei Prof. Pavel Bořkovec, ein weiteres an der Janáček-Akademie der musischen Künste (JAMU) in Brünn, wieder bei Prof. Petrželka. Vom Juli 1947 ab studierte er, ermöglicht durch ein Stipendium der Ježek-Stiftung, in den USA zuerst am Berkshire Music Centre in Tanglewood bei Aaron Copland, dann bei Bohuslav Martinů in New York. Das Zusammentreffen mit Martinů hatte für Jan Novák "grundlegende und umwälzende Bedeutung" (wie er selbst in seiner kurzgefassten Autobiographie schreibt). Zu den Paradoxa und Kuriositäten in Nováks Leben gehört die Tatsache, dass er am 25. Februar 1948 [kommunistische Machtergreifung; Anm. d. Übers.] in die ČSR zurückkehrte. Mit seiner Frau Eliška (einer geborenen Hanousková) schlug er sich dann auf verschiedenste Weise durch. Beide spielen im Duo an zwei Klavieren (vor allem im Rundfunk) und leben bescheiden. Wegen seiner "schlechten Einstellung zur heutigen politischen Ordnung" (siehe die Autobiographie Jan Nováks) hatte Jan Novák eine ganze Reihe von Problemen. Seine grundlegende Sehnsucht, sich frei auszudrücken, stieß natürlich an die verknöcherten und autoritativen Mechanismen des Systems der fünfziger und frühen sechziger Jahre. Diskriminiert wurde er zum Beispiel dafür, dass er nicht zu den Wahlen erschien. Er wurde aus dem Komponistenverband ausgeschlossen und in der Presse öffentlich verleumdet. Erst im Laufe der sechziger Jahre begann er sich durch sein Schaffen für den Film auf beeindruckende Weise durchzusetzen (er arbeitete mit den bedeutenden Barrandover [Filmstudios in Prag; Anm. d. Übers.] Regisseuren Hoffmann, Kachyňa, Trnka u.a. zusammen) und konnte so seine Familie besser materiell absichern.

Der 21. August überraschte ihn in Italien, wo er mit dem Kühn-Chor auf einer Tournee war. Er weigerte sich, nach Hause zurückzukehren, aus Protest gegen den Eintritt fremder Truppen in unser Vaterland. Als ihm später Frau Eliška und beide Töchter ins Ausland nachfolgten (er lebte in Dänemark, dann in Italien und in der BRD), trat er den Weg eines unsicheren Lebens in der Emigration an. Freiheit bedeutete ihm jedoch mehr als ein konformes Leben in der unfreien Heimat.

Jan Novák war in der Emigration ein sehr fruchtbarer Komponist. Fleißig komponierte er, während Frau Eliška mit ihrer pädagogischen Tätigkeit für die materielle Absicherung der Familie sorgte. In den letzten Jahren vor seinem Tod (er starb am 17. November 1984 in Ulm, begraben wurde er auf eigenen Wunsch in Rovereto im Viertel Borgo Sacco in Italien) war er im Ausland ein sehr erfolgreicher Autor, während seine Musik bei uns verboten war. Rafael Kubelik nahm seine Kompositionen im Münchner Rundfunk auf, die Kantate DIDO wurde von Martin Turnovský in New York zur Aufführung gebracht, er schrieb für Rudolf Firkušný, viele Kompositionen kamen gedruckt heraus usw.

Wenn wir Nováks Werk genauer betrachten, erstaunt es, wie vielseitig sein Schaffen war. Von Gelegenheitskompositionen für seine Freunde (zum Beispiel Zaříkadlo na oteklou nohu (Beschwörung auf ein geschwollenes Bein) zum 60. Geburtstag Břetislav Bakalas) und für die Familie (Fünfstimmige Messe a capella 1952), über Dutzende Musiken für Theater und Film. Bis zu anspruchsvollen Kammer-, Vokal-, Konzert- und symphonischen Werken – das alles finden wir im Verzeichnis seiner Werke. Am bedeutendsten sind seine Kompositionen aus den sechziger Jahren – Jan Novák setzt sich auf seine Weise mit den Einflüssen der Dodekaphonie (Passer Catulli, Ioci vernales, Dulces cantilenae) und weiteren Kompositionstechniken (eingeschlossen Aleatorik) auseinander. Seinen ursprünglichen Ausgangspunkt, den Neoklassizismus, sowie die starken Einflüsse Bohuslav Martinůs (und auch des Jazz) schmilzt er in eine neue originelle Musiksprache ein, die sich auf das Metrum klassischer lateinischer Dichter stützt. Latein wurde ihm zur zweiten Muttersprache. Die Kantate DIDO (nach Vergil, 1967), einer der Höhepunkte seines Schaffens, stellt bereits ein Werk dieser schöpferischen Synthese dar, wie auch die Mehrzahl der in der Emigrationszeit geschriebenen Kompositionen. Eine durchdringende Rhythmik (häufig polyrhythmische Strukturen), "Konzerthaftigkeit", eine brillante Instrumentierung, sowie Witz und bewusste Akzentuierung des melodisch-harmonischen Elements – dies sind die Hauptmerkmale von Nováks Stil.

Ich hatte das Glück, mich während der Zeit seiner Emigration zweimal mit Jan Novák zu treffen, zuletzt im Oktober 1982. Er war gerade aus München angereist und begeistert von Kubelíks Einspielung der Kantate DIDO. Er war glücklich, energiegeladen, und vor Humor und Gesundheit sprühend. In einem italienischen Restaurant sprach er mit dem Personal im neapolitanischen Dialekt. Keine Emigrantenklagen. Gemeinsam gingen wir einen halben Tag lang am Ufer des Bodensees spazieren, sprachen über Martinů ("er war innerlich aufrichtig", sagte Jan Novák), über die Harmonie ("befreite Tonalität?"), über Brünner Komponisten (am meisten schätzte er M. Ištvan), über die lateinische Sprache (wobei er es mir sehr zum Vorwurf machte, dass ich sie nicht beherrsche). Er hörte sich von einer Aufnahme einen Ausschnitt aus meiner Oper FERDA MRAVENEC (Ferda, die Ameise) an und meinte, dass wir "wahrscheinlich gleich fühlten", was die größte Anerkennung ist, die mir jemals zuteil wurde – sicher verzeiht mir der Leser dieses persönliche Bekenntnis.

Ich habe nicht geahnt, dass wir uns zum letzten Mal sehen. Zwei Jahre darauf starb er und sein Werk kehrt nun in die Heimat zurück. JAN NOVÁK REDIVIVUS! Die Ähnlichkeit seines mit dem Schicksal seines berühmten Lehrers (B. Martinů) ist mehr als deutlich. Auch in seinem Werk finden wir einen tschechischen (mährischen) Anklang, Gesundheit und Freude. Auch Jan Novák unterlag nicht auf Dauer den kompositorischen Strömungen und Moden der Zeit. Er war sich selbst auf der Spur – doch keineswegs mit dem Ziel, Originalität um jeden Preis zu erlangen, sondern aus innerlicher Notwendigkeit heraus.
 

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